Nadine Sierra | News | Booklettext: Nadine Sierra - Made for Opera - 4.3.2022 (VÖ) (DE/EN)

Nadine Sierra - Made For Opera
Nadine Sierra - Made For Opera

Booklettext: Nadine Sierra – Made for Opera – 4.3.2022 (VÖ) (DE/EN)

23.12.2021
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WIE GEMACHT FÜR DIE OPER
Als kleines Mädchen in Südflorida wusste ich eines immer ganz genau: Ich sang für mein Leben gern. Vom Aufwachen bis zum Zubettgehen dachte ich den ganzen Tag lang nur ans Singen. Ich war erst drei Monate alt, als meine portugiesische Mutter meine besondere Beziehung zur Musik entdeckte. Sie erzählt gerne, wie ich in meinem Kindersitz bei ihr im Auto saß und mein kleiner Fuß im Takt der Musik aus dem Radio mitwippte. Sie war fasziniert von dieser natürlichen Bewegung und davon, wie präzise jeder Impuls zum Tempo des Liedes passte. Dieses spontane Reagieren auf Töne und meine Begeisterung für Musik wurden in den nächsten Jahren noch stärker, und als ich sechs Jahre alt war, erlaubte mir meine Mutter, einmal in der Woche Gesangsunterricht zu nehmen, solange ich jeden Tag mindestens eine Stunde lang üben würde. Ohne Zögern oder Widerworte ließ ich mich darauf ein und genoss danach jeden Moment meiner Unterrichtsstunden.
Meine Mutter wuchs in Lissabon auf, sie war ein Einzelkind. Ihr Vater ging arbeiten und ihre Mutter war Hausfrau: meine Avó Susette (avó ist portugiesisch für »Großmutter«). Sie war eine wunderschöne Frau und kam aus einer großen Familie, in der man Musik schätzte und liebte, auch wenn mein Urgroßvater wenig vom Künstlerleben hielt. Er liebte die Oper und ging regelmäßig ins Theater, aber seine Tochter sollte auf keinen Fall als Sängerin leben. Das war hart für meine Avó, denn sie träumte davon, eines Tages Opernsängerin zu werden. Man erzählt sich, ihre Stimme habe so schön und verführerisch geklungen, dass Nachbarn und Verehrer regelmäßig vor dem Haus stehenblieben, um ihr bei ihren Gesangsübungen zuzuhören. Aus ihrem Traum wurde trotzdem nichts, denn ihr Vater erlaubte ihr nicht, an etwas anderes zu denken als an ein Leben als ehrbare Hausfrau – ein Schicksal, das die meisten jungen Frauen ihrer Zeit erwartete, ohne dass sie eine Wahl gehabt hätten.
Meine Mutter kannte diese Geschichten nur zu gut, und darum setzte sie alles daran, mir einen anderen Start ins Leben zu geben. Sie zeigte mir alle Möglichkeiten auf und ermutigte mich, hart für meine Träume zu arbeiten – auch als Mädchen. Anders als meine Avó konnte ich zwischen unzähligen Optionen für meinen Lebensweg wählen, und als ich 10 Jahre alt war, machte mich meine Mutter mit der Welt der Oper bekannt. Sie hatte in unserer Bücherei eine VHS-Kassette ausgeliehen, die wir am Ende nie zurückbrachten, weil ich so begeistert davon war und sie immer und immer wieder anschauen wollte. Die Musik von Puccinis La Bohème überwältigte mich wie nichts zuvor, und die Inszenierung von Franco Zeffirelli aus der New Yorker Metropolitan Opera hatte großen Anteil daran, dass ich von nun an Opernsängerin werden wollte. Die Sopranistinnen in dieser Produktion, Teresa Stratas und Renata Scotto, wurden für mich zu wichtigen Vorbildern, genau wie so viele andere beeindruckende Frauen aus der Welt der Oper. Mit noch nicht einmal 20 Jahren hatte ich das große Glück, dass Marilyn Horne mich unter ihre Fittiche nahm und meine Mentorin wurde, und dank ihrer Unterstützung und guten Ratschläge habe ich unglaublich viel gelernt. Es war ein Privileg, von diesen großartigen Frauen lernen zu dürfen, und durch sie habe ich begriffen, was man alles braucht für diesen Weg: Hingabe, Leidensfähigkeit, Opferbereitschaft, Durchhaltevermögen, Geduld und Leidenschaft für die Sache. Nur so kann man es schaffen und »wie gemacht für die Oper« sein.
Während meiner Jugend- und Studienzeit bekam ich von meiner Familie und meinen Lehrer*innen jede Unterstützung, die ich brauchte, um in diese Fußstapfen zu treten und einem Weg zu folgen, von dem meine Avó nur hatte träumen können. Sie starb, als ich 19 Jahre alt war, und bis dahin hatte sie voller Freude und Stolz meine ersten Schritte auf diesem Weg begleitet. Ich weiß noch, wie sie mir und meinen Schwestern manchmal etwas vorsang, und ihre Stimme ist Teil meiner frühesten Erinnerungen: Eine Stimme, die nie frei und laut für andere singen durfte, und deren Geschenk an mich weitergegeben wurde. Viele Jahre sah ich mich als demütige Dienerin dieser Gabe und stellte mein Leben ganz in ihren Dienst. Ich hegte und pflegte sie, denn schließlich wollte ich sagen können: Ich habe alles in meiner Macht Stehende getan, um »wie gemacht« für sie zu sein.
Sängerinnen spielen in der Oper oft junge Mädchen, die nicht selbst über ihr Schicksal entscheiden dürfen – was regelmäßig in einer Tragödie endet und ihnen wenig Freiheiten lässt. Figuren wie Violetta, Lucia und Juliette lehren uns etwas sehr Wichtiges über die Schönheit des Lebens, nämlich wie zerbrechlich sie ist, und dass ihr Lebensweg ganz anders hätte verlaufen können, wäre man nur ein wenig behutsamer, fairer und aufmerksamer mit ihnen umgegangen. Ich denke, Verdi, Donizetti und Gounod haben uns diese wundervollen Frauen geschenkt, damit wir sie bewundern können, und sie haben ihre Seelen auf eine Weise in Musik gefasst, die ihren Stimmen neue Kraft und Nachdruck verleiht – auch wenn sie in ihrer jeweiligen Geschichte nur wenig bewirken konnten.
Mein Weg als Musikerin – und als Frau – begann damit, dass ich nach etwas griff, das für jemand anderen unerreichbar gewesen war, und es Wirklichkeit werden ließ. Dieser Weg erlaubt es mir, gesehen und gehört zu werden und in meiner künstlerischen Arbeit noch über das hinaus zu streben, was ich als Frau unserer Tage bereits erreicht habe – als Ermutigung für alle jungen Frauen, die nach den Sternen greifen. Sich ganz und gar einer Sache zu verschreiben, ist erst der Anfang, und für manchen mag es unmöglich scheinen. Aber ich hoffe, dass ich mit meiner Geschichte und der meiner Familie all jenen helfen kann, die nach Inspiration suchen – weil sie ihren Weg gehen und ihr Leben selbst in die Hand nehmen möchten, um zu erkennen, dass sie »wie gemacht« sind für eine Sache.
Nadine Sierra
 
 
MADE FOR OPERA
When I was a little girl growing up in South Florida, I always felt certain about one thing: I loved to sing. From the moment I woke up in the morning until the last hours of the day, I just couldn’t stop myself from thinking about singing. My Portuguese mother knew I had a deep fondness for music even from the time I was three months old. She tells a story of when I was strapped in my car seat riding with her and tapping my little foot to the rhythm of the music playing from the radio. She was stunned by this natural movement and how each tap matched the tempo of the song perfectly! This surprising connection and fascination with music only increased as I got older, and by the time I was six years old my mother allowed me to take voice lessons every week, as long as I put in the time to practise every day for at least an hour. Without hesitation or tantrum, I took the opportunity and enjoyed every moment of those lessons.
My mother grew up in Lisbon as an only child to a working father and a stay-at-home mother: my Avó Susette. My Avó (“grandmother” in Portuguese) was a beautiful woman who grew up in a large family that also adored and appreciated music, although my great-grandfather didn’t entirely agree with the entertainer lifestyle. He certainly loved opera and devoted time to be at the theatre, but he didn’t want his daughter to lead the life of a singer. Unfortunately, this affected my Avó greatly, as she had dreams and aspirations to become an opera singer one day. It has been said that her voice was so lovely and alluring that suitors and neighbours alike would stop in front of the family home to listen to her practising from inside! It would always be a futile dream, however, for her father never gave her the permission to pursue anything outside of being a respectable housewife, a destiny all young women in those days were given without much choice.
Knowing these stories very well, my mother seized the opportunity to give me a different upbringing – one full of possibilities – and she encouraged me to work hard for my dreams, no matter my being a little girl. Unlike my Avó, my choices of what I wanted in life were endless, and it’s where my mother got the idea to introduce me to opera at ten years old. It was through a VHS tape from our public library that never got returned because I couldn’t stop studying and obsessing over its brilliance. Puccini’s La Bohème shocked me like nothing musically ever had before, and Franco Zeffirelli’s production from the Metropolitan Opera couldn’t have been a greater catalyst for my decision to become an opera singer. I was hugely influenced by its two starring sopranos, Teresa Stratas and Renata Scotto, while continuing to be inspired by several other great women in opera. I also had the greatest good fortune of being taken under Marilyn Horne’s wing in my late teens, and I gained a tremendous amount of knowledge from her mentorship. I realized through these pinnacle moments of learning from these exceptional women that I needed to have all that it took – the dedication, hardship, sacrifice, perseverance, patience and pure devotion – to be “made for opera”.
Throughout my upbringing and vocal studies, I received all the encouragement I needed from my family and mentors to step inside of these shoes and to walk a path that my Avó was only ever allowed to fantasize about. She passed away when I was nineteen years old but, thankfully, got to watch me walk part of this path with pride. I remember her singing to me and my sisters with a voice that still can be heard in my earliest memories: a voice that never had the chance to be sung out loud for others to hear, but one that was so graciously passed on to me. For years, I have felt like a humble servant to this gift and have devoted my life’s work to nurturing it until I can ultimately say that I’ve done everything in my power to be “made” for it.
So often are women in opera having to play roles that depict young female characters unable to decide their fates for themselves – fates usually ending in tragedy – and with very few choices of their own. Roles like Violetta, Lucia and Juliette all teach us something very valuable about the beauties of life – how fragile it all is – and how, with a bit more care, fairness and attention, their destinies could have resulted in a different outcome. But I believe Verdi, Donizetti and Gounod gave us these beautiful women in order to appreciate them and composed their souls through the music in a way that will forever give power to their voices – no matter the social powers they each lacked in their individual story.
My journey as an artist – as a woman – began by taking what had been impossible for another and making it possible for me. It’s a journey that has allowed me to be seen, to be heard and to design my artistic aspirations for an even bigger goal than what I’ve already achieved – passing on this courage that I, as a modern-day woman, can give with the utmost strength to any young woman wanting to reach the highest star. Being “made” for something can have many factors associated with it and, for some, can almost seem impossible. But, by sharing my family story and background, I’d like to believe that it can give some inspiration to those seeking it – to those also wanting to walk the path, having the courage to fulfill their destiny and to realize that they too can be “made” for anything.
Nadine Sierra
 
La traviata
Based on Alexandre Dumas’s play La Dame aux camélias and given to the opera world in 1853, Giuseppe Verdi’s La traviata focuses on its main female character, placing her as one of the most celebrated soprano roles of all time. Violetta Valéry is said to be a role requiring three different types of soprano, which makes her incredibly complex to sing, but also gives her an exciting variety of vocal nuance and theatrical possibilities. Although her tragic ending weighs heavily on the hearts of those who listen to her, Verdi’s composition makes it inevitable that the power her character possesses remains alive even beyond her inequitable fate. 
Lucia di Lammermoor
Famous for its heroine’s legendary scena di pazzia (mad scene) and the vocal demands Donizetti wrote for her, this opera shows how even the most virtuous of characters can break tremendously under the social pressures they’re forced to face. Lucia herself needs a soprano whose vocal prowess and dramatic interpretation can make her haunting music unforgettable and deliver a powerful lesson to the listener, even as her final notes rise above the staff. Although her situation in life cannot give her the control she desperately yearns for, Donizetti gave her the most compelling vocal phrasing, which makes her one of the most dynamic bel canto heroines in all opera.  
Roméo et Juliette
One of the most famous love stories of all time inspired Charles Gounod to compose his Roméo et Juliette, and he graciously gave his female protagonist some of the most touching music found in opera. Although Juliette is incredibly young, her fierceness and vitality are highlighted in both of her celebrated arias. Gounod made it possible for her femininity to be experienced as far more than just her youth and naïveté by giving her vocal phrasing a more lyrical and sensual line; this certainly makes singing Juliette an absolute pleasure!

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