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Mein Leben mit Beethoven
»Jedes dieser Konzerte ist ein Universum für sich – und ebenso jede meiner musikalischen Partnerschaften mit den fünf verschiedenen Dirigenten und Orchestern«
Rudolf Buchbinder
Mit zwei neuen Liveeditionen bei Deutsche Grammophon legt Rudolf Buchbinder weitere Einspielungen vor zu Beethovens 250-Jahr-Feier
Sie erscheinen im Jahr eines eigenen Jubiläums des Ausnahmepianisten: Am 1. Dezember 2021 wird Rudolf Buchbinder 75 Jahre alt
Auf Beethoven: Piano Concertos interpretiert er die fünf Konzerte mit fünf führenden Orchestern und Dirigenten
Beethoven: Complete Piano Sonatas dokumentiert den ersten Zyklus in der Geschichte der Salzburger Festspiele, den ein einziger Pianist mit sämtlichen Klaviersonaten Beethovens präsentiert hat
In beiden Anthologien manifestiert sich Buchbinders lebenslange Beschäftigung mit dem Werk des Komponisten
Im Pantheon der großen Beethoven-Interpreten gehört Rudolf Buchbinder zu den allergrößten. Schon seit 70 Jahren lebt der weltweit hochgeachtete österreichische Pianist mit Beethovens Musik, wobei er jeden Tag über ihre Bedeutung nachdenkt und darin zu einzigartigen Einsichten kommt. Sein Diabelli Project ist ein Höhepunkt der Feierlichkeiten aus Anlass von Beethovens 250. Geburtstag und wurde nach der Veröffentlichung bei Deutsche Grammophon im letzten Jahr von der Kritik begeistert gefeiert. Zwei weitere Meilensteine folgen nun: Livemitschnitte von Beethovens fünf Klavierkonzerten und 32 Klaviersonaten. Beide Neuproduktionen erscheinen weltweit am 3. September 2021.
Beethoven: Piano Concertos ist klingendes Zeugnis eines wahrhaft bemerkenswerten Projekts. Dieser Zyklus, geplant als Konzertreihe im Wiener Musikverein, war der erste seiner Art in der 150-jährigen Geschichte des legendären Konzertsaals. Das Ergebnis ist ein logistischer wie künstlerischer Triumph: Dem Pianisten stehen fünf der weltbesten Orchester und Dirigenten zur Seite, unverwechselbar in Charakter und Klangprofil.
»Die programmatische Aufteilung der Konzerte war besonders spannend«, erzählt Rudolf Buchbinder. »Ich freue mich darüber, wie perfekt sie aufgegangen ist, wie wundervoll die einzelnen Charaktere der Konzerte und Interpreten zueinander passen und hörbar werden.«
Teil der drei CDs umfassenden Sammlung ist eine sublime Darbietung des Zweiten Klavierkonzerts mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und Mariss Jansons. Es dokumentiert die letzte Zusammenarbeit mit Mariss Jansons, dem Rudolf Buchbinder sehr eng verbunden war bis zum Tod des Dirigenten im Dezember 2019. Andris Nelsons und das Gewandhausorchester eröffneten den Zyklus mit dem Ersten Klavierkonzert; Nr. 3, 4 und 5 spielen jeweils die Münchner Philharmoniker und Valery Gergiev, die Sächsische Staatskapelle Dresden und Christian Thielemann sowie die Wiener Philharmoniker und Riccardo Muti. Wegen der Pandemie konnten nur vier der fünf Konzerte tatsächlich im Musikverein aufgeführt werden. Der ursprüngliche Termin für Nr. 4 wurde abgesagt und im Oktober 2020 in Dresden zwischen zwei Lockdowns nachgeholt.
»Diese Liveeinspielungen der Klavierkonzerte sind der Höhepunkt meines Lebens mit Beethoven«, sagt Rudolf Buchbinder. »Ich bin sehr glücklich – und auch ein bisschen stolz –, dass sich das Projekt mit allen fünf Dirigenten realisieren ließ. Sie haben sich mit ungeheurer Begeisterung eingebracht. Jedes der Konzerte ist ein Universum für sich – und ebenso jede meiner musikalischen Partnerschaften mit den fünf verschiedenen Dirigenten und Orchestern, die sich mit mir auf diese Reise begeben haben. Mit den Dirigenten verbinden mich lange Freundschaften, jeder von ihnen trat durch die Musik mit mir in einen intensiven Dialog. Manchmal war ich selbst überrascht, was für neue Erkenntnisse wir gewannen.«
Buchbinder hat sämtliche Beethoven-Konzerte bereits zweimal eingespielt und dabei die Wiener Philharmoniker beziehungsweise die Wiener Symphoniker vom Klavier aus dirigiert. Noch einmal den kompletten Zyklus mit fünf verschiedenen Dirigenten aufzunehmen, hat ihm nochmals einen neuen Zugang zu diesem Œuvre eröffnet, getragen von dem großen Einvernehmen und der starken Verbindung mit seinen jeweiligen Partnern.
»Wichtig ist vor allem, dass man die Musik gemeinsam atmet«, merkt er an. »Wenn sich das nicht auf natürliche Weise ergibt, reichen dafür auch 20, 30, 40 Proben nicht. Es war unser Ehrgeiz, die Spannung des Livemusizierens, des Moments, so gut wie möglich einzufangen, und das im schönsten Konzertsaal der Welt. Ich wünsche mir, dass die Hörer diese Unmittelbarkeit spüren, das Vertrauen, das wir einander entgegengebracht haben, und unser gemeinsames Vertrauen in Beethoven.«
Für die Veröffentlichung im Herbst sind auch Buchbinders Complete Beethoven Sonatas auf neun CDs vorgesehen. Seine jüngste Lesart der Klaviersonaten wurde bei sieben Konzerten im Rahmen der Salzburger Festspiele 2014 mitgeschnitten. Es war das erste Mal in der Geschichte der Salzburger Festspiele, dass der gesamte Zyklus von einem einzigen Pianisten innerhalb eines Festspielsommers dargeboten wurde.
»Ich habe die 32 Sonaten jetzt dreimal eingespielt«, blickt Buchbinder zurück. »30 Jahre nach dem ersten Mal sagte der renommierte Kritiker Joachim Kaiser zu mir: ›Rudi, du musst sie noch einmal aufnehmen.‹ Ich sagte: »Was? Einmal ist doch mehr als genug!‹ Aber er meinte: ›Doch, das musst du, denn jetzt bist du frei.‹ Das werde ich niemals vergessen. Als junger Mensch ist man unflexibel und, in gewisser Hinsicht, intolerant. Der Ausdruck ›engstirnig‹ trifft das recht gut: Der Horizont ist einfach noch nicht weit genug. Als ich jung war, hatte ich nicht die Freiheit, die ich heute habe.«
Beethovens Schüler und Freund Carl Czerny wies Buchbinder den Weg in die Freiheit. Czernys kurzes, aber unschätzbares Buch »Über den richtigen Vortrag der sämtlichen Beethoven’schen Klavierwerke« enthält Wichtiges bezüglich Tempo und Phrasierung. »Bei langsamen Sätzen schreibt Beethoven immer ›Nicht schleppen‹, und Czerny beschreibt auch, wie Beethoven in einem einzigen Satz viele Male das Tempo änderte. Als junger Interpret hat man Angst, so etwas zu tun, aber die Musik braucht diese Freiheit. Ich habe lange gebraucht, meine Hemmungen abzulegen und Beethoven zu vertrauen. In diesem Beruf lernt man ein ganzes Leben lang, und das ist befreiend.«
Rudolf Buchbinder kam kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in armen Verhältnissen zur Welt. In der winzigen Wohnung seiner Familie in Wien stand ein Klavier, darauf ein altes Radio, über dem Franz Kleins berühmte Lebendmaske von Beethoven an der Wand hing. Der junge Rudi begann, Stücke, die im Radio liefen, nach dem Gehör nachzuspielen; mit fünf spielte er den damals äußerst populären Schlager »Ich möcht’ gern dein Herzklopfen hör’n« in seiner – erfolgreichen – Aufnahmeprüfung an der Wiener Musikhochschule. Der Wunderknabe versenkte sich gänzlich in Beethovens Musik und gab sein Debüt im Großen Saal des Musikvereins mit Beethovens Erstem Klavierkonzert gerade einmal einen Monat nach seinem elften Geburtstag.
Sobald das Konzertleben nach der Pandemie wieder anläuft, will Rudolf Buchbinder seine unermüdlich forschende Beschäftigung mit den Beethoven-Konzerten in weiteren Kombinationen von Dirigenten und Orchestern fortführen – so zum Beispiel mit der Sächsischen Staatskapelle in der Elbphilharmonie, den Wiener und Münchner Philharmonikern und dem London Symphony Orchestra in München oder dem Pittsburgh Symphony Orchestra. Zyklen mit sämtlichen Klaviersonaten Beethovens sowie dem Diabelli Project sind u.a. in Japan und China geplant.
»Beethoven hat mich mein Leben lang begleitet«, sagt der Pianist. »Er war ein Revolutionär und seiner Zeit stets voraus. Seine letzten Werke – die späten Streichquartette und Klaviersonaten und die Diabelli-Variationen – schrieb er für sich selbst, nicht für das zeitgenössische Publikum. Aus diesen Werken kann man unendlich viel lernen. Bei Beethoven nimmt das Entdecken nie ein Ende, aber vielleicht darf ich sagen, dass ich nach diesen Liveaufnahmen der Konzerte und Sonaten nicht bei null stehe.«
My Life with Beethoven
“Each of the concertos is a cosmos in itself – and so is each of my musical partnerships with the five different conductors and orchestras”
Rudolf Buchbinder
Rudolf Buchbinder makes a further contribution to the Beethoven 250 anniversary celebrations with two new live editions on Deutsche Grammophon
Their release also marks a milestone birthday for the legendary pianist, who will be 75 on 1 December 2021
Beethoven: Piano Concertos is a unique set of readings of the five concertos with five world-class orchestras and conductors
Beethoven: Complete Piano Sonatas captures the first complete cycle ever performed at the Salzburg Festival by a single pianist
The two albums document late flowering of pianist’s lifelong study of Beethoven’s music
In the pantheon of great Beethoven interpreters, Rudolf Buchbinder ranks among the very best. The internationally revered Austrian pianist has lived with the composer’s music for almost seventy years, daily contemplating its meaning and cultivating unique insights into its spiritual depths. His Diabelli Project, among the highlights of the Beethoven 250th-anniversary celebrations, received superlative reviews following its release by Deutsche Grammophon last year. Two further landmark titles are now set to follow on the Yellow Label, collectively comprising live recordings of Beethoven’s five piano concertos and thirty-two piano sonatas. The new editions, both scheduled for international release on 3 September 2021, represent the pinnacle of a lifetime’s work.
Beethoven: Piano Concertos documents a truly remarkable project. Planned as a series of concerts at Vienna’s Musikverein, it was the first cycle of its kind in the legendary hall’s 150-year history. In what amounted to a logistical as well as an artistic triumph, the pianist was joined by five of the world’s finest orchestras and conductors, all with their own distinctive personalities and qualities of sound.
“Choosing who to perform each concerto with was very exciting,” recalls Rudolf Buchbinder. “I’m delighted at how well it all worked out, with five perfectly matched combinations – you can hear how all the performers bring out the individual characters of the different concertos.”
The three-disc set includes a sublime reading of the Second Piano Concerto with the Bavarian Radio Symphony Orchestra and the late Mariss Jansons, documenting what proved to be Buchbinder’s final collaboration with one of his closest colleagues. Andris Nelsons and the Leipzig Gewandhaus Orchestra opened the cycle with the First Piano Concerto, while the Third, Fourth and Fifth were entrusted respectively to the Münchner Philharmoniker and Valery Gergiev, the Dresden Staatskapelle and Christian Thielemann, and Riccardo Muti and the Wiener Philharmoniker. Because of the pandemic, only four of the five concerts could be given at the Musikverein. The original date for the Fourth Piano Concerto was cancelled, then rescheduled last October in Dresden during the interval between lockdowns.
“These live recordings of the piano concertos are the culmination of my life with Beethoven,” notes Rudolf Buchbinder. “I’m so happy – and also a little bit proud – that we could make it happen with all five conductors. They took part with such tremendous enthusiasm. Each of the concertos is a cosmos in itself – and so is each of my musical partnerships with the five different conductors and orchestras with whom I embarked on this journey. I have very long-standing friendships with these conductors and entered into an intensive dialogue with each of them through the music. I was sometimes surprised myself by what new insights we discovered.”
Buchbinder has recorded Beethoven’s complete piano concertos twice before, directing the Wiener Philharmoniker and Wiener Symphoniker from the keyboard. Recording the full cycle again with five different conductors with whom he enjoyed such a high level of empathy and mutual understanding added even more to his experience of performing the works.
“The main thing is that you have to breathe the music together,” he observes. “If that doesn’t occur naturally, then twenty, thirty, forty rehearsals are not enough to make it happen. Our ambition was to capture the live moment at its best, and to do so in the most beautiful concert hall in the world. I want listeners to feel this spontaneity, the trust that exists between us and our trust in Beethoven.”
Also set for release on 3 September is Buchbinder’s nine-disc Beethoven: Complete Piano Sonatas. The pianist’s latest survey of the piano sonatas was recorded during seven concerts at the Salzburg Festival in 2014, the first time the cycle had been performed complete by one artist in a single Salzburg season.
“I’ve recorded the thirty-two sonatas three times now,” he observes. “Thirty years after the first, the distinguished critic Joachim Kaiser said to me, ‘Rudi, you have to record them again’. I said, ‘What? Once is more than enough!’ But he replied, ‘You must do it, because now you are free’. I will never forget that. As a young person, you’re inflexible and, in a way, intolerant. The English expression ‘narrow-minded’ perfectly describes this: the horizon is not yet big enough. I did not have the freedom I have now when I was younger.”
Beethoven’s pupil and friend Carl Czerny pointed the way to Buchbinder’s freedom. His short yet invaluable book, On the proper performance of all Beethoven’s works for piano, includes sage advice on matters of tempo and phrasing. “Czerny reminds us that Beethoven always said of the slow movements ‘Nicht schleppen’ – ‘Don’t drag’ – and that he would change the tempo many times in a single movement. You’re afraid to do this as a young player but the music needs this freedom. It took a long time for me to lose this fear and to trust Beethoven. In this profession, you’re learning through your whole life and this is liberating.”
Rudolf Buchbinder was born into considerable poverty just after the Second World War. His family’s tiny apartment in Vienna contained an upright piano, on top of which sat an old radio with Franz Klein’s famous life mask of Beethoven hanging on the wall above. Young Rudi began playing the pieces he heard on the radio by ear; at the age of five, he performed the latest Schlager hit “Ich möcht’ gern dein Herzklopfen hör’n” during his successful audition for a place at Vienna’s Musikhochschule. The child prodigy soon became fully immersed in Beethoven’s music and made his debut at the Großer Musikvereinssaal with the composer’s First Piano Concerto just a month after his eleventh birthday.
As post-pandemic concert life returns, Rudolf Buchbinder intends to continue his tireless exploration of Beethoven’s concertos with various orchestral partners, including the Dresden Staatskapelle at Hamburg’s Elbphilharmonie, the Wiener Philharmoniker, Münchner Philharmoniker and London Symphony Orchestra in Munich, and the Pittsburgh Symphony Orchestra. He is also planning further performances of the Beethoven sonata cycle, and the Diabelli Project, on tour in Japan and China, among others.
“Beethoven has accompanied me throughout my life,” Buchbinder concludes. “He was a revolutionary and always ahead of his time. He wrote his final works, the late string quartets and piano sonatas and the Diabelli Variations, for himself not for the public of his time. They have infinite lessons to teach us. While with Beethoven the journey of discovery never comes to an end, I dare to say that these live recordings of the concertos and the sonatas are now the baseline for me.”