“Changing Places” betitelte der Pianist Tord Gustavsen das erste Album seines Trios. Bisher kennt man ihn, Bassist Harald Johnsen und Schlagzeuger Jarle Vespestad vor allem als Begleitband der norwegischen Sängerin Silje Nergaard, deren brillanten Popsongs das Trio auf zwei Alben so etwas wie jazzige Legitimität verliehen hat. Ganz anders präsentiert sich dieses Trio nun auf “Changing Places”.
Das Trio firmiert zwar unter Tord Gustavsens Namen, dient dem einfühlsamen Pianisten aber in keinem Augenblick als Vehikel für die Zurschaustellung seiner technischen Virtuosität. Auch bei den von ihm geschriebenen Kompositionen bevorzugt Gustavsen verführerische Melodien, deren Schlichtheit oftmals trügerisch ist. Die Stücke haben nicht selten die Qualitäten eines Jazzstandards. “Man muß nicht unbedingt eine neue Sprache erfinden, um eine neue Geschichte zu erzählen”, meint der Pianist, dessen hervorragend harmonierendes Trio schon längst zu einer unverkennbaren eigenen Stimme gefunden hat. Dem Pianisten geht es auch gar nicht darum, den Jazz neu zu erfinden oder zu revolutionieren. Er möchte mit seinem Trio zeigen, daß der sogenannte “nordische Jazz” nicht unbedingt in einem unauflösbaren Widerspruch zu afroamerikanischen Grooves stehen muß.
So versieht das Trio die ruhigen, explizit melodischen Themen mit, wie Gustavsen es nennt, einer “subtilen Funkiness”. Die skandinavische Volksmusik ist zwar eine der wichtigsten Inspirationsquellen des Trios, aber karibische Rhythmen, Gospel-Musik, Hard-Bop und Cool Jazz spielen bei den Kompositionen und Improvisationen eine nicht weniger bedeutende Rolle.
Daß Gustavsen bei seiner Musik anstelle eines “pianistischen” Ansatzes oftmals einen eher “vokalistischen” wählt, liegt daran, daß er in den letzten zehn Jahren sehr viel mit Sängerinnen zusammengearbeitet hat. Die meisten Jazz- und auch Popfans werden das Tord Gustavsen Trio als Begleitband der Sängerin Silje Nergaard kennen – entweder von deren kommerziell sehr erfolgreichen EmArcy-Alben “Port Of Call” und “At First Light” oder von den gemeinsamen Jazzfestivalauftritten in ganz Europa und den USA. Die Publicity, die das Trio durch die Kooperation mit Nergaard erhielt, hat ihm viel geholfen. Über die norwegische Sängerin und Songwriterin lernten sie auch international bekannte Musiker wie Pat Metheny und George Wadenius persönlich kennen, mit denen sie sich austauschen konnten.
Die Musik von “Changing Places” hat allerdings einen ganz anderen Tiefgang als die Popsongs von Silje Nergaard. Auf seinem ersten Album möchte das Trio die “dialektische Erotik der Improvisation” ergründen. Daß der Pianist unter Erotik etwas ganz anderes versteht als Erotomanen wie Prince oder Madonna, braucht man nicht extra zu sagen – man hört es sofort. Auf seiner Homepage (http://www.tordg.no/dialectics_of_improvisation.doc) hält Tord Gustavsen einen englischsprachigen Essay zum Downloaden bereit, in dem er sich detailliert über dieses Thema ausläßt.
Tord Gustavsen wurde 1970 (wie’s der Zufall wollte, war dies das Jahr der ersten norwegischen ECM-Aufnahme) in Oslo geboren, wuchs aber im ländlichen Hurdal auf, wo er ab seinem vierten Lebensjahr Klavierunterricht erhielt. Schon früh begann er eigene Stücke zu schreiben und zu improvisieren, erst danach beschäftigte er sich mit klassischer Musik. Seine ersten Auftritte absolvierte er in Kirchen und lokalen Clubs. Erst mit 19 Jahren zog Gustavsen in seine Geburtstadt zurück, um an der dortigen Universität zu studieren. Während seiner Studienzeit begann er, sich intensiver mit Jazz auseinanderzusetzen. In dieser Zeit lernte er auch die Sängerin Kristin Asbjørnsen kennen, mit der er von da an im Duo und in einem Quartett arbeitete. Mal interpretierten sie eigenes Material, mal Jazzstandards. Eines ihr Programme bot ausschließlich überarbeitete Versionen von Bessie Smith-Songs, ein anderes afroamerikanische Spirituals.
1993 ging Gustavsen – wie so viele Musiker der jungen norwegischen Jazzgeneration – nach Trondheim, um sich in der Jazzabteilung des dortigen Konservatorium den letzten Schliff zu holen. Nach Abschluß des Studiums kehrte er wieder nach Oslo zurück. Gustavsen spielt nicht nur mit seinem eigenen Trio und als Begleiter von Silje Nergaard, sondern ist auch Mitglied des Nymark Collective. Das Quartett, in dem außer ihm noch Trompeter Kåre Nymark jr., Kontrabassist Mats Eilertsen (Håkon Kornstad Trio) und Schlagzeuger Kenneth Ekornes (Mari Boine Band) mitwirken, spielt modernen New Orleans-Jazz. Darüber hinaus unterhält der Pianist Duos mit Klarinettisten Simon Flem Devold und – unter dem Namen Aire & Angels – der Sängerin Siri Gjære.
Im Tord Gustavsen Trio gibt es keine feste Rollenverteilung. Schlagzeuger Jarle Verspestad, auch bekannt durch Aufnahmen mit der Elektro-Improvisations-Ensemble Supersilent, kann hier seine ganze Vielseitigkeit und Subtilität unter Beweis stellen. Oftmals geht er geradezu minimalistisch zu Werke, ohne dabei je den Groove der Musik aus dem Auge zu verlieren. Wie Gustavsen ist auch Vespestad ein ausgezeichneter Kenner der Jazzgeschichte. Sein musikalischer Background umfaßt aber neben reichlich Spielerfahrung im Bereich des klassischen Jazz und der freien Improvisation auch experimentelle Rock-Musik. Vespestad arbeitete u.a. mit den Bands Farmer’s Market und Motorpsycho.
Bassist Harald Johnsen ist ebenfalls für seine stilistische Flexibilität bekannt. Er arbeitet mit Beboppern und Mainstream-Jazzern ebenso wie mit Avantgarde-Musikern. In seinem Trio überläßt Gustavsen Johnsen jede Menge Raum für solistische Ausflüge.
Obwohl (oder vielleicht auch gerade weil) das Tord Gustavsen Trio auf “Changing Places” nicht auf oberflächliche, sofort ins Ohr springende Reize setzt, dürfte es in der europäischen Jazzszene auf großen Anklang stoßen. Denn der “dialektischen Erotik der Improvisation” dieses jungen norwegischen Trios kann man sich nur schwer verschließen.