“Er war nicht schön, der kleine Johannes, und wie er so mit seiner spitzen und hohen Brust, seinem weit ausladenden Rücken und seinen viel zu langen, mageren Armen auf dem Schemel hockte (…), bot er einen höchst seltsamen Anblick. Seine Hände aber waren zartgeformt und schmal, und er hatte große, rehbraune Augen, einen weichgeschnittenen Mund und feines, lichtbraunes Haar. Obgleich sein Gesicht so jämmerlich zwischen den Schultern saß, so war es doch beinahe schön zu nennen.” aus Der kleine Herr Friedemann
Die Novelle “Der kleine Herr Friedemann” entstand um 1896 und ist Titelstück der ersten Buchpublikation des jungen Thomas Mann. Sie erzählt die Lebensgeschichte des buckligen Johannes Friedemann, der seit einem Unfall in seiner Kindheit körperlich behindert ist. Bereits während der Schulzeit wird ihm bewusst, wie sehr sein Makel ein glückliches und unbeschwertes Leben unmöglich macht. Nach und nach zieht er sich in die Welt der Literatur und der Musik zurück und findet dort sein stilles und zartes Glück. So gelingt es ihm, ein geregeltes, wenn auch abgeschiedenes Leben zu führen. Bis er eines Tages Gerda von Rinnlingen begegnet, zu der er sich stark hingezogen fühlt. Diese reagiert zunächst offen, weist den verwirrten Johannes Friedemann jedoch bald darauf verachtend zurück. Die unerwiderten Gefühle zur Gattin des Oberleutnants von Rinnlingen machen ihm erneut die Entbehrungen seiner kläglichen Existenz bewusst und er beschließt, dieser eigenhändig ein Ende zu setzen.