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EIN MUSIKALISCHES POTPOURRI
Alle bisherigen Alben von Avi Avital folgten jeweils einem klaren Konzept: Sie präsentierten Originalwerke für Mandoline, Transkriptionen von Stücken für andere Instrumente oder auch Kompositionen, die aus der fruchtbaren Begegnung verschiedener Musikkulturen entstanden waren. Für das vorliegende Album brauchte es hingegen keinen thematischen Rahmen: Avitals Hauptkriterium für seine Auswahl war die musikalische Qualität der hier eingespielten Werke. Danach mussten sich die ausgewählten Konzerte einer entscheidenden Frage stellen: Passten sie zu der Lebendigkeit, die Il Giardino Armonico seit jeher auszeichnet? Wie Avital erklärt, »erwuchs alles aus meiner Zusammenarbeit mit Il Giardino Armonico und Giovanni Antonini, dem Mitbegründer des Ensembles«.
Der Mandolinenspieler hörte das auf historischen Instrumenten spielende italienische Ensemble erstmals während seines Studiums in Israel. »Als die Musiker im Jerusalem Theatre auftraten, spürte ich einen frischen Wind«, erinnert er sich. »Sie sprangen auf die Bühne und spielten einen ungemein lebendigen Vivaldi. Damals war ich 19 Jahre alt, und dieses Erlebnis prägte mich: Ich wollte wie sie spielen und eines Tages mit ihnen auftreten. Es war eine große Freude, schließlich tatsächlich gemeinsam mit ihnen zu musizieren.«
Drei der hier eingespielten Konzerte sind von Anfang an für Mandoline gedacht. Wie Avital bemerkt, schlug die Entwicklung des Instruments im 17. und 18. Jahrhundert ganz unterschiedliche Wege ein. Angesichts seiner späteren Allgegenwärtigkeit als Instrument für Amateurmusiker vergisst man leicht, welche Bedeutung talentierte Solisten für die Entstehung eines zwar kleinen, aber bemerkenswerten Mandolinenrepertoires hatten. »Weil die Mandoline sich anders entwickelte als die meisten Konzertinstrumente, wurden Werke für sie meist für einen bestimmten Musiker oder als Ausdruck der damaligen Wahrnehmung des Instruments geschrieben.«
Johann Nepomuk Hummel hatte in seiner Jugend Musikunterricht bei Mozart und war eine prominente Figur im Wiener Musikleben. Die Tatsache, dass er einer der ersten freiberuflichen Pianisten und Komponisten war, wird gemeinhin etwas überschattet von seiner Rivalität mit Beethoven, die wohl auch dadurch verstärkt wurde, dass sich dieser vermutlich zu derselben Sopranistin hingezogen fühlte, die später Hummel heiraten sollte. Hummels Mandolinenkonzert entstand für den italienischen Mandolinenvirtuosen Bartolomeo Bortolazzi (1772–1845/46), der das Instrument aus der künstlerischen Versenkung holte, in der es Ende des 18. Jahrhunderts verschwunden war.
Auf seinen Konzertreisen feierte Bortolazzi viele Erfolge in Europa, bevor er 1809 nach Brasilien übersiedelte. »Er ist eine geheimnisvolle Figur, doch um 1800 war er in Wien ohne Frage der Mandolinenspieler schlechthin«, bemerkt Avital. »Hummel schrieb das für Bortolazzi bestimmte Mandolinenkonzert 1799. Es liegt weit über dem Niveau der meisten Mandolinenwerke dieser Zeit. Bortolazzis Charakter, der sich in der Musik widerspiegelt, spricht mich stark an. Als ausübender Musiker hatte Hummel ein Gespür für das Wiener Publikum. Sein Konzert ist sehr humorvoll.« Am Ende des Finales erweckt Hummel die Erwartung eines baldigen Abschlusses, um sie gleich wieder mit einem mehrfach wiederholten Dialog zwischen Solist und Orchester zunichtezumachen. »Er versucht, das Stück zu Ende zu bringen, und bleibt dabei stecken. Dann fügt er eine kleine Coda ein, die mit der Moll-Tonart spielt, bevor schließlich die Schlusskadenz kommt. Ich bin sicher, die Zuhörer mussten über dieses humoristische Ende ein wenig schmunzeln.«
Avital betrachtet das Mandolinenkonzert von Emanuele Barbella und das Konzert, das Giovanni Paisiello zugeschrieben wird, als Schwesterwerke. »Sie wurden vermutlich etwa zur gleichen Zeit in Neapel komponiert und ähneln sich in vielerlei Hinsicht.« Beide bilden die Spitze einer wahren Pyramide von Werken für Mandoline, zwei Violinen und Basso continuo, die seinerzeit in Neapel entstanden. »Die meisten stammen von Komponisten, von denen man noch nie gehört hat, aber sie sind alle sehr theatralisch im Ausdruck. Herz und Gefühl stehen im Vordergrund, doch man muss die Emotionen herausquetschen, um diese Musik zum Leben zu erwecken. Über Barbella wissen wir kaum mehr, als dass er in Neapel als Geiger und Komponist sehr bekannt war, doch sein Mandolinenkonzert sticht aus der Masse heraus.«
Das Paisiello zugeschriebene Es-Dur-Konzert wurde erstmals Mitte der 1980er-Jahre von Avitals Lehrer Ugo Orlandi und den Solisti Veneti eingespielt. Avital zweifelt, ob es tatsächlich aus der Feder von Giovanni Paisiello stammt, einem der einflussreichsten Komponisten des späten 18. Jahrhunderts. »Aber ich weiß, dass es sich um eines der besten Mandolinenkonzerte dieser Zeit handelt – es ist ein wunderschönes Stück. Im zweiten und dritten Satz zum Beispiel stelle ich mir das Geschehen auf einer Bühne vor, mit Figuren, die auf- und wieder abtreten. Der Komponist, sei es Paisiello oder ein anderer, verstößt gegen die Modulationsregeln, um die Dramatik zu steigern, und macht dann weiter, als sei nichts geschehen. Das ist ein wunderbarer Ausdruck des neapolitanischen Charakters.«
Das vorliegende Album enthält auch Avitals Bearbeitung für Mandoline und Blockflöte von Bachs Konzert für Oboe und Violine, bei dem es sich um die Rekonstruktion der vermutlichen, aber verloren gegangenen Originalversion von Bachs c-Moll-Konzert für zwei Cembali BWV 1060 handelt. »Giovanni Antonini ist ein brillanter Flötist. In dieser Transkription von Bachs Konzert wollte ich zwei in Farbe und Timbre sehr unterschiedliche Instrumente einsetzen. Es erschien mir sinnvoll, die Oboe durch die Blockflöte zu ersetzen, die frisch und hell wie die Mandoline klingt. Giovanni und ich wollten mit der gängigen Vorstellung brechen, diese Instrumente seien vor allem etwas für Amateure, indem wir diese göttliche Musik von Bach spielen.«
Über seine eigene Transkription von Vivaldis Konzert für vier Violinen RV 580 sagt Avi Avital: »Für mich ist das ein großes Experiment.« Seine Begeisterung für dieses Stück begann mit einer langen Busfahrt im Dezember 1996, als er mit dem Mandolinen-Jugendorchester seines Heimatorts Beerscheba ein Konzert zum 60. Bestehen des Israel Philharmonic Orchestra in Tel Aviv besuchte, bei dem unter anderem Itzhak Perlman und Shlomo Mintz als Solisten auftraten. »Dieses Konzert war für mich eine Offenbarung«, erinnert er sich. »Ich wollte immer das Konzert für vier Violinen spielen, aber es ist nicht einfach, drei andere Mandolinenspieler zu finden, deren Vortragsstil mit meinem harmoniert.« Nach den Erfahrungen, die er in der Lockdown-Zeit mit heimischen Aufnahmegeräten und Overdubs gemacht hatte, überlegte Avital, ob man nicht auch in der klassischen Musik mit Multitracking arbeiten könne. »Schließlich erlaubte ich mir, alle vier Solopartien selbst einzuspielen«, sagt er. »Hauptsächlich ging es mir darum, etwas zu erschaffen, bei dem der Zuhörer ähnlich wie im Kino vergisst, wie es entstanden ist, und vollständig in der Musik aufgeht. Diese Aufnahme ist auch eine Hommage an Arik Kerman, den Mandolinenbauer, mit dem ich seit 30 Jahren zusammenarbeite. In dem Vivaldi-Konzert hört man sechs von ihm gebaute Instrumente: vier Mandolinen für jede Solopartie und zwei Mandolas für ein kurzes Solo im zweiten Satz.«
Andrew Stewart
A MUSICAL POTPOURRI
Avi Avital’s albums to date – whether devoted to original compositions for mandolin, transcriptions of works for other instruments, or pieces that explore the fertile intersections between the musics of different cultures – have all been built around a clear concept. The current album required no such framing device: Avital’s choice of works here was determined above all by their exceptional musical qualities. The concertos that made the final cut faced a decisive question: did they match the corporate vitality of Il Giardino Armonico? As Avital explains, “Everything flowed from my collaboration with Il Giardino Armonico and its co-founder Giovanni Antonini.”
The mandolinist first heard the Italian period-instrument orchestra as a student in Israel. “I felt this breath of fresh air as they entered the Jerusalem Theatre,” he recalls. “They jumped on stage and played Vivaldi with such energy. This was a big influence on me. A seed was planted in my 19-year-old self: I have to play like these people and join them one day. It was a joy for me when we finally made music together.”
Three of the concertos on this album were conceived for mandolin. The instrument, Avital observes, developed in strikingly different forms during the seventeenth and eighteenth centuries. Its later ubiquity as an instrument for amateur musicians obscured the part played by gifted soloists in the development of a small yet distinctive repertoire. “Because the mandolin’s evolution was unlike that of most concert instruments, composers wrote for it for specific reasons, perhaps for a particular player or to reflect how the instrument was perceived at the time.”
Johann Nepomuk Hummel, who studied with Mozart as a boy, became a prominent figure in the musical life of Vienna. His rivalry with Beethoven, intensified by the latter’s probable attraction to the soprano who later married Hummel, has perhaps overshadowed his importance as one of the first freelance pianist-composers. Hummel created his Mandolin Concerto for Bartolomeo Bortolazzi (1772–1845/6), a virtuoso Italian mandolinist credited with rescuing the instrument from the artistic backwater into which it had drifted in the late 1700s.
Bortolazzi achieved success in Europe as an itinerant performer before moving to Brazil in 1809. “He’s a mysterious figure, but it’s clear he was the mandolin player in Vienna around 1800,” notes Avital. “Hummel wrote his Mandolin Concerto for him in 1799. It’s far above the level of most mandolin works of the period. Bortolazzi’s character, which you sense in the music, appeals to me. As a performer, Hummel understood the Viennese audience. His concerto is full of humour.” Towards the end of the finale, Hummel raises expectations of a conclusion, only to dash them with a repetitive dialogue between soloist and orchestra. “He tries to make a close and gets stuck! Then he adds a little coda that plays with the minor key before the final cadence. I’m sure this humoristic ending made people smile.”
Avital regards the Mandolin Concerto by Emanuele Barbella and that attributed to Giovanni Paisiello as sister works. “They were probably composed around the same time in Naples and are similar in many ways.” Both form the apex of a substantial pyramid of Neapolitan concertos for mandolin, two violins and basso continuo. “They’re mostly by composers you’ve never heard of but are all theatrical in expression. The heart and the emotions are front and centre. But you have to squeeze out these emotions to bring the music to life. We know little about Barbella, beyond that he was prominent in Naples as a violinist and composer, but his Mandolin Concerto stands out from the crowd.”
The E flat major Concerto ascribed to Paisiello, one of the late eighteenth century’s most influential opera composers, was first recorded by Avi Avital’s teacher Ugo Orlandi and I Solisti Veneti in the mid−1980s. Avital remains unconvinced by its attribution. “But I know it’s one of the best mandolin concertos of this period – a wonderful piece. In the second and third movements, for instance, I imagine a theatrical narrative with characters coming on and off stage. The composer, whether Paisiello or anonymous, breaks the rules of modulation to intensify the drama and then continues as if nothing has happened. That’s a beautiful reflection of the Neapolitan character.”
The album also includes Avital’s adaptation for mandolin and recorder of Bach’s Concerto for oboe and violin, itself a putative reconstruction of the lost original version of the composer’s Concerto for two harpsichords in C minor BWV 1060. “Giovanni Antonini is a brilliant recorder player. I thought this transcription of Bach’s concerto should be for two instruments that are very different in sonority and timbre. It made sense to replace the oboe with the recorder, which shares the mandolin’s lightness and freshness. Giovanni and I wanted to play with their collective image as amateur instruments by performing this divine music by Bach.”
Talking about his transcription of Vivaldi’s Concerto for four violins RV 580, Avi Avital confesses, “I call this my grand experiment.” His love for the piece began in December 1996 with a slow bus ride taken in company with his mandolin youth orchestra in Be’er-Sheva to hear the Israel Philharmonic Orchestra’s 60th anniversary concert in Tel Aviv, with Itzhak Perlman and Shlomo Mintz among the evening’s soloists. “This concert was a revelation,” he recalls. “I always wanted to play the Concerto for four violins, but it’s not so easy to find three other mandolinists whose playing style would blend with mine.” The practicalities of making music under lockdown conditions, aided by home recording equipment and overdubs, led Avital to consider the legitimacy of multitracking in classical music. “I finally gave myself permission to use the technology to record all four solo parts,” he says. “The priority was to create something where the listener would forget about how it was made, just as they would with cinema, and become completely immersed in the music. This recording also pays homage to Arik Kerman, the mandolin maker I’ve been working with for the past thirty years. In Vivaldi’s concerto you hear six different instruments created by him: four mandolins for each of the solo parts and two mandolas for a brief solo in the second movement.”
Andrew Stewart