Paul McCreesh | News | Booklettext: Paul McCreesh - Messiah CD & Blu-ray - 12.3.2021 (VÖ) (DE/EN)

Paul McCreesh, c Sheila Rock/DG
Paul McCreesh, c Sheila Rock/DG

Booklettext: Paul McCreesh – Messiah CD & Blu-ray – 12.3.2021 (VÖ) (DE/EN)

25.02.2021
Please scroll down for English version
 
EIN »MESSIAS« FÜR DAS JAHRTAUSEND
VON PAUL McCREESH
Der Messias hat mich immer schon fasziniert: Wie konnte ein so offenkundig religiöses Werk, das mit Streitfragen seiner Zeit verbunden ist, zum Symbol im englischen Kulturleben vieler Generationen werden? Die Welt, in der Händel in London lebte, verblasst immer stärker – wieso hält sein Messias – im Gegensatz zu vielen anderen Kunstwerken – uns und unsere laute, pantheistische Gegenwart immer noch in seinem Bann?
Jede Generation schafft sich ihren eigenen Messias und spiegelt darin die eigenen Vorurteile. Auch unsere gegenwärtigen Verranntheiten in Bezug auf Historizität und Objektivität spiegeln womöglich viel stärker das 20. Jahrhundert als jene Zeit, deren musikalischen Stil und Gehalt wir mit so viel Einsatz wiederbeleben möchten. Ich wollte einen gänzlich modernen Messias haben: Er sollte nicht nur die reine, makellose Genialität hinter Jennens’ und Händels großartigem Wurf zum Ausdruck bringen, sondern versuchen, auch die ergiebigen Symbolschichten zu erfassen, mit denen alle bisherigen Generationen das Werk bereichert haben.
Ich habe immer schon für den Theaterkomponisten Händel geschwärmt; aber nicht nur für den Opernkomponisten, sondern auch für den Schöpfer der grandiosen dramatischen Oratorien Saul, Belshazzar, Jephtha und Solomon, die ich viel öfter dirigiert habe als den Messias. Aber der Messias wurde natürlich meist im Theater, nicht in der Kirche aufgeführt, und ich habe immer wieder über die Genialität gestaunt, mit welcher Jennens diese Sammlung von Texten von solch dramatischer Wucht schuf. Nicht ohne Grund haben sich viele zeitgenössische Zuhörer über den starken Einfluss des Opernhaften im Messias geärgert.
Auch hat es mich unwiderstehlich immer mehr zu den Händel-Aufführungen der jüngeren Vergangenheit hingezogen und nicht so sehr zu den selbstzufriedenen Verkündigungen der frühen »historischen « Aufführungen, so mitreißend sie auch sein mögen. Und doch, wie z. B. Malcolm Sargent musiziert, indem die bloße, leidenschaftliche Liebe zur Musik und die bedingungslose Hingabe an das, was sie kündet, so unmittelbar zur Sprache kommt, lässt alle Diskussionen über Aufführungsstile akademisch wirken. Ob man ein Adagio sostenuto mit Orchesterposaunen oder eine stilisierte Französische Ouvertüre mit Oboen und Geigen dirigiert – die ersten Takte der Eingangs-Sinfonia im Messias müssen von größter Feierlichkeit und Tiefe durchströmt sein. Die Überschrift im Textbuch »Und ohne allen Zweifel groß ist das Geheimnis des Göttlichen« steht symbolhaft auch über diesen ersten monumentalen Akkorden.
Wie jeder Dirigent kann ich nur hoffen, dass der Messias in dieser Einspielung etwas von meiner Liebe zu und meiner Hochachtung vor diesem ehrwürdigen Werk wiedergibt. Viele Hörer werden den Messias nicht mehr als Vermächtnis für die Dauerhaftigkeit der christlichen Botschaft auffassen, aber Gläubige wie Ungläubige vermögen in diesem Werk einen überwältigenden Triumph menschlichen Strebens zu erkennen. Deshalb ist dieses Meisterwerk so stark und kann zuversichtlich über die Jahrhunderte hinweg vom Findelhaus um die Mitte des 18. Jahrhunderts zu einem neuen Jahrtausend sprechen.
DIE FASSUNG DER FINDELHAUSAUFFÜHRUNG
Es gibt nicht so etwas wie »den« Messias – auch diese Einspielung folgt nur einer von wenigstens zwölf Interpretationen, die sich aus Händels eigenen Aufführungen im Zeitraum von ungefähr 15 Jahren ergeben haben. Die Findelhaus-Fassung von 1754 hat viel für sich: Sie ist eine der letzten Fassungen unter Händels Aufsicht, sie enthält viele Arien aus späteren Fassungen, darunter die 1750 komponierten virtuosen Vertonungen für den Altkastraten Gaetano Guadagni, die Händel 1754 für einen zweiten Sopran umbesetzte – eine wirklich praktischere Lösung heutzutage. Händel trat 1749 in Kontakt mit der Findelhaus-Wohltätigkeitsgesellschaft und spendete für Gebäude und Erhaltungskosten (er schenkte auch eine Orgel für die Kapelle). Dort leitete er die Erstaufführung im Mai 1750. Ein seltener Satz Instrumental- und Vokalstimmen von der Aufführung 1754, auch Gagenrechnungen, die uns über die Besetzungsstärke unterrichten, sind uns überliefert. Sie befinden sich heute im Archiv der Thomas Coram Foundation (der Nachfolgeinstitution des Findelhauses) und haben sich als unschätzbare Hilfe für das vorliegende Projekt erwiesen.
Die Arien dieser Einspielung werden von fünf Solisten gesungen, wie in der Aufführung von 1754, nur die Sopran-Arien haben wir ein wenig umverteilt. »But who may abide« (»Doch wer wird ertragen«) wurde damals in a-Moll gesungen, wir haben die spätere Fassung in g-Moll vorgezogen, die zum folgenden Chorsatz tonartlich besser passt. Händels farbige, wenn auch zugegebenermaßen eigenartige Wortvertonungen sind vollständig beibehalten worden. Die Stimmen der dritten Geigen in der Pifa und in »All they that see him« (»Und alle, die ihn sehen«) sind im Findelhaus-Material nicht überliefert, und so haben wir sie ergänzt. Oboen- und Fagott-Stimmen – zum größten Teil fehlen sie in Händels Autographen – haben wir unter leichten Änderungen dem Findelhaus-Material entnommen. Hörnerstimmen haben wir hinzugefügt, da diese Instrumente bekanntlich bei verschiedenen Aufführungen im Findelhaus mitgespielt haben. Sie folgen mit leichten Änderungen den Trompeten und sind in den Schlusschören von Teil II und III von herrlicher Wirkung.
DIE ORGEL
Die Orgel, die wir hier benutzen, wurde von einem unbekannten Orgelbauer um 1800 geschaffen, der möglicherweise Pfeifen aus London benutzte. Ursprünglich war das Instrument wohl für eine Kirche in Dorset bestimmt. Lange Jahre stand es in einer Unitarier-Kirche in Wareham, Dorset, wurde 1967 überholt und, als die Kirche schloss, ausgebaut und teilweise restauriert. Heute ist die Orgel in Privatbesitz und wurde uns von der Eaton-Kirche bei Belvoir Castle, Leicestershire, ausgeliehen. Das Pfeifenwerk blieb unverändert, es ist für diese Aufnahme 1/5-Komma mitteltönig bei 418 Hz umgestimmt worden, ein Kompromiss für Dis und Es. Die Orgel hat fünf Register: Open Diapason (von G), Stopped Diapason, Principal, Quint 2 2/3’ und Quindezime.
Diese Orgel ist gewiss größer als die Instrumente, die zurzeit für Barockmusik benutzt werden; wir hoffen dennoch, der Ton entspricht dem größeren Kammerinstrument, das Händel vermutlich bei seinen eigenen Aufführungen zur Verfügung stand. Traditionell spielt es bei den Chören mit, aber auch bei bestimmten Arien, wo es dann die Bassstimme verdoppelt, in der Art, wie man das in einer zeitgenössischen Orgelstimme im Alexanderfest erkennen kann.
Unser Dank gilt Martin Renshaw, Tony Clayton und der Eaton Parish Church für die Erlaubnis, diese Orgel benutzen zu dürfen.
 
 
A “MESSIAH” FOR THE MILLENNIUM
BY PAUL McCREESH
Messiah has always fascinated me: how could such an overtly religious work, so closely related to the theological arguments of the day, become a cultural icon in English life for so many succeeding generations? As the world of Handel’s London retreats ever further into the distant historical past, why does Messiah above so many works of art still hold such sway in our frenetic and pantheistic world?
Every generation moulds its Messiah to reflect its own preoccupations; indeed, our current obsession with historicism and objectivity perhaps reflects the 20th century more vividly than the period whose musical style and context we struggle so hard to re-create. I wanted this Messiah to be thoroughly modern: I wanted to express not only the raw genius of Jennens’s and Handel’s magnificent conception, but to try to embrace the rich layers of symbolism that each new generation has created in this work. I have always loved Handel the theatre composer, not only in his operas, but also in those wonderfully dramatic oratorios Saul, Belshazzar, Jephtha and Solomon, which I have conducted more frequently than Messiah. But Messiah, of course, was more often performed in a theatre than in a church, and I’ve long marvelled at Jennens’s genius in assembling a collection of texts with such dramatic awareness. Not without reason did contemporary audiences resent Messiah’s operatic influences.
I have also been drawn, inevitably, to Handel performances of the more recent past, not so much the self-conscious evangelism of the first “period” performances – exciting as the results were – but the passionate communication of an earlier generation, especially Malcolm Sargent, where the sheer love of the music and unquestionable commitment to its message speak with a directness that makes argument about performing style academic. Whether you conduct an adagio sostenuto with symphonic trombones or a stylized French ouverture with oboes and violins, the first bars of Messiah’s opening “Sinfony” must breathe the greatest solemnity and profundity. The word-book’s epigraph, “And without Controversy, great is the Mystery of Godliness”, is written figuratively above those first monumental chords.
Like any conductor, I can only hope that this Messiah will reflect something of my passion and respect for this awesome work. Many will no longer approach Messiah as a testament to the endurance of the Christian message, but believer and non-believer alike can recognize in Messiah one of the great triumphs of human endeavour. For that reason, this masterpiece is eminently capable of speaking confidently across the centuries from the Foundling Hospital in the 1750s towards a new millennium.
THE FOUNDLING HOSPITAL VERSION OF “MESSIAH”
There is no such thing as “the” Messiah, and this recording follows just one of at least a dozen schemes that evolved in Handel’s own performances over some 15 years. The Foundling Hospital version of 1754 has much to commend it: as one of the last versions under Handel’s supervision, it contains many of the later versions of arias, including the virtuoso settings composed in 1750 for the alto castrato Gaetano Guadagni, but recast by Handel in 1754 for a second soprano, an altogether more pragmatic solution today. Handel had become associated with the Foundling Hospital charity in 1749 and contributed to its building and maintenance funds (he also donated an organ to the chapel), first performing Messiah there in May 1750. For the performance in 1754 there survives a rare set of instrumental and vocal parts and bills of payment outlining the size of the forces used; all are preserved in the archives of the Thomas Coram Foundation (the successor to the Foundling Hospital) and have proved invaluable in researching the present project.
The arias on this recording are sung, then, by five soloists, as in the 1754 performance, although the soprano arias have been shared out slightly differently. “But who may abide” is set in A minor in the Foundling Hospital material, but is here given in a later G minor version which preserves a better tonal relationship with the succeeding chorus. Handel’s colourful, if admittedly idiosyncratic, word-setting has been retained throughout.
The third violin parts in the Pifa and in “All they that see him”, which are not preserved in the Foundling Hospital material, have been restored. Oboe and bassoon parts – largely absent from Handel’s autographs – follow the Foundling Hospital material, slightly modified. Horn parts have been added, as it is known that players took part in several performances at the Foundling Hospital: with minor changes they follow the trumpets in the final choruses of Parts II and III to splendid effect.
THE ORGAN
The organ used in this recording is by an unknown maker and was built around 1800, possibly using London-made pipework, probably for a church in Dorset. For many years it stood in the Unitarian Church at Wareham, Dorset, but was overhauled in 1967, and following the closure of the church was removed and partially restored. It is now owned privately and has been loaned to Eaton Church near Belvoir Castle in Leicestershire. The pipework has never been altered and it is tuned in modified 1/5-comma meantone at 418 Hz, with, for this recording, a compromised D sharp/E flat. There are five ranks of pipes: Open Diapason (from G), Stopped Diapason, Principal, Twelfth and Fifteenth.
This is certainly a larger instrument than is usually heard in current performances of Baroque music and hopefully reproduces the sound of the kind of larger chamber instrument that Handel would probably have used in his own performances. As well as its traditional role in choruses, the instrument can be heard doubling the bass line in certain arias, as implied by a contemporary organ part to Alexander’s Feast.
For making the use of this instrument possible, I gratefully acknowledge the help and assistance of Martin Renshaw, Tony Clayton and Eaton Parish Church.

Weitere Musik von Paul McCreesh