Trockeneisnebel, literweise Kunstblut, Pyrofeuerfontänen, die mit jedem Drum-Break in die Höhe schnellen. Fledermauskostüme, Plateauschuhe, schwarz-weißes Make-Up und natürlich die Zunge von Gene Simmons. Alles Bilder, die sofort vor dem inneren Auge aufpoppen, sobald man nur diese Worte hört: “You wanted the best. You got the best. The hottest band on earth: Kiss!” Dreimal hat man das bisher in konservierter Form gehört, auf den legendären Live-Alben “Alive I – III”, die es nun sinnigerweise im Box-Set gibt, denn irgendwie muss gerade bei dieser Band immer alles noch fetter und wertiger ausfallen als bei anderen. Schließlich kann man sich ja mittlerweile auch im Kiss-Sarg beerdigen lassen.
Angereichert wird der Live-Rundumschlag durch das bisher unveröffentlichte Vancouver “Millenium Concert” von 1999 mit dem die just zuvor wiedervereinigte Gruppe so ins neue Jahrtausend rutschte, wie man es von ihr erwarten konnte: Überbordend, himmelstürmend, schreiend-grell. Eine Band, die aus Karikaturen, Comic- oder besser gar Actionfiguren zu bestehen schien. Larger Than Life, hedonistisch und überzeichnet, heißer als die Hölle. Rock And Roll All Night und Party jeden Tag, bitteschön. Eine Band, die mehr als jede andere dem Live-Kontext verpflichtet schien, weil die Inszenierung wichtiger war als der schiere Inhalt. Von all' dem sieht man freilich nichts, aber schon allein der Sound evoziert ein knallbuntes Kopfkino: Die wogende Kulisse des Arenapublikums, Paul Stanleys überzogene Ansagen und letztendlich die Songs wirken wie Überraschungseier – unter der klebrig-süßen Schale wartet immer noch ein Gimmick. “Detroit Rock City”, “Shout It Out Loud” und nicht zuletzt das unvermeidliche, gleichsam unverfroren-unerreichte “I Was Made For Lovin' You” geben die Marschroute vor: Entertainment als Dienstleistung, nur wer bedient hier wen? | Die Wechselwirkung zwischen Band und Publikum, zwischen Kiss und den Jüngern, der Kiss Army, spornte beide Seiten stets zu Höchstleistungen an. Klar, dass das der reaktionären Rechten und dem konservativen Amerika Mitte der Siebziger ein Dorn im Auge war. Eine Feierjugend, die zu allem Überfluss auch noch sich selbst feierte oder eben diese Band, deren Masken aussahen, wie vom Teufel höchstpersönlich gemalt, musste früher oder später den Untergang des Abendlandes bedeuten. Dabei waren Kiss nur überzogen-verzerrte Spiegelbilder des American Way Of Life und ungefähr so gefährlich wie die Muppet Show. Vielleicht auch genauso witzig.