1991 war ein goldenes Jahr in der Geschichte der elektronischen Musik: Massive Attack lanzierten “Blue Lines”, von Primal Scream erschien “Screamadelia”; und The Orb veröffentlichte “Adventures Beyond The Ultraworld”: Das Album, das der Welt den Ambient House brachte.
Die Raveszene in England war Anfang der 90er aus den Kinderschuhen gewachsen. Sie verlangte nach einem Gegengewicht zu Acid House mit seinen grobpixeligen Samples, seinen 120 klopfenden Beats pro Minute. Ästhetisch, atmosphärisch und energetisch gab Alex Paterson alias “Lx”, der Mastermind von The Orb, den Leuten, wonach sie sich sehnten: Ein bisschen Ruhe auf sanften flauschigen Klangwolken. Sein therapeutischer Wert bei der symptomatischen Behandlung von Rave-Schäden war vergleichbar mit dem der morgendlich ausgestrahlten Kinder-TV-Serie “Teletubbies”. Mancher heimkehrende Raver kam ohne Patersons Ambient House einfach nicht mehr vom Amphetaminrausch herunter.
“Adventures Beyond The Ultraworld” ist ein zweistündiger psychedelischer Chillout-Trip, eine Ambient-Raumfahrt mit Samples aus Programmen der NASA, womöglich das einzige Konzeptalbum im House. Im wilden Sample-Westen jener Jahre überschritt Paterson (gemeinsam mit Bomb The Bass) sämtliche Grenzen und läutete damit die heutige Debatte von Urheberrecht versus “Community” ein.
Mit dem Sample von Sergio Leones “The Man With The Harmonica” auf dem Albumopener “Little Fluffy Clouds” setzte Paterson einen Trend. Mit einem anderen Sample versetzte er Singer Songwriter-Diva Rickie Lee Jones in Rage, als er sie selbst nämlich von einer amerikanischen TV-Talkshow herunterkopierte. Jones klingt auf dem Track verdammt stoned, in Wirklichkeit hatte sie nur eine starke Erkältung. Man einigte sich außergerichtlich. Gut für Patterson, denn die Single katapultierte The Orb definitiv in den Dance-Orbit.|"Earth (Gaia)" begann ursprünglich als Remix von “Hotel California” von den Eagles. “Back Side of the Moon” spielt dafür ganz offen mit Pink Floyd. “Perpetual Dawn” adaptiert dann einen Roots-Soundclash zwischen den Londoner Reggae-DJs Eddie “Manassah” Maiden und DJ Nancy. Der Track mit Jah Wobble am Bass wurde zum Überraschungshit des Sommers 1991. “Outlands” mit Thomas Fehlmann ist dann wieder eine Sampleschlacht. Juwel in der Orb-Krone ist aber das 19minütige “A Huge Ever Growing Pulsating Brain That Rules From The Center Of The Ultraworld”: langer Titel, schäumende Wellen und gregorianischer Gesang treffen dort auf die Stimme Minnie Rippertons von derem Hit “Loving You” (übrigens verklagte auch sie später Paterson, man sah: Amerika trat Ambient House alles andere als aufgeschlossen gegenüber).
Im Stil der klassischen Rock-LPs der 70er als Doppelalbum konzipiert, irritierte Patersons Debütalbum den amerikanischen Markt. Dance gab es dort nur auf obskuren Singles. Also erschien nur eine normale Einzel-LP von 71 Minuten Länge in den USA. 15 Jahre nach Erstveröffentlichung wird nun “Adventures Beyond The Ultraworld” remastert und in voller Länge auf zwei CDs veröffentlicht. Für Fans essentiell, enthält eine zusätzliche dritte CD die legendäre John Peel Session von The Orb auf Radio 1 der BBC, aufgenommen 1989. Als Sahnehäubchen birgt diese dritte CD noch den “Perpetual Dawn”-Remix von Andrew Weatherall alias Ultrabass II (auf Vinyl vergriffen) und fünf weitere Remixe (von Pal Joey, Steve Hillage, Ready Made, Patterson und Youth), die bisher unveröffentlicht geblieben sind. Sternstunden unterm Downtempo-Himmel!
Rückblende: England, 1979. Der Tontechniker Alex “Lx” Paterson wird von seinem Schulfreund Martin “Youth” Glover gefragt, ob er als Drumroadie der wohl fiesesten damaligen Post-Punkbands arbeiten will: Killing Joke. Gleichzeitig ist Paterson Talentscout beim E.G.-Label, das den definitiven Ambient-Backkatalog besitzt: wie Brian Enos frühe Alben, die LPs von The Penguin Café Orchestra und das einflussreiche “My Life In The Bush Of Ghosts” von Brian Eno und David Byrne.
Von einer US-Tour mit Killing Joke kehrt Paterson mit einem Stapel House-Maxis aus Detroit wieder und verlässt dann umgehend Killing Joke. Gemeinsam mit dem Grafiker Jimmy Cauty gründet er The Orb, den Bandnamen entlehnen sie dem Woody Allen-Film “The Sleeper”. Acid House-Papst Paul Oakenfold bekommt ihre erste Single “Tripping On Sunshine” zwischen die Finger und bucht Paterson umgehend als DJ für den Chill Out-Raum seines Clubs Land of Oz. Es wird der erste echte Ambient Club der Geschichte. Paterson mixt dort Brian Eno mit Lee “Scratch” Perry, Weltmusik und Naturgeräusche mit verlangsamtem House zusammen. Nachdem Cauty sich anderen Projekten zuwendet, macht Paterson allein weiter und unterschreibt beim Big Life-Label des ehemaligen Wham-Manaqers Jazz Summers. |Dem nichts ahnenden Publikum erscheint der Sound von The Orb zum Ende der 80er wie aus einer anderen Galaxie. Musikalisch vor allem von klassischem Ambient inspiriert, orientiert Paterson sich soundtechnisch an den originalen Dub-Produzenten Jamaikas: Lee “Scratch” Perry, Joe Gibbs und King Tubby. Genau wie sie legt er zahlreiche Soundschichten über verlangsamte Beats. Referenzalben von Paterson werden Holger Czukays Album “Movies” auf der einen- und auf der anderen Seite “African Dub, Chapter 3” von Joe Gibbs gewesen sein. Der Gebrauch von Insektengeräuschen, Kosmonautendialogen und anderen raren Quellen wird dem Sound von The Orb seinen späteren Erkennungswert geben. Anfang 1990 fragt Dave Stewart von den Eurythmics Paterson und Cauty nach einem Remix für die Single “Lily Was Here”. Die Version erreicht die Top 20 und löst eine Anfragewelle bei The Orb aus, die dann Remixe für Erasure, Depeche Mode, Yello und Primal Scream produzieren. Ein Jahr später lehnt Paterson weitere Angebote ab, um sich ganz auf sein Debütalbum einzustellen.