Dieses Konzert werden die Zuschauerinnen und Zuschauern wohl nicht so schnell vergessen. Der russische Starpianist Daniil Trifonov hat am Freitagabend einen fulminanten Auftritt in der Yellow Lounge hingelegt. Das Recital fand in der Musikbrauerei statt, einer profilierten Eventlocation im Berliner Szenebezirk Prenzlauer Berg. Der Veranstaltungsort ist über 120 Jahre alt. Die Patina des Industriezeitalters haftet an dem Backsteingebäude, das behutsam saniert worden ist und heute für Konzerte, Musikproduktionen und Ausstellungen zur Verfügung steht. Die Konzertbesucher, die am Freitagabend in die Musikbrauerei strömten, nahmen die faszinierende Atmosphäre des historischen Ortes erkennbar neugierig in sich auf.
In aller Ruhe stiegen sie zur Garderobe hinab, bevor sie, vorbei an historischen Fundstücken wie den Geräten einer uralten Arztpraxis, auf einer gewendelten Steintreppe hoch in den Säulensaal pilgerten. Dort wurden sie von DJ Clé und VJ Philipp Geist bereits mit entspannten Sets und sanft über das Mauerwerk gleitenden Visuals in Empfang genommen, bevor gegen 22 Uhr Daniil Trifonov die Bühne betrat und das Publikum in der Folge mit einer furiosen Demonstration ekstatischer Klavierkunst in Verzückung versetzte.
Musikalischer Rausch
Mit schwarzer Strickmütze und weißem T-Shirt ungewohnt stylisch gekleidet, spielte sich der brillante Pianist, als wolle er sich von allen Konventionen lösen, in einen regelrechten Rausch. Den ersten Teil des Programms bestritt er mit fesselnden Klavierwerken von Alexander Scriabin, jenem weit in die Zukunft vorausblickenden Komponisten, dessen Frühwerk noch ganz im Bannkreis der Romantik stand, bevor er mit Arbeiten wie “Le Poème de l’Extase” oder “Promethée. Le Poème du feu” einen maßgeblichen Schritt in die Moderne tat. Daniil Trifonov fühlte sich in den Grenzregionen zwischen romantisch-leidenschaftlichem Ausdruck und modernen Klangekstasen sichtlich wohl. Mit Etüden des jungen Scriabin verlieh er dem träumerischen Spätromantiker Geltung, bevor er mit Werken wie der Etüde in cis-Moll von 1903 und der als Encore dargebotenen Klaviersonate Nr. 9 (“Schwarze Messe”) die grenzsprengende Wucht des russischen Komponisten demonstrierte.
Bewegtes Publikum
Der zweite Teil des Programms stand zunächst ganz im Zeichen von Trifonovs neuem Album “
Destination Rachmaninov – Arrival”. Der Pianist spielte daraus zwei von ihm selbst angefertigte Transkriptionen für Klavier solo. Einen nachhaltigen Eindruck hinterließ Rachmaninows ursprünglich für Singstimme und Klavier komponierte
Vocalise. Trifonov arbeitete den sehnsuchtsvollen Charakter des berühmten Stückes großartig heraus, und das Publikum dankte es ihm frenetisch.
Daniil Trifonov weiß ein begeistertes Publikum wie das der Yellow Lounge sehr zu schätzen. “Das Adrenalin sprudelt nur so, ich mag das”, bekannte er einmal gegenüber der Zeitung “Die Welt” den Einfluss einer lebhaft Anteil nehmenden Zuhörerschaft auf sein Spiel.
Dass der Funke übersprang, war am Freitagabend nicht zuletzt an den perkussiven Begleitgeräuschen seiner in Zugaben von Scriabin und Prokofjew gipfelnden Darbietung zu erkennen. Trifonov ließ die Bühne nicht nur durch sein leidenschaftliches Klavierspiel, sondern auch kraft seiner rhythmischen Fußaktivitäten beben. Eine solche Wildheit bricht sich wahrscheinlich wirklich nur in der gelösten Stimmung der Yellow Lounge Bahn, wo der weltberühmte Pianist nicht zufällig jetzt schon zum dritten Mal aufgetreten ist.