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MUSIK FÜR UND MIT KLAVIER
Als klavierspielender Komponist und komponierender Pianist steht Claude Debussy in der Tradition von Schumann und Chopin. Dementsprechend groß ist die Rolle des Klaviers in seinem OEuvre, sei es als Soloinstrument, vierhändig, zur Liedbegleitung oder in der Kammermusik. Dabei erhielt Debussy erst mit neun Jahren, also ziemlich spät, seinen ersten Klavierunterricht. Im folgenden Jahr wurde er am Pariser Conservatoire angenommen, wo er 13 Jahre lang Unterricht in Tonsatz, Gehörbildung und Klavier hatte. Was typisch für ihn wurde und vielen seiner Zeitgenossen in Erinnerung blieb, war sein ausgeprägter Hang zum Improvisieren und sein enormes Gespür für Klangfarben. »Er gab sich einer Überfülle von Akkorden hin … Es war ein Rauschen von extravaganten Arpeggien, ein Sprudeln von Trillern in beiden Händen auf drei Tönen zur selben Zeit. Mehr als eine Stunde lang saßen wir wie gebannt um das Klavier herum und hörten ihm zu«, erinnerte sich der Komponist Maurice Emmanuel, ein Mitstudent am Conservatoire.
Eben jene Klangfarben und zugleich virtuosen, perlenden Läufe sind charakteristisch für die Fantaisie für Klavier und Orchester, ein Frühwerk von Claude Debussy. Ihrer Struktur nach ein dreisätziges Klavierkonzert, ist sie Debussys einziger (wenn auch nicht so benannter) Beitrag zu dieser Gattung. Die Entstehungsgeschichte dieses Werkes beginnt im Oktober 1889 mit der Fertigstellung einer ersten Version und endet 30 Jahre später mit der Uraufführung am 20. November 1919 in London, also ein Jahr nach Debussys Tod; der Solist war damals Alfred Cortot. Ursprünglich hätte diese Erstaufführung bereits am 21. April 1890 in einem Konzert der Société nationale de musique stattfinden sollen, unter der Leitung von Vincent d’Indy. Ob es an dem sehr umfangreichen Programm lag oder an mangelnder Probenzeit – am Ende wollte d’Indy nur den ersten Teil der Fantaisie aufführen. Daraufhin entfernte der enttäuschte Komponist nach der letzten Probe alle Orchesterstimmen seines Werkes von den Pulten und schrieb an d’Indy: »Mir scheint, nur den ersten Teil der Fantaisie zu spielen … würde zwangsläufig eine falsche Vorstellung von ihr vermitteln.« Doch schließlich nutzte Debussy die Gelegenheit, um das Werk noch einmal zu überarbeiten, speziell das Finale, mit dem er ohnehin nicht zufrieden war.
Dass die argentinische Pianistin Martha Argerich – eine der größten unserer Zeit – ihre erste Aufnahme der Fantaisie gemeinsam mit Daniel Barenboim bestreitet, ist mehr als eine glückliche Fügung. Die beiden sind seit ihren Kindertagen in Buenos Aires befreundet, und ein bewegendes Zeugnis ihrer künstlerischen Zusammenarbeit aus jüngerer Zeit ist der Mitschnitt eines Konzerts von 2015 im legendären Teatro Colón von Buenos Aires, wo sie u. a. auch Debussys dreisätzige Suite für zwei Klaviere En blanc et noir spielten.
Auch zwei weitere Werke dieses Albums sind aufs Engste mit dem Klavier verbunden und spiegeln Debussys Entwicklung als Klavierkomponist, die ihren Abschluss in den 1915 entstandenen, Frédéric Chopin gewidmeten Études fand. Debussy war damals schon ein schwer kranker Mann, und in diese Zeit fällt auch die Entstehung seiner Cellosonate. Am 22. Juli 1915 schrieb er an seinen Verleger Jacques Durand: »Sie finden hier anbei ein Konzept, zu dem ich gern Ihre Meinung hätte und … Ihre Zustimmung?« Debussy plante sechs Sonaten für verschiedene Instrumente, von denen er letztlich jedoch nur drei vollendete: jene für Cello und Klavier, dann die Sonate für Flöte, Viola und Harfe und schließlich die Sonate für Violine und Klavier.
Die Cellosonate entstand tatsächlich unmittelbar nach der Ankündigung und innerhalb kürzester Zeit. Bereits am 5. August 1915 schickte Debussy sie an Durand und schrieb dazu: »Es ist nicht meine Sache, ihre Vortrefflichkeit zu beurteilen, aber ich liebe an ihr die Proportionen und die beinahe klassische Form – im schönsten Sinne des Wortes.« Ihre Pariser Erstaufführung erlebte die Sonate am 24. März 1917 durch Joseph Salmon am Cello und den Komponisten am Klavier.
Die Violinsonate zählt nicht nur zu den Spätwerken Debussys, sondern war sein letztes vollendetes Werk überhaupt; die drei anderen ursprünglich geplanten Sonaten komponierte er schon nicht mehr. Dass sich Debussy auf dem Titelblatt der Druckausgabe als »musicien français« bezeichnete, darf man getrost als Hinweis auf die nationale Bedeutung Frankreichs als Kulturnation verstehen – das Land befand sich seit dem 3. August 1914 im Krieg mit Deutschland. Gleichzeitig ist es auch ein programmatischer Hinweis auf Debussys bewusste Rückbesinnung auf die französische Musik, namentlich des Barock, als dessen Vertreter er Jean-Philippe Rameau besonders schätzte.
Ende Januar 1917 schickte Debussy den ersten Satz an seinen Verleger. Danach geriet die Arbeit jedoch ins Stocken, und für das Finale unternahm Debussy mehrere Anläufe, was schließlich zu einer verspäteten Abgabe führte, wofür er seinen Verleger brieflich um Verständnis bat: »Wollen Sie mir bitte verzeihen … ich musste dieses schreckliche Finale von Grund auf überarbeiten.« Am 26. März 1917 kam es endlich zur ersten Aufführung im Hause Durand. »Debussy spielte mir dann die endgültige Fassung mit dem exzellenten Geiger Poulet bei mir vor. Das war hinreißend!« Die Uraufführung in der Pariser Salle Gaveau am 5. Mai 1917 in gleicher Besetzung war einer der letzten öffentlichen Auftritte Debussys vor seinem Tod am 25. März 1918.
Kurz nach Vollendung des Klavierzyklus Estampes kündigte Debussy in einem Brief vom 12. September 1903 aus seinem Feriendomizil in der Bourgogne seinem Verleger an, er wolle »drei symphonische Skizzen für Orchester« mit dem Titel La Mer schreiben. Aber obwohl er sich unverzüglich an die Arbeit machte, sollten gut zwei Jahre vergehen, ehe La Mer im März 1905 von Durand gedruckt und veröffentlicht werden konnte. Debussy hatte zu dieser Zeit ein umfangreiches Pensum zu bewältigen, darunter die Wiederaufnahme von Pelléas et Mélisande an der Opéra-Comique in der Saison 1903/04 sowie die Fertigstellung des ersten Buches seiner Images für Klavier und von L’Isle joyeuse.
Die Pariser Uraufführung von La Mer am 15. Oktober 1905 ließ das Publikum recht ratlos zurück. Debussy war von Anfang an nicht sicher gewesen, dass Camille Chevillard der richtige Dirigent für diese Uraufführung sei: »Dieser Mann hätte Raubtierdompteur werden sollen.« Später, als Debussy sein Werk selbst zu dirigieren begann, setzte es sich beim Publikum durch, und heute gehört La Mer zu seinen meistgespielten Orchesterwerken.
Auch wenn es mit seiner Dreisätzigkeit formal dem Aufbau einer Symphonie mit Allegro, Scherzo und Finale entspricht, verzichtet Debussy doch auf die dafür charakteristischen Formelemente wie Exposition, Durchführung, Reprise und Coda. Dass die drei Bilder auch ohne musikalisch-thematischen Bezug zueinander als einheitliches Kunstwerk erscheinen, mag schon in der Anlage des Stückes begründet sein: Debussy ging es nicht um die Beschreibung des Meeres an sich, sondern um die Darstellung seiner breiten Charakterpalette von der stillen glatten Fläche bis zur wild sich aufbäumenden, ungestümen Urgewalt – ein idealer Tummelplatz für seine Instrumentierungskunst.
Thomas Otto
MUSIC FOR AND WITH THE PIANO
As a piano-playing composer and as a pianist who also wrote music, Debussy was part of a tradition that also included Schumann and Chopin. As a result the piano plays a major role in his output, whether as a solo instrument, in piano duets, in song accompaniments or in chamber music. It was in fact at a relatively late date in his life that the then nine-year-old Debussy received his first piano lessons. By the following year he had enrolled at the Paris Conservatoire, where he spent the next thirteen years, attending classes in piano, solfège (sight-singing) and harmony. Typically, what many of his contemporaries remembered most was his pronounced fondness for improvisation and his enormous appetite for tone colours. According to one of his fellow students at the Conservatoire, the composer Maurice Emmanuel, “He delivered himself of a welter of chords … A rustling of misshapen arpeggios alternated with a gurgling of trills on three notes simultaneously, in both hands. For more than an hour he held us under his spell while we stood round the piano.”
It is very much these tone colours and virtuosically ebullient scales that typify one of Debussy’s early works, his Fantaisie for piano and orchestra. Structurally speaking, it is cast in the form of a three-movement piano concerto and is its composer’s only contribution to the medium, even though he never explicitly called it a concerto. Its genesis began in October 1889 with the completion of its initial version and ended thirty years later with its first performance in London on 20 November 1919, a year after Debussy’s death. The soloist on that occasion was Alfred Cortot. The original plan was to introduce the piece to a Paris audience at a concert given by the city’s Société nationale de musique under the direction of Vincent d’Indy on 21 April 1890 but for reasons that are unclear – either the programme was simply too long or there was insufficient time to rehearse the new piece – this plan was abandoned when d’Indy announced that he would perform only the opening movement, whereupon a disillusioned Debussy removed all the orchestral parts from the players’ music stands following the final rehearsal and wrote to d’Indy, “It seems to me that playing just the first movement of the Fantaisie … must inevitably give a false impression of the whole.” In the end, however, Debussy seized the opportunity to revise the piece, especially the final movement, with which he had in any case never been entirely satisfied.
It is more than just a stroke of good fortune that the Argentine pianist Martha Argerich – one of the greatest pianists of our age – is making her first recording of the Fantaisie with Daniel Barenboim. Both musicians have been friends since their childhood days in Buenos Aires, and a recent testimony to their musical partnership is the live recording of a concert held in 2015 in the legendary Teatro Colón in Buenos Aires, where the two musicians joined forces to perform Debussy’s three-movement suite for two pianos, En blanc et noir.
Two other works in the present programme are closely bound up with the piano, in addition to which they reflect Debussy’s development as a piano composer, a development that ended in 1915 with the Études that he dedicated to Chopin. By then he was already seriously ill. This period also witnessed the composition of his Cello Sonata. He wrote to his publisher Jacques Durand on 22 July 1915: “Enclosed you’ll find a draft on which I’d value your opinion and … your consent?” Debussy was planning to write six sonatas for different instruments, although in the event he completed only three: the present sonata for cello and piano; a sonata for flute, viola and harp; and finally the sonata for violin and piano.
The Cello Sonata was written immediately after Debussy had announced his intention to Durand and was completed within an extremely short space of time. The composer was able to send it to Durand on 5 August 1915: “It’s not for me to judge its excellence but I like its proportions and its almost classical form, in the good sense of the word.” It received its first performance in Paris on 24 March 1917, when the cellist was Joseph Salmon, with the composer himself at the piano.
The Violin Sonata is not only one of Debussy’s late works, it is also the very last piece that he completed; the other three sonatas he originally planned were to remain no more than an idea. On the title-page of the first printed edition Debussy called himself a “musicien français”, a description we may confidently ascribe to his patriotic pride in France’s cultural identity: the country had been at war with Germany since 3 August 1914. At the same time the reference constitutes a programmatical pointer to the composer’s conscious interest in French music of an earlier period, especially that of the Baroque, a period that Debussy saw embodied in the figure of Jean-Philippe Rameau, whom he particularly admired.
Debussy sent the first movement to his publisher at the end of January 1917, but his work on the piece then faltered. He made several attempts to complete the final movement, with the result that he submitted the score later than he had agreed. He asked Durand to show forbearance: “Please forgive me … I had to subject this terrible finale to a thoroughgoing reworking.” The first private performance took place at Durand’s home in Paris on 26 March 1917. “Debussy then played me the definitive version with the excellent violinist Gaston Poulet at my place. It was thrilling!” The first public performance took place in the Salle Gaveau on 5 May 1917 with the same performers. It was one of Debussy’s final public appearances before his death on 25 March 1918.
Shortly after completing his cycle of piano pieces Estampes, Debussy wrote to his publisher on 12 September 1903 from his holiday home at Bichain in Burgundy and announced that he was planning to write “three symphonic sketches for orchestra” under the title La Mer. But, although he set to work at once, another two years were to pass before Durand was able to publish the piece in March 1905. This was a period when the composer’s workload was particularly onerous: not only did he have to superintend a revival of Pelléas et Mélisande at the Opéra-Comique in the 1903/4 season, he was also completing his first book of Images for piano and putting the finishing touches to L’Isle joyeuse.
La Mer was premiered in Paris on 15 October 1905 and left its audience bemused. From the outset Debussy had been unsure whether Camille Chevillard was the right conductor for the piece: “That man ought to have been a wild animal trainer.” Only when he began to conduct La Mer himself did it find acceptance. It is now one of his most frequently performed orchestral works. Its three-movement form suggests affinities with the Allegro, Scherzo and Finale of a symphony, but Debussy deliberately eschewed the formal elements that characterize sonata form and that include an exposition, a development section, a recapitulation and a coda. Moreover, all three parts appear as a unified work of art even without any musical and thematic links between them, a circumstance already grounded in the work’s overall design: Debussy was not interested in providing a naturalistic description of the sea as such but in depicting a broad range of characteristics extending from the tranquillity of the sea’s smooth surface to its violent and tempestuous primeval power – an ideal playground for his art of instrumentation.
Thomas Otto