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AVI AVITAL ÜBER SEIN NEUES ALBUM »ART OF THE MANDOLIN«
Wie kam das Programm für Ihr neues Album zustande?
Art of the Mandolin ist eine Sammlung von Originalkompositionen für Mandoline. Bisher habe ich Aufnahmen gemacht, auf denen Arrangements von Werken waren, die für andere Instrumente geschrieben wurden. Das Originalrepertoire der Mandoline kann sehr begrenzt erscheinen – und genau das wollte ich widerlegen, aber außerdem Werke von Komponisten vorstellen, die gemeinhin für andere Instrumente schrieben.
Aus welchem Grund?
Die Geschichte der Mandoline war immer eng verbunden mit gesellschaftlichen, demografischen Prozessen, statt einer streng musikalischen Entwicklung zu folgen: Das Instrument löste seine eigenen symbolischen oder metaphorischen Assoziationen aus. Komponisten, die für die Mandoline schrieben – und es gab nicht viele – hatten stets einen besonderen Grund dafür. Wenn Mozart sie beispielsweise für Don Giovannis Ständchen wählte, spielte er mit ihren aristokratischen Konnotationen: Zu jener Zeit war die Mandoline ein dekorativer Gegenstand, akustisch gerade einmal kräftig genug, um im Salon gehört zu werden, aber nicht auf der Straße, im Opernhaus oder im Konzertsaal. Wie die Harfe oder das Spinett bzw. das Cembalo wurde sie von Mädchen aus der Oberschicht gespielt.
Und da gibt es eine Verbindung zu Beethovens Adagio ma non troppo…
Ja, nicht viele Leute wissen das, aber Beethoven komponierte vier kleine Mandolinenstücke für die Gräfin Josephine von Clary-Aldringen. Sehr jugendliche und sehr hübsche Stücke. Die Widmung auf der Partitur lautet »pour la belle JC« und lässt vermuten, dass es eine gewisse persönliche Beziehung zwischen den beiden gab. Es sind nicht die schwierigsten Stücke der Mandolinenliteratur, vielleicht gehörte die Gräfin also nicht zu den sonderlich virtuosen Spielerinnen im damaligen Wien. Die Cembaloparts sind allerdings ziemlich virtuos – womöglich wollte Beethoven Josephine beeindrucken …
Weckte die Mandoline früher noch andere Assoziationen?
Absolut – für Vivaldi war die venezianische Mandoline eher ein Instrument für Amateure, ein volkstümliches Instrument, so wie für uns heute die Ukulele. Man kann es von der Wand nehmen, ein bisschen darauf spielen und es dann wieder an seinen Platz hängen. Diese Auffassung zeigt sich in Vivaldis beiden Mandolinenkonzerten. Wir haben das Konzert für zwei Mandolinen und Streicher in G-Dur aufgenommen – und es macht wirklich Laune, es ist eines jener Stücke, die einem ein Lächeln aufs Gesicht zaubern.
Für Scarlatti hatte die Mandoline einen anderen Charakter – seine Musik ist dramatischer. Scarlatti war Neapolitaner, und die Mandoline repräsentierte zweifellos die Stadt Neapel: Das kann man in den raschen Stimmungswechseln in seinen äußerst virtuosen und ausdrucksstarken Sonaten hören. Scarlatti ist bekannt für seine 555 Cembalosonaten, aber bei einigen nimmt man heute an, dass sie nicht für das Tasteninstrument geschrieben wurden. Die Sonate K 89 ist nach meiner Ansicht fraglos für die Mandoline. Sie verwendet häufig die offenen Saiten der Mandoline, viel Tremolo, viele Techniken, die einem wirklich gut von der Hand gehen.
Nun zum 20. Jahrhundert: Bitte sagen Sie uns etwas über Henze und Ben-Haim …
Hans Werner Henzes Carillon, Récitatif, Masque ist für Mandoline, Gitarre und Harfe; vielleicht der Versuch, mit gezupften Saiteninstrumenten das Äquivalent eines Streichquartetts oder Holzbläserquintetts zu schaffen. Offenbar kam ihm beim Gedanken an die Mandoline Spielzeug in den Sinn: Carillon, diese kleine, von ihm erdachte Musikbox, ist wie eine virtuelle Rundfahrt durch einen fantastischen Spielzeugladen, mit Glockenspielen und Springteufeln, manchmal zerbricht eine Feder und fliegt durch den Raum. Und da gibt es diese spanische Puppe, die Gitarre, den traurigen Clown. Es ist eine sehr ausdrucksvolle, sehr fantasievolle Reise.
Paul Ben-Haim hatte andere Assoziationen im Kopf. Er wurde in Deutschland geboren, wanderte aber vor dem Zweiten Weltkrieg nach Israel aus, wo er sich zwischen Beduinen, Palästinensern und Juden aus dem Jemen, Irak, Nordafrika und natürlich auch aus Russland, Deutschland, Polen usw. fand. Er versuchte, all diese Volksmusik in sich aufzunehmen und in seinen Kompositionen zu nutzen. Hier schafft er eine Sonate des 20. Jahrhunderts für Mandoline, Gitarre und Cembalo, die zuweilen sehr barock klingt, in der aber auch traditionelle orientalische Instrumente widerhallen: Die Mandoline klingt wie die persische Tar, die Gitarre manchmal wie die Oud, das Cembalo wie die Santur aus dem Iran und anderen Kulturen.
Das ist Ihre Rekonstruktion?
Ja. Dieses Werk liebe ich besonders, denn es hat mein Interesse an israelischer Musik geweckt, an zeitgenössischer Musik. Mein Freund Yuval Avital fand das unvollendete Werk bei seiner Arbeit im Staatsarchiv. Das war natürlich fantastisch für mich: Ben-Haim war ein ganz großer Komponist, wir hatten ihn alle an der Musikakademie studiert, und hier war plötzlich ein unbekanntes Werk für mein Instrument. Wir haben später 13 weitere Stücke für Mandoline, Gitarre und Cembalo bei israelischen Komponisten in Auftrag gegeben.
Und es sind noch mehr geworden, zwei davon sind auf Art of the Mandolin …
Das stimmt – ich bat David Bruce, ein Stück für alle Zupfinstrumente der abendländischen Tradition zu komponieren. Es trägt den Titel Death is a Friend of Ours, aber das Stück ist, anders als der Titel glauben lässt, wirklich fröhlich, voller Energie. Es lässt an eine heidnische Feier des Lebens denken mit diesen gezupften Saiteninstrumenten, die vielen Instrumenten aus sehr unterschiedlichen Kulturen nahestehen.
Giovanni Sollimas Werk führt uns zurück zu den italienischen Wurzeln der Mandoline. Giovanni stammt aus Sizilien, ich selbst habe marokkanische und sephardische Vorfahren – wir fühlen uns beide verbunden mit der mediterranen Kultur und Mentalität. Sein Präludium gibt diesem Gefühl Ausdruck – der Wärme und Dramatik der Küsten des Mittelmeers.
Sagen Sie etwas zu Ihren Anfängen – warum die Mandoline?
Auch das hat mit der Symbolkraft der Mandoline zu tun. Die sozialistischen Pioniere, die aus Europa nach Israel kamen, wollten das Land bearbeiten, aber im Gepäck hatten sie auch ihre Bildung, ihren Intellekt, ihre Kultur. Fast jeder Kibbuz hatte ein Mandolinenorchester – es bot einen einfachen Weg der Musikerziehung. Das pädagogische Konzept dieser Ensembles erreichte dann Städte, die Probleme mit Einwanderung hatten und mit der Integration unterschiedlicher Kulturen. Meine Familie kam in den 1960er-Jahren aus Marokko, auch sie musste sich an die herrschende Kultur anpassen. Sie hörten, dass klassische Musik wichtig sei, und wollten daher, dass ihre Kinder ein klassisches Instrument lernen. Und da war das Mandolinenorchester. Ein großer Spaß, eine freundliche Atmosphäre… für mich war es das Tor zur klassischen Musik.
AVI AVITAL ABOUT HIS NEW ALBUM “ART OF THE MANDOLIN”
What inspired the programme of your new album?
Art of the Mandolin is a selection of pieces originally written for the mandolin, whereas in my recordings so far I’ve always played arrangements of pieces written for other instruments. The original repertoire for the mandolin is sometimes seen as limited – I wanted to disprove this but also to choose pieces by composers who didn’t normally write for the instrument.
Why was that?
The history of the mandolin has always been closely connected to social, demographic developments rather than undergoing a strictly musical evolution: it’s always had its own symbolic, metaphorical associations. Not many composers wrote for the mandolin, but when they did, it was for a particular reason. For example, when Mozart used it in Don Giovanni’s serenade, he was playing on its aristocratic associations: at this time the mandolin was a decorative object only acoustically strong enough to be heard in a salon, not on the street, or in the opera house or concert hall. Along with the harp, spinet or harpsichord, it was played by girls from noble families.
And there’s a link here to Beethoven’s Adagio ma non troppo…
Yes, not a lot of people know this but Beethoven wrote four little pieces for the mandolin: for the Countess Josephine of Clary-Aldringen. They are very young and very lovely pieces. The dedication on the score says “pour la belle JC”, suggesting that there was something intimate between them. They’re not the most difficult pieces in the mandolin repertoire, so perhaps she wasn’t the most virtuosic player in Vienna at the time. Meanwhile the harpsichord parts are rather virtuosic: maybe he was trying to impress her…
Did the mandolin have other associations in earlier days?
Absolutely – for Vivaldi the Venetian mandolin was more of an amateur, folk instrument, a bit like the ukulele is for us today. It’s the kind of instrument you can just take down from the wall, play a little bit and then put back. This is reflected in Vivaldi’s two mandolin concertos. We’ve recorded the Concerto for two mandolins and strings in G – it’s really fun: one of those pieces that puts a smile on your face.
For Scarlatti the mandolin had a different character – his music is more dramatic. Scarlatti was Neapolitan and the mandolin definitely represents the city of Naples: this can be heard in the rapid changes of mood in his extremely virtuosic and expressive sonatas. He’s known for his 555 keyboard sonatas, but some are now thought not to have been written for the keyboard. Sonata K 89, for me, is unquestionably for the mandolin. It uses a lot of the open strings of the mandolin, a lot of tremolos, a lot of techniques that just sit really well on the hand.
Let’s jump forward to the 20th century: tell us about Henze and Ben-Haim…
Hans Werner Henze’s Carillon, Récitatif, Masque is for mandolin, guitar and harp. I think it was an attempt to create the plucked-strings equivalent of a string quartet or wind quintet. And I think he mainly associated the mandolin with toys: Carillon, this little music box that he imagined, is like a virtual tour of a fantastic toyshop, where you find all these kinds of carillons, and Jack-in-the-Box and springs that sometimes break and fly all over the room. And there’s this Spanish doll, the guitar, the sad clown. It’s a very expressive, very imaginative voyage.
For Paul Ben-Haim it was a different association. He was born in Germany but immigrated to Israel before the Second World War, finding himself among Bedouins, Palestinians and Jewish people from Yemen, Iraq, North Africa, but of course also from Russia, Germany, Poland and so on. He tried to absorb all that folk music and to use it when composing. Here he creates a 20th-century Sonata using mandolin, guitar and harpsichord, which can sound very Baroque, but can also echo ancient instruments: the mandolin sounds like the Persian tar, the guitar sometimes like the oud, the harpsichord like the santur, from Iran and other cultures.
And this is your reconstruction?
Yes, this work is very special for me because it sparked my interest in Israeli music, in contemporary music. My friend Yuval Avital found the unfinished piece while working at the National Archives. Obviously this was very exciting for me: Ben-Haim was the greatest composer that we all studied in the Music Academy, and suddenly there was an unknown piece for my instrument. We went on to commission 13 more works from Israeli composers for mandolin, guitar and harpsichord.
You’ve commissioned many more pieces since then, two of which are on Art of the Mandolin…
That’s right – I set David Bruce the challenge of composing a piece for all the plucked string instruments in the Western classical tradition. The title is Death Is a Friend of Ours but when you play the piece, it’s joyful and full of energy. I think these plucked strings that relate to many instruments from very different cultures give it a dimension of some kind of pagan celebration of life.
Giovanni Sollima’s work brings us back to the mandolin’s Italian origins. Giovanni was born in Sicily, I have Moroccan and Sephardic origins – we both consider the Mediterranean culture and mentality as our reference point. His Prelude reflects that feeling, the warmth and drama of the Mediterranean coastline.
Take us back to your origins – why the mandolin?
This again relates to its symbolic importance. The socialist pioneers who came from Europe to Israel wanted to work the land but also brought with them a very educated, intellectual culture. Almost every kibbutz had a mandolin orchestra – it was an easy way of providing musical education. The idea of it as an educational vehicle then travelled to cities dealing with immigration and different cultures coming together. My family came from Morocco in the 60s and had to assimilate with the existing dominant culture. They heard classical music was important and therefore wanted their kids to study a classical instrument. And that was the mandolin orchestra. It was a really fun and accommodating environment too, and it was essentially my door to classical music.