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HINGABE IN BILDERN UND TÖNEN
Dieses Album ist ein musikalisches Reifezeugnis und Debüt zugleich. Nach zahlreichen Orchesteralben widmet sich Elīna Garanča zum ersten Mal ausschließlich dem Liedgesang – in einer Phase, in der die lettische Mezzosopranistin gleichzeitig mit schwergewichtigen Verdi- und Verismo-Arien auf der Bühne triumphiert und ihre erste Wagner-Partie quasi ante portas steht. „Ich liebe Kontraste“, sagt Garanča, und das sei schon immer so gewesen. Gerade jetzt möchte sie neben den ausladenden Opernpartien auch ganz andere Facetten erkunden. „Ich will auch das Gegenteil zeigen: dass ich immer noch flüstern kann und zart und weich und intim sein; dass auch drei Noten im Klavier und eine feine Melodie die Welt bedeuten können.“
Elīna Garanča schätzt und beherrscht beides – die ausladende Expressivität der großen Oper und die fragile Intimität des Liedgesangs. „Das Lied ist für mich die Natur, in der wir uns selbst begleiten, beobachten und erkennen. Wir sind dort mit unseren persönlichen Gefühlen ganz für uns, ohne direkten Kontakt zum Gegenüber zu haben wie etwa in der Oper, wo das Beziehungsdrama oder die Emotionalität von deinen Bühnenpartnern als Antwort erwartet oder als unmittelbare Reaktion eingefordert wird. Die Sehnsucht und die Fantasie haben im Lied keine Grenzen. So haben wir als Sänger unendlich viele Möglichkeiten, etwas ganz Persönliches immer wieder neu zu erzählen.“
Für ihr erstes Solo-Recital-Album hat die Mezzosopranistin mit Schumann und Brahms zwei Komponisten ausgewählt, deren Werke sie seit vielen Jahren begleiten. „Ich möchte mit diesem Album meine eigene Interpretation zum klassischen deutschen Liedrepertoire geben; ein Statement aus der Außenperspektive gewissermaßen, weil die deutsche Sprache ja nicht meine Muttersprache ist“, so Garanča. Die Innigkeit ihrer Textinterpretation schwächt dieser Umstand nicht – im Gegenteil. Die Poesie der Worte steht für Elīna Garanča immer ganz am Anfang der Auseinandersetzung mit einem Lied. „Es ist eigentlich immer der Text, der bei mir die Emotionen hervorruft und ich muss ihn wirklich lieben, um ihn immer wieder neu deuten zu wollen.“ Für die ganz unterschiedlichen Tonsprachen von Brahms und Schumann findet die Interpretin ein eindrückliches Bild. Bei Schumann gleiche die Stimme einem Boot auf einem Fluss. Sie werde häufig getragen von der Begleitung, die ihr helfe, in Einklang mit dem Klavier über das Wasser zu gleiten – anders als bei Brahms. „Bei Brahms ist der Fluss selbst die Stimme“, sagt Garanča. „Sie wird oft stürmisch mitgerissen und bricht immer wieder aus dem Zusammenhang von Klavier und Stimme aus.“ Mit dem Pianisten Malcolm Martineau hat die Sängerin beim Ausloten dieser Klangwelten einen hochsensiblen und versierten Begleiter an ihrer Seite, mit dem sie bereits seit Längerem intensiv zusammenarbeitet.
Das Herzstück dieses Albums ist Robert Schumanns Frauenliebe und Leben op. 42, eine musikalische Vertonung der Hingabe an die Liebe. Vom ersten zarten Blickkontakt über die Eheschließung und die Geburt des Kindes bis hin zum Tod des Gatten, erzählt der 1840 komponierte Lieder-Zyklus von den verschiedenen Stationen im Leben einer Frau. Für Garanča stand von Beginn an fest, dass dieses Werk Teil ihres Recital-Albums sein solle. Schon als Kind hat die Sängerin den Zyklus bei ihrer Mutter kennen- und lieben gelernt. Nun sieht sie sich selbst an einem Punkt, an dem sie sagen kann: „Das ist meine ganz persönliche Version dieses Zyklus. Ich bin die Frau, die dieses Lieben und Leben singen kann und ausfüllen mit all dem, was ich selbst schon erlebt habe.“ Dabei gleiche der Zyklus einer endlosen Reise, die man in jedem Alter durchmachen könne und die mit jeder weiteren Lebenserfahrung immer wieder neu und noch intensiver erlebt werden kann. „Mit zunehmender Reife erschließen sich mir bestimmte Aspekte anders“, so Garanča, „und ich kann mich intensiv identifizieren mit den verschiedenen vertonten Facetten der Hingabe“. Schlüsselstück und Wendepunkt zugleich ist aus Sicht der Sängerin das vierte Stück des Zyklus „Du Ring an meinem Finger“. „Diese Entscheidung, den letzten Schritt zu machen und in die Ehe zu treten, ist der Kern, auf dem alles Weitere aufbaut. Es ist eine Lebensentscheidung.“ Die oft geäußerte Kritik an dem angeblich traditionellen Frauenbild in den vertonten Texten kann Garanča nicht nachvollziehen. „Es geht hier nicht um Unterdrückung oder Aufopferung. Das sind nicht die richtigen Worte. Es geht vielmehr im ganz positiven Sinne darum, sich liebend hingeben zu wollen“, und diese weichen und zarten Seiten des Frau- und Mensch-Seins wolle sie in ihrer Interpretation betonen. „Man muss viel Mut haben, um sich freiwillig, liebend und aufopfernd hinzugeben“, so Garanča. Dies sei nur möglich, wenn man einander vollkommen vertraue und Frauenliebe und Leben erzähle genau davon. Hier gehe es um das Aufgehen seiner selbst in eine ganz andere emotionale Ebene, etwas, was sich nicht im direkten Wortsinn widerspiegelt und leider oft falsch gedeutet wird.
Neben dem Schumann-Zyklus widmet sich die Künstlerin auf dem Album einer Auswahl von Brahms-Liedern, die ganz unterschiedliche Emotionen und Stimmungen ausdrücken. Ob in Liebestreu op. 3 Nr. 1, Geheimnis op. 71 Nr. 3, Heimweh II op. 63 Nr. 8 oder Von ewiger Liebe op. 43 Nr. 1 – das Spektrum an Klangfarben in den konzentrierten Miniaturen scheint unerschöpflich. „Die Musik von Brahms ist wie ein goldener Balsam, der sich auf die Stimme legt“, sagt Garanča, und die Harmonien seien so reich, dass sie bei der Gestaltung der Lieder oft orchestral denke. Auf dem Album wollte sie verschiedenste Gefühlszustände nebeneinanderstellen: „Lieder von Zorn und Bitterkeit, von Naivität und Sehnsucht, von tiefer Zärtlichkeit und schwebendem Glück“. Die musikalische Ausdeutung dieser Emotionen sei bei Brahms sehr naturverbunden und trage eine große Erdigkeit in sich, was ihr sowohl stimmlich als auch menschlich sehr nahekomme. „Brahms berührt mich immer. Er ist echt, ernsthaft und wahrhaftig.“
Was als Klang beim Hörer ankommt, entsteht in Garančas Kopf in farbintensiven und sinnlichen Bildern. „Ich höre Musik ausschließlich in Bildern. Das war schon immer so“, erzählt die Sängerin. Oft habe sie dabei Naturimpressionen im Kopf und die jeweiligen Farben und die jeweilige Atmosphäre der imaginierten Bilder sind essentielle Grundlage für ihre Interpretation. Der Zyklus Frauenliebe und Leben besteht bei Garanča aus ganz persönlichen Impressionen: erinnerungsreichen Schlüsselszenen ihrer eigenen Lebens- und Liebesgeschichte, die sie beim Singen bewusst wieder heraufbeschwört und dadurch eine einzigartige Intensität erreicht. „Ich versetze mich dann quasi von außen in die jeweilige Szene und versuche singend zu beschreiben, wie ich mich in diesem Bild sehe“, sagt Garanča. Dies sei ein Zustand absoluter Hingabe. „Ich kann mich nicht nur mit einem Fuß in das Bild hineinbegeben. Ich versinke dann ganz im Moment.“ Es ist eine Hingabe in Bildern und in Tönen.
Dorothea Walchshäusl
A TOTAL SURRENDER TO IMAGES AND SOUNDS
This album is both a debut and a proof of musical pedigree. After numerous orchestral albums, for the first time Elīna Garanča devotes an entire disc to lieder – in a phase in which the Latvian mezzo-soprano triumphs on stage with heavyweight Verdi and verismo arias while essentially on the verge of her first Wagner role. “I love contrasts,” says Garanča, and that’s how it has always been. Especially now, she would like to explore completely different facets of vocal repertoire in addition to large-scale opera roles. “I also want to demonstrate the opposite: that I can still whisper and be tender and soft and intimate; that three notes on the piano and an intricate melody can mean the world.”
Elīna Garanča appreciates and is the mistress of both the full-blown expression of grand opera and the fragile intimacy of lieder. “For me, the lied is the natural state where we accompany, observe and recognize ourselves. We are there with our personal feelings, left to ourselves without the direct contact with others experienced, for example, in opera, where you’re expected to respond to changing dramatic relationships or to the emotional state of your stage partners or where an immediate reaction is called for. There are no limits to longing and imagination in lieder. Time and again, as singers we have endless possibilities for conveying something quite intimately.”
For her first solo recital album, the mezzo-soprano has chosen two composers – Schumann and Brahms – whose works have been with her for many years. “With this album I would like to add my own interpretation to the classical German song repertoire; a statement from the perspective of an outsider, so to speak, because the German language is not my mother tongue,” says Garanča. This situation does not weaken the intimacy of her text interpretation – on the contrary. For Elīna Garanča, the poetry of the words always stands at the very beginning of her encounter with a song. “It is actually always the text that stirs my emotions and I really have to love it in order to want to reinterpret it each time I perform it again.” The performer invokes a captivating image for the completely different tonal languages of Brahms and Schumann. With Schumann, her voice resembles a boat on a river: she often seems to be carried by the accompaniment, which helps her glide across the water in harmony with the piano part. The effect is different with Brahms. “The voice itself is the river with Brahms,” says Garanča. “Then I am often swept away and repeatedly break free of the connection between piano and voice.” With pianist Malcolm Martineau as a highly sensitive and experienced accompanist of many years, she plumbs the depths of these tonal worlds.
The heart of this album is Robert Schumann’s Frauenliebe und Leben op. 42, a musical setting about devotion to love. From the first tender eye contact to marriage and the birth of a child to the death of her husband, the song cycle, composed in 1840, tells of the various stages in a woman’s life. For Garanča, it was clear from the start that this work should be part of her recital album. Already as a child, the singer had come to know and love the cycle at her mother’s knee. Now she sees herself at a point where she can say: “This is my very own version of this cycle. I am the woman who can sing this love and life and fill it with everything that I have already experienced myself.” The cycle is like an endless journey that you can go through at any age and that can be experienced anew and even more intensely again and again with every further life experience. “As I mature, certain aspects open up to me differently,” says Garanča, “and I can identify intensely with the various facets of devotion set to music.” From the singer’s point of view, the fourth piece in the cycle, “You, ring on my finger”, is both a song of central importance and a turning point. “This decision to take the final step and get married is the foundation on which everything else is built. It is a life choice.” Garanča cannot understand the frequently expressed criticism of the supposedly traditional image of women in the texts that have been set to music. “This is not about oppression or sacrifice. These are not the right words. Rather, in a very positive sense, it is about wanting to surrender yourself lovingly” and in her interpretation she wants to emphasize these gentle and delicate aspects of being a woman and being human. “You have to have a lot of courage to surrender yourself freely, with love and self-sacrifice,” says Garanča. This is only possible if you trust each other completely and Frauenliebe und Leben is about precisely that. It is about transferring yourself to a completely different emotional level, something that is not reflected in any literal sense of the word and, unfortunately, is often misinterpreted.
In addition to the Schumann cycle, on this disc Garanča also dedicates herself to a selection of Brahms songs that express very different emotions and moods. Whether in Liebestreu op. 3 no. 1, Geheimnis op. 71 no. 3, Heimweh II op. 63 no. 8 or Von ewiger Liebe op. 43 no. 1, the range of timbres in the concentrated miniatures seems inexhaustible. “Brahms’s music is like a golden balm that enriches the voice,” says Garanča. And the harmonies are so rich that she often thinks orchestrally when interpreting the songs. On the album, she wanted to juxtapose sharply distinct states of emotion: “Songs of anger and bitterness, of naivety and longing, of deep tenderness and floating happiness.” With Brahms the musical interpretation of these emotions is very close to nature and evokes a powerful earthiness which she experiences very intimately, both vocally and personally. “Brahms always touches me. He is genuine, earnest and sincere.”
What reaches the listener as sound is created in Garanča’s mind as intensely vivid, sensual images. “I hear music only in images. It has always been like that,” says the singer. She often has impressions of nature in mind and the particular colours and atmosphere of the images she pictures for herself are an essential basis for her interpretation. With Garanča, Frauenliebe und Leben comprises highly personal impressions: memorable scenes of importance from her own life and love story, which she consciously conjures up while singing, and thus achieves a unique intensity. As she says: “I then place myself in the given scene, from the outside as it were, and try to describe in song how I see myself in that scene.” This is a state of absolute self-surrender. “I can’t just set one foot into the scene. I become completely immersed in the moment.” It is a total surrender to images and sounds.
Dorothea Walchshäusl