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Über diese Aufnahme
So schwierig es im Allgemeinen ist, den eigenen Interpretationsansatz zu beschreiben und dabei objektiv zu bleiben, umso schwerer fällt es mir in diesem Fall, dies mit Bescheidenheit zu tun – denn ich kann sagen, dass wir alles, was wir umgesetzt haben, aus voller Überzeugung getan haben. Beim gemeinsamen Spielen dieser Musik gerieten wir nie in Versuchung, unser Konzept aus einer Unsicherheit heraus zu verwässern. Im Grunde genommen würde ich sagen, dass wir Mozarts Musik genauso wie unseren Zuhörern zutiefst vertraut haben. Wir vereinfachen den Ausdruck der Musik nicht absichtlich, wir lösen Mehrdeutigkeiten nicht auf und suchen keine Ausflüchte aus irgendeinem ihrer mannigfaltigen Charaktere. Wir haben, um eine Analogie aus der Kulinarik zu verwenden, gänzlich auf unsere angeeignete Fertigkeit verzichtet, gewöhnliche Zutaten zu verfeinern, haben wir doch gespürt, dass wir es hier mit außergewöhnlichen Zutaten zu tun haben. Wir sind uns sicher, dass unsere Zuhörer sie als solche zu schätzen wissen.
Wie schon oft erwähnt, spielt die Violine in Mozarts Sonaten eine weniger dominante Rolle als in späteren Werken für Violine und Klavier ab dem 19. Jahrhundert. Wir haben jedoch keine historisierende Interpretation gewählt, ganz im Gegenteil: Es war besonders lohnend zu erleben, wie sich die ganze Schönheit von Mozarts Musik auch innerhalb einer späteren Klangästhetik entfalten konnte. Wenn ich höre, wie Renaud Mozarts Melodien mit all der Üppigkeit und Raffinesse spielt, die modernes Geigenspiel zu bieten hat, bin ich überzeugt: Es ist schön, und das ist, was zählt.
Kit Armstrong
Keine Violinsonaten
Violinsonaten im landläufigen Sinne hat Mozart keine geschrieben. Das hätte ihm wohl auch kaum gefallen – am Klavier oder Cembalo zu sitzen und zuzuhören, wie ihm ein anderer die Schau stiehlt. Dabei hätte er selbst in so einer Violinsonate der Star sein können. Gut genug beherrschte er die Geige allemal, um alles, was er dafür geschrieben hat, selbst aufzuführen. Sein Vater Leopold Mozart war ja ein bekannter Geigenlehrer und Autor einer vielbeachteten Violinschule. Doch schon auf der ersten großen Konzertreise nach Paris und London saß der siebenjährige Mozart am Klavier, und wenn dann noch eine Geige mit von der Partie sein sollte, dann übernahm Papa Leopold diese Rolle und stellte sich bescheiden hinter den Sohn.
Tatsächlich war das wohl selbst bei Mozarts späten Sonaten aus den Wiener Jahren noch so: Der Geiger stand nicht neben, sondern hinter dem Pianisten und schaute ihm über die Schulter. Was schon optisch die musikalische Rangfolge der beiden Instrumente anzeigt, hatte rein praktische Gründe: In fast allen zeitgenössischen Ausgaben ist der Geigenpart lediglich über der Klavierstimme gedruckt und nicht als eigene Stimme.
Mozarts »Violinsonaten« sind also keine Sonaten für ein Soloinstrument im Rampenlicht mit einer Begleitung im Halbdunkel. Eher ist es andersherum: Das Klavier gibt den Ton an, darf die Themen vorstellen, und die Geige muss folgen. Allerdings ist nicht Eitelkeit der Grund dafür. Mozart fand diese Verhältnisse bereits so vor, als er 1764 die Welt der Kammermusik betrat: Sein Opus 1, die »Sonates pour le Clavecin qui peuvent se jouer avec l’Accompagnement de Violon«, folgt der neuesten Mode aus Paris – die Gattung ist in Salzburg und Wien damals noch völlig unbekannt.
Mozart bringt sie mit in die Heimat. Und macht aus einer Kleinigkeit, einem Stück höfischer Unterhaltung, eine Kunstform. Diese Leistung wird noch heute kaum entsprechend gewürdigt, und auch Renaud Capuçon wundert sich, warum er die Sonaten bisher so selten gespielt und einige davon erst so spät für sich entdeckt hat: »Diese Sonaten sind unglaublich vielfältig und zeigen so viele Facetten von Mozarts Genie. Es gibt so viele magische Momente in diesen Werken, und der langsame Satz von KV 481 ist eines der schönsten Musikstücke, die Mozart jemals geschrieben hat.«
Mit insgesamt 32 vollendeten Werken (von denen er die Hälfte als 6- bis 10-Jähriger komponierte) sind die Sonaten für Klavier und Violine mit Abstand der größte Posten in Mozarts Kammermusik. 2016 hat Capuçon die hier versammelten »reifen« Sonaten mit Kit Armstrong zum ersten Mal als Zyklus bei der Mozartwoche in Salzburg gespielt: »Wir Geiger spielen eher die zehn Beethoven-Sonaten oder die drei von Brahms als Zyklus.« Dabei sind Mozarts Sonaten ganz zentral für sein Schaffen: Sein ganzes Leben lang beschäftigte er sich mit der Kombination der beiden Instrumente. Und auch die Pianisten hätten mindestens ebenso viel Grund wie die Geiger, sich für diese Werke zu interessieren. Für Renaud Capuçon ist die Zusammenarbeit mit Kit Armstrong in diesem Repertoire »eine unglaubliche Inspiration. Alles funktioniert ganz unkompliziert und natürlich, und nachdem wir die Sonaten in Salzburg gespielt hatten, wussten wir sofort, dass wir sie auch aufnehmen wollten. Diese Stücke mit ihm zu spielen ist eine wunderbare musikalische Reise.«
Wieder ist Mozart auf dem Weg nach Paris, als er 1778 den Faden aufnimmt, den er als Kind zu spinnen begonnen hat. Wieder erscheinen die neuen Duos unmittelbar nach Vollendung im Druck, wieder als »Opus 1«, wieder als Klaviersonaten »mit Begleitung einer Violine«. Doch die Verhältnisse sind längst nicht mehr so eindeutig wie einst. Und Mozart beflügelt der Ehrgeiz, sie weiter zu verunklaren. Die sechs Sonaten KV 301–306 überbieten sich mit immer neuen Strategien, die Erwartungen zu hintergehen, und zeugen vom Wunsch, die Karten jedes Mal neu zu mischen: So darf die Violine den frühlingshaften Kopfsatz von KV 301 eröffnen und sich vom Klavier mit einfachem Figurenwerk begleiten lassen, nur um dann ihrerseits in die zweite Reihe zu treten, wenn das Klavier den nächsten Einfall präsentiert. Im zweiten Satz gewährt Mozart dann dem Klavier den Vortritt, doch statt zu warten, bis sie ein eigenes Thema zugewiesen bekommt, mischt sich die Geige schon auf halber Strecke ein und übernimmt die Führung. Das Klavier fügt sich augenblicklich, so wie überhaupt die Frage der Rollenverteilung bei Mozart nicht ausgetragen wird im Stile eines concertare, also eines echten Wettstreits um Aufmerksamkeit, sondern eines so vergnüglichen wie einvernehmlichen Ausspielens von Optionen. So geht es denn auch hier im Allegro, nach dem kurzen Hin und Her, erst einmal in Terzparallelen weiter – die beiden verstehen sich halt.
Der Abstand zwischen Vorder- und Hintergrund wird ständig neu vermessen: Mal zieht sich eines der beiden Instrumente weit zurück, wird zur reinen harmonischen Stütze, mal läuft es im Gleichschritt mit und verdoppelt den Partner, mal funkt es frech dazwischen, wirft Motive und Motivsplitter wie ein Echo zurück, verstärkt den Vortrag des anderen mit kurzen Akzenten und fügt sich dann wieder in die Funktion des Lückenbüßers, spielt Liegetöne und Repetitionen oder begnügt sich gar, wie es das Klavier tut, wenn die Violine im Kopfsatz von KV 306 das Seitenthema präsentiert, mit einer kargen Generalbassbegleitung im Stile des Barocks. Zusammen mit der zeitgleich entstandenen Sonate KV 296 gelingt Mozart mit dem Zyklus KV 301–306 ein Paradigmenwechsel: Aus »Klavier mit Violine« wird »Klavier und Violine«, aus dem konventionellen Kammerspiel »Fürstin plus Zofe« ein aufregendes Konversationsstück zweier Protagonistinnen auf Augenhöhe.
Nach dieser »Gründungsurkunde einer neuen Gattung« (Ludwig Finscher) hält Mozart am Erreichten fest, allerdings ohne die Emanzipation der Sonate weiter vorantreiben zu wollen. Nur einmal stemmt er die Gattung empor aus dem behüteten Reich der häuslichen Kammermusik auf die große Bühne des öffentlichen Konzerts: Für die berühmte italienische Geigerin Regina Strinasacchi entsteht im Frühjahr 1784 die große B-Dur- Sonate KV 454. Sie geht formal und spieltechnisch weit über das Maß der Epoche hinaus und erlaubt sich nun doch etwas vom konzertanten Kräftemessen, auf das die anderen Sonaten verzichten – dafür hat den Pianisten Mozart der Auftritt mit der gefeierten Virtuosin vermutlich zu sehr gereizt, um ihn nicht als Wettbewerb zweier Stars zu inszenieren. Und die Inszenierung geht am Ende sogar so weit, das Mozart bei der Premiere zum Erstaunen des Publikums (und des angeblich anwesenden Kaisers) seinen Klavierpart nur aus Skizzenmaterial spielt und einen Großteil in situ improvisiert. Zur genauen Ausarbeitung der Stimme habe ihm einfach die Zeit gefehlt, berichtet er entschuldigend in einem Brief. Das war sicher nur ein Teil der Wahrheit. Der andere: das diebische Vergnügen, es ankommen zu lassen auf einen öffentlichen Drahtseilakt.
Doch dem funkelnden »Doppelkonzert ohne Orchester« folgt keine weitere Ausweitung der Gattung, wie man sie von Beethoven erwarten würde. KV 547, Mozarts letztes Wort in dieser Angelegenheit, ist kein noch größerer, noch spektakulärer Beitrag, sondern ein ganz bescheidener – und blickt zurück auf die Anfänge als Knirps in Paris: »Eine kleine Klavier Sonate für Anfänger mit einer Violin«.
Raoul Mörchen
About this recording
As difficult as it is generally to describe one’s own approach, with objectivity obviously being impossible, in this case it is all the more difficult to do so humbly – for I can say that what we did, we did because we truly believe in it. In playing this music together, we were never tempted to adulterate our conception out of lack of confidence. In the main, we have placed a great deal of trust both in Mozart’s music and in our listeners. We do not deliberately lighten the music’s countenance, simplify the equivocal, or apologize for any of its manifold characters. We forbore, to use a culinary analogy, our long-practised art and skill of sublimating ordinary ingredients, for we felt that here we were dealing with extraordinary ingredients, and we are convinced that we can trust our listeners to appreciate them as such.
As often mentioned, the role of the violin in Mozart’s sonatas is more subordinate than it would become in the combination of violin plus piano from the 19th century onwards. However, we did not historicize in our playing; on the contrary, it was particularly rewarding to see beauties brought forth by later techniques blossom in Mozart’s music. When I hear Renaud render Mozart’s lyrical flights with all the sumptuousness and refinement that modern violin playing can have, I am convinced: it is beautiful, and that is what matters.
Kit Armstrong
Not violin sonatas
Mozart did not write any violin sonatas in the modern sense of the term. Indeed, it would hardly have occurred to him to do so, since it would have meant him sitting at the piano or harpsichord, while listening to someone else stealing his thunder. In any case, he himself could have been the star turn in any such violin sonata. After all, he was sufficiently proficient on the violin to be able to perform everything that he wrote for the instrument. His father Leopold was a well-known violinist who had written a well-received violin textbook. But even on his first grand tour to Paris and London, the seven-year-old Mozart had sat at the keyboard and, if the music called for a violin, then it was his father who assumed this function, modestly positioning himself behind his son.
This was still the case with the late sonatas that Mozart wrote in Vienna: the violinist did not stand alongside the keyboard player but behind him or her, looking over the latter’s shoulder. Their relative positions are an accurate reflection of the musical hierarchy between the two instruments in these works, which for purely practical reasons was the inevitable outcome of the fact that in almost all contemporary editions, the violin part was printed above the piano part, not as a separate part.
In short, Mozart’s “violin sonatas” are not sonatas for a solo violinist hogging the limelight while his accompanist sits in semi-darkness. Instead, the opposite is closer to the truth: the keyboard sets the tone and is in the privileged position of stating the themes, leaving the violin to follow. It was not vanity that led to this state of affairs, for these conditions already existed when Mozart first set foot in the world of chamber music in 1764. Described on their title-page as “Sonates pour le Clavecin qui peuvent se jouer avec l’Accompagnement de Violon”, his op. 1 sonatas followed the latest fashion in Paris – at this date the medium was still completely unknown in both Salzburg and Vienna.
Mozart now proceeded to bring this genre home with him to Salzburg and in the process transformed a trifle designed to provide the French court with a momentary distraction into a genuine art form. Even today his achievement is barely acknowledged, and Renaud Capuçon, too, is surprised that he has performed these pieces so rarely and in some cases discovered them only recently. “These sonatas are incredibly varied,” he says. “They reveal so many different aspects of Mozart’s genius. There are so many magical moments in these works, and the slow movement of K 481 is one of the most beautiful pieces of music that Mozart ever wrote.”
Mozart completed no fewer than thirty-two sonatas for keyboard and violin, around half of which he composed between the ages of six and ten. As such, they constitute the lion’s share of Mozart’s chamber works. It was in 2016 that Capuçon first performed the mature sonatas that are included in the present release at the Mozart Week festival in Salzburg. On that occasion, too, his pianist was Kit Armstrong. “We violinists tend to perform the ten Beethoven sonatas as a cycle or else we opt for the three by Brahms,” Capuçon explains. But Mozart’s sonatas are central to his output: after all, he spent his entire life exploring the ways in which these two instruments can be combined. Pianists, too, he goes on, have at least as much reason as violinists to take an interest in these works. For Renaud Capuçon, working with Kit Armstrong on this repertory was “incredibly inspirational. Everything works in a completely uncomplicated and natural way. And, after we had played these sonatas in Salzburg, we knew at once that we wanted to record them. To perform these pieces with Kit is to embark on a wonderful musical journey.”
Mozart was on his way back to Paris in 1778 when he picked up the thread that he had dropped as a child. Once again these duos were published immediately after their completion and once again they appeared as their composer’s op. 1 under the title of “Six Sonates Pour Clavecin Ou Forté Piano Avec Accompagnement D’un Violon”. But now the relationship between the two instruments has changed beyond all recognition. And Mozart was inspired by a desire to make that relationship even more opaque. His six Sonatas K 301–306 outdo one another in terms of their quest for new ways of confounding their listeners’ expectations and attest to their composer’s desire to reshuffle his cards with each new work. In the case of K 301, for example, the violin is granted the right to launch the spring-like opening movement, allowing the keyboard to accompany it with simple arpeggios, only to be relegated to second place when the keyboard introduces the very next idea. In the second movement Mozart gives precedence to the keyboard, but instead of waiting until it is entrusted with a theme of its own, the violin already intervenes before the first theme is complete and takes the lead. The keyboard immediately accepts this new situation. In general the question of the distribution of the two roles is not explored by Mozart in the spirit of a genuine competition between two instruments clamouring for the listener’s attention in keeping with the idea of concertare. What we find, rather, is an enjoyable and harmonious examination of the various options that are available to them. The same is true of the sonata’s Allegro: after a brief back and forth, the two instruments proceed in parallel thirds as a sign of their mutual understanding.
The distance between foreground and background is constantly reassessed: sometimes one of the two instruments withdraws far upstage and provides no more than harmonic support, at other times it keeps pace with its opposite number, doubling its partner’s line, and yet again it may dart cheekily in between, tossing back motifs and fragments of motifs in the manner of an echo, underscoring its partner’s delivery with brief accents, before returning to its role as a stopgap, playing sustained or repeated notes and even contenting itself with providing the mere outlines of a continuo accompaniment in the spirit of the Baroque, as the keyboard does when the violin introduces the second subject in the opening movement of K 306. Together with K 296, which dates from the same period as K 301–306, this last-named set of sonatas represents a sea-change in Mozart’s output. “Keyboard with violin” becomes “violin with keyboard”, and the conventional interaction of “princess plus chambermaid” is turned into a thrilling conversation- piece between two protagonists who meet on equal terms.
The German musicologist Ludwig Finscher has described this set of works as “the charter for a new genre”, and from now on Mozart clung firmly to what he had achieved, while not seeking to take the sonata’s emancipation any further. Only on one occasion did he raise the genre to a higher level and take it from the sheltered world of the domestic salon to the larger stage of the public concert. In the spring of 1784 he wrote his great Sonata in B flat major K 454 for the famous Italian violinist Regina Strinasacchi, Formally and technically, K 454 goes far beyond the confines of the age and permits itself to indulge in some of the trial-of-strength exhibitionism eschewed by the other sonatas. As a pianist, Mozart was presumably too tempted by the prospect of appearing alongside the acclaimed virtuosa for him not to cast his new piece in the form of a competition between two stars in the musical firmament. Indeed, it appears from contemporary evidence that in his desire to dramatize his own contribution to the work’s first performance Mozart played only from sketch material and that much to the astonishment of his audience (and also of the Emperor, who was present at the concert) he improvised most of his part on the spot. In a letter to his father, he explained by way of an apology that he had simply not had time to write out his part in full, but this was almost certainly only partly true. The other side of the coin was the mischievous pleasure that he derived from turning such an occasion into a public high-wire act.
And yet this dazzling “double concerto without an orchestra” was not followed by any further attempt to expand the genre, as we might expect from Beethoven, for example. Mozart’s final word on the subject, K 547, is not a larger, more spectacular contribution to the medium but a very modest piece. It looks back to his beginnings as a young lad in Paris and is “a little keyboard sonata for beginners with a violin”.
Raoul Mörchen