Hera Hyesang Park | News | Booklettext: Hera Hyesang Park - I Am Hera - 29.1.2021 (VÖ) (DE/EN)

Hera Hyesang Park
Hera Hyesang Park

Booklettext: Hera Hyesang Park – I Am Hera – 29.1.2021 (VÖ) (DE/EN)

15.12.2020
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Heras Wissen
Es braucht Mut, sich der eigenen Identität zu stellen, zu prüfen, ob die Vorstellung von sich selbst übereinstimmt mit der Wirklichkeit. Hera Hyesang Park hat diese Stärke – auch in ihrer Kunst. Ihren Opernfiguren nähert sich die ­1989 in Seoul geborene Sopranistin nicht mit strenger Methode oder kategorischem Partienstudium, sondern bedingungslos, in unverhüllter Ehrlichkeit und der Bereitschaft, das abzuwerfen, was sie die »Schichten« nennt, »hinter denen wir uns zu unserem Schutz verbergen«.
I Am Hera entstand in einer Zeit der Introspektion und aus der Frage »Wer bin ich?«. Eine Sängerkarriere lässt sich auch ohne solche Reflexion durchlaufen, sie kann sich mit Rollenklischees und Manierismen bescheiden. Aber für Hera war gerade das nicht möglich. Nach spektakulären Erfolgen als graduierte Studentin der New Yorker Juilliard School of Music oder als Mitglied des renommierten Lindemann Young Artist Development Program der Metropolitan Opera durchkreuzten unvermittelt Bühnenangst und Stimmprobleme ihren Werdegang. Hera musste feststellen, dass die Läufe und Rouladen für ihren lyrischen Koloratursopran, die sie einst mit Leichtigkeit nahm, plötzlich schwierig wurden. Und ihre Sicherheit schwand, sie wich dem quälenden Gedanken: »Kann ich das noch?«
Es war ein schlichter Satzbeginn, der den Wendepunkt brachte, eine Übung, die ihr ein Englischcoach an der Met zur Aufgabe stellte: »Ich bin …« sollte die Sängerin für sich ergänzen. Und Hera erkannte, dass sie mehr war als nur eine Stimme. Schritt für Schritt hinterfragte sie sich selbst, aber auch wie andere sie sahen.
»Ich bin …« ließ sie die Bedeutung ihres südkoreanischen kulturellen, sprachlichen und ästhetischen Erbes erkennen. »Ich bin …« führte sie zu einem Annehmen von westlichen liberalen Idealen. »Ich bin …« zeigte ihr die Entschlossenheit auf, mit der sie Vorurteilen begegnen wollte, ganz gleich ob sie sich an Kultur, Geschlecht oder Herkunft festmachten. Sie sei eine Nomadin, verankert im christlichen Glauben, ein Mensch, der das Schöne am Kosmopolitischen zu schätzen wisse, sagt sie heute. Dem Gewinn an Selbsterkenntnis entsprach der Ertrag im Probenraum, nicht zuletzt, als ihr klar wurde, dass wahre Authentizität beim Musizieren mit der Partitur beginnt, nicht mit dem Ego des Interpreten.
»Wahrhaftigkeit in der Musik ist schwer zu erreichen«, sagt Hera. »Es ermutigte mich nachzuvollziehen, wie die großen Interpreten nach der Wahrheit suchten, wie sie ganz allein mit der Partitur übten und lernten, demütig zu sein und die Wünsche des Komponisten zu respektieren. In meinem Gesang wurde ich mir selbst treu, indem auch ich mich auf die Partitur konzentrierte und alles zuließ, was sie verlangte.«
In diesem Prozess wurde Heras Stimme freier, offener, sie gewann an Wärme und Ausdruckstiefe und erregte schließlich noch vor Abschluss ihrer dreijährigen Studienzeit als Lindemann-Künstlerin die Aufmerksamkeit von Casting-Direktoren. 2017 fand ihr erster Auftritt an der Bayerischen Staatsoper als Despina in Così fan tutte großen Beifall. Erfolgreich war auch ihr Rollen- und Hausdebüt als Musetta an der Komischen Oper Berlin in Barrie Koskys Neuinszenierung von La Bohème. 2019 gingen den Kritikern die Superlative aus, als sie beim Glyndebourne Festival mit ihrer Verkörperung von Rossinis Rosina ins Rampenlicht trat: Mit ihrem »phänomenalen« Gesang »machte sie sich die Rolle ganz zu eigen«, urteilte The Times in der Rezension von Il barbiere di Siviglia, während die Financial Times feststellte, sie sei »musikalisch und darstellerisch gleichermaßen betörend«.
Für das Programm ihres ersten Albums bei Deutsche Grammophon wählte Hera Stücke aus, die mit ihrer Laufbahn und mit den Wendepunkten ihrer persönlichen und künstlerischen Entwicklung in Verbindung stehen. Rossinis Fiorilla beispielsweise erinnert an ihr Nordamerika-Debüt 2014 als kapriziöse Heldin in Il turco in Italia, Bellinis »Oh! quante volte« an ihren sensationellen Auftritt im koreanischen Fernsehen ein Jahr später. Glucks Eurydike steht in Beziehung mit ihrer Verkörperung des Amore an der Met 2019 in Mark Morris’ elektrisierender Inszenierung von Orfeo ed Euridice, und Händels »Se pietà di me non senti« verweist auf ihren ersten Auftritt in einem der berühmten Jugendkonzerte der New Yorker Philharmoniker, bei dem sie Kleopatras mitreißendes »Da tempeste il legno infranto« sang.
I Am Hera ist allerdings mehr als ein autobiografischer Auszug. Hera wollte Stücke bringen, in denen sie sich frei fühlt – frei, echte Gefühle zu zeigen. Sie wollte zugleich eine Ermutigung an eine Welt im Aufruhr senden. »Ursprünglich hatte ich dramatisches Repertoire einer Diva im Sinn, aber dann fand ich das unangemessen während einer Pandemie. Und ich habe auch nicht das Wesen einer Diva. Ich bin eher ein ganz normaler, durchschnittlicher Mensch. Wenn Sie an Mozarts Zerlina, Susanna und Pamina denken oder an Rossinis Rosina, so stehen alle mit beiden Beinen auf der Erde. Sie müssen sich nicht in Szene setzen, indem sie viele hohe Töne oder schwierige, anspruchsvolle Phrasen singen. Diese Rollen gleichen unserer Erfahrung im modernen Leben, und genau das ist wohl der Grund, warum ich mich gerade jetzt zu ihnen hingezogen fühle. Ich beschloss also, auf Glanz zu verzichten und mich nicht als Diva zu inszenieren, nach dem Motto: ›Seht her, ich bin die Größte!‹. Vielmehr wollte ich diese wunderbare Musik mit anderen Menschen teilen und sagen: ›Ich bin für euch da, verliert nicht die Hoffnung‹.«
I Am Hera stellt zwar überwiegend standhafte Frauen in den Vordergrund, Menschen, die nie aufgeben, welche Widrigkeiten auch immer das Schicksal für sie bereithält, aber das Album bietet auch Bravourstücke des Belcanto wie Puccinis herzerweichendes »O mio babbino caro« sowie zwei erlesene Kompositionen aus Korea. Un-Yung Las Vertonung des 23. Psalms und Joowon Kims Like the Wind that Met with Lotus stehen für Hera Hyesang Parks kostbarste Werte und prägende Erinnerungen. Zu ihrer Entscheidung für den 23. Psalm sagt sie: »Als Nomadin habe ich erkannt, wenn du dich selbst akzeptierst, liebst und ermutigst, schwindet aller Schmerz, der dich bedrückt, und es bleibt nur die Freiheit. Der Ort, an dem du dich am wohlsten und ruhigsten fühlst, liegt in dir selbst. Das ist für mich die Botschaft dieser Vertonung.«
Und sie fügt hinzu: »Ich denke oft über die spirituelle Seite des Lebens nach. Und dabei geht es nicht um Religion, sondern um eine Daseinsweise. Die Fähigkeit, frei zu sein und die Dinge aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu sehen, ist mir wichtig, und danach strebe ich auch als Sängerin. Das ist einer der Gründe, warum ich koreanische Lieder aufnehmen wollte, die einige meiner vielen Facetten zeigen. Ich habe erkannt, dass die Unterstützung meiner Freunde und Angehörigen mir erlaubt, frei zu sein. Ihr fester Glaube an mich ist wie das Seil, das mich bei meinen Bungeesprüngen als Künstlerin hält. Sie sagen mir, wenn du mit einem Fuß am Boden bleibst, kannst du fliegen.«
Andrew Stewart
 
 
 
Knowing Hera
We all need courage to confront our personal identity, to test whether who we think we are is who we are in reality. Hera Hyesang Park’s quest to discover her true self has delivered benefits to both the artist herself and her rapidly expanding audience of admirers. The South Korean soprano, born in Seoul in 1989, is not one for applying “methods” or neatly packaged motivations to the operatic characters she portrays onstage. Her status as a rising star rests rather on her radical honesty and readiness to throw off what she describes as “the layers that we all use for protection”.
I Am Hera grew naturally from a long period of introspection and her meditation on the question “Who am I?” Some singers manage to navigate long, often illustrious careers without thinking too deeply about who they are: they remain happy to identify as Singers with a capital S and adopt the expected mannerisms and affectations associated with the category. The question of identity, however, cannot be avoided when problems strike the voice or stage fright undermines old certainties. Hera faced vocal problems at the start of her career, following spectacular success as a graduate student at the Juilliard School in New York and member of the Metropolitan Opera’s prestigious Lindemann Young Artist Development Program. She discovered that the lyric coloratura runs and roulades she could once do with ease were becoming difficult; her confidence, too, was ebbing away, replaced by nagging thoughts of the “Can I still do this?” variety.
The turning point came when her English coach at the Met asked her to contemplate the proposition “I am…”. Hera recognised that she was more than just a voice. But what were her persona’s component parts? And how did they relate to her singing? Step by step she interrogated her perception of herself and of how others perceived her. The process of self-actualisation gradually revealed her potential. Above all, it allowed her to let go of doubts, accept fears and simply be herself.
Hera’s list of “I am…” attributes enabled her to see the importance of her South Korean cultural, linguistic and aesthetic heritage, her embracing of western liberal ideals and her determination to challenge and subvert stereotypes of all kinds, whether conditioned by race, gender, age, sexuality or anything else. She also recognized that she was by nature nomadic, acknowledged the value of her Christian faith and pinpointed the positives inherent in her cosmopolitan outlook. The gain in self-knowledge was matched by returns in the practice room, not least when she realised that true authenticity in music-making begins with the score, not with the performer’s ego.
“Truthfulness in music is so hard to achieve,” Hera comments. “I’ve been really encouraged to discover how the great performers have gone through this process of uncovering the truth, just practising alone in a room with the score, learning to be humble and to respect the composer’s wishes. I became true to myself in my singing by focusing on the score and allowing whatever it says to me to emerge. The more I do that, the more energy comes in from outside.”
As she discovered more about herself, Hera’s voice became freer, more open; it gained greater warmth and depth of expression and attracted the attention of casting directors before her three-year term as a Lindemann artist was over. Her first outing at the Bayerische Staatsoper in 2017, as Despina in Così fan tutte, drew acclaim, as did her role and house debut as Musetta at the Komische Oper Berlin in Barrie Kosky’s new staging of La Bohème. Critics ran short of superlatives when Hera stole the show as Rossini’s Rosina at the 2019 Glyndebourne Festival: with her “phenomenal” singing “she inhabited the role and made it her own”, observed The Times in its review of Il barbiere di Siviglia, while the Financial Times noted that she was “as beguiling musically as she [was] theatrically”.
When it came to planning the programme for her Deutsche Grammophon debut album, Hera turned to pieces associated with career milestones and major turning points in her personal and artistic development. Rossini’s Fiorilla, for instance, recalled her North American debut in 2014 as the flighty heroine in Il turco in Italia, Bellini’s “Oh! quante volte” her hit appearance on Korean television the following year. Gluck’s Euridice connected with her outing as Amore at the Met in 2019 in Mark Morris’s sparky staging of Orfeo ed Euridice, while Handel’s “Se pietà di me non senti” harked back to her debut in one of the New York Philharmonic Orchestra’s famous Young People’s Concerts, for which she performed Cleopatra’s rousing “Da tempeste il legno infranto”.
I Am Hera amounts to much more than an exercise in autobiography. The choice of repertoire, observes the album’s star, was preceded by deep thought. She was determined to select those pieces in which she feels totally free – free to unlock honest emotions and to send an uplifting message to a troubled world. “At first I wanted to perform dramatic, diva-like repertoire but thought it wasn’t a good idea in the middle of a pandemic. And I don’t have a diva personality. I’m just a very normal, ordinary person! When you think about Mozart’s Zerlina, Susanna and Pamina or Rossini’s Rosina, they’re down-to-earth people. They don’t try to sell themselves by singing so many high notes or difficult, demanding phrases. These roles are close to our experience of modern life, which is why I think I feel attached to them right now. So I decided to forget about being shiny and presenting myself as this fascinating diva – ‘Look at me, I’m the best!’ I really wanted to share this amazing music and say, ‘I’m there for you, don’t lose hope’.”
While I Am Hera turns the spotlight chiefly on stoic characters, individuals unwilling to quit no matter what fate throws at them, it also contains bel canto showpieces, Puccini’s heart-melting “O mio babbino caro” and two exquisite compositions from Korea. Un-Yung La’s setting of Psalm 23 and Joowon Kim’s Like the Wind that Met with Lotus bear witness to Hera Hyesang Park’s most cherished values and formative memories. Explaining her choice of Psalm 23 she says, “As a nomad, I’ve found that when you embrace, love and encourage yourself, any pain that has been pressuring you fades away and only freedom is left. The place where you feel most comfortable and peaceful is inside in you. That’s the message I take from this setting.”
“I reflect a great deal on the spiritual side of life,” she adds. “It’s not really about religion but about a way of being. The ability to be free and see things from different perspectives is so important to me and it’s what I’ve recently tried to strive for as a singer. This is part of the reason why I decided to record Korean songs, which show some of my many sides. I’ve realised that my friends and family, who support me in my private life, allow me to be free. Their great faith in me is like the rope that holds me when I’m bungee-jumping as an artist. They tell me that when you keep one foot on the ground, then you can fly.”
Andrew Stewart