„Die ich rief, die Geister werd ich nicht mehr los!“
klagt Klaus Kinski, wenn er Goethes Zauberlehrling seine Stimme leiht. Und er selbst? Wo immer man Kinski sieht, wann immer man Kinski hört, werden Erinnerungen an ihn wach: Kinski, der Exzentriker, der Wahnsinnige. Kinski, der Psychopath? Aber auch: Das Genie, der begnadete Schauspieler. Eines ist sicher: an Klaus Kinski scheiden sich die Geister, er hat viele Gesichter. Zwischen Hybris und Vorsehung schwankt so auch das folgende Zitat aus seinem Mund:
„Die Menschen werden von mir sagen, dass ich tot bin. Glaube ihnen nicht. Sie lügen! Ich kann niemals sterben.“
Und in der Tat. Kinski lebt in seiner künstlerischen Hinterlassenschaft weiter. Dem Ausnahmekünstler kommt man dabei durch sein umfassendes Rezitationswerk besonders nahe. In den Jahren von 1957 bis 1962 nahm er allein 30 Sprechplatten auf. Er gilt seither als der erfolgreichste und bedeutsamste Rezitationskünstler Deutschlands.
2011 ist DAS Kinski-Jahr: Am 18. Oktober wäre er 85 Jahre alt geworden, am 23. November jährt sich sein Todestag zum 20. Mal. Höchste Zeit also, sich erneut an ihn und sein Wirken zu erinnern. Dazu lädt auch die Deutsche Grammophon Literatur ein, die nun eine Auswahl seines Rezitationswerkes auf zwei CDs veröffentlicht. Säuselnd lässt Kinski da unter anderem Goethes Erlkönig seine verführerisch-bedrohlichen Worte sprechen, lebensbejahend und wort- wie stimmgewaltig Nietzsches kurzes Gedicht „Ecce homo“ ertönen, Melancholie durch Strindbergs Erzählung „Ein halber Bogen Papier“ strömen – Kinskis explosive Vorträge setzten Maßstäbe.
Von Klassikern der deutschen und europäischen Literatur über große Namen der russischen Literaturgeschichte bis hin zu Dichtung afrikanischer Völker – bei der Auswahl seiner Texte verließ Kinski sich nie auf einen Kanon, sondern allein auf sein künstlerisches Gespür:
„Wenn ich einen Text sehe, weiß ich im ersten Augenblick, ob ich ihn spreche und wenn ich weiß, dass ich ihn spreche, weiß ich auch, wie ich ihn spreche.“
Dass Kinski bei seinen Rezitationen stets wusste, was er tat, bestätigen auch die Menschen, die mit ihm an der Aufnahme seiner Sprechplatten arbeiteten. Prof. Dr. Heinrich Haerdtl, Gründer des Labels Amadeo, erzählt:
„Er, Kinski, kam immer mit einem fertigen Produkt, jedenfalls in seiner Vorstellung“
und Toningenieur Franz Plott berichtet von Kinskis Streben nach Perfektion:
„Er wollte ständig korrigieren, also, es war sehr umständlich mit ihm. […] Manchmal hat er einen Satz sechs oder sieben mal wiederholt […]. Er wollte das einfach am allerbesten machen.“
Trotz der Exzentrik des Künstlers – Zweifel am künstlerischen Wert der Aufnahmen bestanden nie. Dass die von Kinski gesprochenen Werke etwas Besonderes und Anziehendes haben, etwas Bleibendes sind, war allen klar. Die Verkaufszahlen seiner Platten sind bis heute ein Indiz des bleibenden Eindrucks, den Kinskis Stimme beim Hörer hinterlässt. Wer heute Francois Villons wohl bekanntestes Gedicht liest, den begleitet dabei leise und eindringlich Kinskis Stimme im Ohr:
„Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund,
ich schrie mir schon die Lungen wund
nach deinem weißen Leib, du Weib.“