Giuliano Carmignola | News | Bach … italienisch

Giuliano Carmignola
Giuliano Carmignola

Bach … italienisch

15.10.2014
Zu jeder Einspielung gibt es eine Geschichte und einen Weg, den Komponist und Interpreten gemeinsam zurückgelegt haben.
»Ich wollte schon immer die Violinkonzerte von Bach aufnehmen. Als Kind hatte ich eine alte LP mit den Konzerten in E-dur und a-moll, gespielt von David Oistrach bzw. Isaac Stern. Das war meine Lieblingsplatte, und ich kann mich noch gut daran erinnern, wie sehr mich beim Hören die langsamen Sätze berührt haben. Andererseits hatte ich von klein auf auch regelmäßigen Umgang mit italienischem Repertoire. Mein Vater war Amateurgeiger und traf sich zum Spielen mit einer Gruppe Freiberufler (Rechtsanwälte, Ärzte usw.) – allesamt leidenschaftliche Musiker wie er selber – in der Sakristei der wunderschönen Kirche S. Maria Maggiore in Treviso. Ich wuchs mit dem Geruch von Weihrauch und den Noten von Corelli, Benedetto Marcello und Vivaldi auf«, erzählt Giuliano Carmignola über seine Begegnung mit der Musik. Auf diese ersten musikalischen Eindrücke folgte der Unterricht bei dem venezianischen Geiger und Musikpädagogen Luigi Enrico Ferro, dessen Violinmethode das nur auf den ersten Blick einfache Konzept des »schön Spielens« propagierte: einen spontanen und natürlichen Zugang zur musikalischen Interpretation und die Freude am erreichten Ergebnis. Als Förderer der Wiederentdeckung Vivaldis war Ferro Mitglied der Virtuosi di Roma von ihrer Gründung bis zu seinem Rückzug aus dem aktiven Musikleben Mitte der 1960er Jahre. 1970 trat Carmignola die Nachfolge seines Lehrers an und setzte hinsichtlich Interpretation und Repertoire die Tradition des Ensembles fort, dem er bis Ende 1978 angehörte.
»Ende der achtziger Jahre begegneten mir zum ersten Mal Musiker, die sich für eine notengetreue historisch informierte Interpretation auf Originalinstrumenten interessierten. Der erste war Ottavio Dantone, mit dem ich Locatellis Opus 5 in Bergamo aufführte. Ihm folgten bald die Sonatori de la Gioiosa Marca und mein Freund Andrea Marcon aus Treviso.« Wichtig war für Carmignola auch die Begegnung mit der Cembalistin Laura Alvini, mit der er das Duo-Repertoire Schuberts und Beethovens erarbeitete: »Laura war, wenn auch nur für kurze Zeit, eine sehr gute Wegbegleiterin bei der Beschäftigung mit diesen Komponisten unter quellenkritischen Aspekten.« Carmignola entwickelte intensive und dauerhafte Beziehungen zu Kollegen, die er gern seine musikalischen Familien nennt – die Accademia Bizantina, das Venice Baroque Orchestra, die Sonatori de la Gioiosa Marca, das Orchestre des Champs-Élysées: »Das sind Gruppen, mit denen ich mich wohl fühle und mit denen ich gerne Musik mache.« Die Beziehung zu Concerto Köln ist erst kürzlich zustande gekommen: »Nachdem ich einige ihrer Aufnahmen gehört hatte, die mir sehr gut gefielen, wollte ich mit ihnen etwas einspielen. Ich denke gern daran zurück, welche Freude sie beim Musizieren hatten und wie die Begegnung mit den Konzerten Bachs ein Lächeln auf ihre Gesichter zauberte. Zudem hat ihre derzeitige Konzertmeisterin, Mayumi Hirasaki, eine kurze Zeit bei mir in Luzern studiert, und der Gedanke, mit ihr gemeinsam das Doppelkonzert zu spielen, erschien mir unwiderstehlich. Schließlich ergab sich die Gelegenheit, mit dem Geiger Marco Serino zusammenzuarbeiten, mit dem ich befreundet bin. Er arbeitete an einer wissenschaftlichen Rekonstruktion der beiden verlorenen Konzerte von Bach, die diese CD ergänzen.«
Dazu erklärt Serino als Einführung in seine Arbeit: »Die Violinkonzerte entstanden in den Jahren, die Bach in Köthen verbrachte (1717–1723), und waren für Joseph Spieß, den Konzertmeister des Hoforchesters, bestimmt. Nach den Berichten zu urteilen, die wir haben, schrieb Bach in jenen Jahren mindestens acht Konzerte.« Nach unserer Kenntnis sind nur drei davon erhalten; von den anderen existieren nur die Transkriptionen für Cembalo, die Bach in Leipzig zwischen 1727 und 1735 schuf, weil er sie für die Aufführungen mit dem »Schottischen« Collegium Musicum benötigte.
Wir müssen bedenken, dass Komponieren zu Bachs Zeit als eine rein handwerkliche Tätigkeit galt. Die Arbeiten eines anderen Komponisten zu transkribieren und zu arrangieren, war eine unumgängliche Voraussetzung zum Aneignen der Kunst des Komponierens, die damals noch, wie Serino schreibt, »deskriptiv war, (durch Betrachtung der Partituren, Kopieren und Transkribieren für verschiedene Besetzungen gelernt wurde)«, und nicht »präskriptiv (d. h. durch Regeln und Normen reglementiert).« Die Transkriptionen italienischer Komponisten, die der junge Bach schuf, waren demzufolge eine Möglichkeit, »die Mechanismen ihres Stils zu verinnerlichen und sie perfekt in die eigene Sprache zu integrieren«. Und sie bieten dem heutigen Bearbeiter eine wertvolle Hilfe: Wie einst der Musikstudent schließt er aus dem direkten Studium der handschriftlichen Quellen – der drei Violinkonzerte und ihrer Transkriptionen für Cembalo, der Manuskripte der Cembalokonzerte und der in die Kantaten eingefügten Sätze – auf die vom Komponisten verwendeten Regeln. Damit schafft er Rekonstruktionen, die, »auch wenn sie nicht mit allerletzter Sicherheit den Originalen entsprechen, doch für wahrscheinlich gelten können«.
Nachdem sich Giuliano Carmignola mit dem italienischen Barockrepertoire für Violine intensiv auseinandergesetzt hatte, stellte sich ihm mit Bach bei der Aufnahme eine völlig andere Herausforderung: »Obwohl man bei Bach den Einfluss der großen italienischen Komponisten und Virtuosen, die seine Zeitgenossen waren (Vivaldi, Tartini und Locatelli), sehr deutlich spürt, ist sein Geigenstil ein völlig anderer. Ich habe versucht, mit Hilfe von Concerto Köln und des Cembalisten Gianluca Capuano Bach wieder die Freude am venezianischen Klang zu geben, voller rhythmischer Energie und Brillanz in der Artikulation der Allegros und mit einer so breit wie möglich gefächerten Skala dynamischer Färbungen in den langsamen Sätzen. Ich hoffe, die Musikfreunde werden in unserer Interpretation das neue Licht erkennen, das diese wunderbare Musik von innen heraus erstrahlen lässt.«

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