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Gulda spielt Mozart
Man mag sich fragen, ob die vielen Gemeinsamkeiten zwischen dem Pianisten Friedrich Gulda und dem Komponisten Wolfgang Amadeus Mozart auf unheimlichen Zufällen beruhen oder doch eher auf göttlicher Vorsehung. Beide hatten einen strengen, ehrgeizigen Pädagogen als Vater. Beide wurden als Wunderkinder gefeiert. Beide liebten es, zu improvisieren und mit ihrem aufsässigen Humor zu provozieren. Mozart wurde am 27. Januar 1756 geboren, Gulda starb am 27. Januar 2000. Guldas Studiokarriere begann und endete mit Mozarts Musik: Als 18-Jähriger präsentierte er in seiner ersten Studioaufnahme eine erfrischende, selbstsichere und musikalisch reife Interpretation der Klaviersonate KV 576, die von der Musikkritik sehr positiv aufgenommen wurde, und im August 1999 entstanden wenige Monate vor seinem Tod seine letzten Mozart-Aufnahmen.
Die Beziehung zwischen Gulda und Mozart war nicht einfach nur eine romantische Affäre. Sie kam vielmehr einer Ehe gleich, begleitet von allen Höhen und Tiefen, Freuden, Krisen und Verpflichtungen, die eine so lange Partnerschaft mit sich bringt. Die vier Mozart- Konzerte, die Gulda zwischen 1953 und 1960 aufnahm, sind geprägt von perlenden Phrasierungen, apollinischer Symmetrie, schmeichelnder Fingerarbeit und geistiger Präzision – Eigenschaften, die sie mit den besten Mozart-Interpretationen anderer Pianisten ihrer Zeit teilen, wie Paul Badura-Skoda oder Alfred Brendel, beide Zeitgenossen und Landsleute Guldas. Nachdem Gulda seine Sicht auf Mozart noch einmal überdacht hatte, nahm er sich 1962 die Konzerte in C-Dur (KV 467) und B-Dur (KV 595) vor. Vor allem im langsamen Satz des C-Dur-Konzerts, wenn die kantablen Linien der rechten den gleichmäßigen Rhythmus der linken Hand umspielen, spürt man die rhythmischen und improvisatorischen Freiheiten, die er in sein Spiel einfließen ließ. Ging es ihm dabei nur um stilistische Authentizität oder waren das Nachwirkungen seiner jüngsten Ausflüge in den Bereich des Jazz?
1981 widmete sich Gulda erneut Mozart, und zwar mit voller Kraft: In Paris, München und Mailand sowie im Tonstudio spielte er alle 17 Sonaten, die er für authentisch hielt. Diese Interpretationen zeugen von einer einfacheren, schlichteren und vom Rhythmus her gedachten Lesart, bei der die Mittelsätze eher wie langsame Tänze anmuten und weniger wie Opernarien. Gleichzeitig bemühte sich Gulda, Mozart und seine Musik in neuen Kontexten zu präsentieren: So wurde die rein musikalische Ebene in experimentellen Multimedia-Shows um Tänzer und DJs erweitert. Nach Aussage seines Sohnes, des Pianisten Paul Gulda, war Friedrich Gulda trotzdem nicht zufrieden und sagte 1998 in einem Interview über seine früheren Interpretationen: »Nach strengster Gewissensforschung bin ich darauf gekommen, dass der Herr [Mozart] noch viel eindrucksvoller ist, als ich immer schon angenommen habe. Ich war entsetzt über vieles und habe geübt wie ein Trottel.« Auch früher hatte sich Gulda immer wieder von seinen früheren Mozart-Interpretationen distanziert, etwa in einem Interview von 1973. Seine »puristischen« Aufnahmen mit den Wiener Philharmonikern unter Claudio Abbado von 1974/75 ließ er jedoch zeitlebens gelten.
Von allen Klavierkonzerten Mozarts war das in d-Moll (KV 466) bei den Musikern des 19. Jahrhunderts am beliebtesten, weil sie es als Wegbereiter für Beethovens kämpferischen Tonfall empfanden. Dabei erinnert der Charakter dieses Werks mit seiner dunklen, ausdrucksstarken Klangwelt (tiefe, grollende Streicher, ausgeprägter Gebrauch der Pauken) und den harschen Stimmungswechseln, die auf Don Giovanni vorauszuweisen scheinen, eher an eine Mozart-Oper ohne Worte; man nehme nur etwa den schmerzvollen g-Moll-Aufschrei, der aus dem ruhigen Klangidyll des Mittelsatzes hervorbricht, oder die plötzliche Aufhellung nach Dur im Finale.
Im Hinblick auf Guldas spätere Vorliebe für unorthodoxe Veranstaltungsorte sollte man auch daran denken, wo Mozart sein d-Moll-Konzert am 11. Februar 1785 zum ersten Mal aufführte: im »Haus zur Mehlgrube«. Ursprünglich hatte hier ein Mehldepot gestanden, das später abgerissen und als gehobenes Casino wiederaufgebaut wurde, in dem Maskenbälle und andere gesellschaftliche Veranstaltungen stattfanden. In einem Brief von Mozarts Vater heißt es, bei der Uraufführung sei die Tinte auf Partitur und Stimmenmaterial des Konzerts noch feucht gewesen und die Kadenzen habe der Komponist größtenteils improvisiert.
Binnen eines Monats vollendete Mozart ein weiteres Konzert, das sich grundlegend von seinem Vorgänger unterscheidet. Während die beiden Ecksätze des C-Dur-Konzerts KV 467 in der Entwicklung der Themen und der instrumentalen Vielfalt von großem symphonischem Zuschnitt sind, ist das Andante ein Paradebeispiel für Mozarts Gespür für opernhafte Stimmungen.
Gulda verzichtet hier (anders als in früheren Interpretationen) ganz auf improvisierte Gefühlsausbrüche, sowohl im C-Dur- als auch im B-Dur-Konzert KV 595, Mozarts letztem Klavierkonzert, das wieder an die schlankeren Orchestersätze früherer Gattungsbeispiele anknüpft. Nachdem ein Takt Begleitung die Grundstimmung entworfen hat, präsentiert das erste Tutti insgesamt vier Themen. In der Holzbläser-Passage entdeckte der Musikwissenschaftler Alfred Orel Anklänge an Osmins Arie »Oh, wie will ich triumphieren« aus Mozarts Entführung aus dem Serail, während die mehrfach wiederholten Punktierungen an eine ähnlich deklamatorische Phrase im Finale der »Jupiter-Symphonie« erinnern.
Die gelassene Ruhe, die den Mittelsatz des d-Moll-Konzerts KV 466 prägte, kehrt in gesteigerter Form im Larghetto des B-Dur-Konzerts KV 595 wieder. Das Thema des Schluss-Allegros mit seinen Dreiklangsbrechungen hatte es Mozart wohl besonders angetan, denn in seinem wenig später komponierten Lied Sehnsucht nach dem Frühling KV 596 unterlegte er es mit einem Text.
Das C-Dur-Konzert KV 503 schrieb Mozart für die Konzertsaison 1786/87, in der auch die »Prager« Symphonie und die Streichquintette in C-Dur und g-Moll entstanden. Der forsche, heroische Grundcharakter und die polyphone Vielschichtigkeit dieses Werkes veranlassten einige Autoren, Parallelen zum »apollinischen« Charakter der »Jupiter-Symphonie« oder zu Beethovens Fünftem Klavierkonzert zu ziehen. Erstaunlicherweise dauerte es eine ganze Weile, bis dieses Konzert fest im Repertoire verankert war. Obwohl Mozart selbst es in Wien spielte – wahrscheinlich in einem Konzert vom 5. Dezember 1786 –, war das Konzert in dieser Stadt erst 1934 wieder zu hören, mit Artur Schnabel und unter der Leitung von George Szell. Einen ähnlichen Entdeckergeist spürt man auch in Guldas Einspielung von 1975, die breiter angelegt ist und zugleich feinsinniger und subtiler wirkt als seine Decca-Aufnahme von 1955.
Mit Gulda und Abbado kamen bei diesen Mozart-Aufnahmen nicht nur Brüder im Geiste zusammen, sondern ehemalige Weggefährten, denn zu Beginn seiner Karriere hatte Abbado (genau wie Martha Argerich) einige Zeit Klavierunterricht bei Gulda. In einem kurzen Abriss von Guldas Karriere fasste Gramophone-Autor Philip Clark die Verdienste des Pianisten um Mozarts Musik zusammen »als das Werk eines Künstlers, der uns im festen Glauben an seine eigene Vision dazu anhält, alle stilistischen Scheuklappen im Umgang mit Musik abzulegen«.
Jed Distler
Gulda plays Mozart
One wonders if the commonalities shared by the pianist Friedrich Gulda and the composer Wolfgang Amadeus Mozart could be attributed to uncanny coincidence or divine design. Each had a strict, ambitious pedagogue for a father. Each garnered acclaim as a child prodigy. Each was a gifted improviser and provocateur with a penchant for irreverent humour. Mozart was born on 27 January 1756; Gulda died on 27 January 2000. Mozart’s music bookended Gulda’s recording career: his first studio outing at 18 yielded a bracing, assured and musically mature account of the Piano Sonata K 576 that garnered positive critical acclaim. In August 1999 he made what proved to be his final Mozart recordings.
The relationship between Gulda and Mozart was more than a love affair. It amounted to a marriage, replete with the joys, challenges, ups-and-downs, evolution and commitment that invariably come with such a long-term partnership. The four Mozart concertos Gulda recorded between 1953 and 1960 are characterized by rippling phrasing, Apollonian symmetry, sparklingly dulcet fingerwork and intellectual rigour: all characteristic of the best Mozart playing from pianists of that generation, such as Gulda’s contemporaries and Austrian compatriots Paul Badura-Skoda and Alfred Brendel. By 1962, Gulda had rethought his approach to Mozart and recorded the C major and B flat major concertos, K 467 and K 595, incorporating extensive rhythmic freedom and improvisation, notably in K 467’s slow movement, where the right-hand cantabiles unfold around and behind the steady left-hand beat. Was this a quest for stylish authenticity, or simply an extreme manifestation of Gulda’s recent forays into jazz?
The year 1981 found Gulda returning to Mozart, this time with a vengeance, performing the whole cycle of 17 sonatas he considered authentic, in Paris, Munich, Milan and for recording. These interpretations reveal a gaunter, more unvarnished and rhythmically oriented approach, with central movements tending towards slow dances rather than operatic arias. Gulda also sought out new contexts for presenting Mozart, designing experimental multi-media shows that complemented the music with dancers and DJs. But the pianist was still not satisfied, according to his son, pianist Paul Gulda, who cited a 1998 interview in which his father said that “after rigorous soul-searching, I realized that Herr Mozart was far more impressive than I had ever given him credit for. I was appalled by much of my playing, and started practising like a fiend.” This wasn’t the first time Gulda had disavowed his past Mozart playing: he had done so 25 years earlier in a 1973 interview. However, he never disowned or distanced himself from his 1974/75 concerto encounters with the Vienna Philharmonic under Claudio Abbado, remarking on their “purity of intent”.
Of all Mozart’s piano concertos, the D minor K 466 was the most familiar to 19th-century musicians, who viewed it as a precursor to Beethoven’s combative style. Yet the work’s nature rather suggests Mozart opera without words, its dark, expressive sound world (low, grumbling strings, more pronounced use of timpani) and brash contrasts of mood foreshadowing the language of Don Giovanni. Note, for instance, the central Romance’s anguished G minor outburst from an idyll of calm lyricism or the finale’s sudden veer towards an uplifting major-key affirmation.
Given Gulda’s latter-day attraction to unorthodox concert venues, it’s interesting to note where Mozart first played his D minor Concerto, on 11 February 1785: the Mehlgrube casino was originally a flour warehouse, later torn down and rebuilt as an upper-class establishment for masked balls and other social occasions. According to a letter from Mozart’s father referring to the premiere, the ink had barely dried on the manuscript score and parts, and the composer essentially improvised the cadenzas.
Within a month, Mozart had finished another concerto, entirely different in nature from its predecessor. If the C major K 467’s outer movements are grandly symphonic in regard to thematic development and instrumental diversity, the Andante showcases Mozart’s operatic sensibilities working at full capacity.
Gulda, by contrast, reins in his erstwhile improvisational excesses, both here and in K 595, Mozart’s final piano concerto, which harkens back to the leaner orchestral style of his earlier works in this genre. It commences with a single bar of mood-setting accompaniment, followed by an opening tutti containing four themes. Musicologist Alfred Orel cited the woodwind passage’s similarities to “Oh, wie will ich triumphieren”, Osmin’s aria from Die Entführung aus dem Serail, while the repeated dotted-note figure evokes the same declamatory phrase that permeates the “Jupiter” Symphony’s finale.
The serenity characterizing K 466’s central Romance returns in an even more rarified state throughout K 595’s Larghetto. Mozart must have been especially fond of the Allegro finale’s principal “hunting” theme, since he set words to it in his very next work, the song Sehnsucht nach dem Frühling K 596 (“Longing for Spring”).
The C major Concerto K 503 was written for the 1786/87 concert season which also brought Mozart’s “Prague” Symphony and the C major and G minor string quintets. Its bold, heroic surface and rich, polyphonic contours certainly lend themselves to the “Apollonian” or “Jupiter” sobriquets favoured by certain commentators, as well as to comparison with Beethoven’s “Emperor” Concerto. Surprisingly, it took many years for this concerto to become firmly established in the repertoire. Although Mozart himself played it in Vienna, probably for a concert on 5 December 1786, the work was not heard again in that city until 1934, when Artur Schnabel played it under George Szell’s baton. The joy of discovery can also be sensed in Gulda’s 1975 recording, which is broader in scope and more subtly inflected than his 1955 traversal for Decca.
The Gulda/Abbado Mozart collaborations were not only a meeting of minds; they also marked a genial reunion: Abbado had studied the piano with Gulda early in his career (as did Martha Argerich). In his overview of the pianist’s career, Gramophone’s Philip Clark aptly sums up Gulda’s Mozartian achievement as “the work of an artist entirely sure of his vision, challenging us to think again at the stylistic exclusion zones we place around music”.
Jed Distler