WAHRE WUNDER
In ihren ersten Wagner-Rollen sind Anna Netrebko und Piotr Beczała unter der Leitung von Christian Thielemann die Stars eines neuen Videos von Wagners Lohengrin auf Deutsche Grammophon
»Mit strahlender, fester Stimme sang Beczała voll Wärme, Flexibilität und beherztem Selbstvertrauen. Er konnte eiserne Entschlossenheit ebenso wie stille Größe zeigen; den dritten Akt machte er praktisch zu einem einzigen wunderschön gestalteten Crescendo. Den ganzen langen Abend hindurch klang sein sicherer Heldentenor klar und frisch.« Opera News, 25. Mai 2016
»[Netrebkos] Elsa beherrscht eine riesige Bandbreite von inniger Wärme, jubilierender Freude bis zu angsterfüllter höchster Dramatik.« Die Presse, 21. Mai 2016
»Bayreuths Musikdirektor Christian Thielemann … leitete die wundervolle Staatskapelle Dresden in einer machtvollen, beeindruckenden Interpretation des Werks.« Opera News, 25. Mai 2016
Trompetensignale, packende Chöre und eine der Gralslegende verpflichtete Handlung trugen dazu bei, Lohengrin zu Wagners beliebtester Oper zu machen. Trotz anhaltender Popularität zählt sie jedoch auch zu den am wenigsten verstandenen Werken des Komponisten. Christian Thielemann und eine bemerkenswerte Besetzung mit Piotr Beczała als Lohengrin und Anna Netrebko als Elsa – beide in ihren ersten Wagner-Rollen – ergründeten im Mai 2016 in der Semperoper in Dresden die psychologischen Tiefen dieser Oper und taten einen neuen Blick auf eine düstere Tragödie. Lohengrin zeigte sich als ein Werk von revolutionärer Frische. Und zwar, weil die ganze Aufmerksamkeit den vielfältigen Details der Partitur galt und an die Stelle des üblichen auf Kraft und Lautstärke fixierten Wagner-Stils eine Belcanto-Interpretation trat, durchsetzt mit dynamischen Kontrasten und Ausdrucksnuancen.
Dies war ein Lohengrin für unsere Zeit und für alle Zeiten; die Kritik war sich einig. Opera News sprach von einer »unfassbar guten Aufführung«, ein Urteil, das Fünf-Sterne-Bewertungen unterstrichen und begeisterte Schlagzeilen der Presse bestätigten. UNITEL, die im vergangenen Jahr ihr 50-jähriges Bestehen feierte, dokumentierte das Ereignis filmisch. Der Katalog der Gesellschaft enthält Patrice Chéreaus bahnbrechenden »Jahrhundertring« von den Bayreuther Festspielen 1976 ebenso wie den Ring von La Fura dels Baus in Valencia aus den Jahren 2007–2009. Die DVD von Thielemanns Lohengrin, die am 7. Juli 2017 bei Deutsche Grammophon erscheint, ist das erste Video des gelben Labels in Ultra HD. Die hochauflösenden Bilder und der Klang haben die intensive Dramatik und die emotionelle Kraft eingefangen, die von einem jener seltenen Wagner-Ensembles ausgehen kann, in dem alle Mitwirkenden – von Beczała und Netrebko bis zum Sächsischen Staatsopernchor und der Staatskapelle Dresden – zu einem vollkommenen Instrument zusammenwachsen. An der Seite der Hauptfiguren stehen die erbitterte, rücksichtslose Ortrud von Evelyn Herlitzius, der stimmgewaltige Telramund von Tomasz Konieczny und der wahrhaft majestätische König Heinrich von Georg Zeppenfeld.
»Seit der ersten Dresdner Produktion 1859 gab es an der Semperoper über 750 Aufführungen von Lohengrin«, stellt Christian Thielemann fest. »Diese Musik gehört zum Geist der Stadt und ihrer Musiker, aber sie darf keinesfalls in der Routine der Tradition stecken bleiben. Etwas muss sich immer in der Aufführung ereignen; sie muss natürlich erscheinen, nicht steif oder forciert, ohne den großen Bogen von Wagners Musik aus dem Blick zu verlieren. Es war eine Freude, mit zwei großen Sängern zu arbeiten, für die Wagner Neuland ist, die jedoch durch ihre künstlerische Intuition und ihre Intelligenz den Fluss italienischer Lyrik mit der Präzision deutscher Deklamation verbinden können.«
Die Wahl des Dirigenten für seine beiden Protagonisten passte ideal zu einem Werk, das dem Einfluss der Belcanto-Oper viel verdankt. Wagner, erklärt Thielemann, habe die Musik von Bellini und Donizetti gekannt und die großen italienischen Sänger Anfang der 1840er-Jahre in Paris gehört. »Wagners Orchestrierung in Lohengrin unterstützt die Gesangsstimmen«, sagt der Dirigent. »Das Orchester ist nicht da, um mit den Sängern zu konkurrieren – zumindest sollte es das nicht.«
Anna Netrebko befürchtete zunächst, dass sie sich verausgaben müsse, um Lohengrin zu bewältigen. »Das habe ich bei Wagner erwartet«, erinnert sie sich. »Zuerst sang ich alles sehr laut. Ich dachte: ›Es ist Wagner – es muss laut sein!‹ Aber als ich zur Probe kam, ließ Maestro Thielemann das Orchester so leise spielen, dass ich es kaum hörte und so noch leiser singen konnte als beispielsweise bei Bellini oder Donizetti.« Das Feingefühl des Dirigenten nahm der Sopranistin die Sorge vor einer möglicherweise riskanten Rolle und gab ihr die Freiheit, die Figur der Elsa mit allen verfügbaren Nuancen von Stimmfärbung und Timbre zum Leben zu erwecken.
»Wagner gehört zu meinen Lieblingskomponisten«, sagt Netrebko. »Aber ich hätte nie gedacht, dass ich einmal etwas von ihm singen werde. Elsa ist die einzige Wagner-Rolle für mich. Maestro Thielemann hat mir geholfen, den Stil zu erlernen, und ich konnte von meinen wundervollen Kollegen profitieren in dieser Produktion. Ich muss gestehen, dass es hart für mich war, den Text zu lernen. Ich kann mir jeden englischen Text merken, ich kann alles auf Französisch oder Italienisch lernen. Aber Deutsch fällt mir schwer. Elsas ›Einsam in trüben Tagen‹ war okay, bis … silenzio … ich mich nicht mehr erinnern konnte, wie es endet! Christian Thielemann öffnete mir einen Zugang zu den Worten. Er sagte, er wolle ›Tttexssssttt! Vokale! Konsonanten!‹. Das war der Schlüssel für mich.«
Und er öffnete die Tür zu Elsas nur allzu menschlicher Psyche. »Natürlich ist es ganz normal, dass Elsa wissen will, wer ihr künftiger Ehemann ist und woher er kommt«, erklärt Netrebko. »Sie hat bereits einen mächtigen Mann abgewiesen, Telramund, der sie dann beschuldigte, ihren Bruder ermordet zu haben. Unter diesem gewaltigen Druck glaubt sie, Gott habe einen geheimnisvollen Fürsprecher geschickt, der sie beschützen soll. Als Ortrud sie öffentlich beleidigt und fragt, warum sie den Namen des Mannes nicht kenne, den sie heiraten will, beginnt der Zweifel an ihr zu nagen. Es ist wirklich schwer für sie. Je mehr Lohengrin sie am Beginn des dritten Akts beschwichtigt, desto erregter wird sie. Da erinnert er sie an ihren Schwur, nicht nach seinem Namen oder dem seines Heimatlandes zu fragen. Und sie ist einfach nicht fähig, ihr Versprechen zu halten. Ich verstehe das, auch wenn es schreckliche Folgen hat für sie. Gerade das macht ihre Geschichte so zutiefst menschlich. Und das alles ist in der Musik vorhanden, die das ganze Spektrum hat von den reinsten Klängen bis zu gewaltigen Wutausbrüchen. Ich werde auf der Bühne sehr emotional bei dieser Musik. Es war ein wunderbares Erlebnis für mich, bei der Produktion mitzuwirken.«
Piotr Beczała ist ein begehrter Gast an den berühmtesten Opernhäusern der Welt und als Konzertsänger bei den internationalen Spitzenorchestern. Der polnische Tenor, dem die Zeitschrift Opera »eine der aufregendsten Männerstimmen unserer Zeit« bescheinigt, machte sich einen Namen mit ausdrucksvollen Interpretationen von Rollen wie dem Herzog in Rigoletto, Rodolfo in La bohème und Des Grieux in Manon, die ungebrochenen Lyrismus, aber auch die stimmliche Kraft für dramatische Höhepunkte verlangen. Christian Thielemann überzeugte ihn, dass er bereit sei für die Herausforderung einer Wagner-Partie.
»Lohengrin ist nicht dramatischer als meine anderen Rollen«, sagt Beczała. »Aber die Partie bezieht Aspekte der Stimme ein, die ich normalerweise im französischen, italienischen oder slawischen Repertoire nicht verwenden würde.« Nach seiner Ansicht stellt Wagner bei Lohengrin große Anforderungen an das Ausdrucksvermögen des Interpreten, der einen Weg finden muss zwischen der inneren und der äußeren Gefühlswelt der Figur. Außerdem verlangt die komplizierte Beziehung zwischen Lohengrin und Elsa sehr viel von beiden Sängern. »Lohengrin ist ein Superheld, jemand aus einer anderen Welt«, erklärt der Tenor. »Aber er ist auch ein Mensch, geradlinig im Denken und von noblem Charakter. Das ist für uns heutzutage befremdlich an der ganzen Oper, der deutliche Gegensatz von Mann und Frau und die Unterschiede in ihrem Denken und Handeln. Ja, theoretisch können sie zusammen sein, aber in der Praxis erweist es sich als unmöglich.«
Christian Thielemann hat uneingeschränktes Lob für die Stars von Lohengrin: »Das Niveau von Anna Netrebkos künstlerischen Fähigkeiten, das Zusammenspiel von Licht und Schatten in ihrer Stimme und deren unbegrenzte Farbpalette sind ideal für diese Rolle.« Ebenso begeistert war er von Beczałas Lohengrin. »Seine Interpretation verbindet Glanz mit Wärme, Heroismus mit Zartheit, hinreißende musikalische Qualitäten mit brennender emotionaler Ehrlichkeit. Mit so hervorragenden Künstlern, die so hart und mit so viel Überzeugungskraft gearbeitet haben, war es für mich ein ganz besonderer Lohengrin. Ich freue mich, dass Deutsche Grammophon jetzt Zuschauern auf der ganzen Welt ermöglicht, an diesem Erlebnis teilzuhaben.«