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MEHR FARBEN FÜR SCHUBERT
»Mit seiner Fähigkeit, sich einfühlen zu können, gehört Schubert für mich zu den wichtigsten Komponisten der Menschheit«, sagt Matthias Goerne. Diese epochale Bedeutung zeigt sich bei Schubert vor allem in seinem Liedschaffen, in dem er es auf die beeindruckende Anzahl von über 600 Werken bringt. In diesen »schafft er eine perfekte Balance zwischen Intellektualität und größter Natürlichkeit. Komplizierteste Melodien und Formen klingen bei ihm ganz natürlich«, präzisiert Goerne den zentralen Stellenwert des Liederfürsten.
Der Bariton gehört zu den profiliertesten Schubert-Interpreten seiner Generation und hat sich mit geradezu enzyklopädischem Anspruch dessen Liedschaffen gewidmet – auf der Bühne und im Aufnahmestudio. Das vorliegende Album markiert dabei einen Meilenstein in Goernes Schubert-Exegese, denn zum ersten Mal hat er Schubert-Lieder nicht in der ursprünglichen Version mit Klavier, sondern in Bearbeitungen für Orchester aufgenommen. Die stammen von Alexander Schmalcz, dem langjährigen Klavierpartner von Matthias Goerne. Obwohl sich beide zum Zeitpunkt der Aufnahme bereits seit über 20 Jahren kannten, hat der Sänger seinen Kollegen noch einmal von einer »völlig neuen Seite kennengelernt: Seine Kreativität bei der Umsetzung für Orchester ist enorm: Sein Stilempfinden und sein feinfühliger Ansatz, mit dem er die richtigen Instrumente zum richtigen Moment einsetzt, sind wirklich erstaunlich.«
Beispiele für die Orchestrierungskunst von Alexander Schmalcz gibt es viele auf diesem Album, ein besonders gelungenes ist für Matthias Goerne »Wer nie sein Brot mit Tränen aß« aus den Gesängen des Harfners aus Wilhelm Meister von Goethe, einem der Dichter, die Schubert am häufigsten vertonte. In diesem Lied gibt es einen »klagenden, unendlich schmerzerfüllten Ton. Den gibt Alexander dem Kontrabass, schreibt ihn aber im Flageolett. Diese Farbe, wenn man ein tiefes Instrument wahnsinnig hoch spielen lässt, ist magisch.« Ein weiterer dieser magischen Momente findet sich in der Ballade vom Erlkönig, wenn streckenweise nur Pauke und Kontrabass spielen und ein »ganz eigentümliches tiefes, stumpfes, derbes Gemurmel« erzeugen.
Orchesterfassungen von Schubert-Liedern gab es in der Musikgeschichte immer wieder, etwa von Berlioz, Reger, Liszt und Webern. Für Matthias Goerne sind sie mal mehr, mal weniger gut gelungen. »Ich bin zum Beispiel kein Fan der Brahms-Bearbeitungen. Die sind klanglich so dicht, dass man als Sänger in puncto Intimität eines Stückes an die Grenzen kommt. Da sehe ich dann keinen Zugewinn in der Orchesterfassung.« Darauf hat der Bariton bei der Zusammenstellung der Lieder für dieses Album besonderes Augenmerk gelegt. »Die Auswahl an Liedern, die ich da getroffen habe, bekommt eine klangliche Dimension, die das Klavier so nicht darstellen kann. Das heißt nicht, dass sie besser ist, sondern anders.« Von den Gesängen des Harfners gab es vorher gar keine Orchesterfassung, dabei gibt es »kaum etwas Bedeutungsvolleres unter den Goethe- Vertonungen. Das ist für mich ein echter Zugewinn.«
Was wir auf diesem Album zu hören bekommen, ist aber »reiner Schubert«, betont Alexander Schmalcz. »Ich schreibe da nichts dazu. Mitunter fülle ich Stimmen auf, indem ich z. B. eine Oktave hinzufüge. Oder ich setze liegende Akkorde im Orchester ein, um die Klangflächen zu simulieren, die sich aus dem Pedalgebrauch am Klavier ergeben. Mein Ziel ist aber: So original wie möglich!« Dabei war Schubert für ihn als Bearbeiter ein eher dankbarer Komponist. »Er kommt zwar vom Klavier, seine musikalische Sprache ist aber so universell, dass man da einiges machen kann.« Die größte Herausforderung bestand für Schmalcz darin, »wie man die Idee und den Charakter eines Liedes in eine Orchesterfarbe überträgt«. Zu Schäfers Klagelied etwa passt der Klang der Oboe als pastorales Instrument; in Der Tod und das Mädchen sorgt die Posaune für Grabesstimmung, wie das schon Mozart in der Friedhofsszene seines Don Giovanni gemacht hat; in An Silvia wird die Trompete gemeinsam mit der Gesangsstimme geführt, was eine reizvolle Farbe ergibt; und in Grenzen der Menschheit ist viel Blech gefragt. »Das ist übrigens das einzige Lied, in dem eine Tuba dabei ist«, so Schmalcz.
Während Lieder wie Grenzen der Menschheit per se einen orchestralen Habitus haben, war die Instrumentierung bei den eher pianistischen Stücken wie Alinde oder Des Fischers Liebesglück diffiziler. »Obwohl ich das ganz gelungen finde«, schmunzelt Schmalcz. »Vielleicht auch, weil man erst einmal darüber nachdenken muss, wie es funktionieren kann.« Gerade in Des Fischers Liebesglück mit seinen vielen Strophen kann eine geschickte Orchestrierung für den von Goerne angesprochenen Mehrwert sorgen, »weil die Möglichkeiten der Instrumente spontan eine andere Stimmung erzeugen können«. Wenn der Text von Nebel und diffusem Licht über dem See erzählt, spielt etwa die Solo-Bratsche mit Dämpfer – eine Textinterpretation mit rein klanglichen Mitteln, wie sie auf diesem Album oft zu entdecken ist.
Die Aufnahme mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen entstand übrigens ohne Dirigenten; »an dessen Stelle habe ich gestanden und zum Orchester gesungen und auch dirigiert, mithilfe des Konzertmeisters der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, Florian Donderer«, so Goerne. Für Orchester und Sänger war das eine interessante Erfahrung, weil sonst üblicherweise der Dirigent die Koordination und Führung übernimmt. In einem intensiven Probenprozess haben sich beide Seiten z. B. über die idiomatische Phrasierung verständigt. Erst auf dieser Grundlage, dem gemeinsamen Verstehen der Musik im Inneren, entsteht eine Symbiose, eine Synchronität zwischen Gesangsstimme und Orchesterinstrumenten, die wiederum mehr Freiheiten bei der Interpretation erlaubt. »Das ist für mich die ideale Form, Musik zu machen, wenn Leute im Moment miteinander verschmelzen.«
Bjørn Woll
MORE COLOURS FOR SCHUBERT
“For me, Schubert’s ability to empathize makes him one of the most important composers in the whole of human history,” says Matthias Goerne. This ground-breaking significance is apparent above all in his songs, of which he wrote more than six hundred – a hugely impressive total. In these he created “a perfect balance between intellectuality and the greatest naturalness. With Schubert, even the most complicated melodies and forms sound entirely natural,” Goerne says as he singles out the central characteristic that makes Schubert a prince among lieder writers.
Goerne is one of the most high-profile Schubertians of his generation and has brought altogether encyclopaedic ambitions to the composer’s lieder output not only onstage but also in the recording studio. But the present release represents a milestone in Goerne’s interpretative traversal of these songs as this is the first time that he has not recorded them in their original versions for voice and piano but in arrangements for voice and orchestra. These arrangements are the work of Alexander Schmalcz, the singer’s accompanist of many years’ standing. At the time of this recording both men had already known one another for more than twenty years, and yet the baritone has now got to know his colleague from “a completely new side: his creativity in adapting these songs for the orchestra is enormous, while his stylistic sensibilities and his subtle approach in deploying the right instruments at the right moment are truly astonishing”.
This album contains numerous examples of Alexander Schmalcz’s art of orchestration. For Matthias Goerne a particularly successful instance is “Wer nie sein Brot mit Tränen aß” from the Gesänge des Harfners. The words are from Wilhelm Meister by Goethe, a poet whose verse Schubert set more often than that of any other writer. This song is notable for its “plaintive tone, which is filled with an infinite sense of pain that Alexander entrusts to the double bass, while demanding the use of harmonics. This colour, which is achieved when a low instrument is played in an insanely high register, is magical.” Another of these magical moments is found in the ballad Erlkönig, where there are stretches during which only the timpani and double bass are heard, creating an “extremely strange, deep, dull and gruff murmur”.
There have been many orchestral versions of Schubert’s songs over the years, notable examples having been produced by Berlioz, Reger, Liszt and Webern. For Matthias Goerne some of these are more successful than others. “I’m no fan of Brahms’s arrangements, for example. Texturally, they’re so dense that the singer is pushed to his limits in terms of the piece’s intimacy. In this particular case I can see no advantage in the orchestral version.” Goerne has paid special attention to this point when compiling the songs included in this album. “The selection of songs that I have made acquires a timbral dimension that the piano is incapable of reproducing. This does not mean that the orchestral version is better, only that it is different.” There were previously no orchestral versions of the Gesänge des Harfners, and yet there are “few songs more significant than these among Schubert’s Goethe settings. For me this represents a genuine gain.”
And yet what we hear on this album is “pure Schubert”, Alexander Schmalcz insists. “I have added nothing. Sometimes I fill out the voices by doubling the octave, for example. Or I write sustained chords in the orchestra in order to simulate the sound-surfaces that are the result of the use of the sustaining pedal on the piano. But my goal is to be as original as possible.” For Schmalcz in his capacity as an arranger, Schubert was a relatively grateful composer. “Although Schubert writes as a pianist, his musical language is so universal that he leaves you room to make your own contribution.” For Schmalcz the greatest challenge lay in “translating a song’s character and its underlying idea into an orchestral colour”. The sound of an oboe – a pastoral instrument – is well suited to Schäfers Klagelied, for example. In Der Tod und das Mädchen a trombone ensures a sepulchral atmosphere, a use familiar from the Graveyard Scene in Mozart’s Don Giovanni. In An Silvia the trumpet doubles the vocal line, resulting in a delightful colour. And in Grenzen der Menschheit several brass instruments are called for. “I should add that this is the only song in which a tuba appears,” says Schmalcz.
Whereas songs such as Grenzen der Menschheit are already orchestral in character, the instrumentation of more pianistic pieces such as Alinde and Des Fischers Liebesglück was more tricky. “But I believe that I have succeeded,” says Schmalcz with a smile. “Perhaps also because you first have to think how it can work.” In the specific case of Des Fischers Liebesglück, with its multiple strophes, a skilful orchestration can ensure that the orchestral version enhances the value of the song in the way that Goerne mentioned “since the opportunities offered by the instruments can automatically create a different mood”. When the words speak of mist and of a diffuse light over the lake, we hear a solo viola con sordino, evidencing a way of interpreting the text by purely timbral means that is found on frequent occasions in this release.
It is worth adding that this recording with The Deutsche Kammerphilharmonie Bremen was made without a conductor. As Goerne explains, “I stood where the conductor would normally stand and sang to the orchestra, while also conducting with the help of the orchestra’s leader, Florian Donderer.” For orchestra and singer alike this was an interesting experience since it is normally the conductor who is in charge of coordinating and guiding the musicians. During the intense rehearsals both parties agreed on the idiomatic phrasing, for example. Only on this basis, which involves a shared understanding of the music on the deepest level, is it possible to achieve a symbiosis and create a synchronicity between the vocal line and the orchestral instruments, which in turn allows greater interpretative freedom. “For me, this is the ideal form of making music when people merge together and live for the moment.”
Bjørn Woll