Viel Zeit hatten sie nicht, die sechs Künstler, die sich 1928 in Berlin zu den Comedian Harmonists zusammengefunden hatten, und doch wurden sie in den folgenden sechs Jahren weltberühmt. 70 Jahre später taten sich in Berlin wiederum sechs Künstler zusammen, um das Erbe der Comedian Harmonists aufzugreifen. Das Theaterstück Veronika, der Lenz ist da unter der musikalischen Leitung von Franz Wittenbrink (mit dem Text von Gottfried Greiffenhagen und in der Regie von Martin Woelffer) erzählte in der Komödie am Kurfürstendamm die Geschichte der Comedian Harmonists und sorgte für eine nicht geahnte Sensation. Der Irrwitz der Virtuosität, der Nonsens der Texte, das Spiel von Körpersprache und Mimik, all das verband sich 1997 zu einem so hohen Witz, dass der Abend abzuheben begann: »Standing Ovations. Tobendes Haus«, schrieb die Presse.
Das heutige Sextett konnte gar nicht anders, als zusammenzubleiben, auch wenn der eine oder andere sich beruflich anders orientierte und durch einen Neuzugang ersetzt wurde. Als »Berlin Comedian Harmonists« begeisterten die fünf Sänger und ihr Pianist zuerst 300.000 Berliner und dann den Rest der Welt – ja, sie wurden tatsächlich auch nach Sydney als Kulturbotschafter bei der Olympiade eingeladen. Und da sie hervorragende Künstler sind, konnten sie auch nicht stehen bleiben bei diesem einen Erfolgsstück, sondern sie haben sich weiterentwickelt und neue, eigene Programme folgen lassen – die ebenso erfolgreich wurden und nun den Namen einer eigenständigen Gruppe mehr als rechtfertigen.
Die neue CD der Berlin Comedian Harmonists erzählt eine Geschichte in Liedern und folgt damit nicht nur den bewährten Programmen der Gruppe, sondern auch den Liederzyklen der Romantik wie Die schöne Müllerin oder Dichterliebe. Nur dass es statt deren tragischem Lebensgefühl nun eben die charakteristische Ironie der 1920er-Jahre ist. Und als Begleiter dient nicht mehr nur das Klavier, sondern eine Jazzband oder gar ein Orchester.
Die Lieder sind so populär, dass sich ihr Sinn im Ablauf des Zyklus unmittelbar erschließt – oder eben ihr höherer Unsinn wie beim berühmten Mein kleiner grüner Kaktus. Hallo, was machst du heut’, Daisy? steht für den mutigen ersten Schritt, gefolgt von der Hochstimmung in Veronika, der Lenz ist da mit dem beziehungsreichen Spargelwachstum. Sentimental werden darf es dann auch: Bei dir war es immer so schön von Theo Mackeben erklingt mit feinem Streichorchester. Die Schmetterlinge im Bauch kommen in Wochenend’ und Sonnenschein zum Ausdruck. Mit Liebling, mein Herz lässt dich grüßen schließt sich ein Klassiker der Comedian Harmonists an.
Nun sinkt sie hernieder, die Nacht der Liebe: Das Schlaflied Guten Abend, gut’ Nacht wurde für diesen intimen Moment differenziert für Orchester arrangiert. Es folgt Emmerich Kálmáns Heut’ Nacht hab’ ich geträumt von dir, das auch die Ur-Comedians schon gesungen hatten – doch hier erklingt es im sanften Streicherglanz. Mit diesen Liedern entrollt sich nicht nur der Zyklus der Liebe, sondern auch eine Parade der speziellen Fähigkeiten dieser Künstler, denen die Zuneigung ihres Publikums entspross: fünf individuelle Stimmen mit eigener Charakteristik plus Klavier und doch ein perfektes Verschmelzen zu einem homogenen Klang.
Ihrem Geburtshelfer Franz Wittenbrink bleibt es überlassen, mit Zugspitze den Höhepunkt des Liebesleids zu formulieren. In einem kühlen Grunde, ein Klassiker des romantischen a-cappella-Gesangs, geht dann in die tiefsten Tiefen der Empfindsamkeit. Mit Tú me acostumbraste von Frank Domínguez tritt eine weitere Gefühlswende ein, während die nachdenkliche Kleine Frühlingsweise immerhin von Antonín Dvořák komponiert wurde.
Sanfte Klänge begleiten Ernst Marischkas Die Liebe kommt, die Liebe geht nach Fritz Kreislers Liebesleid. Wittenbrink schrieb mit Dein neuer Stern ein neues Lied ganz im alten Geist sentimentaler Ironie – was in der Nachbarschaft von Ich hab’ für dich ’nen Blumentopf bestellt besonders schön sichtbar wird – dieses Lied hatte Erwin Bootz, der Pianist der Ur-Comedians, geschrieben. Ohne dich (die deutsche Version von Harold Arlens Stormy Weather) führt im Orchesterklang zurück zu den amerikanischen Wurzeln des Gesangsstils der Comedian Harmonists. Und der Pianist der Berlin Comedian Harmonists, Horst Maria Merz, macht mit Se dici di lasciarmi auf sich als Komponist aufmerksam, einem Lied über die Angst vor dem Verlust. Den letzten Abschiedskuss in Auf Wiederseh’n, my dear verabreichen die Berlin Comedian Harmonists dann im Orchestersound samt Solo-Oboe, aus dem die einzelnen Sänger noch einmal leise hervortreten.
Vor 1933 war das Gefühl noch nicht in Misskredit geraten, und die Comedian Harmonists beherrschten die Balance auf dem schmalen Grat zwischen Kitsch und Kunst mit Meisterschaft. Indem die Berlin Comedian Harmonists sich dies ebenso sicher angeeignet haben, können sie sich die neue Freiheit zum Sentiment erlauben, deren Resultat immer ein vergnügtes Schmunzeln ist.
Bernd Feuchtner
12/2013