Please scroll down for English version
Joep Beving: Post
Ein Gespräch mit dem Künstler
Das neue Werk von Joep Beving überrascht, mit Post erschafft der Niederländer eine reiche Klangwelt, die anders ist als seine älteren Kompositionen. Und doch kam ihm der Gedanke für Post schon vor Jahren, damals hatte er ein Streicherintro komponiert, das sich nun zu einem eigenständigen Stück mit Synthesizer, Ney-Flöte, Schlagzeug und weiblichen Stimmen entwickelt hat. »Ich hatte immer das Gefühl, dass Post der Soundtrack zu einer Geschichte ist«, sagt Beving. »Und ich habe darauf gewartet, dass sich diese Geschichte zu erkennen gibt.« Das tat sie, als Beving die Texte für den Chor schrieb. Hugo Keijzer hat sie in einem Kurzfilm in Szene gesetzt. Er porträtiert eine Mutter, die ihrer Tochter in einer Zeit tiefer Schwermut zur Seite steht. Musik und Verfilmung sind eine Botschaft der Liebe und der Hoffnung für all jene, die mit den Herausforderungen des heutigen Lebens ringen.
Sie begannen mit der Arbeit an dem, was schließlich Post wurde, vor fünf Jahren. Es entwickelte sich zu einem eigenen reich besetzten Werk, mit Streichern, Synthesizer, Ney-Flöte, Perkussion und einem folkloristischen bulgarischen Frauenchor. Darüber hinaus entstand ein Kurzfilm. Wie ergab sich das? Und wie kam es zu dieser künstlerischen Synthese?
Joep Beving: An der Einleitung für Streicher saß ich bereits, als ich an Henosis arbeitete, meinem vorletzten Album. Aber es klang wie ein fremder Anfang, wie etwas, das nicht auf diese Aufnahme gehörte. Ich hatte keine Vorstellung, wohin es sich entwickeln würde, als würde ich auf eine Klippe zulaufen und kurz vor dem Sprung abrupt stehen bleiben. Christian Badzura, Vice President A&R New Repertoire von Deutsche Grammophon, schlug vor, dass ich das Stück aufnehme und dann gucke, ob etwas daraus wird. Ich experimentierte damit, war aber mit den Ergebnissen nicht zufrieden, also legte ich es weg. Dann kam die Pandemie und mit ihr die Gelegenheit, das Ende des Songs zu schreiben.
Es fiel mir durchaus schwer, ein überzeugendes Ende zu finden, zum einen fehlte dem Stück so etwas wie ein Hauptdarsteller, zum anderen fehlten mir die Fähigkeiten, um den Mix so zu realisieren, wie er mir vorschwebte. Um das zweite Problem zu lösen, setzten sich sehr begabte Leute mit mir zusammen; das erste Problem wurde mir bewusst, als ich den Text für den Chor schrieb, dieses Stück verlangte förmlich nach einer Geschichte. Also dachte ich darüber nach, was es bedeuten könnte.
Mir kam eine Mutter in den Sinn, die ihrer sich verlierenden Teenagertochter etwas vorsingt, dass sie die Augen aufmachen soll, dass es draußen schön ist und dass das Leben gelebt und erlebt werden will, ganz gleich, was ist. Die Mutter nimmt sich vor, ihr einziges Kind zurück ins Leben zu führen.
Leider gibt es für Kids im Teenageralter Gründe genug, den Sinn des Lebens infrage zu stellen. Und viele Eltern beschäftigt, dass sie ihre Kinder in Zeiten zur Welt gebracht haben, in denen unser Aussterben zum absurd drängenden Thema geworden ist. Während mir durch den Kopf ging, was mein Stück bedeuten könnte, geschah sehr viel in der Welt. Ich nahm es zum Anlass, mich auf etwas zu fokussieren, das Kinder in vielen Ländern betrifft. Alles auf der Welt kann ihnen unheilvoll erscheinen.
Dieses Stück erzählt von Liebe und Hoffnung, von der Sorge um junge Menschen, die um ihre Zukunft bangen und eben darunter leiden.
Ich habe selbst Töchter und mir begegnet diese Angst. Dabei weiß ich natürlich, dass es uns so viel besser geht als anderen und dass wir auf einem relativ sicheren Fleckchen Erde leben.
Sie haben mit dem Regisseur Hugo Keijzer an diesem Projekt gearbeitet. Wie Sie schon sagten, spiegeln die Aussichtslosigkeit und Verzweiflung der Figuren seines Films zu Post das Erleben vieler junger Menschen wider, die an Depressionen leiden oder mit Ängsten zu kämpfen haben. Was könnte der Film und Ihre Musik jenen bedeuten, die tagein, tagaus mit ihrer psychischen Erkrankung umgehen müssen?
Das kann ich nicht sagen, um ehrlich zu sein. Doch für mich ist die Liebe die stärkste Kraft, die die Menschheit kennt. In meinem Kopf spielt der Film irgendwo in Osteuropa, er handelt von einer Mutter und ihrem Kind, aber seine Botschaft ist universell. Es sollte ein Film ohne Worte werden, in dem man aber dank der Art, wie die Rollen gespielt werden, die Fortschritte der beiden Protagonistinnen sieht. Jedes Mittel ist recht, um die Botschaft der Liebe in die Welt zu bringen. Ihren mächtigsten Ausdruck findet sie in der Beziehung eines Elternteils zu seinem Kind.
So viele von uns leben in einem System, das Entfremdung und psychische Störungen verursacht – darüber könnte man eine ganze Woche sprechen. Der Film ist ein Versuch, dem etwas Positives entgegenzusetzen. Natürlich gebe ich damit nicht den Sinn des Lebens vor, aber es gibt ihn. Und das Erleben und die Stärke der Liebe sind eine universelle Kraft. In Post geht es genau darum und um die Tatsache, dass das Leben lebenswert ist, ganz gleich, was passiert.
Hugo Keijzer hat sich bereits als Regisseur von Kurzfilmen einen Namen gemacht, unter anderem mit dem Sci-Fi-Drama The Occupant. Kannten Sie ihn vor Ihrer Zusammenarbeit an Post?
Meine ehemalige Nachbarin in Amsterdam hat eine Filmproduktionsfirma in Los Angeles. Einer meiner Manager schlug vor, dass wir sie nach möglichen Regisseuren für den Film fragen. Hugo hatte mit ihr zusammengearbeitet und ich war seiner Arbeit schon vor Jahren begegnet. Er reagierte sehr schnell und mochte die Musik und das kurze Skript, das ich ihm schickte. Er begriff sofort, worum es ging, und wollte sich auch auf einer persönlichen Ebene in den Film einbringen. Mir war schon vorher klar, dass seine Filmsprache passt, aber er und sein Team haben sich trotz des geringen Budgets wirklich ins Zeug gelegt, um das Projekt zu realisieren. Da das Thema so wichtig ist, fand ich es gut, dass Hugo und seine Mitarbeiter auf ihre Art in meine Idee einsteigen. Wir hatten großes Vertrauen zueinander, die Arbeit durfte sich so weiterentwickeln. Hugo hatte einen hervorragenden Kameramann und ein ausgezeichnetes Produktionsteam, und auch die Besetzung war großartig. Der Film lebt von den Mädchen! Wir hatten enormes Glück.
Millionen kennen Sie durch Ihre Soloklavierwerke, aber in der Besetzung von Post finden sich auch andere Instrumente und ein Frauenchor. Wie kamen Sie auf die Musiker?
Chorstimmen und Texte hatte ich bereits geschrieben, lange bevor wir das Ensemble bestimmten. Christian [Badzura] entdeckte Bulgarian Voices Berlin und schickte ihnen die Musik und die passte für sie, sie wollten die Aufnahme machen, also hatten wir eine Session in Berlin, bei der ich über Zoom quasi »anwesend« war.
Wir hatten ein Software-Tool für qualitativ hochwertiges Streaming von Aufnahmesitzungen und so konnte ich in Echtzeit mitspielen. Mit demselben Tool haben wir auch das Schlagzeug aufgenommen, es wurde von Luke Flowers vom Cinematic Orchestra in Liverpool gespielt. Die Ney-Flötenspielerin, die ich auf YouTube gefunden hatte, nahm ihren Part zu Hause in Istanbul auf. Das kam alles während Corona zusammen.
Was hoffen Sie, mit Post zu erreichen?
Ich hoffe, dass sich ein junges Publikum angesprochen fühlt, insbesondere Mädchen. Man kann sich gar nicht klar genug vor Augen führen, wie wichtig es für sie ist, gesehen und gehört zu werden. Die Kraft der Liebe soll deutlich werden und die Widerstandsfähigkeit, die den Menschen – ob Mann oder Frau – ausmacht.
Auf der EP ist auch ein Remix von Post. Ich bin für melancholische Töne bekannt, deshalb habe ich mich bewusst für etwas Fröhliches entschieden. Die Leute sollen dazu tanzen können, es soll etwas sein, das man auf einem Sommerfestival hört, das heiter stimmt und hoffentlich rüberbringt, dass das Leben lebenswert ist.
Joep Beving on Post
An interview with the artist
Joep Beving has created a rich new sound world for his latest extended track, Post. The piece evolved gradually and organically from a string intro composed several years ago into a piece also featuring synthesizers, ney flute, percussion and female voices. “I always felt Post needed to be a soundtrack to a story,” says Beving. “I was waiting for the story to reveal itself.” The idea came as he was writing lyrics for the choir and has now been realized in a short film by Hugo Keijzer, which portrays a mother helping her daughter move from a place of darkness towards recovery. Together, music and images send out a message of love and hope for anyone struggling with the challenges of life today.
You began working on what became Post five years ago. The piece grew into not only an independent piece for strings, synths, ney flute, percussion and a female Bulgarian folk choir, but also a striking synthesis of music and film. How did Post evolve to the place where it is now?
Joep Beving: I’d already worked on the string introduction of Post for my last but one album, Henosis. But it felt like a new beginning or something that didn’t belong on that recording. I didn’t know where it would lead, so it was a bit like running towards a cliff and stopping just before diving over the edge. Christian Badzura, Deutsche Grammophon’s Vice President A&R New Repertoire, suggested that I should take up that track and see where it went. I experimented with it but wasn’t happy with the results, so I let it be. And then came the Corona pandemic, which gave me an opportunity to develop the song’s ending.
I struggled to find a fulfilling resolution, partly because the piece had no protagonist and partly because I didn’t have the skills to get the mix to where I wanted it. For the latter, I received help from some very talented people; for the former, I realized while I was writing the lyrics for the choir that this piece needed a story. That made me think about what it might mean.
The idea popped into my head of a mother singing to her troubled teenage daughter that she needs to wake up, that it’s beautiful outside and that life deserves to be lived and experienced, no matter what. She decides to take the initiative in bringing her only child back to life.
Sadly, there are many reasons for teenage kids to question the purpose of their existence. And many parents are struggling with the fact that they brought kids into the world in dire times where our extinction is a topic beyond the absurd. While I was finding the song’s meaning, so much was happening in the world. That moved me to focus on something that’s affecting kids in so many countries. Everything in the world can seem so dark to them.
This piece is mostly a story of love and hope for young people who fear for the future and are suffering because of it.
I am a father of daughters and I know this fear. Even though I consider myself very privileged and living in a relatively safe part of the world.
You then also worked with director Hugo Keijzer on this project. As you say, the darkness and despair of the characters in his film for Post reflect an experience shared by so many young people who’ve been consumed by chronic depression or are struggling with overwhelming anxiety. What do you think the film and your music have to say to anyone who is living day to day with mental illness?
I don’t know, to be honest. I just feel that love is the strongest force known to mankind. In my mind the film is set somewhere on the eastern side of Europe, it is about a mother and her child, but its message is universal. I wanted it to be a film without words but where, thanks to the acting, we can easily recognize the progress the two protagonists make. We must use whatever we can to spread this message of love. The most powerful version of that message is in the relationship between a parent and child.
So many of us are inhabiting a system that causes severe alienation and mental disorder – that’s something we could talk about for a week! The film is an attempt to offer a positive response to that. I’m not going to define the purpose of life, but there is a purpose. And the experience and power of love are a universal force. Post is about that and the fact that life is worth living, no matter what.
Hugo Keijzer has already made his mark as director of short films, the sci-fi drama The Occupant perhaps most powerful among them. Did you know him before collaborating on Post?
My old neighbour in Amsterdam has a film production company in Los Angeles. One of my managers suggested that we should ask her about possible directors for the film. Hugo had worked with her and I already knew his work from years back. He got in touch really quickly and liked the music and short script I sent to him. He “got it” and wanted to be invested in the film on a personal level. I knew his aesthetic would be good, but he and his team really went the extra mile in making the film despite only having a small budget. Because it’s such an important subject, I was ready to let Hugo and his colleagues develop my idea. There was a real trust there that allowed the work to evolve. He had a terrific cameraman and an excellent production team, and the casting was great. The girls made the film! We were very fortunate.
While millions know you for your solo piano works, Post involves other instruments and a women’s folk choir. How did you find your collaborators?
I had already written the choir parts and the lyrics long before we chose the group to perform them. Christian [Badzura] found Bulgarian Voices Berlin and sent the music to them. They felt it suited their style of singing and wanted to make the recording, so we had a session in Berlin at which I was “present” over Zoom.
We had a software tool that gives high-quality streaming for recording sessions which allowed me to play in real time with them. We used the same tool to record the drums, which Luke Flowers of the Cinematic Orchestra played in Liverpool. The ney flute player, who I’d discovered on YouTube, recorded her part at home in Istanbul. This was all done during the time of Corona.
What do you hope Post will achieve?
My hope is that it will reach and speak to a young audience, girls in particular. We can’t underestimate the need for them to be seen and heard. It’s about conveying the power of love and the resilience (wo)men are capable of.
There’s also a remixed version of Post on the EP. I’m known for melancholy music, so I deliberately chose to do something cheerful that people can dance to. It’s like something you’d hope to hear at a summer festival, something that is joyful and hopefully gets the message across that life is worth living.