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Feinstes Klangholz vom Stammbaum der Familie Bach
»Johann Sebastian Bach, gehöret zu einem Geschlechte, welchem Liebe und Geschicklichkeit zur Musick, gleichsam als ein allgemeines Geschenck, für alle seine Mitglieder, von der Natur mitgetheilet zu seyn scheinen. So viel ist gewiß, daß von Veit Bachen, dem Stammvater dieses Geschlechts, an, alle seine Nachkommen, nun schon bis ins siebende Glied, der Musik ergeben gewesen, auch alle, nur etwan ein Paar davon ausgenommen, Profession davon gemacht haben. […] Von allen diesen hat man noch Arbeiten in Händen, welche von der Stärke ihrer Verfasser, so wohl in der Vocal- als Instrumentalcomposition hinlänglich zeugen.«
Mit diesen berührenden Worten begann Carl Philipp Emanuel Bach 1754 seinen Nachruf auf den vier Jahre zuvor verstorbenen Vater. Dem Sohn war es wichtig festzustellen, dass das unglaubliche Talent seines Vaters eine lange Vorgeschichte hatte. Denn Johann Sebastian Bach, so groß und unerreicht er auch war, war er doch nicht zuletzt ein weiterer Ast an einem riesigen Baum von Komponisten und Musikern namens Bach.
Auf dem vorliegenden Album wird der beeindruckende Bach-Stammbaum zum facettenreichen »Klangholz«. Mit Musik aus drei Bach-Generationen, angefangen bei Johann Christoph, einem Cousin von Bachs Vater, und endend mit zwei Söhnen von J. S. Bach, bietet die Zusammenstellung gewissermaßen eine musikalische Familien-Visitenkarte, wie sie eindrucksvoller und vielseitiger kaum ausfallen könnte.
Die älteste Komposition ist dabei eine instrumentale Fassung von Johann Christoph Bachs Lamento Ach, dass ich Wassers g’nug hätte, in den frühen 1670er Jahren in Eisenach für Alt und Streicher geschrieben. Das in einem beispiellos expressiven Stil komponierte Stück ist übersät mit heftigen Dissonanzen, denn im gesungenen Text weint eine von schweren Sünden gedrückte Menschenseele ganze Bäche von Tränen. Das Werk belegt eindrucksvoll, warum C. P. E. Bach seinen Vorfahren ehrfurchtsvoll als »im Ausdrucke der Worte stark« bezeichnete.
War Johann Christoph Bach, bis zu seinem Tod 1703 Stadtorganist in Eisenach, womöglich J.S. Bachs erstes großes Idol? Wie dem auch sei: Der 1685 in Eisenach geborene Spross wurde ein sich prächtig entwickelnder Ast am Bach- Stammbaum, machte eine Bilderbuchkarriere, die ihn von verschiedenen Organistenposten in Thüringen ins Hofkapellmeisteramt nach Köthen und schließlich, ab 1723, ins Leipziger Thomaskantorat führte.
So vielfältig Bachs Aufgaben waren, so vielfältig ist sein erhaltenes OEuvre. Sicherlich auf seine Zeit in Köthen geht das überbordend spielfreudige Konzert in A-Dur BWV 1055 zurück. Zwar hat es sich nur in einer bearbeiteten Fassung für Cembalo und Streicher erhalten, die Bach Ende der 1730er Jahre in Leipzig erstellte, sicher für einen Auftritt mit seinem Collegium Musicum. Jedoch deutet das muntere Wechselspiel von Solo und Tutti auf eine Entstehung bereits in den Köthener Jahren (um 1721) hin, und vieles spricht dafür, dass der Solopart ursprünglich einer Oboe zufiel.
Definitiv in Bachs Leipziger Zeit gehört hingegen die Arie »Sanfte soll mein Todeskummer« aus dem Oster-Oratorium – ein ganz pastoral tönendes Stück, dessen wiegende Klänge Bach ursprünglich 1725 für die sogenannte »Schäferkantate « zum Geburtstag von Herzog Christian zu Sachsen-Weißenfels ersann. Es setzt sich ebenso in den Ohren fest wie Bachs unvergängliches Air und seine verspielte Badinerie – vielleicht die bekanntesten »Ohrwürmer« aus seinem Instrumentalwerk und Zeugnisse jener musikalischen Wundertaten, mit denen der Thomaskantor ab 1729 nebenberuflich bei seinen Auftritten im Collegium Musicum allwöchentlich die musikalischen Sterne vom Kaffeehaushimmel holte.
Auch bei Bachs zu Hause wurde eifrig musiziert: »Insgesamt aber sind sie gebohrne Musici«, schrieb Bach 1730 stolz über seine vielköpfige Kinderschar, »u. kan versichern, daß schon ein Concert Vocaliter u. Instrumentaliter mit meiner Familie formiren kan, zumahln da meine itzige Frau gar einen sauberen Soprano singet, auch meine älteste Tochter nicht schlimm einschläget.« Bei diesen Hausmusiken stand sicherlich auch oft die von Bachs Kapellmeister-Kollegen Gottfried Heinrich Stölzel komponierte Arie Bist du bei mir auf dem Programm, die Bachs Frau Anna Magdalena in ihr Notenbüchlein eintrug.
Weitere Mitspieler im Familienensemble waren sicher Carl Philipp Emanuel, Bachs zweitältester Sohn aus erster Ehe (geb. 1714 in Weimar), und Johann Christoph Friedrich, Bachs zweitjüngster Sohn aus zweiter Ehe (geb. 1732 in Leipzig). Beide machten vorzügliche Karrieren: Carl Philipp Emanuel avancierte zum Hofcembalisten von Friedrich dem Großen in Berlin und später (ab 1768) zum Musikdirektor in Hamburg. Sein Halbbruder Johann Christoph Friedrich wurde mit nur 18 Jahren Kammermusikus in der Hofkapelle des Grafen zu Schaumburg-Lippe in Bückeburg und schließlich deren Konzertmeister.
Obwohl beide Bach-Söhne durch die harte Schule ihres Vaters gingen, könnten ihre Werke kaum unterschiedlicher ausfallen, C. P. E. Bachs G-Dur-Konzert, entstanden ursprünglich als Clavierkonzert, ist ein Werk, das beispielhaft für dessen originellen Stil der 1740er Jahre steht, mit dem er damals eine ganze Musikergeneration verzückte: in den Ecksätzen stürmisch drängend, voller überraschender Wendungen und rhythmischer Verwirrspiele; und im ausdrucksstarken Mittelsatz empfindsam und regelrecht in Tönen sprechend.
Wie anders hingegen J. C. F. Bachs A-Dur-Konzert, in den 1770er Jahren ebenfalls als Clavierkonzert veröffentlicht: Ein mitreißend singendes Allegro im Kopfsatz, regelmäßige Perioden auch in dem wunderbar kantablen Mittelsatz – Musik, die hörbar als Bindeglied zwischen Bach-Schule und Wiener Klassik um Haydn und Mozart herhalten kann.
Zugleich sind beide Konzerte aber in ihrer Unterschiedlichkeit auch Zeugnisse für die besonderen Qualitäten des Lehrers Johann Sebastian Bach: Zwar hat er seine Söhne aus dem gleichen »Holz« geschnitzt, sprich: ihnen dasselbe solide musikalische Rüstzeug mitgegeben. Jedoch: ohne die Ausprägung von deren Originalität und Kreativität zu behindern – gewiss das schönste Kompliment für einen Lehrer. Und eine der Voraussetzungen, die den Stammbaum der Bach- Familie immer wieder so facettenreich blühen ließen.
Michael Maul
The finest tonewood from the Bach family tree
“Johann Sebastian Bach belongs to a family that seems to have received a love and aptitude for music as a gift of nature to all its members in common. So much is certain, that Veit Bach, the founder of the family, and all his descendants, even to the present seventh generation, have been devoted to music, and all save perhaps a very few have made it their profession. […] Of all these men we still have works to hand, bearing witness to their strength in vocal as well as instrumental composition.”
It was with this moving tribute that Carl Philipp Emanuel Bach, writing in 1754, began his obituary of his father, who had died four years earlier. Carl Philipp Emanuel was keen to point out that his father’s incredible talent had a lengthy prehistory to it. After all, no matter how great and how unequalled Johann Sebastian Bach may have been, he was ultimately just one more branch on a vast tree made up of composers and musicians, all of whom were called Bach.
In the present album the Bach family’s impressive family tree is turned into a multifaceted example of “tonewood” (a term used to describe specific types of wood whose tonal properties make them ideal for woodwind and string instruments). Featured here are works by members of three generations of the Bach family, starting with Johann Christoph, a cousin of Johann Sebastian’s father, and ending with two of Bach’s own sons. As such, this compilation serves as a musical shop window for the Bach family – and it would be hard to imagine a more impressive or better stocked one than this.
The earliest piece is an instrumental arrangement of Johann Christoph Bach’s lamento Ach, dass ich Wassers g’nug hätte, the original version of which was scored for alto and strings and composed in Eisenach in the early 1670s. An unprecedentedly expressive piece, it is filled with strident dissonances reflecting the fact that in the sung text the human soul, weighed down by sin, weeps floods of tears. As such, the piece affords impressive testimony to Carl Philipp Emanuel’s encomium of his forebear as a composer who was “strong in the expression of the meaning of the words”.
Is it possible that Johann Christoph Bach, who was the Eisenach town organist until his death in 1703, was the first great idol of Johann Sebastian, who was born in Eisenach in 1685? Whatever the answer, Johann Sebastian himself quickly developed into a splendid scion of the family, going on to enjoy a textbook career that took him from a series of posts as organist in Thuringia to the position of court kapellmeister in Cöthen and finally, from 1723, to the position of Thomaskantor in Leipzig.
Johann Sebastian’s tasks were manifold, and his surviving works are correspondingly varied. The A major Concerto BWV 1055 is an ebulliently playful piece that almost certainly dates from his time in Cöthen. Admittedly, it has come down to us only in a version for harpsichord and strings that Bach arranged in Leipzig in the late 1730s, no doubt for his Collegium Musicum, but the lively interplay of solo and tutti suggests that the original work dates from a rather earlier period and that it was probably written in Cöthen in around 1721. Much suggests that the original solo instrument was an oboe.
On the other hand, there is no question that the aria “Sanfte soll mein Todeskummer” from the Easter Oratorio dates from Bach’s years in Leipzig. This pastoral number, with its gently rocking accompaniment, was initially intended for a lost cantata written for the birthday of Duke Christian of Saxe-Weißenfels in 1725 and known in German as the “Schäferkantate” (Shepherds’ Cantata). Its melody is as instantly memorable as those of the imperishable “Air on a G string” and the playful Badinerie, placing it in the company of what are what are arguably the best-known of Bach’s instrumental works, and affording evidence of the musical miracles that he conjured up every week from 1729 onwards, when – as a professional sideline – he took over the running of the Collegium Musicum at Zimmermann’s Coffeehouse.
The members of Bach’s family also made music at home, as the Thomaskantor proudly explained in a letter that he wrote in 1730, mentioning his large number of children: “They are all born musicians, and I can assure you that I can already form an ensemble both vocaliter and instrumentaliter within my family, particularly since my present wife sings a good, clear soprano, and my eldest daughter, too, joins in not badly.” There is no doubt that these domestic concerts will often have included the aria Bist du bei mir by Bach’s colleague as kapellmeister, Gottfried Heinrich Stölzel, which Bach’s wife, Anna Magdalena, transcribed into her Notenbüchlein.
Other members of the family’s musical ensemble included Carl Philipp Emanuel, who was Bach’s second-eldest son from his first marriage and who had been born in Weimar in 1714, and Johann Christoph Friedrich, Bach’s second-youngest son from his second marriage, who was born in Leipzig in 1732. Both sons went on to have outstanding careers, Carl Philipp Emanuel becoming court harpsichordist to Frederick the Great in Berlin and, from 1768, director of music in Hamburg, while his half-brother Johann Christoph Friedrich was only eighteen when he was appointed chamber musician in the court chapel of Count Wilhelm zu Schaumburg-Lippe in Bückeburg, later rising through the ranks to the position of the orchestra’s concertmaster.
Although both Carl Philipp Emanuel and Johann Christoph Friedrich had undergone their father’s rigorous schooling, their works could hardly be more different. Originally written for the keyboard, Carl Philipp Emanuel’s G major Concerto is a fine example of the originality of its composer’s style in the 1740s, a style that was to delight musicians for an entire generation. Its outer movements are tempestuously impetuous, filled with surprising shifts and rhythmic complexities, while its middle movement is powerfully expressive in the empfindsam tradition, achieving an exceptional degree of eloquence.
Completely different is Johann Christoph Friedrich’s A major Keyboard Concerto from the 1770s: its opening movement is a beguilingly cantabile Allegro, with regular periods in its wonderfully songlike middle movement as well. As such, this music forms an audible link between the school of Bach and the Viennese Classicism associated with the names of Haydn and Mozart.
Despite all their differences, these two concertos are also good examples of the particular qualities demonstrated by Johann Sebastian Bach as a teacher. Both sons may have been chips off the same old block of wood and, as such, equipped with a solid musical training, and yet their father never sought to curb their creativity and originality, which is surely the finest tribute that one can pay to any teacher. And this is also one of the preconditions that ensured that the Bach family tree flourished as it did, producing so many splendid branches.
Michael Maul