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Mitsuko Uchida
Mitsuko Uchida

WOLFGANG AMADEUS MOZART

15.07.2014
Im Jahre 1784 komponierte Mozart nicht weniger als ein halbes Dutzend Klavierkonzerte für seine Abonnementkonzerte in Wien. Drei davon waren ursprünglich für andere Interpreten gedacht: Das erste Stück der Reihe, KV 449, war, ebenso wie das vierte, KV 453, für Barbara (“Babette”) Ployer geschrieben worden, eine begabte Amateurpianistin, die im gleichen Jahr bei Mozart Unterricht nahm. Das Klavierkonzert in B-Dur, KV 456 dagegen war aller Wahrscheinlichkeit nach für Maria Theresia von Paradis gedacht, die Mozart im Sommer 1783 während seines Aufenthaltes in Salzburg im Haus seiner Schwester kennengelernt hatte. Paradis war im Alter von drei Jahren erblindet. Dennoch war es ihr gelungen, erfolgreich als Pianistin und Komponistin Karriere zu machen. 1776 wurde sie in der Hoffnung, ihr Augenlicht wiederzuerlangen, Patientin bei Franz Anton Mesmer, dem berühmten Verfechter des animalischen Magnetismus, der ebenfalls ein Freund der Familie Mozart war. (Seine “Heilungen” werden im Finale des 1. Aktes der Oper Così fan tutte parodiert.) Die Behandlung führte kurzzeitig zu einer Besserung, bis Paradis einen Rückfall erlitt. Mesmers Hypnosemethoden gerieten schließlich in Verruf, so dass man ihn 1778 aus der medizinischen Fakultät der Universität Wien ausschloss.
Die Eröffnungsmotive in Mozarts letzten vier Konzerten von 1784 haben alle den gleichen, tonwiederholenden, punktierten Rhythmus in militärischem Stil gemein, obwohl der musikalische Charakter der Stücke jeweils sehr unterschiedlich ist. Das eröffnende Tutti im Klavierkonzert in B-Dur, KV 456 ist voll von abrupten Momenten der Stille und Stimmungswechseln, beinahe so, als wäre das Material unvollständig. Und tatsächlich wird ein großer Teil an Details offengelassen, wenn das Grundthema nach dem Einsatz des Solisten wiederkehrt. Das strahlende Eröffnungsmotiv wird von einem geheimnisvollen Moment mit düsteren Moll-Harmonien und “stechenden” Akzenten der Streicher abgelöst, als wäre die Musik im Zeitlupentempo erstarrt (die Passage taucht später erneut auf, diesmal von der Filigranarbeit des Pianisten überlagert), und die Spannung dieser Stelle löst sich in einem weichen Thema in Dur auf, in welchem die Oboen liebliche Terzen spielen. In den letzten Takten des Tutti spielen die ersten Geigen eine Spielzeugfanfare, welche das Herzstück der zentralen Durchführung sowie den Höhepunkt des gesamten Satzes bildet. Trotz der melodischen Großzügigkeit der Musik entscheidet sich Mozart dafür, den Mittelteil des Stückes mit einem völlig neuen und stabilen Thema einzuleiten, als würde er versuchen, die Grenzen zwischen Exposition und Durchführung zu verwischen. Nachdem es seinen Zweck erfüllt hat, taucht das neue Thema nicht wieder auf. Die Idee wurde jedoch mit komplexerer Wirkung von Mozart in seinem Klavierkonzert in A-Dur, KV 488 aufgegriffen, das er 1786 fertigstellte.
Der langsame Variationssatz des Werkes ist Mozarts einziges Konzertstück, das in ureigenem tragischen g-Moll steht. Die Stimmung der Variationen ist von einem in seiner Musik selten anzutreffenden Pathos gekennzeichnet, obwohl die zentrale dritte Variation ein wilder orchestraler Ausbruch ist, den nicht einmal die versöhnlichen Scheinwiederholungen des Solisten zähmen können. Das Orchester ist in der Tat so ungeduldig, dass es mit der zweiten Hälfte des Themas herausplatzt, noch bevor das Klavier Zeit hat, seine Version der ersten Hälfte zu beenden. Zudem ist diese Variation derart revolutionär, dass sie eine Auflösung in Form der dann folgenden gedämpfteren vierten Variation in Dur verlangt, in welcher sogar die unregelmäßige Form der zweiten Hälfte des Themas symmetrischer wird.
Das Finalrondo beginnt recht unschuldig mit einem freudigen “Jagd”-Thema des Solisten. In der Mitte des Stückes erscheint jedoch ein durchführender Abschnitt, der auf so kühne Weise originell ist, dass er droht, vollständig aus den Konventionen der Zeit auszubrechen. Der Abschnitt steht nicht nur in Moll und einer entfernten Tonart, zusätzlich sind die Blasinstrumente auch im Zweiviertel-Takt (zwei Schläge auf zwei Achtel) notiert und damit entgegen dem vorherrschenden Sechsachtel-Takt (zwei Schläge auf drei Achtel); das erstgenannte Taktmaß wird schließlich vom Pianisten übernommen, der mit einer ausdrucks-vollen, synkopierten Melodie gegen eine stete Sechsachtel-Begleitung der Streicher anspielt.
Im Eröffnungssatz des Klavierkonzertes in F-Dur, KV 459 durchdringt der militärische, punktierte Rhythmus alle Schichten der Musik. Die kriegerische Färbung des Stückes ist so stark, dass Mozart am 11. Dezember 1784, als er das Konzert in sein fortlaufendes Verzeichnis seiner Werke eintrug, geistesabwesend notierte, die Besetzung beinhalte Trompeten und Trommeln. Der Eröffnungssatz ist deutlich weniger gemächlich als oft angenommen wird: Während ältere Ausgaben vier Schläge pro Takt angeben, sieht Mozarts Urschrift eindeutig zwei Schläge pro Takt vor. Die zentrale Durchführung, die sich vollständig in Moll entfaltet, ist jedenfalls ein außergewöhnlich bewegtes Stück, und seine Unruhe scheint sich auf den turbulenten Mittelteil der “Romanze” von Mozarts folgendem konzertanten Werk, dem dramatischen Klavierkonzert in d-Moll, KV 466, übertragen zu haben.
Der Mittelsatz ist kein langsamer Satz im eigentlichen Sinne, sondern ‒ einzigartig in Mozarts Konzerten ‒ ein “Allegretto”. Dies war nicht immer der Fall: Das Fragment eines heiteren langsamen Satzes in C-Dur (KV 466a) war mit ziemlicher Sicherheit ursprünglich für dieses Werk bestimmt. Es beginnt ebenfalls mit einem ausgedehnten Tutti, bevor das Thema vom Solisten aufgegriffen wird. Mozarts endgültige Entscheidung für ein eher fließendes Stück war ein Mittel, um die Gewichtung des gesamten Konzertes auf sein Finale zu legen. Das zweite Thema des Allegrettos wird nichtsdestoweniger von Flöte und Fagott im Kanon gespielt, bevor dieser an den Solisten weitergegeben wird; und in der Reprise verstärkt Mozart auf typische Weise die Struktur, indem er wie in Vorbereitung auf die kontrapunktische Darstellung im Schlusssatz ein zusätzliches Paar kanonischer Stimmen hinzufügt.
Das Finale ist der krönende Abschluss des Konzertes ‒ ein Stück von gänzlich sinfonischem Gewicht und eine atemberaubende Vorstellung von Mozarts kontrapunktischer Meisterschaft. Es beginnt auf geradlinige Weise mit einem Thema, das so regelmäßig und rondoartig daherkommt, wie man es sich nur vorstellen kann. Doch dieser harmlose Anfang dient lediglich dazu, ein enormes Tutti in Gang zu setzen ‒ das längste, das es in Mozarts Konzertfinalen gibt, wie sich herausstellt. Die erste Hälfte der orchestralen Passage entfaltet sich als Fugato, dessen Schwere die Verspieltheit des Rondo-Themas beiseite zu schieben scheint, das ihm vorausging. Allerdings kommt Mozarts Kontrapunkt erst im zentralen Abschnitt des Satzes richtig zur Geltung. Das Fugato-Thema wird hier mit dem Rondo-Thema in einem Doppelfugato kombiniert, dessen Vielschichtigkeit auf die berühmte tour de force im Finale der “Jupiter-Sinfonie”, KV 551 vorausdeutet.

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