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MOZART FÜR ANFÄNGER?
Ob man als junger Geiger Mozart an den Anfang stellen und mit Mozart die Welt der großen Violinkonzerte erstmals betreten sollte? Auf dem Papier sehen die fünf Konzerte aus wie eine komponierte Einladung, langsam erwachsen zu werden. Die technischen Schwierigkeiten sind überschaubar: Kein Doppelgriff verknotet die Finger, keine Linie zwingt die linke Hand in die sauerstoffarmen Höhenlagen des Griffbretts und noch ist keine Spur von den schwindelerregenden Eskapaden, zu denen spätere Komponistengenerationen ihre Solisten zwingen sollten. Und man versteht diese Musik auch gleich, folgt mühelos dem frischen Charme ihrer Einfälle, der leichtfüßigen Bewegung der ausgelassenen Ecksätze, die mal dem höfischen, seltener dem ländlichen Tanz verpflichtet sind, und ohne Weiteres möchte man die träumerischen Melodien mitsingen, mit denen Mozart in den Mittelsätzen unsere Seele streichelt. Niedrigschwelliger kann Musik kaum sein, auch nicht für den, der sie spielt.
Ist das so? Renaud Capuçon mahnt zur Vorsicht. Sicher, die akrobatische Fallhöhe der Konzerte von Brahms, Sibelius oder Paganini sei eine ganz andere und, sicher, das G-Dur-Konzert KV 216, das dritte der fünf, habe er schon mit 11 oder 12 Jahren gespielt. Doch die Nummern 1 und 5 könnten auch gestandene Solisten ins Schwitzen bringen, und überhaupt sei das mit Mozart alles ein bisschen komplizierter, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Man müsse schon besonders jung oder vielleicht auch besonders alt sein, um ihn auf die leichte Schulter zu nehmen. Dazwischen kämpft man mit ihm – darf sich das aber nicht anmerken lassen. »Mit 20 habe ich mir unglaublich viele Gedanken gemacht über diese Stücke, sie analysiert und versucht, sie in allen Details zu verstehen. Doch wenn man hier wirklich zum Ziel kommen will, muss man das alles wieder vergessen. Mozart hat die Stücke ganz schnell geschrieben, sie sind ihm einfach aus der Feder geflossen. Und diesen schnellen Fluss, diese Leichtigkeit, muss man als Solist vermitteln. Das ist dann richtig schwer. Anders als bei Werken anderer Komponisten kommt es für mich bei Mozart sogar auf die Tagesform an: Ich muss glücklich und zufrieden sein und den Kopf ganz frei haben – nur dann gelingt es.«
Die fünf Violinkonzerte – Mozart für Anfänger? Also eher nicht. Aber vielleicht Mozart als Anfänger? An der Geschichte ist schon mehr dran. Das Violinkonzert Nr. 1 ist Mozarts erstes eigenständiges Solokonzert überhaupt. Der 17-Jährige komponierte es im Frühjahr 1773, nach der Rückkehr von seiner dritten und letzten Reise nach Italien. Dort hatte Mozart die berühmten Geiger Gaetano Pugnani und Pietro Nardini gehört, und auch die Violinkonzerte von Josef Mysliveček, die er dort studieren konnte, haben offenbar tiefen Eindruck hinterlassen. Kaum wieder in Salzburg, machte sich Mozart gleich an die Arbeit und schrieb sein erstes eigenes Concerto in der für Streicher recht ungewöhnlichen, eher gedämpften Tonart B-Dur. Doch der dritte Konzertmeister im Orchester des Erzbischofs, so Mozarts damaliger Titel, weiß ganz genau, was er tut. Die Geige ist (noch) sein Instrument, gelernt hat er es aus erster Hand beim Herrn Papa: Leopold Mozart hatte 1756 eine weithin bekannte Violinschule veröffentlicht. Noch hat er den Sohn nicht ans Klavier verloren, aber er muss ihn schon ermahnen: »Du weisst selbst nicht, wie gut Du Violin spielst, wenn Du nur Dir Ehre geben und mit Figur, Herzhaftigkeit und Geist spielen willst, ja, so, als wärest Du der erste Violinspieler in Europa.« Ob Mozart das noch ganz traditionellen Vorbildern verpflichtete Konzert KV 207 selbst gespielt oder die Aufführung seinem Kollegen, dem italienischen Geiger Antonio Brunetti, überlassen hat, wissen wir nicht, wollen es aber auch für die folgenden vier Konzerte zumindest annehmen; sonst wären vielleicht doch Kadenzen überliefert oder zumindest ein böser Brief des Vaters. Fest steht, dass Brunetti die Konzerte eine ganze Weile in seinem Repertoire hatte und Mozart für zwei seiner Meinung nach zu »studierte« (sprich: akademische) Sätze später um Alternativen bat. So sollte das Adagio KV 261 den Mittelsatz des Fünften Konzerts ersetzen, während das Rondo KV 373, Jahre später in Wien ebenfalls für Brunetti komponiert, als Alternativfinale für das Werk eines uns heute unbekannten Kollegen gedacht war.
Der Anfang war also gemacht, doch ein wirklich eigener Weg noch nicht gefunden. Auch im Zweiten Konzert KV 211 aus dem Frühsommer 1775 erleben wir einen Komponisten auf der Suche. Für sich genommen ein Meisterwerk, wirkt es angesichts des Kommenden wie ein Übergang: voller Elan und Tatendrang, ohne aber die Möglichkeiten der eigenen Ideen wirklich auszuschöpfen.
Erst mit KV 216 gelingt der Durchbruch. Es ist ein regelrechter Coup. Den Mozart-Forscher Alfred Einstein reißt es hin zur vielzitierten Bemerkung: »Wenn es ein Wunder in Mozarts Schaffen gibt, dann ist es die Entstehung dieses Konzerts.« Ein Wunder ist nicht nur der formale Gestaltungsreichtum, die Fülle und Spannkraft der Einfälle, der farbliche Reichtum, der sich nicht zuletzt der souveränen Einbindung der bisher eher schematisch behandelten Bläser verdankt, oder Überraschungsmomente wie das kurze Rezitativ, mit dem die Solovioline die Durchführung des ersten Satzes von KV 216 in die Reprise rettet. Ein Wunder, das in den beiden nächsten Konzerten eine Fortsetzung findet, ist vor allem die Plastizität der gesamten Szenerie: Mozart bringt das Concerto auf ein ihm bereits gut vertrautes Terrain, die Opernbühne. Das concertare, der Wettstreit des Solisten mit dem Orchester, wird aus der engen Abstraktion der Rhetorik herausgelöst und zum theatralen Drama erhoben.
Einmal etabliert, beginnt Mozart sofort mit den Möglichkeiten dieses Settings zu spielen. So lässt er in KV 219 das Orchester erst zwei im Charakter komplementäre Themen präsentieren, um dann den Drive des Allegro aperto von der Sologeige nicht etwa aufnehmen und verstärken, sondern im Gegenteil unverhofft abbremsen zu lassen. Auf die Schmach, dass im Konzert immer die anderen das erste Wort haben, antwortet die Geige mit einem eigenen Einfall, einem breiten Gesang mit der Seelenruhe eines Adagios, um dann das Orchester zum zweiten Einsatz zu zwingen, der jetzt, unter ihrer Führung, den eigentlichen Beginn des Konzerts markiert.
Das alles kann und sollte man vielleicht wissen, um es im entscheidenden Moment gleich wieder beiseitezuschieben. »Am besten«, so Renaud Capuçon, »klingt es, wenn man den Eindruck vermittelt, man würde dieser Musik gerade zum allerersten Mal begegnen.«
Raoul Mörchen
MOZART FOR BEGINNERS?
Should young violinists start out with Mozart and launch their careers with his great concertos? On paper, Mozart’s five concertos seem positively inviting, presenting their exponents with a way of growing up slowly. Their technical difficulties are manageable: there is no multiple stopping to tie the fingers in knots, no musical line to force the left hand into areas of the fingerboard that take the player out of his or her comfort zone and into a rarefied world whose demands are literally breathtaking, and there is still no trace of the vertiginous acrobatics that later generations of composers were to inflict on their performers. This music, moreover, is instantly accessible, allowing listeners to follow the vernal charm of its inspiration and the fleet-footed exuberance of its boisterous outer movements, which derive their inspiration from courtly dances or, less frequently, from their rustic equivalent, while listeners and performers alike are encouraged to sing along with the dreamy, soulful melodies that characterize these concertos’ middle movements. It is hard to think of music that is more approachable than this – also for the player who is performing it.
Is this really the case? Renaud Capuçon advises caution. Admittedly, the high-wire acts involved in performing the concertos of Brahms, Sibelius and Paganini are very different, and it is no less true that he himself was only eleven or twelve when he first played the G major Concerto K 216, the third of the five. But the first and fifth can cause even experienced soloists to break into a sweat, and with Mozart everything is in any case a little more complicated than appears at first sight to be the case. Players need to be either very young or perhaps particularly old to be able to shoulder this burden. Between these two extremes performers tend to wrestle with the problem of how to play these works, and yet observers should not be aware of this struggle: “When I was twenty I thought a lot about these pieces, analysing them and trying to understand their every last detail. But if you really want to achieve your goal, you have to start by forgetting all of this. Mozart wrote these pieces extremely quickly; they quite literally flowed from his pen. And as a soloist you need to be able to communicate this rapid flow and this lightness. This is actually really hard to do. In the case of Mozart – unlike other composers – it even depends on how I’m feeling on the day in question. I have to be happy and contented and to be able to empty my head of everything else – only then does it really work.”
So, are Mozart’s five violin concertos suitable for beginners? Not really. But what about Mozart himself as a beginner? This line of enquiry is rather more promising. Mozart’s First Violin Concerto is his first independent solo concerto. He was seventeen when he wrote it in the spring of 1773 following his return from his third and final visit to Italy, where he had heard two famous violinists, Gaetano Pugnani and Pietro Nardini, while the concertos by Josef Mysliveček that he had been able to study in Italy likewise left a deep impression on him. Mozart had only just returned to Salzburg when he set to work and wrote his first concerto in the relatively muted key of B flat major, a key very rarely used in works for strings. But as the third concertmaster in the archbishop’s orchestra – for such was Mozart’s official title at this time – he knew exactly what he was doing. The violin was still his instrument: it was his father, Leopold, who as the author of a well-known violin tutor from 1756 had taught it to him. Leopold had not yet lost his son to the keyboard, although even in 1777 he was already having to remind him: “You yourself don’t know how well you play the violin – if you will only do yourself credit and play with energy, with your whole heart and mind, yes, just as if you were the first violinist in Europe.” We do not know if it was Mozart himself who gave the first performance of his Violin Concerto K 207, a work still heavily indebted to traditional models, or whether he left his colleague, the Italian violinist Antonio Brunetti, to do the honours, but in the case of its four successors we may assume that it was Mozart himself who introduced them to the world – otherwise we might expect a set of cadenzas to have survived or, at the very least, a rude letter from his father. All that we can say for certain is that Brunetti had these works in his repertory for a considerable period of time and that he later asked Mozart to provide him with alternatives for two of their movements, which he, Brunetti, regarded as too “studied”, i.e., too academic, and therefore the Adagio K 261 was designed as a substitute for the middle movement of the Fifth Concerto. The Rondo K 373 was likewise intended for Brunetti and written several years later in Vienna as an alternative final movement for a work by an unidentified colleague.
And so Mozart had made a start, while not yet having really found his own way. His Second Violin Concerto K 211 from the early summer of 1775 likewise finds him still on a quest. Although a masterpiece in its own right, it none the less seems a transitional work when set beside what was to follow. Full of élan and energy, it does not yet exhaust the possibilities inherent in its ideas.
Only with K 216 did Mozart make his breakthrough with a veritable coup de génie, inspiring the writer on Mozart Alfred Einstein to claim in an oft-quoted remark: “Nothing is more miraculous in Mozart’s work than the appearance of this concerto at this stage in his development.” Miraculous is not only the rich variety of its formal design but also the range and vigour of its ideas, its wealth of colours, which it owes not least to its sovereign integration of the winds that until then had been used relatively schematically, and, finally, surprises such as the brief recitative that allows the solo violin to solve the problem of the transition from the development section in the opening movement of K 216 to the recapitulation. No less miraculous are the next two concertos, the most striking feature of which is the sheer vividness of the whole setting, Mozart finally guiding the concerto into an area with which he was already familiar: the operatic stage. The idea of concertare – the competition between the soloist and the orchestra – is freed from the abstract shackles of musical rhetoric and raised to the level of a true theatrical drama.
Once he had established this model, Mozart immediately began to play with its possibilities. In K 219 the orchestra states two themes that are complementary in character, but instead of having the solo violin take up and increase the thrust of the Allegro aperto, Mozart unexpectedly reins in the sense of musical momentum. Shamed by the fact that it is always the others who have the first word in a concerto, the violin replies on this occasion with an idea of its own, a broadly flowing cantilena with the spiritual calm of an Adagio, before forcing the orchestra to enter, an entry which, beneath the soloist’s guidance, marks the actual start of the concerto.
This is all information that listeners can and should put to one side at the decisive moment. According to Renaud Capuçon, “it’s best if you can give the impression that you’re encountering this music for the very first time”.
Raoul Mörchen