Anne-Sophie Mutter | News | Booklettext: Anne-Sophie Mutter/Herbert von Karajan: The Solo Concertos - 9.6.2023 (VÖ Vinyl) (DE/EN)

Künstlerbild Anne-Sophie Mutter
Künstlerbild Anne-Sophie Mutter

Booklettext: Anne-Sophie Mutter/Herbert von Karajan: The Solo Concertos – 9.6.2023 (VÖ Vinyl) (DE/EN)

15.05.2023
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INTUITION, BRILLANZ UND REIFE 
Das Wunder Anne-Sophie Mutter
Die vorliegenden Aufnahmen aus den frühen Jahren von Anne-Sophie Mutter sind fraglos wertvolle kulturgeschichtliche Zeitzeugnisse, bieten sie doch einen intensiven Einblick in den Beginn der Karriere der heutigen Stargeigerin und – als sämtliche Solokonzerteinspielungen mit Herbert von Karajan für die Deutsche Grammophon – auch in ihre künstlerische Zusammenarbeit mit dem legendären Dirigenten. Gleichzeitig sind sie aber auch weit mehr als historische Dokumente. Die Entstehung der Aufnahmen mag über 40 Jahre zurückliegen, die darin festgehaltenen Interpretationen Mutters berühren hingegen bis heute durch musikalische Intensität, Unmittelbarkeit und Tiefe – sie sind zeitlos, und es ist ein Geschenk, dass die Einspielungen anlässlich des 60sten Geburtstags der Geigerin noch einmal auf ihrem ursprünglichen Medium zugänglich gemacht werden.
Entstanden in den Jahren 1978 bis 1988, zeigen die Aufnahmen Anne-Sophie Mutter im Alter von gerade einmal knapp 15 bis 25 Jahren. Die Musikerin wurde zu diesem Zeitpunkt längst für ihre außerordentlichen Fähigkeiten und ihre technische wie musikalische Brillanz gefeiert. Die Geige war für sie von frühester Kindheit an das Ausdrucksmittel ihrer Wahl, und bald schon stand nahezu ihr ganzes Leben im Dienste des Instruments. In ihrem immer farbiger werdenden Spiel begeisterte Mutter mit einer intuitiven Natürlichkeit und gleichzeitig enormer Reife und Ernsthaftigkeit. Technisch überlegen, perfektionierte sie fortwährend die Differenzierung der Tongebung, die Phrasierung und die Farbigkeit des Klangs, immer getrieben vom kompromisslosen Anspruch an sich selbst und die eigene Kunst. »Mir war es erlaubt, mich ganz und gar meiner großen Passion hinzugeben«, sagt Mutter selbst über ihre Kindheit und Jugend. Diese Passion spürt man in den Aufnahmen, und sie hält bis heute an.
Mutter und Karajan – eine inspirierende künstlerische Partnerschaft
Das Wunderkind Anne-Sophie Mutter wurde mit 13 Jahren Karajan als Entdeckung an der Geige vorgestellt, und der damals 68-Jährige erkannte in ihr »die größte Frühbegabung seit dem jungen Yehudi Menuhin«. Nur wenige Monate später debütierte die junge Geigerin unter Karajans Leitung mit dem G-Dur-Konzert von Mozart bei den Pfingstfestspielen in Salzburg. Es war der Beginn einer intensiven musikalischen Partnerschaft, und bis an sein Lebensende sollte Karajan sie fortan als wichtiger Mentor und Ratgeber begleiten. Insgesamt 47 Mal sind die beiden zusammen aufgetreten, und ihrer Zusammenarbeit entsprangen unter anderem eben auch die vorliegenden Aufnahmen. Von Beginn an schätzte der Dirigent an Anne- Sophie Mutter die »ungeheure Fantasie, die sie hat«, verbunden mit einer beispiellosen Leidenschaft für die Musik. »Da ist ein Feuer, das in ihr brennt«, so der Dirigent, und sie sei schlicht »ein Genie auf der Geige«. Als Karajan 1989 starb, zählte Mutter längst zu den renommiertesten Geiger:innen ihrer Generation. Ihr einstiger Mentor ist für die Künstlerin aber nach wie vor präsent. »Ich bin bis heute fasziniert von der Leidenschaft, mit der er musizierte, und der Ruhelosigkeit und Rastlosigkeit, mit der er die Ziele musikalisch immer wieder neu definiert hat. Die Summe seiner musikalischen Visionen und diese Fähigkeit, uns das Zuhören zu lehren und diese großen musikalischen Gedankenbögen zu verfolgen, statt eine schöne Note an die andere zu reihen: Das war bei ihm einfach singulär«, so Mutter.
Gipfelwerke der Geigenliteratur
Bei der Aufnahme der beiden Mozart-Violinkonzerte war Anne-Sophie Mutter gerade erst 14 Jahre alt, gleichwohl erklingen die anmutig heiteren Großwerke in ihrer Interpretation mit spielerischer Leichtigkeit. Beide Werke wurden von Mozart 1775 komponiert und zeigen sich als ebenso anspruchsvolle wie unterhaltsame Stücke. So strebte Mozart in der Ausgestaltung nach eingängiger, graziler Schönheit, webte volkstümliche Elemente in die Kompositionen mit ein und schuf Meisterwerke, die mit einer Vielfalt an Charakteren und Kontrasten in den Bann ziehen. Das Violinkonzert in G-Dur KV 216 wartet im ersten Satz mit weicher Sanglichkeit in den Themen auf, worauf das Adagio als zauberhaftes Notturno folgt, in dem die Solovioline über gedämpftem Streichersatz weite Kantilenen anstimmt. Im Schlussrondo ziehen die verschiedenen Themen noch einmal vorbei. Das Violinkonzert in A-Dur KV 219 ist von einer strahlenden Grundatmosphäre und fasziniert in den Solopassagen im ersten Satz mit improvisatorischer Freiheit. Das Adagio gleicht einer innigen Arie, bevor im finalen Rondeau orientalische Anklänge zu hören sind.
Mit dem Violinkonzert von Ludwig van Beethoven folgt ein weiteres Gipfelwerk der Geigenkunst. 1806 geschrieben, setzte der Komponist mit diesem Werk neue Maßstäbe, zelebrierte darin den intensiven Dialog zwischen Orchester und Solist und erweiterte deutlich die bis dahin gängigen Formate. Kein Werk haben Anne-Sophie Mutter und Herbert von Karajan häufiger gemeinsam aufgeführt, und bis heute verbindet Mutter mit Beethovens Musik eine ganz besondere Strahlkraft. Er habe, so die Künstlerin, »wirklich erkannt, worum es im Leben geht: um das friedvolle Miteinander von uns Menschen, darum, dass wir füreinander da sind«.
Felix Mendelssohn Bartholdy komponierte sein zutiefst romantisches Violinkonzert für den Leipziger Virtuosen Ferdinand David. Virtuos und sanglich zugleich begeistert es mit einer ungemeinen Vielfalt an Stimmungen. Nach der Eröffnung des Werks durch die Solovioline erklingen im ersten Satz ein liedhaftes Haupt- und ein versonnenes Seitenthema, bevor der zweite Satz Andante als »Lied ohne Worte« mit anmutiger Schlichtheit berührt. Kapriziös, pittoresk und verspielt kommt schließlich das Finale daher, welches das eingängige Meisterwerk beschließt.
Ähnlich brillant, prägnant und von pathetischer Klangschönheit ist das Erste Violinkonzert von Max Bruch, das dieser für den Geiger Joseph Joachim komponierte. Der erste Satz erinnert in seiner freien Gestaltung phasenweise an eine Rhapsodie, und auch der Dialog zwischen Solo und Orchester ist ein wesentliches Element des musikalischen Diskurses. Reich an Empfindungen und sanglich im Grundton zeigt sich das Adagio, bevor Bruch im Finale ungarische Motivik anklingen lässt.
Das Violinkonzert von Johannes Brahms (ebenfalls für Joachim geschrieben) ist ein symphonisches Großwerk, bei dem Solo- und Orchesterpart ausgesprochen eng miteinander verflochten sind. Im umfassenden, langen Kopfsatz werden die verschiedenen Hauptthemen vorgestellt, der langsame zweite Satz wartet mit einem liedhaften Mittelteil auf. Der bewegte Schlusssatz, ein Rondo mit solistisch-virtuosen Elementen, trägt wiederum einen gewissen folkloristischen Charakter in sich.
Tschaikowskys Gattungsbeitrag verlangt vom Solopart gerade in den Außensätzen enorme Virtuosität, wobei das erste und das zweite Thema ausgesprochen lyrisch erscheinen. Der Mittelsatz ist eine Canzonetta, ein langsamer Walzer in g-Moll, auf den ein Rondo folgt, in dem virtuose, intime und melancholische Abschnitte stetig wechseln und schließlich in einen fulminanten Schluss münden. Herbert von Karajan hat die Einspielung des Tschaikowsky-Violinkonzerts mit Anne-Sophie Mutter – ihre letzte Zusammenarbeit, live aufgenommen am 15. August 1988 – einmal ein »Elementarereignis« genannt. Diese Einschätzung kann zweifelsohne für alle Aufnahmen dieser Edition gelten.
Dorothea Walchshäusl
 
 
INTUITION, BRILLIANCE AND MATURITY
The miracle that is Anne-Sophie Mutter
The present recordings from Anne-Sophie Mutter’s early years are undoubtedly valuable evidence of our cultural history, since they afford a profound insight into the early career of one of today’s most distinguished violinists and, to the extent that they are all recordings of concertos that she made with Herbert von Karajan for Deutsche Grammophon, they also provide us with a glimpse of her work with the legendary conductor. At the same time, however, they are far more than historical documents. Although some of these recordings may have been set down over forty years ago, the performances that they enshrine continue to move us with their musical intensity, their immediacy and their depth. In a word, they are timeless. And the fact that they are being re-released in their original format to mark the violinist’s sixtieth birthday is a gift of the highest order.
These recordings date from the years between 1978 and 1988 and as such they document Anne-Sophie Mutter’s career between the ages of fifteen and twenty-five. By this date she had long been acclaimed for her exceptional abilities and her technical and musical brilliance. From her earliest childhood the violin had been her chosen means of expression, and it was not long before the whole of her life had been placed in the service of this instrument. As more and more colours were added to her playing, so Mutter delighted her audiences with her intuitive naturalness, her tremendous maturity and her seriousness of purpose. Already peerless in terms of her technique, she continued to perfect her ability to introduce the subtlest of shadings into her intonation as well as into her phrasing and the colourful nature of her timbre, while remaining driven by the uncompromising demands that she placed on herself and on her own artistry. “I was allowed to pursue my great passion,” Mutter says about her own childhood and adolescence. This passion, which can be sensed in these recordings, has lost none of its intensity today.
Mutter and Karajan – an inspirational artistic partnership
Anne-Sophie Mutter was thirteen when Karajan introduced her to the world as a child prodigy on the violin. Then sixty-eight years old, the conductor insisted that he had found in her “the greatest and most precocious gifts” that anyone had seen “since the young Yehudi Menuhin”. Within months the young violinist had made her debut under Karajan’s direction, performing Mozart’s G major Violin Concerto at the Salzburg Whitsuntide Festival. This concert marked the start of an intensive musical partnership, to which Karajan was to remain loyal until the end of his life, continuing to play the part of Mutter’s mentor and adviser. Conductor and violinist appeared together no fewer than forty-seven times, and it was to this collaboration that we owe the present recordings. From the outset Karajan valued Anne- Sophie Mutter’s “tremendous imagination”, which she combined with an “unusual passion for music”. Karajan spoke of “the fire that burns inside her”, arguing that she was simply “a genius on the violin”. By the time that Karajan died in 1989, Anne-Sophie Mutter had long since come to be regarded as one of the leading violinists of her generation. But her former mentor remains a vital presence in her life. “I’m still fascinated by the passion with which he made music and by the restlessness with which he repeatedly redefined his musical goals,” Mutter recalls. “The sum total of his musical visions and this ability to teach us how to listen and how to think in vast musical paragraphs instead of simply juxtaposing one beautiful note with the next one: this was simply unique with him.”
The key works of the violin repertory
Anne-Sophie Mutter was just fourteen when she recorded two of Mozart’s violin concertos, investing these agreeably jovial works with a playful lightness of touch. Both works were written in 1775 and both are technically demanding and delightfully entertaining. In composing them, Mozart was striving for tuneful, graceful beauty, while interweaving folk-like elements into both pieces and in the process creating masterpieces that cast a spell on their listeners with their variety of musical characters and contrasts. The themes of the opening movement of the G major Concerto K 216 have a singing quality to them that gives way to the magical nocturne of the Adagio in which the solo instrument spins extended cantilenas over muted strings. In the final Rondeau (marked “Allegro”) the various themes are restated. For its part the Violin Concerto in A major K 219 is notable for its radiant underlying atmosphere, while the solo sections in the opening movement have a fascinating improvisatory freedom to them. The following Adagio resembles a heartfelt aria, before the final Rondeau brings with it echoes of the Orient.
Beethoven’s Violin Concerto is another major work of the violin repertory. Written in 1806, it finds its composer setting new standards, while celebrating the intense dialogue between orchestra and soloist and vastly extending the formats that had been traditional until then. Karajan and Mutter performed this work together more often than any other piece, and even now Beethoven’s music retains a very particular radiance and charisma in Anne-Sophie Mutter’s eyes. She believes that Beethoven “genuinely realized what life is all about: about the peaceful coexistence of us human beings and about the fact that we are here for one another”.
Mendelssohn wrote his profoundly Romantic Violin Concerto for the Leipzig virtuoso Ferdinand David, resulting in a work which, while virtuosically demanding, is also cantabile in character, capturing an unusual variety of moods. The opening movement is ushered in by the solo instrument, followed by a song-like first subject and a wistful second subject, before the second movement – an Andante – captivates the listener with its charming simplicity in the manner of a “Song without Words”. The final movement is capricious, picturesque and playful, bringing this memorable masterpiece to a tuneful end.
No less brilliant and succinct is Max Bruch’s First Violin Concerto with its emotionally charged mellifluousness. It was composed for the violinist Joseph Joachim. Sections of its opening movement are written in such a formally free manner that they recall a rhapsody, and the dialogue between solo and orchestra is also an essential element of the musical discourse. The Adagio is brimful of emotions and lyrical in its basic tone, before the final movement brings with it reminiscences of Hungarian motifs.
Johannes Brahms’s Violin Concerto (also written for Joachim) is a major symphonic work in which the solo writing and the orchestral part are especially closely intertwined. The various main themes are introduced in the course of the long and all-embracing first movement, while the slow second movement is memorable for its melodious middle section. The animated final movement is a rondo with virtuosic solo elements, while also revealing a distinct folk-like character.
Tchaikovsky’s contribution to the genre demands an enormous degree of virtuosity from its soloist, more especially in its outer movements, their first and second subjects being emphatically lyrical in tone. The middle movement is a Canzonetta, a slow waltz in G minor followed by a rondo in which virtuosic sections alternate with others that are intimate and melancholic in character, culminating in a dazzling ending. Karajan recorded the Tchaikovsky Concerto with Anne-Sophie Mutter live on 15 August 1988. It was their last recording together and one that Karajan himself described as an “event of elemental force”. There is no doubt that this assessment can be applied to every one of the recordings that feature in this collection.
Dorothea Walchshäusl  
 

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