In der Szene III,4, genau in der Mitte dieses Musterbeispiels dramatischer Algebra, treffen sie aufeinander: die schottische und die englische Königin, Maria Stuart und Elisabeth, zwei selbstbewusste Frauen, zwei Thronrivalinnen. Die Machtverhältnisse sind klar verteilt: Maria, die in England politisches Asyl suchte und wegen angeblichen Hochverrats im Gefängnis sitzt, hofft auf Begnadigung. Und Elisabeth, die die Vollstreckung lediglich aus Prestigegründen noch verzögert, nutzt ihre Position beim ersten Treffen schamlos aus, demütigt Maria und sonnt sich im Anblick ihrer Kniefälligkeit. Als auf Marias wohldosierte Demut keine Gnade erfolgt, schlägt die Situation jedoch dramatisch um, Maria gerät außer sich und reagiert mit einem rhetorischen Rundumschlag, der seinesgleichen im Weltdrama sucht. Beim Thema “Würde” konnte Schiller auch in seiner klassischen Phase noch sehr heftig werden.
Paula Wesselys Burgtheater-Interpretation der Maria Stuart, festgehalten in einer Aufnahme des BR, gilt als Meilenstein in der Theatergeschichte des 20. Jahrhunderts.Uwe Ebbinghaus