Alice Sara Ott | News | Booklettext: Alice Sara Ott - Beethoven - 29.9.2023 (VÖ) (DE/EN)

Alice Sara Ott
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Booklettext: Alice Sara Ott – Beethoven – 29.9.2023 (VÖ) (DE/EN)

21.08.2023
ALICE SARA OTT ÜBER BEETHOVEN
Welche Bedeutung hat Beethovens Musik für Sie und was schätzen Sie daran besonders?
Beethoven ist ein Meister der Kontraste und Dimensionen. Es gibt kaum einen anderen Komponisten in der damaligen Zeit, der es geschafft hat, das Instrument Klavier so vielseitig und symphonisch einzusetzen. In Beethovens Musik wird das Klavier zu einem Orchester, einer Theaterbühne, und durch die Art, wie er Tongruppen und die Pedale einsetzt, baut er mit seiner musikalischen Architektur ganze Landschaften und Städte, die man beim Zuhören fast zu sehen meint. Er setzt oft einfache Mittel sehr geschickt ein, um extreme Kontraste hervorzurufen, und man wird immer wieder durch unvorhersehbare und abrupte Veränderungen in der Struktur und im Klang überrascht. Durch die Auseinandersetzung mit seiner Musik lernte und lerne ich immer noch, nicht nur die Komponistinnen und Komponisten nach ihm besser zu verstehen, sondern auch, mich nicht davor zu scheuen, die Agogik und Extreme in Haydns und Mozarts Musik zum Ausdruck zu bringen.
Wieso haben Sie sich gerade für das Erste Klavierkonzert entschieden?
Es gibt Projekte, die Jahre im Voraus geplant werden, und dann gibt es Projekte, die aus einer Spontaneität heraus wachsen. In diesem Fall gab es eine ganz konkrete Anfrage an Karina Canellakis und mich, das Erste Klavierkonzert aufzunehmen. Mein persönlicher Favorit unter den Beethoven-Konzerten ist zwar das Dritte in c-Moll, doch am Ende habe ich mich dann sehr gefreut, ein Werk anzugehen, das mich über die letzten 15 Jahre hinweg auf vielen Stationen begleitet hat. Im Vergleich zum Zweiten Konzert, das interessanterweise vor dem Ersten entstand, aber erst später im Druck erschien, und von einer kammermusikalischen Atmosphäre und kleineren Orchesterbesetzung geprägt ist, ist das Erste Klavierkonzert symphonischer angelegt und lässt hier schon die spätere Entwicklung Beethovens erahnen.
Wie war die Zusammenarbeit mit dem Orchester und der Dirigentin Karina Canellakis?
Karina und ich haben vor ein paar Jahren zum ersten Mal bei einem Festival zusammengearbeitet, und ich habe mich sehr gefreut, sie bei diesem Projekt wiederzusehen. Mit dem Orchester war es das erste Zusammentreffen. Probe und Aufnahme fanden an einem einzigen Tag statt, und ich war etwas nervös aufgrund dieses engen Zeitplans. Wie ich es auch immer wieder bei Haydn und Mozart erlebe, kann man bei Beethoven über fast jeden Ton diskutieren. Und man hat immer das Gefühl, nie genug Zeit zu haben. Karina und ich schafften es, uns zwei Tage vor der Aufnahme zusammenzutelefonieren und das Konzert über Facetime auszuarbeiten. Über viele interpretatorische Aspekte waren wir uns einig, aber es gab auch einige Stellen und Grundsatzfragen, über die wir ganz unterschiedlich dachten. Und das ist immer die Herausforderung und gleichzeitig das Schöne bei einer Zusammenarbeit – gerade wenn zwei Seiten aufeinandertreffen, wo beide eine starke und überzeugte Meinung über die Interpretation haben. Die Herausforderung ist, eine gemeinsame Lösung zu finden, ohne dass man zu viele Kompromisse eingehen muss, und das Schöne ist, wenn man es dann schafft, aus den verschiedenen Perspektiven eine gemeinsame Sprache zu erarbeiten. Der Aufnahmetag war sehr intensiv und nervenaufreibend für alle, aber ich war gerührt über die Offenheit und Flexibilität, die das Orchester Karina und mir entgegenbrachte, über die musikalische Klarheit und Transparenz, die Karina zusammen mit den Musikerinnen und Musikern herausarbeitete, und ich bin sehr glücklich über das Endresultat dieser Aufnahme. Ich bin mir sicher, dass wir beim nächsten Mal, wenn wir dieses Konzert zusammen aufführen, unsere Gespräche und Diskussionen weiterführen und neue Ansätze finden werden.
Was ist für Sie das Besondere an Beethovens »Mondscheinsonate«?
Die Sonate op. 27 Nr. 2 entstand zur selben Zeit wie das Erste Klavierkonzert und trägt den Beinamen »Mondscheinsonate«, der aber erst nach Beethovens Tod hinzugefügt wurde. Und tatsächlich hat diese Sonate wenig mit einer romantischen Mondscheinlandschaft zu tun. Der erste Satz ist viel eher ein düsteres Totenlied, ein Trauermarsch, der an das Terzett erinnert, das der sterbende Komtur, Leporello und Don Giovanni in Mozarts Oper Don Giovanni singen. Diese Sonate war eine der ersten Sonaten, die ich als junge Klavierschülerin lernte, und noch heute klopft mein Herz etwas schneller, wenn ich den ersten Ton der Sonate anschlage, denn die Klangqualität und der Puls dieses ersten Tons entscheidet über den gesamten Verlauf des Werkes. Der zweite Satz ist wie eine kleine Bergidylle, an der man vorbeigeht und die etwas Naives und ein bisschen Unbeholfenes hat, bevor der Sturm im dritten Satz mit aller Wucht zuschlägt, und von dort aus wird man bis zur Kadenz kurz vor Ende des Satzes durch einen unausweichlichen und kompromisslosen Puls vorwärtsgejagt, und obwohl diese Sonate eine der kürzeren Sonaten von Beethoven ist, ist man danach sowohl psychisch als auch physisch ziemlich mitgenommen.
»Für Elise« gilt ja als ultrapopuläres Stück. Was hat Sie trotzdem dazu bewogen, es auszuwählen?
»Für Elise« ist ein Stück, das ich bis zu meinem 20. Lebensjahr nicht ausstehen konnte. Man hörte es damals ja auch als nervigen Klingelton aus allen Nokia- Handys, und ich muss gestehen, dass ich das Stück auch nie im Ganzen gehört hatte. Als ich mir dann aber doch für einen bestimmten Anlass die Noten besorgte und sie zum ersten Mal aufschlug, war ich erstaunt, wie sich dort eine ganz andere musikalische Welt auftat, als ich sie vom Hören kannte. Seitdem ist das ein Stück, das ich immer wieder gerne als Zugabe spiele, wobei ich mit Freuden beobachte, wie das Publikum nach anfänglichem Gelächter verstummt und man im Raum die Bestätigung zu spüren beginnt, dass der Komponist dieses Werkes nicht umsonst als musikalisches Genie gilt.
Nach welchen Kriterien haben Sie die Stücke für das Album ausgewählt?
Nachdem das Erste Klavierkonzert und die »Mondscheinsonate« Beethoven eigentlich schon vollkommen in seiner Vielfalt und Brillanz als Komponist widerspiegeln, wollte ich nur noch ein paar musikalische Miniaturen und Anekdoten zusammenbringen, die dem Album noch ein bisschen Würze geben. Erstaunlich ist jedoch immer wieder, wie scheinbar einfache und schlichte Figuren und Melodien doch so schwer zu greifen und zu interpretieren sind. Was nach außen hin oft nur eine »Bagatelle« zu sein scheint, ist für die Beteiligten meistens ein unendlich komplexes Labyrinth.  
 
 
ALICE SARA OTT ON BEETHOVEN
What significance does Beethoven’s music have for you, and what do you particularly appreciate about it?
Beethoven is a master of contrasts and proportions. There is hardly any other composer of his time that managed to use the piano as an instrument in such a versatile and symphonic way. In Beethoven’s music, the piano becomes an orchestra, a theatrical stage, and through the way he uses note groups and the pedals he builds entire landscapes and cities with his musical architecture – which almost become visible while listening. He often uses simple means very skilfully to evoke extreme contrasts, and there are constant surprises through unpredictable and abrupt changes in structure and sound. By studying his music, I learned and am still learning not only to better understand the composers after him, but also not to shy away from expressing the agogics and extremes in the music of Haydn and Mozart.
Why did you choose the First Piano Concerto in particular?
There are projects that are planned years in advance, and then there are projects whose inception is more spontaneous. In this case, Karina Canellakis and I received a very specific request to record the First Piano Concerto. Although my personal favourite among the Beethoven concertos is the Third in C minor, in the end I was very pleased to engage with a work that has accompanied me on many occasions over the last fifteen years. Compared to the Second Concerto, which interestingly was written before the First but appeared in print later and is characterized by an atmosphere reminiscent of chamber music due to its use of a smaller orchestra, the First Piano Concerto is more symphonic in its conception and already foreshadows Beethoven’s later development.
How was the cooperation with the orchestra and the conductor Karina Canellakis?
Karina and I had worked together for the first time at a festival a few years ago, and I was very happy to work with her again on this project. As for the orchestra, it was our first meeting. Rehearsal and recording took place in a single day, and I was a bit nervous because of this tight schedule. Something I always experience with Haydn and Mozart is also true of Beethoven: you can have a debate about almost every note. And it always feels like there is never enough time. Karina and I managed to call each other two days before the recording and work on the concerto over Facetime. We agreed on many interpretive aspects, but there were also certain passages and fundamental questions that we approached quite differently. And that’s always the challenge and at the same time the beauty of a collaboration – especially when two sides meet and both have strong and set ideas about the interpretation. The challenge is to find a common solution without compromising too much, and the beauty is when you finally manage to create a common language out of different perspectives. The recording day was very intense and nerve-wracking for everyone, but I was touched by the openness and flexibility the orchestra showed towards Karina and me, and by the musical clarity and transparency that Karina achieved together with the musicians; and I am very happy with the final result of this recording. I am sure the next time we perform this concerto together we will continue our conversations and discussions and find new approaches.
What do you think is special about Beethoven’s “Moonlight” Sonata?
The Sonata op. 27 no. 2 was written at the same time as the First Piano Concerto and bears the subtitle “Moonlight”, which was added after Beethoven’s death; and indeed this sonata has little to do with a romantic moonlit landscape. The first movement is much more of a sombre dirge, a funeral march reminiscent of the trio sung by the dying Commendatore, Leporello, and Don Giovanni in Mozart’s opera Don Giovanni. This sonata was one of the first sonatas I learned as a young piano student, and even today my heart beats a little faster when I play its first note, because the sound quality and pulse of that first sonority determine the entire course of the work. The second movement is like a brief idyllic mountain scene one passes by that exhudes naivety and a bit of clumsiness, before the storm pounces with all its might in the third movement, and from there on we are propelled forward by an inescapable and unrelenting pulse until the cadenza just before the end of the movement; and although this is one of Beethoven’s shorter sonatas, afterwards one feels transported both mentally and physically.
Für Elise” is considered to be an extremely popular piece. What made you choose it anyway?
“Für Elise” is a piece that I couldn’t stand until I was twenty years old. At that time, it was omnipresent as an annoying ringtone from all Nokia cell phones, and I must confess that I had never heard the piece in its entirety. But when I got the sheet music for a special occasion and read through it for the first time, I was amazed how it opened up a completely different musical world compared to what I had known from listening to it. Since then, this has been a piece that I always like to play as an encore, watching with pleasure as the audience falls silent after initial laughter and realizes there is a reason the composer of this work is considered a musical genius.
What criteria did you use to select the pieces for the album?
Since the First Piano Concerto and the “Moonlight” Sonata already illustrate Beethoven’s versatility and brilliance as a composer, I just wanted to bring together a few musical miniatures and trifles which add a bit of spice to the album. However, it is always astonishing how seemingly simple and ordinary gestures and melodies are so difficult to grasp and interpret. What often appears to be just a “bagatelle” from the outside usually is an infinitely complex labyrinth for those involved.  

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