Schon nach wenigen Takten von A, dem neuen Album von Agnetha Fältskog, überkommt es einen: dieses Gefühl von Vertrautheit. Dieses Aha, dieses Wiedererkennen ist automatisch da, sobald sie die ersten Zeilen der ersten Singleauskopplung „The One Who Loves You Now“ (VÖ 11.03.) zu singen beginnt. Es ist eine Stimme, die Millionen von Menschen begeistert und über Jahre hinweg begleitet hat, zugleich eine Stimme, die zuletzt vor neun Jahren mit dem Album My Colouring Book an der Chartspitze zu hören war, doch die, wie schon dieser erste Song beweist, noch immer so einzigartig und bewegend klingt wie eh und je. Da sind sie wieder, die glasklaren, exakt artikulierten Worte, diese Verletzlichkeit und dieses Gefühl, dass Agnetha mit jeder Zeile, mit jedem Wort jeden Einzelnen von uns anspricht.
Gewiss, es gab in der Vergangenheit schon so einige Sänger und Sängerinnen, deren Stimmen unter dem Älterwerden gelitten haben. Nicht so jedoch bei Agnetha – das beweist ein ganz simples Experiment: Man nehme a) einen ihrer ganz frühen Solo-Hits, b) einen ABBA-Klassiker und c) dann noch einen dieser brandneuen Tracks und spiele sie nacheinander ab: Und jetzt bitte allein am Klang der Stimme das Entstehungsjahr festmachen… genau, das geht tatsächlich nicht. Keine Chance.
Fragt man jedoch Agnetha nach ihrer Stimme bzw. wie sie sich damit fühlte, als sie letztes Jahr zum ersten Mal zusammen mit den Produzenten Jörgen Elofsson und Peter Nordahl ins Studio ging, so hat sie eine überraschende Antwort parat: „Das Album als solches machte mir keine Sorgen“, berichtet sie in einer Suite im Stockholmer Grand Hotel, „aber meine Stimme hingegen durchaus. Ich hatte ja so lange nicht gesungen, und deswegen muss ich wohl gedacht haben: ‘Was mache ich bloß, wenn sie nun auf einmal gar nicht mehr da ist?’“
Natürlich war sie immer noch da, nur sollte das Agnetha nicht davon abhalten, gewisse Zweifel bezüglich ihrer Stimme zu hegen, und überhaupt gegenüber dieser Rückkehr in jene Welt, der sie doch eigentlich mit ihrem 1988er Album I Stand Alone mehr oder weniger konsequent den Rücken gekehrt hatte. „Die Tür stand immer noch einen Spalt offen“, erzählt sie weiterhin, „aber ich ging damals eher nicht davon aus, dass ich noch weitere Aufnahmen machen würde. Und jetzt sind wieder knapp 10 Jahre seit meinem letzten Album vergangen, und fast 25 seit ich zum letzten Mal neue Songs eingesungen habe. Auch beim letzten Album dachte ich, dass das dann bestimmt mein letztes sein würde. Und nachdem es im Kasten war, habe ich über die ganze Angelegenheit ehrlich gesagt gar nicht so häufig nachgedacht. In meinem Leben passieren ja auch ganz andere Dinge, ich habe meine Kinder, meine Enkel, ich habe zwei Hunde und ein großes Landhaus. Ich lebe dort mein ganz eigenes Leben.“
Ihr Zuhause, das ihr extrem viel bedeutet und wo sie so viel Zeit wie möglich verbringt, befindet sich auf einer Insel westlich von Stockholm – und na klar: Viele werden nachvollziehen können, dass man sich nach so vielen Jahren im Licht der Öffentlichkeit nach etwas mehr Privatsphäre sehnt. Allerdings gab es da immer auch schon andere Stimmen: Quasi seit dem Moment, als sich ABBA 1982 trennten, wurden von Seiten der internationalen Presse unzählige Thesen und Behauptungen aufgestellt und verbreitet, auch viel Unschönes über jenes Leben dieser Frau, die mit ABBA und dem Eurovisions-Erfolg 1974 mit „Waterloo“ ins Rampenlicht getreten war: „Eine Einsiedlerin“ sei sie; „Sie hat sich selbst weggesperrt.“
„Ja, man hat mir die absurdesten Dinge nachgesagt“, berichtet Agnetha, „aber da war natürlich gar nichts dran: Stattdessen bin ich wohl eher bodenständig. Ich hab damals den Entschluss gefasst, mir dieses Haus auf dem Land zu kaufen, weil ich weit weg von alledem und einfach nur ich selbst sein wollte. Ein ganz normaler Mensch. Ich genieße es schon, mal in die Stadt zu fahren, sich dort abends mal zu amüsieren, aber ich genieße es eben auch, wieder zurückzukehren und am nächsten Morgen in der Natur aufzuwachen. Und überhaupt sind da alle Künstler verschieden, was das angeht: Die einen stehen voll auf den Glamour, und ich mag das ja auch – für einen Abend, zwischendurch. Aber heutzutage ist das alles so laut und hektisch geworden, und wo ich wohne, ist es im Vergleich so unglaublich viel ruhiger. Wenn ich Besuch habe, dann stellen die Leute in der Regel als erstes fest: ‘Wow, ist das ruhig hier – viel zu ruhig!’ Ich liebe das.“
In diese idyllische Ruhe traten vor anderthalb Jahren die Produzenten Jörgen und Peter, die über einen gemeinsamen Bekannten mit Agnetha Kontakt aufgenommen hatten. Auch wenn Agnetha es nicht so direkt sagt, merkt man ihr doch an, dass Jörgen, der für seine Arbeit mit Mega-Stars wie Britney, Kelly Clarkson und Westlife bekannt ist, sie mehr als ein Mal überreden musste, bis es zu den Aufnahmen kam. Immerhin hatte sie den Entschluss gefasst, kein Mikrofon mehr in die Hand zu nehmen. Warum also sollte sie es sich doch noch einmal anders überlegen? „Das lag auch an einer guten Freundin von mir, die das alles ins Rollen gebracht hat“, erzählt Agnetha. „Sie rief an und erzählte mir davon, dass Jörgen Elofsson und Peter Nordahl mir gerne mal ein paar ihrer Kompositionen vorspielen wollten. Also kamen sie rum und spielten mir drei Stücke vor, und ich dachte nur: ‘Um Himmels Willen, ich muss da einfach mitmachen.’ Es fühlte sich wie genau die richtige Art von Herausforderung an.“ Und ihre Familie und Freunde, hatten die ein Wörtchen bei dem Entschluss mitzureden? „Na ja, ich fragte meine Tochter: ‘Was meinst du? Sollte ich da mitmachen?’, und sie antwortete darauf: ‘Das solltest du dir auf jeden Fall richtig gut überlegen. Schließlich könnte das alles dadurch wieder von vorne anfangen.’ Die Aufnahmesessions waren wunderschön, aber man muss sich eben auch im Klaren darüber sein, dass diese Aufnahmen später Konsequenzen nach sich ziehen können.“
Besagte „Konsequenzen“ waren schon einmal in Agnethas Leben Ruhm und Reichtum gewesen, aber auch die hatten ihren Preis gehabt. Und haben ihn immer noch: Auch heute, gut drei Jahrzehnte später, verkaufen sich die Platten von ABBA Jahr für Jahr millionenfach – und das ganze „Mamma Mia!“-Phänomen nimmt kein Ende. „Das hört nie auf“, so Agnetha. „Und im Gegenteil geht es sogar immer wieder von vorne los: Man wird von der nächsten Generation entdeckt, dann kommt ein neues Musical, ein neuer Film, und so weiter und so fort. Und natürlich bin ich auch sehr, sehr stolz auf das, was wir da erreicht haben. Wir haben das alles damals sehr ernst genommen, und die Qualität der Musik fasziniert die Leute auch heute noch.“
Die Aufnahme-Sessions, die Agnetha so sehr genossen hat, brachten insgesamt zehn brandneue Songs hervor – inklusive dem Duett „I Should’ve Followed You Home“, aufgenommen mit Gary Barlow, und dem wunderschön-aufrichtigen „I Keep Them On The Floor Beside My Bed“, das Agnetha daheim auf dem Land selbst als Co-Autorin mitverfasst hat.
Ihr Kommentar zur Arbeit mit Gary trifft es schon sehr gut: „Ich würde mal sagen, dass unsere Stimmen echt gut zueinander passen.“ Tatsächlich klingen die beiden wie füreinander gemacht. Zudem erweckte die kreative Arbeit ein altes Feuer in ihr – schließlich darf man nicht vergessen, dass ihre Kompositionen schon vor der Zeit mit ABBA an der Spitze der schwedischen Charts vertreten waren. „Jörgen kam immer wieder an und sagte: ‘Du musst einfach einen Song für dieses Album selbst schreiben’“, erinnert sie sich. „Ich hatte ja schon so lange keinen Song mehr geschrieben. Doch dann saß ich am Klavier und plötzlich war er da.“ So wie alte Gewohnheiten, die man nur schwer ablegen kann? „Genau so. Ein Freund von mir hat das mal sehr schön gesagt: ‘Es steckt quasi in deinen Knochen. In dir drin. Selbst wenn du müde und am Ende bist: wenn du darauf zurückgreifen willst, ist das alles wieder da.’“
Weitere Highlights von A sind z.B. auch das nachdenklich klingende „Bubble“, das Agnethas Einstellung zu Glamour und Rampenlicht sehr gut auf den Punkt bringt, die eingängige Disco-Nummer „Dance Your Pain Away“, der glasklare Pop von „Back On Your Radio“, die grandiose erste Single „The One Who Loves You Now“ und nicht zuletzt das vom Klavier getragene Stück „Past Forever“ mit seinem Refrain, der gewissermaßen Agnethas Lebensmotto enthält: „What can’t be broken: the kind of love that lasts“. Berühmtheit kommt und geht, nur die Liebe, die bleibt. „Man kann dem Ruhm zwar auch nicht entkommen, aber er hat nichts mit dem eigentlichen Leben zu tun. Ich betrachte mich quasi nie als die tolle Sängerin – oder als weltberühmte Künstlerin. Ich denke da gar nicht dran. Aber wenn dann die Zeit zum Singen kommt, dann konzentriere ich mich darauf – und dann ist das auch alles wieder da.“
Man muss Jörgen und Peter dafür danken, dass sie uns an dieses „alles“ erinnert haben: Es ist tatsächlich noch immer genauso da, wie damals, wie immer.
Das neue Album von Agnetha beweist vor allem, dass eine der größten Stimmen der Popgeschichte es immer noch schafft, einen umzuhauen. Und so geht die Reise nun also weiter für diese Frau mit der unverwechselbaren Stimme, die mit fünf ihre ersten Songs geschrieben und wenig später Cembalo in der Kirche gespielt hat, um mit 18 ihre erste #1-Single zu landen – und dann mit ABBA die ganze Welt zu erobern. Sie geht weiter, allerdings gibt sie jetzt den Ton an und das Tempo vor.
Agnetha weiß, dass das Leben so einige Lektionen zu bieten hat: Entscheidend sei jedoch, sie auch zu beherzigen, sich daran zu halten.
Sie war lange weg, und nun ist sie zurück: Mit neuen Songs, die zeitlos klingen, eingesungen von einer Stimme, der selbst der Zahn der Zeit nichts anzuhaben scheint. Wir haben sie vermisst, diese Stimme – willkommen zurück!