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Daniel Behle
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Antonio Caldara ‒ Ein unbekannter Meister

15.10.2014
Am 29. Dezember 1736 erklang vom Stephansdom ein Geläut, wie es die Wiener nur erlebten, wenn Herrscher geboren, verheiratet oder beerdigt wurden. Man geleitete einen Leichnam zu »Sankt Stephan in die Kruften«, wie im Totenverzeichnis des Doms nachzulesen ist, und tatsächlich war tags zuvor ein Fürst gestorben, ein Fürst der Musik: Antonio Caldara. In ganz Europa kannte und liebte man seine Werke, die dank einer unglaublichen Schaffenskraft Jahr für Jahr aus seiner Feder flossen: Eine unendliche Folge von Opern, Oratorien, Kantaten, Messen, Psalmen und Kammermusikwerken. Doch kaum war das »Fürstengeleuth« verklungen, da begann Caldaras Ruhm schon zu verblassen. Ein besonders glanzvolles Kapitel europäischer Musikgeschichte war damit zu Ende gegangen. Über Jahrzehnte und Jahrhunderte wurden nur wenige Werke Caldaras öffentlich aufgeführt, obwohl viele Komponisten seine geistliche Musik zunächst noch sehr schätzen. »Er war gleichwertig mit Händel und Vivaldi«, erklärt der Dirigent Andrea Marcon, der sich nun zum ersten Mal überhaupt mit Antonio Caldara beschäftigt hat. »Er war zu seiner Zeit berühmter als Bach, der ja auch ein Magnificat von Caldara studiert und transkribiert hat.«
Den Zeitpunkt, an dem Antonio Caldara in Venedig das Licht der Welt erblickte, kann man nur indirekt anhand des Totenprotokolls bestimmen. Es muss das Jahr 1670 gewesen sein, auch 1671 ist möglich. Gesichert ist, dass Caldaras frühe Lebensjahre bereits eng mit dem Musikleben an der Basilika von San Marco in Venedig verwoben sind. Dort wird er zu einem exzellenten Cellisten ausgebildet, auch zum Chorsänger, Geiger und Cembalisten. Sehr wahrscheinlich sind Giovanni Legrenzi und der begnadete Cellist Carlo Fedeli seine Lehrer. Die Stationen von Caldaras überaus erfolgreicher Karriere bestimmen fortan vor allem jene Potentaten, die ihm seine Arbeit ermöglichen. Dass Caldara ihnen dabei mit der ihm eigenen hartnäckigen Treue anhängt, ist ein nicht geringer Grund für seinen immensen Erfolg. Zunächst ist es Ferdinando Carlo Gonzaga, der Herzog von Mantua, der den vielversprechenden Musiker 1699 an seinen Hof holt. Von dort aus zieht Caldara nach Rom und tritt in die Dienste des Fürsten Ruspoli ein, der ihn 1709 zu seinem maestro di cappella macht. Die wohl bedeutendste Beziehung Caldaras zu einem fürstlichen Gönner aber ist die zu Kaiser Karl VI. in Wien. Erstaunlich, welche Mühen der Komponist auf sich nimmt, um in die Dienste der Wiener Hofkapelle treten zu können. Erste Bemühungen scheitern. Dann aber besinnt sich Caldara darauf, nicht gleich auf das höchste Amt zu zielen, wie Marcon erklärt: »In Wien wurde Caldara ab 1716 Vize-Kapellmeister, Johann Joseph Fux war der Erste Kapellmeister. Aber Caldara wurde viel höher bezahlt. Alle wussten: Der Hauptkomponist am Kaiserhof ist Caldara.«
Zwei Jahrzehnte lang bleibt Caldara in Wien, bis zu seinem Tod. Dem Hof verhilft er damit zu einer musikalischen Blüte, die ihresgleichen sucht. Karl VI. liebt die Oper, er komponiert und dirigiert vom Cembalo aus zahlreiche Aufführungen. Während dieser Jahre ändert sich Caldaras Kompositionsstil grundlegend, wie Marcon festgestellt hat: »Bis 1716 war sein Stil typisch italienisch, leicht und frisch. In Wien hatte aber der Kaiser Opulenz sehr gern. Das spiegelt sich auch in der sehr großzügigen Besetzung der Opern und Oratorien. Caldara sucht dort eher das Majestätische, den großen Klang.« Die instrumentalen Mittel, auf die er zurückgreifen kann, lassen solche Üppigkeit auch zu: Die hervorragenden Musiker der Hofkapelle sind auf einem Höhepunkt ihres Könnens. »Caldara war ein großer Kontrapunktiker, und wir wissen, dass der Kaiser diese intellektuelle Musik sehr gerne hatte. Er war fast ein deutscher Komponist, was Struktur und Stimmsatz betrifft.« In La concordia de’ pianeti steht allerdings weniger strenger Kontrapunkt im Vordergrund, sondern eher Klangpracht und italienische Leichtigkeit.
Bis La concordia de’ pianeti aufgeführt werden konnte, musste Andrea Marcon Unmengen von Mikrofilmen sichten: »Ich hatte die Idee, eine Serenata auszuwählen, ein sehr festliches Stück. Die Besetzung umfasst vier Trompeten, Pauken und natürlich Oboen. Das war für eine Open-Air-Aufführung gedacht.« Im November 1723 befand sich das Kaiserpaar auf der Rückreise von Prag, wo Karl kurz zuvor zum König von Böhmen gekrönt worden war. Am 19. November machte die Reisegesellschaft Halt auf Schloss Znaim in Südmähren, um dort den Namenstag von Kaiserin Elisabeth zu feiern. Aus diesem Anlass hatte Antonio Caldara ein neues Werk parat: La concordia de’ pianeti, keine Oper, sondern ein componimento teatrale, eine »theatralische Komposition«. Das Wienersche Diarium berichtet ausführlich über das Open-Air-Spektakel der Uraufführung: »Nach 5 Uhr kamen zum Kaiserl. Quartier zwey auf das herzlichste ausgezierte […] sehr hohe Triumph-Wägen; die Pferde waren mit kostbaren Schabracken und Feder-Buschen aufgeputzet; und die Wägen mit sher [sic] schönen von Gold und Silber untermischten Mahlereyen gezieret […]; auf welchen Wägen die Kaiserl. Vocal und Instrumental-Music davon die Personen in Opera-Kleidern sehr proper angezogen waren […] Um denen 2. Wägen herum stunden eine Menge in alt-Romanischen Kleidern angethane Personen weisse Wachsfackeln in Handen habend: und weilen die meisten aldortigen [Bewohner] dergleichen herzliche Vorstellung niemalen ihr Lebenlang gesehen ware der Zulauf dermassen häuffig dass die sonst grosse Stadt ihnen fast zu klein worden und die höchsten Dächer besetzet gewesen haben.« Spürten die Zuhörer, welcher unvergleichlichen Sphärenmusik sie lauschten? »Der berühmte Kastrat Giovanni Carestini, der auch Händels Ariodante gesungen hat, bestritt die Uraufführung«, erläutert Marcon. Carestinis Rolle (Apoll) wird hier von Franco Fagioli übernommen. Zwei weitere, die Herzen rührende Stimmvirtuosen waren damals der Tenor Gaetano Borghi in der Rolle des Merkur (Daniel Behle) und vor allem der Alt-Kastrat Gaetano Orsini als Jupiter (Ruxandra Donose), den Johann Joachim Quantz »einen der größten Sänger, die jemals gewesen«, nannte. Abgerundet wurde die hochkarätige Uraufführungsbesetzung durch Anna la Ambreuille als Venus (Delphine Galou), Domenico Genovesi als Diana (Veronica Cangemi), Pierin Cassati als Mars (Carlos Mena) und Christoph Praun als Saturn (Luca Tittoto).
»Dramaturgisch ist das Stück nicht komplex: Es geht um den harmonischen Frieden der Planeten, die miteinander über Kaiserin Elisabeth kommunizieren«, so Andrea Marcon. Um die Symbolik und die textlichen Andeutungen des Librettos richtig zu verstehen, ist es wichtig zu wissen, dass Kaiserin Elisabeth (hier »Elisa« genannt) zum Zeitpunkt der Aufführung schwanger war. Die Habsburger warteten damals dringlich auf einen männlichen Thronfolger (ein Wunsch, der nicht in Erfüllung ging). Die Introduzione (Nr. 1) ist eines der seltenen Beispiele für den Einsatz von Trompeten in einer Caldara-Ouvertüre. Der kraftvolle Chor »Oggi brillate« (Nr. 2) ist ritornellartig angelegt und besingt die zur Ruhe gekommene Natur und die Himmelssphären, die zu dem großen Festtag besonders hell erglühen sollen. Mit dem Chor »Questo giorno celebrate« (Nr. 18), der eine – wenn auch leichte – Zäsur im Stück markiert, ist es heraus, wer die sagenhafte, gefeierte Frau ist. Dass »Elisa« in freudiger Erwartung sei, macht nicht nur Merkur mit seiner Arie »Madre d’Amor tu sei« (Nr. 22) deutlich, sondern auch Jupiter (Nr. 32: »Goda il mondo«). Caldaras Arien sind ungemein eingängig. In diesem Zusammenhang besonders erwähnenswert ist sicher »Da mia tromba« (Nr. 28) mit obligater Trompete. Bei der Instrumentation hat der Komponist viel Phantasie walten lassen. In der Arie des Jupiter »Alla bontade« (Nr. 16) etwa setzt er Oboen und Fagott alternierend zu den Streichern ein, was aparte Dialoge und Echowirkungen ermöglicht. Eine Art musikalische Schlussvignette, eine Zueignung (Licenza, Nr. 35–37) rundet das musikalische Namenstagsgeschenk ab.

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