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NIE AUFGEBEN
Im Jahr 2014 begegnete ich Fazil Say und bei dieser Gelegenheit wurde die Idee zu dem Konzert Never Give Up geboren, das er für mich schreiben wollte. In diesem Moment wusste ich nicht, dass hier eines der schönsten Abenteuer meines Lebens im Entstehen begriffen war. Von der Geburtsstunde des Werkes bis zu seiner Uraufführung in Paris im April 2018 hatte ich schon die Vorahnung, an den ersten Schritten eines einzigartigen und wesentlichen Werkes teilzuhaben und die unglaubliche Emotion, die jede Konzertaufführung des Stückes hervorruft, bestätigt diese Intuition. Dieses Konzert, komponiert wie eine Antwort auf die Attentate von Paris und Istanbul, beschreibt die Welt, in der wir leben, mit absoluter Aufrichtigkeit und spricht unmittelbar zum Herzen, denn es übermittelt die Botschaft der Hoffnung. Wie eine menschliche Stimme bildet das Cello einen Bogen über das Konzert, innerhalb dessen es die Welt, in der wir leben, den Alltag jedes Einzelnen, die Ängste und Hoffnungen der heutigen Menschheit erzählt, singt, schreit, tanzt. Es führt uns an die Grenzen von Orient und Okzident, durch interreligiöse und kulturelle Konflikte, die terroristischen Attacken von Paris und Istanbul, wobei das Cello und die Streicher die weinenden Menschen darstellen und die Percussions die gnadenlos feuernden Kalaschnikows… Vom untröstlichen Gesang der Duduk am Ufer des Bosporus führt uns Fazil Say schließlich zum Licht, zur Natur mit ihren Wasserläufen und Vogelgesängen und zu dem Gedanken, dass man die Menschen, die Hoffnung und die Schönheit niemals aufgeben darf.
Als Umrahmung dieser Aufnahme hat sich mir unmittelbar das Kol Nidrei von Bruch, Gesang des Versöhnungstages Jom Kippur, aufgedrängt ebenso wie das Kaddisch-Gebet von Ravel. Dazu kam die Stimme. Ich war schon immer fasziniert von der rohen und körperlichen Emotion, die eine Stimme übermitteln kann, über jede Form intellektuellen Verständnisses hinaus. Eine Emotion, die die Seele erweitert, sie reinigt und den Wunsch erweckt, ein besserer Mensch zu sein. Jede Note, die mein Instrument hervorbringt, versucht seit jeher die menschliche Stimme wiederzugeben, eine Stimme, die singt, spricht, murmelt, eine Stimme, die schreit, die liebt. Deshalb verstand es sich für mich von selbst, Never Give Up mit Arien zu begleiten, in denen die Kraft der Musik in der Lage ist, die Worte zu ersetzen.
Die Musik trägt die machtvollste Botschaft des Friedens, der Liebe und der Hoffnung in sich und aus diesem Grund möchte ich diese Einspielung UNICEF Frankreich widmen. Ich war immer in sozialen Projekten und Hilfsorganisationen engagiert, nicht nur als Musikerin, und ich versuche seit langem meinen Beitrag zur Gesellschaft mittels der Sprache der Musik zu leisten.
Mein innigster Wunsch ist, dass dieses Album Hoffnung auf die Zukunft machen kann. Und die Zukunft, das sind die Kinder. So etwas zu sagen, mag selbstverständlich klingen, doch insbesondere für uns Musiker ist es der Austausch mit den anderen, der zählt, mit dem Publikum, doch auch darüber hinaus. Es gibt nur großzügige Kunst, wir musizieren nicht für uns selbst, die Musik reicht über uns hinaus, sie ist größer als wir. Musiker sein heißt zu gleichen Teilen im Dienste der Musik und im Dienste der anderen zu stehen und wenn diese CD nur einem einzigen Kind helfen kann, am anderen Ende der Welt besser zu leben, dann hätten die Klänge dieses Albums ihren wahren Sinn erreicht.
Camille Thomas
VOM SCHMERZ ZUR HOFFNUNG, ZUR SCHÖNHEIT
„Die Schönheit wird die Welt retten“ schreibt Dostojewski: das bestätigt Camille Thomas mit dieser Einspielung. Denn diese stolze Frau, deren innere Noblesse sich offenbart, sobald sie die Saiten ihres Cellos mit dem Bogen berührt, ist eine Ritterin der Schönheit – einer Schönheit, die kein simpler Hedonismus ist, sondern eine Schönheit, die daran glaubt, dass vom Schmerz zur Hoffnung ein leidenschaftlicher Weg führt, eine Schönheit, die sich machtvoll in das Abenteuer des Menschseins einschreibt. Die vorliegende Neueinspielung illustriert dies. Als Archipel um das Cellokonzert von Fazil Say (das Camille Thomas 2018 uraufgeführt hat) konstruiert, zeigt sie uns, anhand von zehn Komponisten, diesen vom Schmerz zur Hoffnung führenden Weg akustisch auf.
Am Anfang stehen drei Stücke: die herzzerreißende Melodie des Kaddisch von Ravel, Sublimierung des jüdischen Gebets für die Verstorbenen, und die Klage der Dido von Purcell, eine Art Wiegenlied der todgeweihten Königin, in unpathetischer Schlichtheit. Dazwischen lässt der zarte Reigen seliger Geister aus Orpheus und Eurydike von Gluck das erste Zeichen der Hoffnung ertönen.
Im Zentrum der Aufnahme steht das Konzert, das Fazil Say mit Never Give Up überschrieben hat. Es ist ein echt Beethovenscher Gestus, der das dreisätzige Werk wie eine Fahne flattern lässt: der erste Satz, leidenschaftlich und gequält, beschreibt den Menschen, der dem Chaos der Welt gegenübersteht; der zweite, eruptiv und feurig, lässt die nackte Gewalt hören, die des Terrorismus in Aktion, der Massaker, im Bataclan oder anderswo; der dritte, die Natur mit Anklängen an Vögel und Wind, mit poetischen musikalischen Linien und überraschenden Wendungen evozierend, stellt eine Rückkehr zur Hoffnung durch die wiedergewonnene Schönheit dar. Denn Schönheit ist mit unserem menschlichen Schicksal verknüpft: es handelt sich um das Leben, das Verlangen und die Wut, die Erinnerung, die Gewalt und den Tod, doch auch die Hoffnung.
Es folgen erneut drei Stücke: das Kol Nidrei von Max Bruch, das mittels zweier hebräischer Melodien und ihren Variationen zur jüdischen Geistigkeit zurückführt. Dann das letzte der Wesendonck-Lieder von Wagner, Träume, das, ganz verletzte Zärtlichkeit, eine Studie zum Liebesduett des Tristan darstellt, während das Lied Als die alte Mutter mich noch lehrte singen von Dvořák melancholische Zartheit verströmt. Als drittes Echo der inneren jüdischen Stimme bildet die Melodie von John Williams zu Schindlers Liste von Steven Spielberg das Präludium zu den drei letzten Stücken dieser subtil angeordneten Architektur.
Es handelt sich um drei Opernarien von Massenet, Donizetti und Bellini: die Arie des Werther, als er noch Hoffnung hat, Charlotte erneut zu erobern, die Arie des Nemorino, als eine heimliche Träne im Auge von Adina in ihm die Hoffnung erweckt, sie erwidere seine Liebe, die Arie der Norma als sie noch hofft, dass ihre Position als Mondpriesterin, „Casta Diva“, ihre menschliche Liebe nicht behindern würde.
Vom Tod zur Hoffnung, das ist der Weg, den diese Aufnahme verfolgt, auf der die Schönheit in ihren vielfältigen Stimmen wie ein Widerstand angesichts der grenzenlosen Gewalt der Welt und der Herabwürdigung unserer armseligen Schicksale erscheint. Doch die Schönheit ist nicht „offensichtlich“, sie stellt keine vorgefertigte Antwort dar, sie muss gesucht, erobert, gesungen werden: das ist es, was Camille Thomas unternimmt. Und hier erschließt sich der volle Sinn des Satzes von Guido Ceronetti: „Solange Fragmente von Schönheit existieren, können wir noch etwas von der Welt verstehen“.
Alain Duault
NEVER GIVE UP
In 2014, I met Fazil Say and the idea for Never Give Up was born, the concerto that he wanted to write for me. At that time, I didn’t yet know it was going to be one of the most beautiful adventures of my life. From the birth of this work until its premiere in Paris in April 2018, I already had an intuition that I was seeing the first steps of a piece of music that was unique and essential in our time. Since then, the incredible emotion aroused by each concert performance has confirmed that this premonition was true. The concerto, composed in response to the attacks in Paris and Istanbul, describes the world in which we live with absolute sincerity. It speaks directly to our hearts because it carries the message that music is a great deal more than mere entertainment: it must be a universal language, a bridge between cultures, and a message of hope. Like a human voice, the cello forms an arch above this Concerto, where it sings, cries, describes and dances thought the world we live in: it is the daily life of each one of us, the fears and hopes of humankind today. It takes us to the borders of the Orient and Occident, makes us cross through the conflicts between religions and cultures, and the terrorist attacks in Paris and Istanbul, where the cello and the orchestra’s strings represent mankind in tears, and percussion instruments open fire like soulless Kalashnikovs… After the weeping song of the Duduk on the shores of the Bosphorus, Fazil Say finally leads us away towards the light, to Nature, with its sounds of water and birdsong, and towards the idea that we must never give up hope on Humanity and Beauty.
To surround this recording, Bruch’s Kol Nidrei, the song that introduces the day of Yom Kippur, the Day of Atonement in the Jewish religion, the most important day in the year, immediately came to mind, like Ravel’s Kaddisch. And then came a Voice. I’ve always been fascinated by the raw, physical emotion that a voice can convey, and it goes far beyond any form of intellectual comprehension. It is an emotion that broadens the soul: it purifies, and it gives us the desire to be better. With each note I produce on my instrument, I have always tried to reproduce a voice, one that sings, talks, murmurs… a voice that shouts and loves. So for me it was an obvious choice to accompany Never Give Up with songs where the strength of the music had the power to replace words.
Music carries the most powerful message of Peace, Love and Hope, and that is why I would like to dedicate this record to UNICEF France. I have always been actively involved in social or charity projects, and not only as a musician. For a long time, I have been looking for a way to make my own contribution to society through the language of music. My dearest wish is for this album to bring hope for the future. And the future lies in children. Saying something like that could seem unimaginative, but particularly where musicians are concerned, what is important is to share with others, not only with the public but also beyond. Art can only be generous, we don’t make music for ourselves; it goes beyond us, because we are smaller than music. To be a musician means to remain equally at the service of music and of others, and if this album can help a single child at the other end of the world to have a better life, then the notes inside will have taken on their true meaning.
Camille Thomas
FROM PAIN TO HOPE: BEAUTY
“Beauty will save the world,” wrote Dostoyevsky, which is the claim that Camille Thomas makes throughout this record. Because the cellist, a woman whose gestures show dignity, and express an inner nobility as soon as she puts her bow to the strings of her cello, is a pure soul with beauty ‒ not beauty for the sake of hedonism, but a beauty that believes there is a burning line to be drawn between pain and hope, a powerful beauty that essentially contributes to the story of mankind.
Her new recording illustrates this, and it is structured like an archipelago surrounding the Cello Concerto composed by Fazil Say. Camille Thomas gave its premiere in 2018, and her album spanning the work of ten composers, allows us to travel the path from pain to hope.
On the threshold, we meet three pieces: the heartrending melody of the Kaddisch by Ravel, a sublimation of the Jewish prayer for the dead; the lamentation from Purcell’s Dido, quasi a lullaby from the queen who awaits her death, in a nakedness without pathos; and between those two works, the tender Dance of the Blessed Spirits from Gluck’s Orfeo, in which we hear the first signals of hope.
At the heart of the record lies the Cello Concerto, to which Fazil Say gave the title Never Give Up. It is indeed his Beethovenian gesture which brings this work in three movements to crack like a billowing flag: the first, ardent and tormented, is a painting of Man, standing as he confronts the chaos of the world; the second movement, eruptive and incandescent, in which we hear naked violence, the violence of terrorism at work, of massacres at the Bataclan and elsewhere; the third, surveying Nature, its birds and winds, its poetic drawings and its surprises, is a return to hope through beauty regained. Beauty goes hand in glove with our human destiny: humanity is at stake here, not only a matter of desire and rage, of memory, violence and death, but also of hope.
Three pieces follow again, the Kol Nidrei of Max Bruch taking us back a second time to Jewish spirituality through two Hebrew melodies and their variations. And then the last of the Wesendonck-Lieder by Wagner, Träume (Dreams), a sketch of the love duet from Tristan, filled with wounded warmth, while Dvořák’s Songs My Mother Taught Me is tenderly filled with melancholy.
The third echo of the inner Jewish voice is the melody composed by John Williams for Steven Spielberg’s Schindler’s List, which comes as the prelude to the three final pieces of this subtle architecture.
The latter are three opera aria’s from Massenet, Donizetti and Bellini: Werther’s song, when he still has the hope of winning back Charlotte; the aria sung by Nemorino when the furtive tear in Adina’s eye gives him the hope that she is responding to his love; and the air Norma sings as she keeps hope that her status as a high-priestess, a “chaste goddess”, will not be an obstacle to her human love.
From death to hope is the path traced by this record in which beauty, by means of its multiple voices, appears as the resistance opposing the limitless violence of the world and the decline of our wretched destinies. But beauty is not a “given”. There is no ready-made answer, but it must be sought out, conquered and celebrated: which is what Camille Thomas does. And here the words of Guido Ceronetti take on full meaning: “For as long as fragments of beauty exist, we will still be able to understand something of the world.”
Alain Duault