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MUSIK, DIE ZUM HERZEN SPRICHT
Als das alljährlich vor spektakulärer Alpenkulisse stattfindende Verbier Festival 2013 seinen 20. Geburtstag feierte, gaben sich prominente Gratulanten ein Stelldichein, darunter auch Yuja Wang und Gautier Capuçon. Beide hatten in Verbier bereits als Solisten begeistert, musizierten nun aber erstmals gemeinsam hier. Und für dieses Duo-Debüt hatten die beiden Kammermusikbegeisterten die Cellosonaten von Schostakowitsch und Rachmaninow ausgewählt. Seitdem sind die chinesische Pianistin und der französische Cellist als Duo unzertrennlich, wobei längst eine musikalische Vertrautheit entstanden ist, die bei ihren gemeinsamen musikalischen Gesprächen jedes weitere Wort überflüssig macht. »In den letzten Jahren unserer Zusammenarbeit haben Gautier und ich eine Art und Weise entwickelt, die musikalischen Sätze des jeweils anderen zu beenden«, bestätigt Yuja Wang denn auch das gegenseitig blinde Verstehen.
Für das vorliegende Album haben Yuja Wang und Gautier Capuçon jetzt aber nicht nur jene Rachmaninow-Sonate ausgewählt, mit der vor knapp 10 Jahren alles begann. Neben der Ersten Cellosonate von Johannes Brahms erklingt zudem sein Klarinettentrio, und mit Andreas Ottensamer, Solo-Klarinettist der Berliner Philharmoniker, übernimmt ein ebenfalls langjähriger Freund und Kammermusikpartner der beiden den instrumentalen Gesangspart in diesem romantischen Kammermusikjuwel.
Doch zurück zu Rachmaninows Sonate g-Moll op. 19 für Klavier und Violoncello. Wie seine Landsleute Prokofjew und Schostakowitsch hatte Rachmaninow ein großes Herz für dieses Streichinstrument, das laut Boris Pasternak am eindrücklichsten die »innere Stimme« der russischen Seele widerspiegelt. In Rachmaninows Kammermusik nehmen die Werke für und mit Cello den Löwenanteil ein. 1901 entstand die großformatige, vier Sätze umfassende Sonate, die noch im selben Jahr vom Widmungsträger Anatoli Brandukow am Cello und mit dem Komponisten am Klavier uraufgeführt wurde. Nach der zweiten Aufführung in St. Petersburg warnte dann die Kritik sogar vor diesem Werk: Angesichts der angeblich fehlenden Melodik und Weitschweifigkeit der musikalischen Gedankengänge sei die Sonate geradezu »schädlich für die musikalische Erziehung der heranwachsenden Generationen«. Den anhaltenden internationalen Erfolg der Sonate konnte dieses Fehlurteil jedoch nicht verhindern. Kein Wunder: Alleine das Andante ist nichts weniger als purer melodischer Nektar, nicht nur für die russische Seele.
Als Rachmaninow einmal von dem legendären Geiger Nathan Milstein gefragt wurde, warum er eigentlich nichts für die Violine schreibe, reagierte dieser ziemlich erstaunt: »Warum sollte ich für die Geige komponieren, wo es doch das Cello gibt?« Im Gegensatz zu seinem russischen Komponistenkollegen fiel das Urteil von Johannes Brahms über diese beiden Instrumente nicht so kategorisch aus. Immerhin hat er ja nicht nur ein Doppelkonzert für Violine und Violoncello geschrieben, sondern eben auch Violin- und Cellosonaten. Für seine Erste Sonate für Klavier und Violoncello e-Moll op. 38 ließ sich Brahms viel Zeit. 1862 entstanden zunächst drei Sätze, 1865 gefolgt von einem weiteren Satz. Doch Brahms zeigte sich von dieser viersätzigen Urform nicht begeistert, weshalb er kurzerhand den zweiten, langsamen Satz entfernte und die Noten sogar vernichtete. Für das fehlende Teilstück können aber die drei verbliebenen Sätze mehr als nur entschädigen. Schon das eröffnende Allegro non troppo verströmt dieselbe wundersame Herbststimmung und rhapsodische Innigkeit, die auch für den reifen Klavierkomponisten Brahms typisch ist. In den folgenden Sätzen sucht er die Nähe zu ihm wichtigen Komponisten. Das Allegretto quasi Menuetto scheint mit seinem rokokohaften Charme eine kleine Verbeugung vor Mozart zu sein. Und im finalen Allegro lässt er gar Johann Sebastian Bach in Originalgestalt auftreten: Das Hauptthema ist angelehnt an den Contrapunctus XIII aus Bachs Kunst der Fuge.
»Ich liebe Brahms«, so Yuja Wang. »Seine Musik spricht zum Herzen. Jedes Werk hat etwas so Menschliches, so Warmes und Nobles.« Genau diese Züge zeichnen auch das Trio für Klavier, Klarinette und Violoncello a-Moll op. 114 aus, das Brahms in seinem Krisenjahr 1891 komponierte. Nichts wollte mehr so recht gelingen, und in seinem Selbstzweifel beschloss Brahms, keine einzige Note mehr zu Papier zu bringen. Bis er den Klarinettisten Richard Mühlfeld hörte – und alle dunklen Gedanken waren wie weggeblasen. Mit neuem Schwung machte sich Brahms an die Arbeit und schrieb mit dem Klarinettentrio op. 114 und dem Klarinettenquintett op. 115 die beiden ersten Meisterwerke für Mühlfeld.
Ihre inoffizielle Feuertaufe erlebten die beiden Kompositionen im November 1891 bei einem Hauskonzert. Bei der öffentlichen Premiere des Trios am 12. Dezember 1891 in der Berliner Singakademie waren dann erneut Richard Mühlfeld, Robert Hausmann (der Cellist des Joachim-Quartetts) und Brahms am Klavier zu hören. »Das Publikum geriet außer Rand und Band«, notierte danach der spätere Brahms-Biograf Max Kalbeck. Maßgeblichen Anteil am Erfolg hatte dabei das Klarinetten-Modell: Statt für die B-Klarinette hatte sich Brahms nämlich – wohl auf Anraten Mühlfelds – für die dunklere A-Klarinette entschieden. Und gerade mit dem Cello entwickelt sich daraus ein seelenverwandtschaftliches Miteinander – eine Art Zauberband, das sich durch die mal tief melancholisch anmutenden, dann wieder sanft und volkstümlich daherkommenden ersten drei Sätze windet, bevor das Finale mit seinen packenden Stimmungswechseln endgültig belegt, wie Brahms sich hier nach allen Regeln großer Kunst aus seiner Krise herauskomponiert hat.
GUIDO FISCHER
MUSIC THAT SPEAKS TO THE HEART
In 2013, when the Verbier Festival – set against the spectacular backdrop of the Alps – celebrated the twentieth anniversary of its foundation, several prominent artists gathered to mark the occasion. Among them were Yuja Wang and Gautier Capuçon. Both of them are keen chamber recitalists and had already delighted audiences in Verbier in this capacity but this was the first time that they had shared a platform here. For this debut as a duo they chose the cello sonatas of Shostakovich and Rachmaninoff. Since then the Chinese pianist and the French cellist have been inseparable as a partnership, resulting in a familiarity as musicians that renders every additional word superfluous whenever they discuss musical matters. “During the last few years of our partnership,” explains Yuja Wang, “Gautier and I have developed a way of working in which each of us ends the other partner’s musical sentences.” They trust one another blindly.
For the present album Yuja Wang and Gautier Capuçon have not only chosen the Rachmaninoff sonata with which their partnership began nearly ten years ago, they have also elected to record Brahms’s First Cello Sonata and the same composer’s Clarinet Trio, one of the jewels of the Romantic chamber repertory. For this last-named piece they are joined by Andreas Ottensamer, principal clarinettist with the Berliner Philharmoniker and a longtime friend and chamber music partner of both Wang and Capuçon, who brings out the songlike qualities of Brahms’s instrumental writing.
But back to Rachmaninoff’s Sonata in G minor op. 19 for piano and cello. Like his compatriots Prokofiev and Shostakovich, Rachmaninoff was tremendously fond of the cello, which according to Boris Pasternak reflects the “inner voice” of the Russian soul. The lion’s share of Rachmaninoff’s chamber music is made up of works for and with the cello. In 1901 he wrote a large-scale four-movement sonata that was premiered that same year by its dedicatee, the cellist Anatoly Brandukov, with the composer himself at the piano. Following a second performance in St Petersburg, critics warned audiences about the work, claiming that it lacked a melodic vein and that there was a wearisome prolixity to its musical ideas with the result that the piece was “detrimental to the musical education of younger generations”. But this wayward opinion could do nothing to prevent the work from proving a lasting international success. Nor is this surprising: after all, the Andante alone is pure melodic nectar – and not just for the Russian soul.
When Rachmaninoff was once asked by the legendary violinist Nathan Milstein why he never wrote anything for the violin, the composer reacted with some astonishment: “Why write for the violin when there is the cello?” Unlike his Russian colleague, Brahms was less categorical in his assessment of these two instruments. After all, he wrote not only a double concerto for violin and violoncello but also a number of violin and cello sonatas. He took his time over his Cello Sonata No. 1 in E minor op. 38, completing the first three movements in 1862 before adding a fourth one three years later. But he was unenthusiastic about its four-movement form and so he discarded the slow second movement and even destroyed the manuscript. The three remaining movements more than make up for what may have been lost. Even the opening Allegro non troppo is filled with the wonderful autumnal mood and rhapsodic interiority that is typical of Brahms’s late piano pieces. The other two movements find Brahms drawing closer to two composers with whom he felt a natural affinity: with its rococo charm, the Allegretto quasi Menuetto seems like a tribute to Mozart, while the final Allegro even includes a reference to the music of Johann Sebastian Bach in its original form – its main theme is borrowed from Contrapunctus XIII from The Art of Fugue.
“I love Brahms,” says Yuja Wang. “His music speaks from the heart. There is something about each of his works that is so human, so warm and so generous.” It is very much these features that characterize the Trio in A minor op. 114 for piano, clarinet and cello that Brahms wrote in 1891 at a time of crisis for him. Nothing seemed to be working for him any longer. Indeed, he began to doubt himself so much that he resolved not to write another note – at least until he heard the clarinettist Richard Mühlfeld and every sombre thought was swept aside. He set to work with renewed vigour and wrote two masterpieces for Mühlfeld that very same summer: his Clarinet Trio op. 114 and his Clarinet Quintet op. 115.
Both works received their unofficial baptism of fire at a private concert in November 1891. At the Trio’s official premiere at the Singakademie in Berlin on 12 December 1891, the three performers were Mühlfeld, Robert Hausmann (the cellist of the Joachim Quartet) and Brahms himself at the piano. Max Kalbeck, who went on to write a major biography of Brahms, noted after the performance that “the audience’s enthusiasm knew no bounds”. One of the reasons for this success was undoubtedly the type of clarinet that was used on this occasion. Presumably acting on Mühlfeld’s advice, Brahms had decided in favour of the darker-toned clarinet in A rather than the more usual instrument in B flat. Especially when it is combined with the cello, the clarinet in A suggests an affinity between two cognate souls, casting a spell that pervades the first three movements and striking a note that is now profoundly melancholic, now gentle and folklike, before the final movement, with its gripping changes of mood, demonstrates beyond peradventure that Brahms had emerged triumphantly from his crisis and in doing so observed all the rules of great art.
GUIDO FISCHER