Daniel Hope | News | Interview: Daniel Hope über "DANCE!"

Daniel Hope
Daniel Hope

Interview: Daniel Hope über “DANCE!”

04.12.2023
Daniel Hope über DANCE!
Ein Interview mit dem Künstler
Seit Langem fasziniert Daniel Hope der Tanz und dessen Kraft. Auf seinem neuesten Album führt der Geiger durch sieben Jahrhunderte Musikgeschichte und geht den Rhythmen nach, die den Körper bewegen und das Herz öffnen. DANCE! erscheint am 2. Februar 2024 bei Deutsche Grammophon.
Mehr als 20 Jahre ist es her, dass Hope der Gedanke kam, dem Thema Tanz ein Album zu widmen. Nun hat er sein Vorhaben verwirklicht und eine bemerkenswerte Anzahl an Stücken zusammengetragen. Seinem einstigen Konzept blieb er treu: Hope geht es um die universelle Bedeutung von Tanz und Rhythmus und um die Vielfalt, die darin zum Ausdruck kommt.
Die Musik hat Hope mit dem Zürcher Kammerorchester aufgenommen, dessen Musikdirektor er seit 2016 ist. In einigen Stücken ist das gesamte Orchester zu hören, während andere in kleineren, auf das jeweilige Werk oder Genre abgestimmten Besetzungen gespielt werden. Paul Bateman, mit dem Hope regelmäßig zusammenarbeitet, hat manche Stücke neu arrangiert. Und Hope hat musikalische Freunde aus aller Welt eingeladen, darunter Jenö Lisztes (Zymbal), Omar Massa (Bandoneon), Jacques Ammon (Klavier), Marie-Pierre Langlamet (Harfe) und Joscho Stephan (Swinggitarre).
In DANCE! spiegelt sich Hopes grenzenloses Interesse an unterschiedlichsten Stilen und Epochen der Musik. Diese Neugier hat er seinem Mentor, Lehrer und Freund Yehudi Menuhin zu verdanken. Und so umspannt das Repertoire auf diesem Album einen Zeitraum vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert: Musik, die einst Monarchen unterhielt, in Konzertsälen erklang oder auf Feldern, Straßen und in Kneipen ihren Anfang nahm bis hin zu rituellen Klängen, die Krankheiten und böse Geister bannen sollten. Es sind Melodien, die Menschen in guten wie in schlechten Zeiten zusammenbrachten und erfassten.
Die Vielfalt auf DANCE! ist bemerkenswert, es gibt die mittelalterliche Estampie, das barocke Menuett, den Hot Club Swing, Nuevo Tango, mit Wojciech Kilars Orawa selbst eine polnische Pastorale, die plötzlich zur Volksmusik wird. In Ihrem Programm spiegelt sich die eklektische Art des heutigen Musikhörens und die Leidenschaft der Menschen für den Tanz. Warum haben Sie sich entschieden, Ihr Album ganz dem Tanz zu widmen?
Ich habe dieses Projekt seit über 20 Jahren im Kopf – es ist ein alter Traum. Es war sogar eine meiner ersten Ideen für eine Aufnahme, die ich unterschiedlichen Labels vorgeschlagen habe, aber alle haben abgelehnt. Es ließ mich dennoch nicht los und ich suchte weiter nach Möglichkeiten, die Idee hierfür  umzusetzen. In all der Zeit habe ich mich weiter entwickelt und verändert, und die Welt auch. Zwar mache ich seit Anfang der 2000er Konzeptalben, aber damals waren sie nicht sonderlich angesagt. Jetzt auf einmal entsprechen sie den Hörgewohnheiten der Leute – und so dachte ich, dass es an der Zeit ist, diesen Traum in die Welt zu bringen.
Hat sich das Programm seither gewandelt?
Zumindest ist es umfangreicher geworden. Erst umspannte es 500 Jahre der Musikgeschichte – mir schien das schon anspruchsvoll genug! Aber dann tauchte ich noch tiefer in das Thema ein, studierte bestimmte Stile und Stücke. Ich wollte die Istampitta und die Rotta aus dem Lamento di Tristano dazunehmen, die in einer toskanischen Handschrift mit italienischen Tänzen aus dem 14. Jahrhundert überliefert sind, die heute in der British Library in London verwahrt wird. Wenn man einmal anfängt, merkt man, es  sich ließe sich immer noch mehr entdecken. So wunderbar das ist, irgendwann muss man sich entscheiden:  Wo man anfängt, wohin es geht und was man zum Ausdruck bringen will. Als ich mir meine alten Notizen für das Konzept noch einmal angesehen habe, stieß ich da interessanterweise auf den Satz, dass niemand wirklich weiß, woher der Tanz kommt; es ist jedoch allgemeiner Konsens, dass der Tanz eine der frühesten Formen des ästhetischen Ausdrucks gewesen sein muss.
Wir wissen, dass der Tanz mit Musik und einem sozialen Kontext verbunden ist sowie mit körperlicher Bewegung und menschlichen Migrationsbewegungen auf der ganzen Welt. Der Tanz wurde von Instrumenten begleitet, die leicht zu transportieren waren, etwa der Violine und ihren Vorläufern, sodass es geradezu einen Strom von populären Tanzstilen gab, die um die Welt gingen und schließlich in die westliche klassische Musik Eingang fanden. Die Tanzmeister an den italienischen Höfen des 14. und 15. Jahrhunderts erfanden einfach Variationen existierender Tänze und veröffentlichten sie in Tanzhandbüchern, die ihren eigenen Namen trugen. John Playfords Dancing Master war die erste veröffentlichte Sammlung englischer Landtänze. Sie erschien 1651 und dann über 80 Jahre hinweg. Sie erfuhr insgesamt 18 Auflagen. Und das sind nur einige Dinge, die in meiner Recherche den Anstoß zu DANCE! gaben. Immer wieder kam ich auf den grundlegenden Gedanken eines Programms zurück, das auf der Idee basiert, dass der Tanz das Leben jedes Menschen irgendwann einmal berührt.
Die Pandemie hat mir die Bedeutung des Tanzes noch klarer vor Augen geführt: Plötzlich haben wir alle erlebt, dass wir nicht mehr ausgehen können, uns nicht mehr körperlich ausdrücken dürfen und eingeschränkt sind in unserer Bewegung. Als die Konzertsäle endlich wieder offen waren, vor allem in Deutschland, wurde ein Tanzverbot verhängt! Und es war förmlich zu spüren, dass die Leute aufstehen wollten, um auf die Musik zu reagieren. Jetzt stelle ich fest, dass das Publikum ständig aufspringt und sich zur Musik bewegt. Die Leute sind heilfroh, dass sie Musik wieder live erleben. Bei unserem America-Projekt zum Beispiel hat das Publikum buchstäblich in den Gängen getanzt. Das habe ich vorher nie in einem klassischen Konzertsaal gesehen! Offenbar gibt es einen echten Drang nach Bewegung, ganz gleich ob die Menschen schlussendlich tanzen oder nicht.
Es beeindruckt, ein Orchester mit so viel Verve spielen zu hören. Wie fanden Ihre Kollegen vom Zürcher Kammerorchester das Programm?
Sie waren begeistert! Die Stücke setzten eine enorme Energie im Orchester frei, ebenso bei den fantastischen Musikern, die in den kleineren Besetzungen spielten. Vor 20 Jahren, als ich das erste Mal über das Album nachdachte, kannte ich die meisten von ihnen noch nicht. Umso dankbarer bin ich, dass wir uns begegnet sind und zusammenarbeiten konnten. Sie inspirierten mich, machten mir Mut, in ganz unterschiedlichen musikalischen Idiomen zu arbeiten, zu untersuchen, was Swing und Klezmer wirklich sind, wie man Tango durchdringt und spielt und so weiter. So fühlte ich mich bereit, auch erstmalig einige dieser Genre aufzunehmen, nachdem ich sie seit mehr als einem Jahrzehnt auf der Bühne gespielt habe. 
Es wäre eine Lebensaufgabe, alle Tänze zu katalogisieren, die veröffentlicht oder zu Papier gebracht wurden, und noch weit mehr, wenn es um die Tänze der Welt aller Länder und Ethnien ginge. Ihr neues Album bietet eine lebendige Momentaufnahme der Tanzmusik und zeigt, wie vielfältig der Tanz ist. Können Sie etwas darüber sagen, wie Sie Ihr einstiges Programm verfeinert und sich für die Tänze entschieden haben, die jetzt auf dem Album zu hören sind?
Die Stücke habe ich handverlesen – vieles von dem, was auf meiner Playlist von vor 20 Jahren stand, ist noch dabei, obwohl das Repertoire noch breiter ist als damals, und so wurden aus einer CD zwei. Es freut mich, dass auch die Deutsche Grammophon daran glaubt! Wir haben zwei Jahre an diesem Album gearbeitet, was Recherche und mögliche Arrangements angeht. Eine besondere Rolle gebührt Paul Bateman, ohne den es nicht zustande gekommen wäre. Er geht mit großem Respekt an die Originale heran, doch die Frische, die sich dann in seinen großartigen Arrangements findet, sucht ihresgleichen. Und Olivier Fourès ist nicht nur einer der besten Musikwissenschaftler, die ich kenne, sondern selbst ein professionell ausgebildeter Tänzer. Außerdem war es mir wichtig, Künstler für dieses Projekt zu gewinnen, mit denen ich schon immer zusammenarbeiten wollte – auch das brauchte Zeit. Wir haben eine ungeheure Menge an Repertoire eingespielt, sodass es nachher zur echten Herausforderung wurde, die Titel zusammenzustellen – auch weil die Musik so abwechslungsreich ist. Aber es war eine schöne Aufgabe, und wir glauben, sie ist uns gelungen.
Welches sind für Sie die bezeichnendsten Titel aus den jeweiligen historischen Perioden auf dem Album?
Lamento di Tristano ist ein Juwel aus dem Mittelalter. Die Handschrift, die wahrscheinlich den Medicis gehörte, enthält 15 monofone rein instrumentale Tänze, die zu den frühesten in der westlichen Musiktradition zählen. Ihre Einfachheit vermittelt ungeschminkt, was Tanz ist. Eine unbändige Energie wird durch eine grundlegende Struktur gestützt und durch Wiederholungen vorangetrieben. Das Gehirn, und damit der Körper, erkennt diesen rhythmischen Impuls augenblicklich. Und doch gibt es etwas fast Zeremonielles, das dazu beiträgt, die wilde Natur der Musik auszutarieren. Der »Marche pour la cérémonie des turcs« aus Lullys Musik zu Molières Ballettkomödie Le Bourgeois gentilhomme ist ein wunderbares Beispiel für barocken Tanz. Lully, der nicht nur ein begabter Tänzer war, sondern auch ein hervorragender Musiker, tanzte mit Ludwig XIV. und wurde der Musikmeister des französischen Königs. Das Ballett war mindestens seit den 1570er-Jahren Teil der höfischen Unterhaltung in Frankreich, aber Lully revolutionierte es als Kunstform. Zu seinen Aufgaben gehörte die Komposition und Produktion von immer aufwendigeren Balletten. Er beflügelte viele Komponisten, den Tanz ernst zu nehmen. Die Tanzbegeisterung in Europa, die sich dann durch die Epochen der Klassik und Romantik zog, wird ihm zugeschrieben.
Lullys »Türkischer Marsch« berührt auch die Verherrlichung von Aspekten des Kolonialismus und das Thema Migration. Das bringt uns zu Nicola Confortos Fandango, einer Tanzform, die wahrscheinlich von afrikanischen Sklaven in einer der spanischen Kolonien Südamerikas erfunden und Ende des 17. Jahrhunderts nach Europa gebracht wurde, wo sie als Tanz und Musik zur großen Mode wurde. Die Menschen waren geradezu besessen von dem, was andere als Gefahr für die Moral ansahen; die katholische Kirche drohte sogar mit Verboten. Im weiteren Sinn umfasste der Fandango so unterschiedliche Genres wie den kubanischen Bauernpunto, die Salonfandangos von Mozart und Scarlatti und sogar den andalusischen Fandango, dessen wesentliche Elemente Teil des Flamencos werden sollten.
Aus der klassischen Epoche begeistern mich besonders die Fünf deutschen Tänze von Schubert. Der Überlieferung nach improvisierte Schubert in Gesellschaft stundenlang verschiedene Tänze auf dem Klavier, ohne dass ihm die Ideen ausgingen. Und seine Ideen schäumen über in diesen Deutschen Tänzen, die Schubert 1813 im Alter von nur 16 Jahren zu Papier brachte. Am Ende des letzten Stücks klingt die Musik fast wie Schostakowitschs Achtes Streichquartett, so wie die Melodie zwischen As-Dur und G-Dur schwebt. Was für herrliche Stücke!
Auch die Tänze mit den kleineren Ensembles finde ich wunderbar. In ihnen konnte ich mit einigen der besten Musikerinnen und Musiker zusammenarbeiten, die ich kenne. In Astor Piazzollas Escualo war es der großartige Bandoneonspieler Omar Massa. Das Stück handelt von einem Hai, der Piazzolla an den Köder ging, als er eines Sommers in Punta del Este in Uruguay fischte. Der Hai ließ nicht locker:  Man hört, wie er in diesem verdrießlichen »Da-dah, da da-da-dah, da da-dah«-Rhythmus an der Angel zerrt.
Odessa Bulgar ist ein anderer Favorit von mir. Klezmer und Freilach überhaupt faszinieren mich seit Langem, aber dieses Stück lernte ich erst während der Pandemie durch meine Hope@Home-Serie kennen: Der Mandolinist Avi Avital schlug vor, es in einer der Folgen live zu spielen. Seitdem begleitet es mich. In diesem neuen Arrangement wollte ich die Klangwelt von Odessa Bulgar erweitern, indem ich ein Zymbal zu den Instrumenten hinzufügte. Man hört es typischerweise in Budapest, aber es ist auch in der Ukraine, der Slowakei und Rumänien verbreitet und seine Ursprünge lassen sich bis in den Orient und den Nahen Osten zurückverfolgen. Es führt vor Augen, wie Musiker verschiedener Länder und Kulturen in der Vergangenheit oft zusammenkamen, um die Tänze anderer zu spielen. Durch den renommierten Zymbalspieler Jenö Lisztes kamen völlig neue Töne auf dieses Album.
Besonders froh bin ich, dass wir Saint-Saëns’ Danse macabre aufgenommen haben: Ein echtes Meisterwerk und eine meiner Lieblingskompositionen. Die Vorstellung des »Totentanzes« stammt aus dem Mittelalter. Menschen glaubten, dass sie sich vor der Pest und anderen Krankheiten schützen könnten, indem sie tanzten und über das unausweichliche Ende des Lebens nachdachten. Der Danse macabre, der erstmals in der Literatur des späten 13. Jahrhunderts auftaucht, ist eine Allegorie des Todes. Es ist ein Tanz, der die Lebenden und die Toten vereint, ganz gleich ob arm oder reich. Die »Tanzwut von Straßburg« im Jahr 1518 zwang den Stadtrat, an verschiedenen Orten der Stadt eine Art Rave zu veranstalten. Es wurden sogar Musiker engagiert, damit die Menschen bis zur Ohnmacht tanzen konnten. Tanz und Tod hingen schon immer zusammen. Meistens ging es darum, böse Geister abzuwehren.
Bartóks Rumänische Volkstänze haben mich ebenfalls ein Leben lang begleitet. Ich spielte immer die Fassung für Violine und Klavier. Sie zusammen mit einem so guten Orchester aufzunehmen und zu sehen, wie alle vor Einfällen nur so übersprudeln, war eine wunderbare Erfahrung.
Dann Erwin Schulhoff: Wenn man sich die unfassbare »Alla Tarantella« aus seinen Fünf Stücken für Streichquartett von 1923 anhört, die wir auch in einer neuen Fassung für Streichorchester aufgenommen haben, wird einem klar, dass er versucht, alles Böse in der Welt abzuwenden. Er gestand Alban Berg, dass er vom profanen Tanz wie besessen war. Der Mann besuchte Tanzlokale der Weimarer Republik und durchtanzte die Nächte. Vielleicht war es eine Flucht vor den schrecklichen Realitäten der Straße, die Ende 1923 in München mit Hitlers Bierkellerputsch hervorbrachen und sich in den Gewalttaten fortsetzten, die den Aufstieg der Nazis begleitet haben.
Duke Ellingtons »It don’t mean a thing« eröffnet einem dann wieder eine ganz neue Perspektive auf Rhythmus und Harmonie. Die Gelegenheit, mit Joscho Stephan zu musizieren, einem der weltbesten Swing-Gitarristen, wird mir immer in Erinnerung bleiben. Ich habe ihn durch Hope@Home kennengelernt, es funkte sofort zwischen uns. Er beherrscht den Django-Reinhardt-Stil des Gypsy Jazz, und so war es sein Einfall, »It don’t mean a thing« zu spielen. Dazu ein kleiner Rückblick: Ich hatte das Glück, dass ich einmal erleben durfte, wie Stéphane Grappelli das Stück interpretiert; Grappelli ist für mich ein Gott, und obwohl ich sehr jung war, als ich ihn traf, war er ausgesprochen nett zu mir. Das Stück ist eine Hommage an ihn und an Ellington, der für mich eine der wichtigsten Figuren der Musik des 20. Jahrhunderts ist.
Es scheint, als wollten Sie den Blick auf die kulturellen Strömungen und Einflüsse öffnen, aus denen so viele Tanzformen hervorgegangen sind, die wir heute kennen. Abgesehen von der Vielschichtigkeit jedes einzelnen Stücks hat DANCE! etwas Universelles an sich, das unabhängig ist von Epoche oder Gesellschaft.
Unbedingt! Durch den Tanz begegnet man seinen Vorfahren über alle Jahrhunderte hinweg. Wenn man die Musik von Stéphane Grappelli, Django Reinhardt und deren Hot Club Quintet hört, kommt man tatsächlich mit der Musik der Roma in Berührung, die vermutlich um 250 v. Chr. aus dem heutigen indischen Bundesstaat Rajasthan ausgewandert sind. Ein weiterer faszinierender Aspekt der Tanzmusik ist die Art und Weise, wie bestimmte Rhythmen auf Menschen wirken. Deshalb habe ich Tänze mit komplexeren Metren studiert, zum Beispiel mit Takten von fünf oder sieben Schlägen. Sobald man aus den einfachen oder schematischen Metren in diese unregelmäßigen Taktarten wechselt, reagieren Körper und Hirn auf erstaunliche Weise. Manche frühesten Formen des Tanzes, die wir heute noch in der klassischen indischen Tanzmusik sehen, hatten einige der komplexesten Rhythmen.
Wir haben diesen gewaltigen Abschnitt in der menschlichen Evolution, in dem sich gesprochene Sprachen entwickelt haben. Wie konnten die Menschen ohne Sprache komplexe Emotionen und Gedanken kommunizieren? Durch Gesten und Bewegungen. So entstand wahrscheinlich der rituelle Tanz als Mittel zur Verständigung mit übernatürlichen Kräften, den Göttern oder Gott. Wie erwähnt, glaubte man, damit böse Geister abwehren zu können, um im Leben Frieden und Equilibrium zu wahren. Es überrascht mich keineswegs, dass antike Philosophen wie Aristoteles den Tanz so sehr schätzten und ihn zusammen mit der Musik auf eine Ebene mit Sprache und Dichtung stellten. Aus ihren Schriften wissen wir, wie die alten Griechen in ihrem Leben den Tanz nutzten, um die Götter zu preisen, sich vor Unheil zu schützen, die Jahreszeiten und öffentliche Anlässe einzuläuten und vieles mehr. Der Tanz erhält die Gesundheit und schützt Menschen vor Gefahren, das ist für ihn bezeichnend. Anschaulich wird das beispielsweise in der Tarantella, einem Tanz, der Menschen heilen sollte, die von der Tarantel gestochen worden waren. Diese Vorstellung, dass jemand, der vergiftet wurde, so lange zu Gitarren und Kastagnetten tanzen und singen muss, bis das Gift aus seinem Körper gewichen ist, fasziniert mich ungemein! Ich nehme an, das ist eine Metapher für Heilung durch Musik …
Man spürt an dieser Stelle den Geist Ihres Lehrers und Mentors Yehudi Menuhin und dessen Bereitschaft, Neues auszuprobieren.
Neugierde ist eine der größten Gaben, das  durfte ich von ihm lernen. Da meine Mutter eng mit Menuhin zusammenarbeitete, wuchs ich praktisch inmitten der Musiker auf, die in seinem Haus in Nord-London ein und aus gingen. An manchen Tagen versammelten sich die außergewöhnlichsten und verblüffendsten Runden. Man traf auf klassische indische Musiker, auf Studenten, chinesische Geigenspieler, Folkmusiker und mittendrin saß dann auch noch Wilhelm Kempff! Einfach ein bemerkenswerter Mix von Menschen – aber bei Yehudi war das völlig normal.
Ich wuchs damit auf, Stéphane Grappelli, Ravi Shankar und all diese außergewöhnlichen Künstler live zu erleben – und hatte nicht die geringste Ahnung, wer sie waren. Als ich mit zehn meinem russischen Geigenlehrer verkündete, dass ich Gershwins »Summertime« spielen wolle, antwortete er zu meinem Erstaunen: »Kommt nicht infrage.« Auf seinem Programm standen die Ševčík-Studien und das Tschaikowski-Konzert. »Seriöse Geiger spielen kein ›Summertime‹! Wir spielen klassische Musik.« Ich wusste nicht, was er meint. Mir war auch nicht klar, dass man sich entscheiden muss, auf welcher Seite man steht. Dieses Denken hat sich seither geändert – früher hielt sich hartnäckig der Verdacht, dass man die Aussage verwässert, wenn man sich für zu viele Dinge interessiert. Doch das Schöne am Tanz ist: Ganz gleich wer man ist und woher man stammt, wenn man in einem Raum zusammenkommt, spüren mit großer Wahrscheinlichkeit alle im selben Moment den Rhythmus und kommen in Bewegung. Nicht nur in der heutigen Welt sollten wir uns das regelmäßig bewusst machen.
 
 
 
Daniel Hope on DANCE!
An interview with the artist
Daniel Hope has long been fascinated by the power of dance to move and inspire. Taking listeners on a journey through seven centuries of music history, his latest Deutsche Grammophon album – DANCE! – celebrates the rhythms that have set bodies in motion and lifted hearts since time began.
Hope first came up with a dance-based album concept over 20 years ago. Revisiting it for this DG project, he widened the repertoire considerably whilst sticking closely to his original concept – the universal significance and diversity of both dance and rhythm. He recorded DANCE! with the Zürcher Kammerorchester, of which he has been Music Director since 2016; some tracks feature the full orchestra, while others are performed by smaller ensembles created to suit the work or genre in question. With new arrangements by Hope’s regular collaborator Paul Bateman, the album also boasts a stunning lineup of guest artists, including Jenö Lisztes (cimbalom), Omar Massa (bandoneon), Jacques Ammon (piano), Marie-Pierre Langlamet (harp) and Joscho Stephan (swing guitar).
DANCE! reflects the curiosity about all styles and periods of music that Hope inherited as a child from his mentor, teacher and friend Yehudi Menuhin. Ranging from medieval times to the 20th century, its repertoire includes music intended to entertain monarchs and to be heard in concert halls, tunes that began life in the fields and alehouses and on the streets, even dances with ritualistic elements designed to ward off disease and evil spirits – works that brought people together in good times and bad, and that literally danced their way into the hearts of everyone who heard them.
DANCE! spans an extraordinary variety of musical styles, from the medieval estampie and Baroque minuet to Hot Club swing, nuevo tango and the Polish folk rhythms of Wojciech Kilar’s Orawa. Its tracklist reflects the new, more eclectic ways that people listen to music today as well as the public’s growing passion for dance. Why did you decide to record an album devoted exclusively to dance?
This is a dream project that’s been on my mind for over twenty years. In fact, it was one of the first recording ideas I discussed with various labels, all of which turned it down! It’s been with me ever since and I’ve always wanted to find an outlet for it. I’ve changed and developed a lot over that period, as has the world. I started making concept albums in the early 2000s, at a time when they were not popular; I still make them, but now they are very much in tune with people’s ways of listening. So I thought it was finally time to turn my dream project into reality.
Has the programme changed since you first thought of it?
It’s definitely expanded. I began with 500 years of music and thought that was ambitious enough! But then I began to dig deeper and to research particular styles and pieces. I decided to add the Istampitta and Rotta from Lamento di Tristano, which are preserved in a Tuscan manuscript of 14th-century Italian dance now in the British Library in London. Of course, this could be an endless story of discovery. That’s fun, but at some point you have to decide where to start, where it’s going and what you’re trying to say. Interestingly, I returned to my earliest notes for the concept, which began with the proposition that nobody really knows where dance comes from; we are convinced, however, that it must have been one of the earliest forms of aesthetic expression.
We know that dance is linked inherently to music and to a social context, as well as to physical movement and the movement of peoples around the world. Dance was accompanied by easily portable instruments, such as the violin and its precursors, so there was a flow of popular dance styles that filtered around the world and eventually infiltrated western classical music. Dancing masters in the Italian courts of the 14th and 15th centuries simply invented variations on existing dances and published them in dance manuals bearing their own names. And John Playford’s Dancing Master was the first published collection of English country dances, starting in 1651 and spanning 18 editions over 80 years. These were just some of the elements that kick-started DANCE! during my research. I kept returning to the basic concept of a programme built around the idea of how dance touches everybody’s life at some point.
The pandemic further brought home the importance of dance to me: suddenly we all experienced not being able to go out or express things physically and being limited in movement. When the concert halls reopened, especially in Germany, they imposed a rule against people dancing! And yet you could sense people wanting to get up and react to the music they were hearing. Now I see audiences jumping up frequently and moving to the music. People are so happy to be back experiencing live music. We’ve had audiences literally dancing in the aisles for our America project, for example. I’ve never seen that before in a classical concert hall! I think there’s a real thirst for movement, regardless of whether people are dancers or not.
It’s great to hear an orchestra play with such verve. What did your Zürcher Kammerorchester colleagues think of the programme?
They loved it! These pieces brought out tremendous energy from the orchestra, as they did from the incredible musicians who joined me to form smaller ensembles. I didn’t know most of these musicians twenty years ago. I’m so thankful that I do now, and that we are able to work together. They inspired me and gave me the confidence to work in wildly different musical idioms, to examine what swing music and klezmer really are, how to understand and play tango and so on. This is also the first time I’ve recorded some of these genres before, even though I’ve been performing them for more than a decade.
It would take a lifetime to catalogue every dance that’s been published or written down and longer still to do the same for the world’s repertoire of folk and ethnic dances. Your new album offers a lively snapshot of the territory of dance music and shows just how diverse dance is. Can you say something about how you refined your original programme and chose the dances that are on the album?
I selected every piece of music myself. Much of what was on my original playlist from 20 years ago remains in the mix, although the repertoire is far broader than it was then, and from one initial CD a second has emerged. I looked closely at the original concept and realised that I was still convinced by it. I’m delighted that Deutsche Grammophon believes in it too! This album has been two years in the making in terms of the work that has gone into it, both research and arrangement. It would not have been possible without Paul Bateman. He has such respect for the original pieces but also brings a freshness to his extraordinary arrangements which is second to none. And Olivier Fourès is not only one of the greatest musicologists I know but is himself a professionally trained dancer. It was important to me to reach out to several artists I’d always wanted to collaborate with and that took time, too. We recorded a huge amount of repertoire, so it has been a challenge to decide on the exact tracklist, partly because the music is so varied. But it was a positive challenge to have.
What for you are the key tracks from each of the historical periods on the album?
Lamento di Tristano is a gem from the Middle Ages. The manuscript, which probably belonged to the Medici family, contains 15 untexted monophonic instrumental dances, which are among the earliest purely instrumental pieces in the Western musical tradition. Its simplicity conveys the raw feeling of what dance is. There’s relentless energy, which is supported by a basic structure and propelled by repetition. The brain, and therefore the body, recognises that rhythmic impulse immediately. And yet there’s an almost ceremonial quality about it which helps counterbalance the music’s wild nature. The “Marche pour la cérémonie des turcs” from Lully’s music for Molière’s comédie-ballet Le Bourgeois gentilhomme is an outstanding example of Baroque dance. Lully, who was a fine dancer as well as a superb musician, danced with Louis XIV and became the French king’s music master. Ballet had been part of court entertainment in France since at least the 1570s, but he revolutionised it as an art form. Among his responsibilities were the composition and production of increasingly elaborate ballets. Lully inspired so many composers to take dance seriously. He is partially credited with triggering the dance craze that hit Europe and ran through the Classical and Romantic eras.
Lully’s “Turkish March” also touches on the glorification of aspects of colonialism and on the subject of migration. That brings us to Nicola Conforto’s Fandango, which is a dance form probably invented by African slaves in one of Spain’s South American colonies and brought back to Europe by the late 1700s, where it became a popular dance and music craze. People became obsessed by what some considered to be a danger to morality; the Catholic Church even threatened to ban it. The fandango in the broader sense comprised genres as diverse as the Cuban peasant punto, the salon fandangos of Mozart and Scarlatti and even the Andalusian fandango, whose core components would become essential elements of flamenco.
From the Classical era, I particularly love Schubert’s five Deutsche Tänze. By all accounts Schubert improvised various dances on the piano for hours in company without ever running out of ideas. “Where he felt, music gushed forth,” as Robert Schumann once wrote about Schubert. And his ideas bubble up lavishly in these Deutsche Tänze, which Schubert put down on paper in 1813 at the age of 16. At the end of the last of them, the music almost sounds like Shostakovich’s Eighth String Quartet in the way the melody hovers between A flat and G. What magnificent pieces!
I also adore the dances we did with smaller ensembles, which gave me the chance to work with some of the finest musicians I know. Astor Piazzolla’s Escualo (“The Shark”) allowed me to make music with the great bandoneon player Omar Massa. It’s about the shark that took Piazzolla’s bait when he was fishing one summer in Punta del Este in Uruguay and wouldn’t let go! You can hear it tugging on the line in this nagging da-dah, da da-da-dah, da da-dah rhythm.
Odessa Bulgar is another personal favourite. I’ve long been obsessed with klezmer and the whole idea of freilach dance, but only got to know this piece during the pandemic, when I was filming my Hope@Home series. At the time the mandolin player Avi Avital suggested we play it live during one of the episodes and it’s stayed with me ever since. In this new arrangement I wanted to open up the sound world of Odessa Bulgar by adding the cimbalom, which you might typically hear in Budapest but is also common throughout Ukraine, Slovakia and Romania and has origins that can be traced back to the Orient and Middle East. It demonstrates how musicians from different places and cultures often came together in the past to play one another’s dances. Having the renowned cimbalon player Jenö Lisztes join us on this album created an entirely new sound world.
I’m particularly happy that we included Saint-Saëns’ Danse macabre. It’s a genuine masterpiece and one of my favourite compositions. This idea of the “Dance of Death”, which dates from the Middle Ages, comes from people thinking they could protect themselves from the plague and other diseases by dancing and contemplating the inevitable end of life. Initially present in late 13th-century literature, the Danse macabre is an allegory of Death. It shows a dance that gathers the living and the dead together, both rich and poor. The so-called “Dancing Plague” of 1518 in Strasbourg, France, forced the city council to organise a dancing mania at different locations around the city. They even brought in musicians to let people dance until they blacked out. Dance and death were always linked. Mostly it was about warding off evil spirits.
Bartók’s Romanian Folk Dances is another work I’ve known all my life. I’ve recorded the version for violin and piano, but it was a joy to record it together with an orchestra of this quality and to watch the ideas fly back and forth.
If you listen to the incredible “Alla Tarantella” from Erwin Schulhoff’s Five Pieces for String Quartet from 1923, which we also recorded in a new version for string orchestra, you get the sense that Schulhoff is trying to ward off all the evil in the world! He confessed to Alban Berg that he had a wild obsession with mundane dance. This fellow would go to the dance clubs of Weimar Republic Berlin and dance all night. It was perhaps an escape from the terrible things that were happening on the streets, which erupted in Munich at the end of 1923 with Hitler’s Beer Hall Putsch and continued with the aggression that accompanied the rise of the Nazis.
Playing Duke Ellington’s “It don’t mean a thing” invites a whole new perspective on rhythm and harmony. To have the chance to make music with Joscho Stephan, one of the world’s finest swing guitarists, was unforgettable. I got to know him through Hope@Home and we just clicked. He’s mastered the Django Reinhardt style of gypsy jazz. It was his idea for us to do “It don’t mean a thing”. I was lucky to hear Stéphane Grappelli play the piece; I idolised Grappelli and, even though I was very young when I met him, he was particularly kind to me. This track is as much a tribute to Grappelli as it is to Ellington who, for me, is one of the most important figures in 20th-century music.
It sounds as if you want to open minds to the cultural crosscurrents and influences that gave life to so many of the dance forms that we know today. Beyond the deep layers of information that each piece contains, whether it’s about a particular period or community, there’s something universal about DANCE!
Absolutely! Through dance one encounters one’s predecessors throughout the ages. When you hear the music of Stéphane Grappelli, Django Reinhardt and their Hot Club Quintet, you’re actually in to

Weitere Musik von Daniel Hope

Mehr von Daniel Hope