Bayreuther Festspiele | News | Booklettext: Wagners "Der fliegende Holländer" aus Bayreuth - 24.6.2022 (VÖ) (DE/EN)

Bayreuther Festspiele

Booklettext: Wagners “Der fliegende Holländer” aus Bayreuth – 24.6.2022 (VÖ) (DE/EN)

09.05.2022
Please scroll down for English version
 
Der Untote
RICHARD WAGNERS DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
Zwischenwelt. Nichtort. Unbehaustsein. Heimatlosigkeit. Einsamkeit. Irrfahrt. – Wie so oft – allzu oft – auch sein Schöpfer Richard Wagner ist der ­fliegende Holländer, die werkgeschichtlich früheste Titelf­igur auf der Bayreuther Festspielbühne, gefangen in der Unbegrenztheit des Ozeans, Metapher der ewig suchenden Fahrt des Künstlers über jene immer gleichen, endlosen Weiten des zeitlos schwankenden und wühlenden Meeres, das die festen und sicheren Schollen der Kontinente voneinander trennt, welche Grund und Verankerung, Heimat und soziale Verbundenheit bedeuten, Ruheorte der Begrenzung sind. Das Festland ist die Stätte friedvollen Lebens wie auch friedvollen Sterbens, während der Seemann auf den grundlos unsteten, stets bewegten Flächen der wogenden Wasser rastlos, ruhelos, friedlos über abgründige, ungeahnte Tiefen schifft, eine Existenz fristend, die keine ist, oder: die ist und zugleich nicht ist; eine unbegrenzte und so undef­inierte Unendlichkeit, in der Leben und Tod zusammenfallen, in der das Leben in Todesstarre entwicklungs- und ziellos verharrt und der Tod in der ewigen Fahrt des verdammten Seglers lebendig wird, in der Kreuzfahrt des Grauens, in den geblähten, blutroten Segeln geronnenen Lebenssaftes und in den zombiehaften Verrichtungen seiner seelenlosen Geisterbesatzung. Eine Existenz ohne den Kontinent als Symbol eines Seins- und Sinngrundes ist eine paradoxe Existenz ohne Leben, eines Lebens ohne Lebendigkeit, und zugleich ein Tod ohne Ruhe und Bewusstlosigkeit.
Der »f­liegende«, oder vielleicht besser und auch etymologisch nicht abwegig: »f­liehende« Holländer aber, er weiß um den Horror seiner f­luchbeladen unsteten Existenz. Er ist zwar kein Vampir, der sich aus jungfräulichem Blut Leben trinken muss, er ist kein Phantom, so phantomhaft seine Erscheinung auch sein mag, er ist – anders als seine lemurenhafte Mannschaft – kein seelenloser Zombie, der als lebender Leichnam wie eine grauenvolle Marionette von okkulten oder dämonischen Kräften bewegt wird, er ist – ein Mensch! Denn: »Ein schlagend’ Herz« ließ – ach! – ihm »Satans Tücke« und damit den Schmerz über seine nicht existente Existenz, sein ewig verdammtes Dasein als unlebendiger Untoter.
Und um seinen verzweifelten Schmerz noch zu vergrößern, erlaubt ihm sein Fluch alle sieben Jahre die Landung und den Versuch, ein Weib zu f­inden, dass treu bis zum Tod ihm sei. Doch wie den Tod f­indet er auch dieses seelenopferwillige Weib nie, sondern mit der Fortsetzung seiner ewigen, verf­luchten Irrfahrt fährt auch alle sieben Jahre wieder eine zwar vergebliche, aber – ja, doch – eine Hoffnung hin. Und im Bewusstwerden seiner Hoffnungslosigkeit leuchtet es jedes Mal wieder düster in seinem Innern auf: das lästerliche Fluchen auf Gott, der ja allein doch Liebe und Hoffnung ist, und die Schuld der Versuchung des teu­flischen Paktes, in dessen Folge sein abgrundtiefes Leid noch durch das höhnische Lachen Satans verächtlich gemacht wird.
Wie der Vampir kein Spiegelbild besitzt, so sieht auch Wagners Holländer sich selbst niemals anders als in seiner Verächtlichkeit und seinem verf­luchten Dasein als Untoter. Aus ihm selbst, seiner Seele, die Satan ihm nicht etwa herausgerissen, sondern – grausamer noch – gelassen hat, begegnet ihm kein Ich, sondern schreit ihm nur das verzerrte Fratzenbild seiner eigenen Abscheulichkeit entgegen. So erfährt er Eigenes als Fremdes und Fremdes als Eigenes. Nicht einmal einen Namen hat er. Seine Identität ist die des universalen Leidens, während eine bluterwärmende Liebe der Zuwendung, der Zuneigung, der Zugehörigkeit ihm nur zur bleichen, leichenhaften Starre gerät und ihm so für nichts und niemanden und auch für sich selbst nicht existiert, sondern nur als Verachtung des Menschlichen, nach dem er sich, aus seinen Totenwunden kalt blutend, nur sehnen kann. Wie das Leben fehlt ihm auch die Liebe, die selbstlos schenkende Tugend, denn nicht sie ist – wie er selber singt – die »düst’re Glut«, die er in der Brust brennen fühlt, sondern die »Sehnsucht ist es nach dem Heil«, das ihm nur durch die engelsgleich liebende Frau zuteilwerden könne. Seine Erlösung kann ihm einzig nur durch die eine, die wahre Liebe werden, die allein von außen, aus dem Liebes- und Lebensland der Kontinente kommen kann und die den Tod zu überwinden bereit und imstande ist. Die starre Leere des traurigen Ozeans in ihm könnte allein so erfüllt werden.
Und wie die Mechanismen zyklischer Wiederkehr sonst ein Attribut des Lebendigen sind, wird ihm die ewige Wiederkehr und sich so stets erneuernde Bewusstwerdung seines Fluchs »vor Anker alle sieben Jahr’« zum Wesenszug des Untoten. Wie sich später Kundry im Parsifal in immer neuen Wiedergeburten und Reinkarnationen unsterblich und auf ewig durch das Dasein quält, wird auch der Holländer durch seine siebenjährlichen Landungen immer wieder in sein verfluchtes totes Dasein zurückgestoßen. Das Tote in ihm treibt ihn zum Lebendigen, das Lebendige verfällt ihm zu totem, schwärendem Fleisch. All das zu wissen steigert ihm noch weiter den Schmerz, und das ewige Leben in Unsterblichkeit wird von der dem sterblichen Menschen eigenen Sehnsucht nach Göttlichkeit zur ­fluchbeladenen Nichtexistenz.
Erkennen wollte er und Übermenschliches leisten. Die immer wieder scheiternde Umsegelung des Kaps ist die Mahnung der Begrenzung und Selbstbeschränkung. Es soll nicht sein. Doch er zwingt es. Geht über sich selbst hinaus. Versündigt sich an seinen Grenzen und zerstört so selbst seine Integrität. Das Übermenschliche vermag er nicht aus sich selbst heraus zu leisten, sondern nur unter Preisgabe seiner Begrenztheit, die allein Identität stiftet. Indem er über seine Grenzen geht, zerstört er seine Identität. Die Erlösung ist demnach die Wiederherstellung von Identität und Integrität, die Rückkehr zum ganzen Ich, das stets aus Ich und Du besteht.
Dieses Du aber muss sein f­luchbeladen deformiertes Ich als Sinnbild des universalen Leidens überwinden. Es muss auch seinen Willen brechen, ihn halten, wo er ­liehen (­liegen) und mit ihm in leuchtender Liebe lachend in den Tod gehen, wo er bleiben und ruhen will. So wird das Du sein Ich, das sich selbst dadurch vernichtet. Erlösung als Rückgewinnung von Identität und Integrität kann dann allein in der untrennbaren Ungeschiedenheit einer zur Einheit verschmolzenen Zweiheit werden: »In weiter Ferne entsteigen dem Wasser der Holländer und Senta, beide in verklärter Gestalt; er hält sie umschlungen. (Der Vorhang fällt.)«
SVEN FRIEDRICH  
 
 
The Undead
RICHARD WAGNER’S DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
An intermediate world, a non-place. A shelterless, homeless, and lonely state. Wandering endlessly. Like Richard Wagner himself, who was often (perhaps too often) trapped by a sense of limitlessness, the Flying Dutchman – the earliest title character of the works performed on the Bayreuth Festival stage – is a prisoner in the vastness of the ocean. His voyage is a metaphor for the journey of the eternally searching artist: the unchanging, endless expanses of the timelessly swaying and churning sea separate the solid and secure earth of the continents, which signify foundation and rootedness, home and social attachment, their boundaries turning them into places of rest. The mainland is the place of peaceful living as well as peaceful dying. The sailor, on the other hand, is deprived of rest, calm, and peace as he navigates the bottomlessly erratic, surging waters of the ocean’s surface, perpetually in motion above abysmal, unimaginable depths. He ekes out an existence that is hardly one at all, or rather, one which simultaneously is and is not an existence; a boundless and so unde­fined inf­inity in which life and death coincide, in which life, in deathly rigidity, fails to develop but persists aimlessly. Here, death comes alive in the eternal voyage of the doomed sailor, in the cruise of horror, in the bloated, crimson sails of coagulated lifeblood and in the zombie-like pursuits of the soulless crew of ghosts. An existence without the continent to symbolize foundations of being and meaning is a paradoxical existence without life, a case of life without liveliness and, at the same time, of death without rest and unconsciousness.
The “­lying” Dutchman, or perhaps better – and, from an etymological perspective, hardly false – the “f­leeing” Dutchman, however, knows about the horror of his curse-laden, erratic existence. Indeed, he is not a vampire who has to drink life from virgin blood, nor is he a phantom, as phantom-like as his appearance may be. Unlike his lemur-like crew, he is also no soulless zombie, who, as a living corpse, is moved like a horrible puppet by occult or demonic forces. He is – a human being! Because – ah! – “Satan’s spite” left him “a beating heart” and, with it, the pain arising from his nonexistent existence, from his eternally damned state of being as a lifeless member of the undead.
And to make his desperate pain even worse, his curse allows him to land every seven years and to try to ­find a wife who will be faithful to him until death. But, just as he cannot ­find death, so he never f­inds this wife who is willing to sacrif­ice her soul. Instead, a futile hope – but, yes, nevertheless a hope – passes by every seven years with the continuation of his eternal, cursed odyssey. And each time, with the realization of his hopelessness, the gloom ­flares up inside of him: the blasphemous cursing of God, who, after all, is love and hope itself, and the guilt of the temptation of the diabolic pact, a result of which his abysmal suffering is even made despicable by the mocking laughter of Satan.
Just as the vampire has no mirror image, so Wagner’s Dutchman never sees himself other than in his contemptibility and his accursed existence as an undead being. In him, in his soul, which Satan had not torn out of him but – even more cruelly – had left, there is no self to meet him, there is only the distorted grimace of his own abomination that screams out to him. Thus he experiences that which is his own as foreign and that which is foreign as his own. He does not even have a name. His identity is that of universal suffering, and the blood-warming love that springs from attention, affection, and belonging exists for him only in a pale, cadaverous rigidity; thus, to him, love exists for nothing, for no one, including himself. It exists only as contempt for the human, that which he, bleeding coldly from his dead wounds, can only yearn for. He lacks not only life, but also love, the virtue of giving self­lessly. It is not love – that “gloomy glow”, as he himself sings – which he feels burning in his chest, “it is the longing for salvation” that can only be granted to him through the love of an angelic woman. Redemption can only come to him through the one, true love, which, ready and able to overcome death, can only come from outside, from the land of love and life on the continents. This is the only way the rigid emptiness of the sad ocean within him can be fulf­illed.
And, just as the mechanisms of cyclic return are otherwise an attribute of the living, the eternal return, which, “at anchor every seven years”, continually renews his awareness of the curse, becomes for him the characteristic feature of the undead. Just as Kundry in Parsifal would later, in continual rebirths and reincarnations, trudge through an immortal and eternal existence, so the Dutchman, too, is repeatedly thrust back into his cursed dead existence by disembarking every seven years. The dead in him drives him to the living, the living decays to dead, festering f­lesh. Knowing all this increases his pain even more, and the eternal life in immortality turns from a longing for divinity inherent to mortal man to a curse-laden non-existence.
He wanted to recognize and carry out superhuman tasks. The repeated failure to navigate around the Cape serves as a warning for limitation and self-restraint. It is not meant to be. But he forces it anyway. He goes beyond himself. He sins against his own limitations and thus even manages to destroy his integrity. He is not able to achieve the superhuman on his own, but only by surrendering to his limitations, that which alone creates identity. By going beyond his limits, he destroys his identity. Redemption is therefore the restoration of identity and integrity, the return to the self in its entirety, which always consists of “I” and “Thou”.
This “Thou”, however, must overcome its curse-laden deformed “I” as a symbol of universal suffering. It must also break his will, hold him when he wants to f­lee (f­ly) and go with him laughing in luminous love to death, where he wants to stay and rest. Thus the “Thou” becomes the “I”, which, in turn, destroys itself. Redemption as recovery of identity and integrity can then only be achieved in the inseparable indivisibility of duality merged into unity: “Far off in the distance, the Dutchman and Senta emerge from the water, both in transf­igured form; he holds her in a close embrace. (The curtain falls.)”
SVEN FRIEDRICH