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MUSIK FÜR EIN NEUES JAHRHUNDERT
Das vorliegende Album bildet einen Querschnitt durch das Komponieren in postmodernen Zeiten. Die vier hier versammelten Werke entstanden alle im Auftrag des New Century Chamber Orchestra (zum Teil in Kooperation mit anderen Institutionen), was zeigt, mit welcher Begeisterung sich dieses Orchester für neue Kompositionen engagiert. »Spontan würde man diese vier Komponisten wohl nicht miteinander in Verbindung bringen«, meint der Geiger Daniel Hope, seit 2018 künstlerischer Leiter des Ensembles. »Aber mit dieser Kombination feiern wir das Orchester und seine kreative Auseinandersetzung mit neuer Musik.«
Mit dem freudigen Elan seiner Anfangstakte fängt Overture das Wesen des Orchesters kongenial ein. Geschrieben zum 30. Geburtstag des Ensembles, arbeitet Jake Heggie in diesem Stück mit metrischen Verschiebungen und Synkopen, um das Anfangsthema mit seiner absteigenden Akkordbrechung aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Kurze Solopassagen, ein gezupfter Bass und plötzliche Lautstärkeänderungen sorgen für Abwechslung. Der etwas ruhigere Mittelteil wirkt wie ein Lied ohne Worte, vorgetragen von zwei Soloviolinen über einer raffinierten Begleitung der tiefen Streicher. Nach einer Reprise des Anfangsteils folgt ein rasanter Schlussspurt voll quirliger Sechzehntelfiguren, mehrfach unterbrochen von bohrenden Erinnerungen an das Hauptthema, bevor das Stück mit einem letzten Wirbel für das gesamte Ensemble schließt.
Heggie und Hope arbeiteten 2019 erstmals zusammen für den Liederzyklus Intonations, der durch das Buch Violins of Hope: Violins of the Holocaust (dt.: Die Geigen des Amnon Weinstein) inspiriert wurde. In der Folge wurden die beiden Musiker gute Freunde. »Ich wünschte mir ein neues Werk aus Anlass des 30-jährigen Bestehens des New Century Chamber Orchestra, mit dem wir auf unserer großen Europatournee im Sommer 2023 alle unsere Konzerte beginnen wollten«, erinnert sich Hope. »Und ich hatte das Gefühl, Jake wäre genau der Richtige für diesen Job. Außerdem illustriert die Verbindung dieses Auftragswerks mit dem Glass-Konzert sehr deutlich eine bestimmte Richtung der amerikanischen Musik im 21. Jahrhundert.«
Das Dritte Klavierkonzert von Philip Glass beginnt mit einer Einleitung des Soloklaviers, das Akkorde in der rechten Hand mit einer klangvollen Melodie in der linken Hand kombiniert. Bei der Wiederholung wird dieses Ausgangsmaterial vom Klavier mit chromatischen Skalen und triolischen Arpeggien angereichert, bevor ein Tempowechsel für deutliche Beruhigung sorgt. Eine wahre Flut von Arpeggien lässt die Spannung wieder steigen und mündet schließlich in einen Höhepunkt, der an den Beginn von Bernard Herrmanns Filmmusik zu Vertigo erinnert. Mit einem entspannten Nachspiel leitet das Soloklavier über zum Mittelsatz, einer romantischen Rhapsodie voll barock anmutender Akkordbrechungen, die durchzogen ist von den sehnsuchtsvollen Klängen einer harmonischen Molltonleiter. Aus der sich allmählich beruhigenden Solokadenz des Klaviers entwickelt sich nach und nach eine wiegende Zwei-Ton-Figur, die ihrerseits zum Pulsschlag des dritten, Arvo Pärt gewidmeten Satzes wird.
Das Werk entstand im Auftrag von insgesamt zwölf nordamerikanischen Ensembles, und das New Century Chamber Orchestra gab im Mai 2018 die Premiere an der Westküste. Solist der vorliegenden Aufnahme ist Alexey Botvinov. »Ich bin schon lange ein Fan von Philip Glass«, so Hope, »genau wie Alexey, er hat ein echtes Faible für diese Musik. Außerdem war es nach den Alben mit Musik von Schnittke und Silvestrov eine gute Gelegenheit, unsere Zusammenarbeit fortzusetzen.«
Die Musik von Mark-Anthony Turnage zeugt oft von Trauer und persönlichen Verlusten und natürlich ganz besonders in solchen Werken, die dem Gedenken an Familienmitglieder und Freunde gewidmet sind. Lament entstand als Reaktion auf den Tod von Trevor Showler, einem freischaffenden, mehrfach preisgekrönten Filmproduzenten und dem Lebenspartner von Turnages Verlegerin. Die einleitende Seufzerfigur der geteilten Streicher bereitet die Bühne für die Solovioline und ihre ausdrucksstarke Klage über den Verlust. Diese Seufzerfigur kehrt im Laufe des Stücks mehrfach wieder, zunächst als Abschluss der lyrischen Betrachtungen des Solisten und später, um eine von wachsender Spannung beherrschte Episode einzuleiten. Das Stück endet offen – mit einem musikalischen Fragezeichen und einem letzten schmerzerfüllten Aufschrei.
»Mark rief mich an, nachdem er das Doppelkonzert Shadow Walker für Vadim Repin und mich geschrieben hatte, und erzählte mir von einem neuen Stück, zu dem es schon einige Skizzen gab, die er jetzt orchestrieren wollte«, erinnert sich Hope. »Er schickte mir den ersten Entwurf der Solostimme von Lament, und ich war überrascht, wie lyrisch und ausdrucksstark dieses Stück klang, etwas, das ich von seiner Musik bislang nicht unbedingt kannte. Diesmal schlug er einen ganz anderen Ton an: sehr gefühlvoll, leidenschaftlich, als kehre er sein Innerstes nach außen. Mich beeindruckt immer wieder, wie viel seine Musiksprache der Vergangenheit verdankt, dabei aber gleichzeitig zu einer unglaublich zeitgemäßen Form des Ausdrucks findet.«
Seit ihrer ersten Zusammenarbeit Anfang der 2000er Jahre verbindet Tan Dun und Daniel Hope eine enge Freundschaft, und der kosmopolitische Komponist, dessen Musik die fiktiven kulturellen Grenzen zwischen Ost und West mühelos überwindet, willigte sofort ein, ein Stück für das New Century Chamber Orchestra zu schreiben. »Ich weiß ja, wie beschäftigt er ist, und hatte mich darauf eingestellt, dass er erst in fünf oder zehn Jahren Zeit dafür haben würde«, so Hope. »Aber dann rief er mich an und schlug vor, ein Tripelkonzert, das er für großes Orchester geschrieben hatte, zu überarbeiten und in eine neue, dynamischere Fassung zu bringen. Daraus wurde das Doppelkonzert, ein Auftragswerk für uns und das Odessa Classics Festival von Alexey Botvinov. Wir konnten es sogar noch in Odessa zur Aufführung bringen, ein paar Monate vor dem Krieg.«
Das Doppelkonzert für Violine, Klavier, Streicher und Schlagwerk besteht aus drei Sätzen, allesamt »Misterioso« überschrieben und miteinander verbunden durch eine Melodie, die aus der chinesischen Volksmusik stammen könnte. Der erste Satz startet mit wilden, motorischen Rhythmen, die vom Klang geschlagener Steine gerahmt werden. Diese Passage mündet in eine ruhige senza misura-Episode der Sologeige, die zum ersten Einsatz der melancholischen Volksliedmelodie überleitet. Im zweiten Satz erscheint diese Melodie in abgewandelter Form als Duett für Klavier und Geige, bevor sie von einem wilden Jazz-Rock-Riff hinweggefegt wird, einer dissonanten Episode mit klirrenden Klavier-Arpeggien und einer halsbrecherischen Schlusssteigerung. Im Finale begegnen wir vielen bereits gehörten Ideen wieder, und nach einer klangvollen Streichereinleitung, die von rebellischen Kontrabässen auf eine andere Bahn gelenkt wird, sorgt eine herrlich schwungvolle Version der chinesischen Melodie aus dem ersten Satz für den krönenden Abschluss.
Andrew Stewart
Das NEW CENTURY CHAMBER ORCHESTRA, seit seiner Gründung 1992 in der Bay Area von San Francisco ansässig, feiert in dieser Saison sein 30-jähriges Bestehen. Das Ensemble zählt zu einer Handvoll von Kammerorchestern, die ohne Dirigenten oder Dirigentin arbeiten. Musikalische Entscheidungen werden gemeinsam getroffen, was jeden Einzelnen zu einem starken Engagement inspiriert. Bekannt ist das New Century Chamber Orchestra nicht nur für meisterhafte Darbietungen der klassischen Kammermusik und seltener Preziosen, sondern ebenso von Jazz- oder Rocktiteln und der Neuen Musik. Gerade in diesem Bereich hat es zahlreiche Kompositionen in Auftrag gegeben und zur Uraufführung gebracht.
Unter der Leitung von Daniel Hope schärfte sich dieser Fokus. Bereits in der Saison 2017/18 arbeitete er mit dem Orchester zusammen. Zu Beginn der Saison 2018/19 wurde er zu seinem künstlerischen Leiter ernannt. Können, Innovation und die Bereitschaft zum kreativen Experiment zeichnen die gemeinsamen Aufführungen und Projekte aus.
MUSIC FOR A NEW CENTURY
The present album is a portrait of composition in postmodern times. Its quartet of pieces were all commissioned or co-commissioned by New Century Chamber Orchestra and stand as emblems of its wholehearted commitment to new work. “One might not automatically think of putting these four composers together,” notes violinist and New Century music director Daniel Hope. “But by doing so, we’re celebrating the orchestra and its creative engagement with new music.”
Overture captures the orchestra’s essential spirit in the joyful sweep of its opening. Jake Heggie’s 30th-anniversary piece plays with metrical shifts and syncopations to invigorate an initial theme built from the notes of a descending arpeggio. Short solos, pizzicato bass lines and sudden dynamic changes add textural contrasts to the picture. The score’s more relaxed central section conjures a song-without-words, expressed as a duet for violins against an exquisite accompaniment from lower strings. A return of the opening section is followed by a thrilling sprint to the finish, with quicksilver semiquaver figures punctuated by tantalizing reminders of the main theme and rounded out by a flourish for full ensemble.
Heggie and Hope first worked together in 2019 on Intonations, inspired by the book Violins of Hope: Violins of the Holocaust, and went on to become friends. “I wanted a celebratory work to mark New Century’s 30th anniversary and open our concerts during a major European tour in the summer of 2023,” the violinist recalls. “I felt that Jake would be the ideal person to ask. I also think that coup ling his New Century commission with the Glass concerto gives a clear snapshot of how certain American music sounds in the 21st century.”
Philip Glass’s Third Piano Concerto opens with a solo piano introduction comprising right-hand chords against a mellifluous lefthand countermelody. Glass reiterates his preliminary material and decorates it with chromatic scales and triplet arpeggios in the piano, before easing the mood with a marked change of tempo. The energy is restored with a flurry of arpeggios, including a climactic passage reminiscent of the start of Bernard Herrmann’s Vertigo soundtrack. The piano’s gentle postlude prepares the ground for the central movement, a romantic rhapsody encrusted with Baroque-style arpeggio figures and tinged with the yearning qualities of a harmonic minor scale. An unaccompanied piano cadenza slowly unwinds to reveal a rocking two-note figure which in turn becomes the heartbeat of the third movement, dedicated to Arvo Pärt.
One of twelve North American ensembles to have co-commissioned this work, New Century gave its West Coast premiere in May 2018 and performs it here with soloist Alexey Botvinov. “I have long admired Philip Glass’s music,” says Hope. “Alexey has too – he has a real affinity to it. I also wanted to continue our recorded collaboration after our Schnittke and Silvestrov albums.”
Personal grief has left its mark on the music of Mark-Anthony Turnage, explicitly so in works written in memory of family members and friends. Lament was created in response to the death of Trevor Showler, an award-winning independent film producer and partner of the composer’s publishing manager. Its opening idea, a sighing figure for divided strings, becomes the frame for the solo violin’s unsettling expression of loss; it recurs throughout the piece, at first to mark the conclusion of the soloist’s lyrical ruminations, later to launch an episode ruled by escalating tension. The piece ends with the musical equivalent of a question mark and a final cry of anguish.
“Mark called me after Shadow Walker, the double concerto he wrote for Vadim Repin and me, with an idea for a piece, based on something he’d already sketched and wanted to orchestrate,” Hope recalls. “He sent me the first draft of Lament’s violin part and it struck me immediately as being highly lyrical and expressive, which are not traits I would immediately associate with his music. This was different: deeply emotional, passionate, almost heart-on-sleeve. I’m struck by the way in which its musical language is inspired by the past, and yet still adheres to Mark’s singularly present form of expression.”
Daniel Hope and Tan Dun have forged a strong friendship since their first collaboration in the early 2000s. The cosmopolitan composer, whose music crosses the notional cultural borders of East and West with ease, readily agreed to the violinist’s request for a piece for New Century. “Knowing how busy he is, I expected to wait five or ten years for him to find the time to do it,” says Hope. “But one night he called me to suggest revisiting a triple concerto he’d written for a large-scale orchestra and creating a new, dynamic version of it. The Double Concerto came out of that conversation as a co-commission with Alexey Botvinov’s Odessa Classics Festival. We were even able to perform it in Odessa, a few months before the war.”
The Double Concerto for violin, piano, strings and percussion comprises three movements, each marked “Misterioso” and connected by a melody rooted in Chinese folk idioms. Storming motor rhythms, edged with the sound of struck stones, precede the calm of the first movement’s unmeasured violin solo and the debut of Tan’s melancholy folk tune. The latter resurfaces in modified form in the second movement as a duet for piano and violin before being blown away by a wild jazz rock riff, a dissonant episode with tinkling piano arpeggios and a breakneck acceleration to the end. Ideas already rehearsed rise again in the finale, prefaced by a sonorous introduction for strings that is deflated by disobedient double basses and crowned by a gloriously enlivened version of the first movement’s Chinese melody.
Andrew Stewart
Celebrating its 30th anniversary this season, NEW CENTURY CHAMBER ORCHESTRA has been resident in San Francisco’s Bay Area since its founding in 1992. One of just a handful of conductorless chamber orchestras in the world, the ensemble makes collaborative musical decisions, leading to an enhanced level of engagement from all involved. As well as giving masterful performances of the core chamber repertoire, New Century is known for reviving long-lost gems, experimenting with works from genres such as rock or jazz, and championing new music by commissioning, programming and premiering works by living composers.
Its commitment to contemporary music has grown even stronger under the leadership of Daniel Hope. The multifaceted artist and musical activist worked with New Century as artistic partner in the 2017–18 season, before being appointed music director, a role he took up at the start of the 2018–19 season. A shared passion for excellence, innovation and exploration has subsequently informed the performances and other projects he and New Century have undertaken.