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Thomas Hampson
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RICHARD STRAUSS – EIN LEBEN MIT LIEDERN

11.04.2014
Zum 150. Geburtstag von Richard Strauss am 11. Juni 2014 habe ich einen seit Langem gehegten Plan in die Tat umgesetzt und eine persönliche Auswahl von Liedern, an denen wohl nicht nur ich schon immer Freude hatte, mit einer Reihe von Titeln gekoppelt, die dem großen Publikum weniger geläufig sind und uns mehr über den Liedkomponisten Strauss erfahren lassen. Aufschlussreich war allein schon die Entdeckung, wie viele Lieder Strauss tatsächlich geschrieben hat. Es ist bemerkenswert, dass sich Strauss in 79 Jahren seines Lebens, das von 1864 bis 1949 währte, auf irgendeine Weise mit dem Lied beschäftigt hat. Von dem Weihnachtslied, das er im zarten Alter von sechs Jahren für seine geliebte Tante Johanna Pschorr schrieb, bis zu den späten Lebensreflexionen der großartigen Vier letzten Lieder war die Gattung für Strauss mehr als nur wichtig: Sie stellte in gewisser Hinsicht so etwas wie eine Oase dar, in die er sich zurückziehen konnte, um die feineren Regionen menschlicher Ausdrucksformen zu erkunden.
Der Liedkomponist Richard Strauss ist nicht unumstritten. Die Kritiker halten ihm seine unbedachte Gedichtauswahl vor und meinen, er habe derselben durch eine vorsätzliche, bisweilen überflüssige Verwendung seiner wunderbaren melodischen Fähigkeiten Vorschub geleistet und so immer wieder für stimmlich gut ausgestattete Sänger expressive Höhepunkte ge­schaffen, die gleichermaßen überflüssig waren. Seine Bewunderer hingegen betonen, dass für Strauss die Stimmung eines Liedes den Inbegriff der musikalischen Sprache darstellte. Daher verdankte er seine Inspiration nicht allein dem Dichter; sie war auch eine unmittelbare Reaktion auf die poetische Essenz des jeweiligen Textes – diese Reaktion war für ihn der vorrangige Zweck der Liedkomposition. Und man darf Strauss’ eigene Gedanken und Schriften über die »Ton- und Wortelemente« nicht vergessen, die er in unterschiedlichsten poetischen Aussagen fand – von ganz naiv ausgedrücktem Sentiment über scharfe Kritik an den damaligen sozialen Zuständen bis hin zu geistvoll-abgeklärten Reflexionen eines reifen, desillusionierten Künstlerverstands.
»Der Vers gebiert erst die Gesangsmelodie – nicht wie sehr oft sogar bei Schubert, daß die Melodie über den Vers gegossen wird, ohne dem Tonfall des Gedichts ganz gerecht zu werden«, heißt es am 12. Mai 1939 in einem Brief an Joseph Gregor. Strauss’ Lieder wären nicht möglich gewesen ohne den ausgeprägten poetischen Sinn und das Gespür für die grammatikalische Essenz, derer er zur Inspiration harmonischer und melodischer Entwicklungen bedurfte. Und er hat selbst darauf hingewiesen, dass die Liedkomposition weit mehr von geistreicher Handwerklichkeit als vom Glück einer genialen Intuition abhänge.
Zweifellos war Strauss bemüht, »gute Arbeit zu leisten«. Das erfährt man beispielsweise in einem Schreiben an den Grazer Gelehrten Friedrich von Hausegger, worin er sich zur Wahl seiner Texte äußert: »Treffe ich nun da [NB: beim Durchblättern eines Buches] auf ein nur ungefähr im Inhalt [mit der innerlich angesammelten Musik] korrespondierendes Gedicht, so ist das opus im Handumdrehen da. Findet sich – leider sehr oft – das Gedicht nicht, so wird […] ein mir überhaupt komponierbar erscheinendes Gedicht in Töne umgesetzt – aber es geht langsam, es wird gekünstelt, die Melodie fließt zäh, die ganze Technik muß herhalten, um etwas vor der gestrengen Selbstkritik bestehen Könnendes zu Stande zu bringen« (In: Friedrich von Hausegger, Aus dem Jenseits des Künstlers).
Es war ein Vergnügen, bei der Aufnahme diesen Weg der »geistreichen Handwerklichkeit« von den frühen, bemerkenswert gelungenen Liedern des Opus 10 bis hin zu den selten aufgeführten, posthum veröffentlichten Liedern des Opus 87 zu verfolgen. Wenn ich eine Aufnahme oder ein Recital zusammenstelle, suche ich normalerweise immer einen dramaturgischen Impuls – eine gemeinsame dichterische Quelle etwa oder eine spezifische emotionale Entwicklung. Bei der Aufnahme der Strauss-Lieder kam ich indessen zu der Überzeugung, dass die chronologische Betrachtung, zu der man zwangsläufig durch die Opuszahlen des Komponisten gelangt, die einleuchtendste Dramaturgie liefert, wenn man die lebenslange Entwicklung des Ausdrucksgenies Richard Strauss verstehen und bewundern will.
Strauss war keiner von denen, die ständig die finsteren Seiten der menschlichen Natur ergründen wollen. Ihm war vielmehr immer daran gelegen, die naturgegebene Suche nach Klarheit, Mitgefühl und Liebe zu beleuchten, an die sich die Menschen in unzähligen Schicksalen verzweifelt klammern. Und so bieten seine Lieder einem jeden von uns eine Oase der Kontemplation, derweil wir unserer eigenen Wege gehen und unsere eigenen »Geschichten« entdecken.
14. Januar 2014
Eine ausgewählte Bibliographie, eine Zeittafel, weitere Kommentare zu den Liedern von Richard Strauss und anderes Material finden Sie auf http://hampsongfoundation.org/richard-strauss-a-life-never-without-song

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