Die Spannung vor der jüngsten Opernpremiere an der Wiener Staatsoper am vergangenen Sonnabend war geradezu mit Händen greifbar: Donizettis „Anna Bolena“ wurde im Vorfeld in den Medien bereits zum großen Duell der beiden Opern-Superstars Anna Netrebko und Elīna Garanča hochstilisiert. Vor dem Haupteingang am seit Monaten ausverkauften Premierenabend standen Kartensuchende und wedelten buchstäblich mit 100-Euroscheinen, um noch eine der begehrten Tickets für die heißeste Premiere der Spielzeit zu ergattern.
Spätestens seit Lucchino Viscontis Mailänder Inzenierung für Maria Callas gilt „Anna Bolena“ als einer der zugkräftigsten Reisser des gesamten Belcanto-Repertoires und alle großen Belcanto-Diven haben es sich nicht nehmen lassen, die unglückliche zweite Frau Heinrich VIII. zu verkörpern: angefangen bei Maria Callas über Elena Souliotis, Montserrat Caballé, Leyla Gencer, Beverly Sills bis hin Edita Gruberova. Anna Netrebko findet sich als jüngste in der Reihe der Anna Bolena-Interpretinnen also in allerfeinster Gesellschaft. Um es vorwegzunehmen: es wurde ein rauschendes Sängerfest mit opulenter Ausstattung und eher unbedeutender Regie. Doch das Dreigestirn Netrebko-Garanča-d’Arcangelo sorgte am Sonnabend für eine der glanzvollsten Premieren der letzten Jahre in Wien und morgen abend läuft diese Produktion in einer Live-Übertragung aus der Wiener Staatsoper auf arte, wo man ab 20.15 Uhr mit der unglücklichen Anna, ihrer (zu diesem Zeitpunkt noch) glücklicheren Nachfolgerin Giovanna und schließlich der Ursache all dieses historischen Ungemachs, dem rigorosen Enrico VIII., leiden, lieben und politisch intrigieren kann. Ein absolutes Muss für jeden Opernfan!