Dustin O'Halloran | News | Pressetext: Dustin O'Halloran - Silfur - 11.6.2021 (VÖ) (DE/EN)

Dustin O_Halloran ©Anna Maggy Grimsdottir - Lead (2).jpg
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Pressetext: Dustin O’Halloran – Silfur – 11.6.2021 (VÖ) (DE/EN)

09.03.2021
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»Es gibt einen Unterschied zwischen der Zeit, in der man etwas macht, und der Zeit danach, wenn man entdeckt, dass etwas ganz Neues darin war.« Marcel Duchamp: The Afternoon Interviews
»Als Komponist«, sagt DUSTIN O’HALLORAN, »halten wir die Zeit fest: Das ist es, was Musik macht. Aber Zeit ist fließend; sie konserviert Musik nicht. Sie wird neu erlebt und wandelt sich. Viele Assoziationen sind an Musik geknüpft, aber wenn ich sie erneut spiele, durchlebe ich diese Momente nicht noch einmal. Ich erlebe die Zeit auf andere Art: Ich verbinde mich mit meinem jüngeren Selbst, aber jetzt – in der Gegenwart – und dadurch bringe ich etwas in die Musik ein.«
Auf SILFUR, seinem ersten Album für Deutsche Grammophon, setzt sich O’HALLORAN überlegt und inspirierend mit der Beziehung seiner Kunst zur Zeit auseinander. 15 Stücke sind zu hören. Sie erschienen fast ausnahmslos zuerst auf Piano Solos Vols. 1 & 2 (2004, 2006), Vorleben (2010) und Lumiere (2011). Jetzt wurden sie neu aufgenommen, vier von ihnen mit zusätzlichen Streicherarrangements. Aber auch zwei erst unlängst komponierte Stücke sind darunter, sie bilden Anfang und Ende dieser Reflexion. Dank eines Terminkalenders, der so lebendig ist wie seine Musik ruhig, hat sich für O’HALLORAN seit seinem letzten Album vor zehn Jahren viel verändert. Er hat Filme und Fernsehserien vertont und wurde ausgezeichnet: Er erhielt einen Emmy für das Titelthema von Transparent sowie Academy-Award- und BAFTA-Nominierungen für Lion, seine gemeinsame Filmmusik mit Hauschka. Sein Ambient-Duo A Winged Victory For The Sullen mit Adam Wiltzie von Stars Of The Lid brachte fünf Alben heraus, von denen einige auf Filmmusiken und Soundtracks basieren. SILFUR jedoch ist eine Rückkehr zum »Musikmachen um der Musik willen«. Sicher – auch die jüngeren Projekte waren für O’HALLORAN befriedigend. Doch räumt er ein, dass »man in Bezug auf die Kreativität auf einen anderen Teil seines Gehirns zugreift, wenn die Musik durch Reize entsteht. Gibt es kein Bild, keine Geschichte, spielt man nur mit der Zeit, dann ist das etwas völlig anderes. Die Arbeit an diesem Album war für mich wie ein Zurückdrehen der Zeit, um wieder Zugang zu finden zu einer reinen, kompromisslosen Sprache und auch um mir vor Augen zu führen, was einst mein Ausgangspunkt war.«
Tatsächlich hatte O’HALLORAN zunächst kein Interesse, sich noch einmal mit seinen älteren Kompositionen zu beschäftigen. Er gehört nicht zu denjenigen, die gern zurückblicken. Und ihm gefielen auch die Eigenheiten dieser frühen Aufnahmen, von denen einige mit begrenzten Mitteln und auf einem alten Klavier entstanden, während draußen die Vögel zwitscherten oder Vespas an dem italienischen Bauernhaus vorbeirasten, in dem er lebte und arbeitete. Doch auch Pragmatismus sprach für den Einfall. »Es gibt eine Menge Stücke, die ich weiterhin live spiele oder ein bisschen weiterentwickelt habe«, sagt er. »Durch das Projekt hatte ich die Gelegenheit, in sie mehr von dem hineinzulegen, was mir vorschwebte. Es gibt Momente auf den Originalaufnahmen, die ich trotz der schönen Stimmung schlichtweg nicht so gespielt habe, wie ich es wollte, oder es fehlte etwas Tiefe. Jetzt konnte ich sie finalisieren, damit sie für mich abgeschlossen sind. Es gab noch etwas, was ich einfangen wollte.«
Als O’HALLORAN tiefer in das Projekt eintauchte, bekam es einen intimen, fast metaphysischen Charakter. Wegen der Corona-Krise war er mit seiner Familie in Reykjavík gestrandet, wo er normalerweise nur einen Teil seiner Zeit verbringt, da er auch in Los Angeles lebt. Die Isolation entpuppte sich als Segen. O’HALLORAN beschäftigte sich damit, wie seine Umgebung das Verhältnis zu seiner Musik beeinflusst. »Ich habe viel über den tatsächlichen Raum nachgedacht, in dem man ist, wenn man aufnimmt oder schreibt«, sagt er, »und über die Beziehung zu dem Ort, an dem man sich geografisch auf der Erde befindet. Jeder Ort hat eine andere Resonanz, denke ich, und Island hat eine ganz besondere Resonanz, anders als andere Orte, an denen ich bisher war. Die Abgeschiedenheit, die Landschaft, die Vulkane … Alles hier. Es ist spürbar.«
Aus diesen Überlegungen ergab sich die Wahl der Studios. »Das sind nicht einfach nur Aufnahmen«, betont er. »Sie sind an Orten entstanden, mit denen ich mich verbunden fühle.« Für die ersten Sitzungen reiste er mit dem Toningenieur Francesco Donadello, mit dem er häufig zusammenarbeitet, in die Stille von Akureyri in Nordisland und verwarf den Plan in dessen Berliner Studio Vox-Ton aufzunehmen. Stattdessen entschied er sich für das isländische Kulturzentrum Hof und dessen Theater. Hier hatte er bereits einmal an Partituren gearbeitet und das Theater ist bekannt für seine bemerkenswerte Akustik. Von Akureyri kehrte er zurück in die Hauptstadt Islands, wo er in der alten hölzernen Fríkirkjan-Kirche zwei Nächte lang Stücke auf einem wunderbaren Steinway einspielte. An seiner Seite war Bergur Þórisson, musikalischer Leiter von Björk und Teil des Duos Hugar. Auch die Fríkirkjan-Kirche ist für O’HALLORAN von Bedeutung. Hier spielte er einst sein erstes isländisches Konzert, als er das Land zum ersten Mal besuchte. So schließt sich der Kreis der Zeit.
SILFUR enthält drei Stücke – »Opus 17«, »Opus 28« und »Opus 37« –, deren Streicherarrangements vom isländischen Siggi String Quartet gespielt werden. Schon vor Jahren standen O’HALLORAN und das Quartett gemeinsam auf der Bühne der Fríkirkjan-Kirche, diesmal aber gingen sie wegen der Akustik in die Víðistaðakirkja im Süden der Stadt. O’HALLORAN wandte sich auch an Bryan Senti, einen Freund, der »Opus 55« für eine zusätzliche Violine neu arrangierte, obgleich er wegen des Lockdowns seinen Part in Los Angeles aufnehmen musste. In einer neuen Komposition, »Constellation No. 2« (dem letzten Stück des Albums und dem letzten, das O’HALLORAN vor seiner Abreise aus Berlin aufnahm), spielt die Cellistin Gyda Valtýsdóttir mit, mit der er schon mehrfach zusammengearbeitet hat und die auch bei der ersten Tournee von A Winged Victory For The Sullen dabei war. Sogar die technischen Entscheidungen berücksichtigten die Vergangenheit: O’HALLORAN wählte bewusst analoges Vintage-Equipment und überantwortete Donadello, der das Album auch produziert hat, das Abmischen der Aufnahmen.
Angesichts der persönlichen Bedeutung dieser Orte, Musiker und Technik verwundert es kaum, dass O’HALLORAN über seine Arbeit im Fluss der Zeit nachdachte. Doch erst durch ein Geschenk, das er in Akureyri erhielt, kristallisierte sich – so wie in diesen Stücken – ein Gedanke heraus und bescherte ihm den Titel des Albums. Das Geschenk war ein einheimischer Kristall, der sogenannte Silfurberg. Wörtlich übersetzt heißt das Silberfels. »Er hat die einzigartige Eigenschaft, das Licht, das auf ihn trifft, zweifach zu brechen«, sagt O’HALLORAN, »eine Doppelbrechung. Ich habe viel darüber nachgedacht: Er macht mit dem Licht genau das, was ich bei der Zeit empfinde. Es spaltet sie in zwei Teile, aber im selben Moment: Gegenwart und Vergangenheit. Für mich war das eine schöne Art, das Album zu betrachten.«
SILFUR fängt diesen Zauber ein, wobei O’HALLORANs Offenheit, die zugleich Zurückhaltung ist, in einem subtilen, überraschend neuen Licht erscheint. Manchmal zeigt sich seine Bewunderung für andere Komponisten darin – seien es Bach, Debussy, Scarlatti, Chopin, Skrjabin oder, für ihn wichtig, Emahoy Tsegué-Maryam Guèbrou –, in diesen Kompositionen aber bleibt er dabei seinem eigenen unverwechselbaren, emotional transparenten Stil verbunden: in »Opus 17« von seinem ersten Soloalbum beispielsweise, das ihn im Soundtrack von Sofia Coppolas Marie Antoinette einst einem breiteren Publikum bekannt machte, und das hier sowohl in einer Soloklavier- als auch in einer Streichquartettbearbeitung vorliegt, oder im neuen Stück »Opus 56«, dessen Ruhe fast spirituell anmutet. Immer gelingt es O’HALLORAN, etwas Tiefgründiges zum Ausdruck zu bringen. Vielleicht lässt es sich nicht auf den ersten Blick fassen und doch ist es sofort erkennbar. Sein Geheimnis? Die Zeitlosigkeit seiner Klaviermelodien und der Raum, in dem er sie erneut erklingen lässt.
»Heutzutage fällt es mir schwer, Musik zu hören, die wirklich kompakt ist«, schließt er, »weil ich das Gefühl habe, dass wir in diesem Zeitalter mit all seinen vielen Informationen leben. Deshalb tendiere ich mehr und mehr zur Einfachheit, und ich habe das Klavier immer geliebt: Da muss man nichts hinzufügen. Es ist elementar und doch auch ein sehr komplexes Instrument. Es lässt sich so viel damit machen.« In O’HALLORANs Händen kann es die Zeit überdauern.
 
 
“That’s always the difference between the time you do a thing and the time after, when you discover that there was something entirely new in it.” Marcel Duchamp: The Afternoon Interviews
“As composers,” DUSTIN O’HALLORAN says, “we capture time: that’s what music does. But time is fluid; it doesn’t preserve music. It’s reexperienced and it changes. There are a lot of associations attached to music, but as I play it again I’m not really reliving those moments. I’m experiencing time in a different way: I’m connecting to myself years ago, but now, in the present, and I’m putting something back into the music.”
On SILFUR, his first album for Deutsche Grammophon, O’HALLORAN explores his art’s relationship with time in uncommon, thought-provoking fashion. All but two of its 15 pieces are new recordings of work first included on Piano Solos Vols. 1 & 2 (2004, 2006), Vorleben (2010) and Lumiere (2011) – four also feature additional string arrangements – yet, thanks to a schedule as busy as his music is often quiet, a lot has changed in the ten years that have intervened since that last record. He’s scored films and TV series – securing an Emmy for his Transparent title theme as well as Academy Award and BAFTA nominations for Lion, his collaborative score with Hauschka – while his ambient project with Stars Of The Lid’s Adam Wiltzie, A Winged Victory For The Sullen, has released five albums, some based on scores and soundtracks. SILFUR, however, embodies a return to “making music for music’s sake”. He’s found more recent pursuits unquestionably satisfying, but concedes that, “you’re accessing a different part of your brain creatively, making music by stimulus. When there’s no picture, no story, and you’re just playing with time, it’s completely different. Working on this record was like rolling back time to access that again, getting back to a pure uncompromised language and an understanding about where I came from.”
In truth, revisiting older compositions didn’t initially appeal to O’HALLORAN. For starters, he prefers not to look back, and he’s always been content with the idiosyncrasies of those early recordings, some made with limited resources on an old upright piano while birds sang outside or Vespas buzzed past the Italian farmhouse where he lived and worked. But, he says, developing this idea helped him realise certain practical advantages. “There are a lot of pieces I’ve continued to play live or carve out a little bit more,” he says, “and this was a chance to give them more of what I intended. There are some moments on the original recordings that, even though there’s a great atmosphere, I just didn’t play the way I wanted, or there was some depth missing. This was an opportunity to try to finalise them in a way that I could put them to rest, because there were things I wanted to see if I could capture.”
As O’HALLORAN delved deeper, this process took on a rather more intimate, metaphysical character. At the beginning of the Coronavirus crisis, he’d found himself marooned with his family in Reykjavík, Iceland, from where he normally splits his time with Los Angeles, and, as he began to acknowledge that its isolation was a blessing, so he began to reflect upon how his setting affected his bond with these pieces. “I thought a lot about the physical space that you’re in when you record or you’re writing,” he says, “and your connection to where you are geographically on the planet. I think every place resonates differently, and Iceland has a very specific resonance, more than any place I’ve been. The lack of people, the landscape, the volcanoes… Everything here, you just feel it.”
Consequently, O’HALLORAN chose his studios carefully. “These are not just recordings,” he emphasises. “They’re done in locations I connect with.” For his first sessions – joined by frequent collaborator in sound Francesco Donadello, in whose Berlin studio, Vox-Ton, they’d intended to record before Covid−19 arrived – he travelled to the peaceful surroundings of Akureyri, Northern Iceland, and its cultural centre, Hof, where he’d previously worked on scores in its theatre, which is famed for its remarkable acoustics. From there he returned to the capital, where he spent two nights recording with Bergur Þórisson – half of Hugar, and also Björk’s current musical director – on a distinguished Steinway piano in the old, wooden Frikirkjan church. This, too, had personal connotations: it was the venue for his earliest Icelandic concert, performed the very first time he visited. Time was spinning loops.
He chose his accompanying players wisely too. SILFUR features three pieces – ‘Opus 17’, ‘Opus 28’ and ‘Opus 37’ – whose string arrangements are performed by Iceland’s Siggi String Quartet, with whom he’d played all those years ago at the Frikirkjan church, although this time he selected another church, Víðistaðakirkja, south of the city, for its acoustic qualities. He also turned to Bryan Senti, a friend who’d arranged ‘Opus 55’ for additional violin, though lockdown forced him to record his part in Los Angeles. In addition, a new composition, ‘Constellation No. 2’ – the album’s final piece, and also the last O’HALLORAN recorded before leaving Berlin – features cellist Gyda Valtýsdóttir, with whom he’s collaborated a number of times and who took part in A Winged Victory For The Sullen’s first tour. Even his technical choices took the past into account: a conscious choice was made to employ vintage analogue equipment, with Donadello – who also produced the album – mixing the recordings to tape.
Given the personal significance of these venues, musicians and techniques, it’s hardly surprising O’HALLORAN became sensitive to his work’s relationship with history. It was, however, a gift he received in Akureyri which not only helped him crystallise his thoughts – just as he was these pieces – but which also presented him with the album’s title. No wonder: it too, appropriately, was a crystal, Silfurberg – ‘silver rock’, also known as Iceland spar – which is native to Iceland and notable for its birefringent properties. “It reflects light into two,” O’HALLORAN explains, “a double refraction. I thought about this a lot: it’s creating with light the way that I’m feeling about time. It’s splitting it into two, but at the same moment: the present and the past. I thought that was a beautiful way of looking at this record.”
SILFUR captures such magic, with O’HALLORAN’s elegant candour and unusual restraint showcased in a subtle but startling new light. Sometimes his love for other composers surfaces – whether that’s Bach, Debussy, Scarlatti, Chopin, Scriabin or, he recommends eagerly, Emahoy Tsegué-Maryam Guèbrou ­– but these compositions remain simultaneously true to his own unique, emotionally transparent style. Whether it’s his first solo album’s ‘Opus 17’ – which, as part of the soundtrack to Sofia Coppola’s Marie Antoinette, originally helped bring him to a wider audience, and which is here reworked in both solo piano and string quartet arrangements – or a new piece, ‘Opus 56’, whose tranquillity is almost spiritual, he’s able to articulate something profound, albeit indefinable, yet instantly recognisable too. His secret? The ageless nature of his piano melodies, and the space in which he allows them to resound.
“These days I find it hard to listen to music that’s really dense,” he concludes, “because I feel like we’re in this age of so much information. So I gravitate towards simplicity more and more, and I always loved the piano: there’s nothing else to add. It’s so elementary, and yet it’s also a very complex instrument. There’s always so much you can do with it.In O’HALLORAN’s hands, as a matter of fact, it can even transcend time.

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