Daniil Trifonov | News | Interview: Valery Gergiev über Trifonovs Album "Silver Age" bei DG - Dezember 2020

Daniil Trifonov
Daniil Trifonov

Interview: Valery Gergiev über Trifonovs Album “Silver Age” bei DG – Dezember 2020

21.12.2020
Valery Gergiev über das Album Silver Age bei Deutsche Grammophon
Silver Age, das neueste Album von Daniil Trifonov, erinnert an die Musik, die in einer entscheidenden Phase der russischen Geschichte geschrieben wurde. Trifonovs Auswahl von Werken Skrjabins, Strawinskys und Prokofjews spiegelt die Innovation und Vielfalt wider, die das künstlerische Schaffen dieser Ära prägte. Begleitet vom Mariinsky Orchestra unter der Leitung von Valery Gergiev hat der Pianist unter anderem Skrjabins Klavierkonzert in fis-Moll op. 20 und Prokofjews Klavierkonzert Nr. 2 in g-Moll op. 16 eingespielt. Hier spricht der Dirigent Valery Gergiev über die Originalität und Bedeutung dieser Werke und ihren bleibenden Einfluss auf das Klavierrepertoire.
Valery Gergiev:
Zunächst einmal stimmt es zuversichtlich, dass dieses neue Album herausgekommen ist trotz der gerade auch für Musiker herausfordernden Zeiten mit ihren Absagen und Lockdowns. Daniil Trifonov hat zwei sehr unterschiedliche Klavierkonzerte eingespielt. Und auch die Komponisten, die diese Konzerte geschrieben haben, sind ganz verschieden voneinander. Obgleich beide Repräsentanten der Russischen Schule sind, entwickelten sich in Russland Ende des neunzehnten, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts einige sehr individuelle Charaktere. Es sind Komponisten, die nicht nur ihrem eigenen Land und ihrer eigenen Musiktradition viel gebracht haben, sondern der Musikwelt insgesamt.
Skrjabin beispielsweise war ein Träumer, ein Dichter, ein sehr aristokratischer Komponist. Er wurde nicht sehr alt, aber die Werke, die er gerade gegen Ende seines Lebens schrieb, sind unglaublich komplex komponiert. Prométhée, Le Poème de l’extase und die Symphonie Nr. 3 zeigen etwa, wie weit er hätte gehen können, wenn er noch zehn oder zwanzig Jahre gelebt hätte. Gerade Prométhée klingt selbst für unsere Ohren wie eine sehr moderne Komposition.
Das Klavierkonzert hingegen entstand in einem frühen Lebensabschnitt des Komponisten, der Anfangsphase seiner Karriere. Wird es so gut gespielt wie hier von Daniil Trifonov, erkennen wir, um was für eine interessante Komposition es sich handelt, durchaus wert, in den Katalog der großartigen Klavierkonzerte aus dieser Zeit aufgenommen zu werden. Wir sprechen hier von vielen, vielen Komponisten, nicht nur aus Russland, die das Klavierkonzert als äußerst interessantes Feld empfanden, das es zu erforschen galt. Und es gab viele große Virtuosen, die Komponisten wie Tschaikowsky, Brahms, Schumann oder Liszt inspirierten – obwohl Liszt selbst ein Virtuose war.
Auch Skrjabin war ein außergewöhnlicher Pianist, ebenso wie Rachmaninow. Wir sollten nicht vergessen, dass sie in der gleichen Klasse studierten, denselben Lehrer hatten, Nikolai Zverev. Deshalb steht Skrjabins Klavierkonzert neben den Konzerten von Rachmaninow und den frühen Konzerten von Prokofjew und den Klavierkompositionen von Strawinsky.
Es ist schön, dass auch Musik von Igor Strawinsky auf diesem Album zu hören ist. Ursprünglich wollten wir sein Klavierkonzert aufnehmen, und das werden wir sicherlich auch eines Tages mit Daniil machen. Denn es wäre interessant, die Konzerte von Strawinsky, Prokofjew und Skrjabin zu vergleichen. Und natürlich sind Rachmaninows Konzerte überaus beliebt. Daniil hat sie viele Male brillant gespielt, begleitet vom Mariinsky Orchestra unter meiner Leitung.
Sergei Prokofjews Klavierkonzert Nr. 2 ist eine gewaltige Komposition, ein Werk von viel größerer Tragweite als alle bisherigen Klavierkonzerte. Die große Kadenz im ersten Satz spricht für sich – sie klingt anders als alles, was vor und nach ihr entstand. In den letzten dreißig, fünfunddreißig Jahren habe ich die wachsende Popularität dieses Klavierkonzerts erleben dürfen, das große Interesse daran. Führende Pianisten spielen es überall auf der Welt in den Konzertsälen.
Daniil Trifonov stellt auf diesem Album seine eigene Lesart vor, die nicht im Geringsten dem herkömmlichen Pfad folgt. Daniil ist ein sehr origineller Musiker, ein sehr origineller Pianist, er ist selbst ein Komponist, was es umso interessanter macht, seine Interpretation dieses Konzerts zu erleben. Ich denke, dieses Werk wird noch viele Jahre zu seinem Repertoire gehören. Und das sollte es auch, denn es hat so viel zu bieten, und zwar nicht nur für ihn und seine Generation – die Tradition oder das Verständnis dieses Konzerts ist immer noch in der Entwicklung begriffen. Diese moderne Interpretation durch einen großen Pianisten, durch einen Vertreter seiner Generation – der dieses Stück auf die Bühne bringt und versucht, Prokofjews Gedanken zu lesen hundert Jahre, nachdem der Komponist sie zu Papier brachte – ist in diesem Prozess besonders wichtig.
Ich wünsche diesem Album allen erdenklichen Erfolg. Ganz sicher wird es von heutigen Musikliebhabern und Sammlern geschätzt werden, aber es wird auch ein Dokument für zukünftige Generationen sein: Das ist Trifonov, der zu diesem Zeitpunkt dieses Konzert spielt – wir schreiben das Jahr 2020. Vielleicht wird er es in fünf oder zehn Jahren anders spielen, aber für die Gegenwart ist diese Lesart von großer Bedeutung. So empfindet er in diesem Moment seines Werdegangs. Ich bin sehr glücklich über die Zusammenarbeit mit Daniil, sie begeistert mich. Es ist wirklich inspirierend, gemeinsam Musik zu machen und für ein einziges Projekt so unterschiedliche Werke zusammenzustellen. Viel Glück, Silver Age!
 
 
Valery Gergiev on Silver Age for Deutsche Grammophon
Pianist Daniil Trifonov’s latest album, Silver Age, pays tribute to music written during a pivotal period in Russian history. Its wide-ranging selection of works by Scriabin, Stravinsky and Prokofiev reflect the innovation and variety that characterised the artistic output of the era. For Scriabin’s Piano Concerto and Prokofiev’s Piano Concerto No.2 Trifonov was joined by the Mariinsky Orchestra and Valery Gergiev. Below, the conductor discusses the originality and importance of these works and their lasting impact on the piano repertoire.
Valery Gergiev:
First of all, it’s good to know that this new album has come out, even during such complicated times, with all the problems and cancellations and lockdowns that musicians are having to face. Daniil Trifonov plays two piano concertos, each very different from the other. And the composers who wrote these concertos are also quite different from one another – although they both represent the Russian School, at this point in time, the end of the nineteenth century and beginning of the twentieth, some very individual personalities were beginning to emerge in Russia, composers who brought a lot not only to their own country and musical tradition but also to the development of the music world as a whole.
For example, Scriabin was a dreamer, he was a poet, he was a very aristocratic writer. He didn’t live a very long life, but the works he wrote, especially towards the end of his life, are the most incredibly complex compositions. For example, Prometheus, The Poem of Ecstasy and Symphony No. 3 show just how far he could have gone had he lived another ten or twenty years. Prometheus in particular sounds like a very modern composition even today.
The Piano Concerto, by contrast, belongs to the early part of the composer’s life, the early stage of his career. When it’s performed as well as Daniil Trifonov plays it here, we can see what an interesting composition it is, worthy of being added to the gallery of fantastic piano concertos written around this time. We’re talking about many, many composers, and not only from Russia, who felt that the piano concerto was a very interesting field to explore. And there were many great virtuosos around to inspire composers such as Tchaikovsky, Brahms, Schumann or Liszt – although Liszt was a virtuoso himself.
Scriabin too was an exceptional pianist, as was Rachmaninoff: we shouldn’t forget that they studied in the same class, learned from the same teacher, Mr Zverev, and as a result his Piano Concerto stands alongside Rachmaninoff’s concertos and Prokofiev’s early concertos, and the piano compositions of Stravinsky. 
It’s good to know that Igor Stravinsky is represented on this album. We did originally plan to include his Piano Concerto, and we will certainly do it one day with Daniil. It will be even more interesting to compare the concertos of Stravinsky, Prokofiev and Scriabin. And of course Rachmaninoff’s concerti are super popular and Daniil has played them brilliantly many times with the Mariinsky Orchestra and me.
Sergei Prokofiev’s Piano Concerto No. 2 is a colossal composition, a work of much broader scope than any previous piano concerto. The gigantic cadenza in the first movement speaks for itself – it sounds like nothing else before or after this composition was born. Throughout the last 30 to 35 years I’ve witnessed the growing popularity of this piano concerto; there’s huge interest in it, with leading pianists performing it in many great halls around the world.
Daniil Trifonov offers his own reading on this album, one which displays not even the slightest intention to follow any so-called “routine” path. He’s a very original musician, a very original pianist. He’s a composer himself, and this makes it all the more interesting to experience his interpretation of this concerto. I think he’ll keep this work in his repertoire for many years to come – he should do, because it has so much to offer, and not only to him and his generation. The tradition, or understanding, of this concerto is still being developed, and this modern interpretation by a great pianist, a representative of his generation  – performing this piece and trying to read Prokofiev’s mind a hundred years after the concerto was written – is particularly important in that process.
I want to wish this album good luck on its journey. It will certainly be treasured by today’s music-lovers and collectors, but it will also stand as a document for future generations: this is Trifonov playing this concerto now – it’s 2020, and maybe in five or ten years’ time he’ll do it differently, but for today, this reading is hugely significant. This is how he feels at this point in his career. And I’m very happy and enthusiastic about working with Daniil – it’s really exciting to be making music together and to be putting such varied works together for a single project. So good luck, Silver Age!

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