Eine der interessantesten Rap-Platten des Sommers beginnt mit einer Frage, die eigentlich eine Ansage ist: “Wann bin ich dran?”, shoutet Ahzumjot fordernd über ein mächtiges Piano-Riff und ehrfurchtgebietende Chöre. Ein gewaltiger, ein imposanter Auftakt. Es geht um Autonomie, um das Ringen nach Individualität – gegen die Meinungsdiktatur des Mainstreams und die Erwartungen der anderen. Vor allem aber geht es – in diesem Song wie überhaupt auf dem zweiten Ahzumjot-Album “Nix mehr egal” – um klare Positionierungen, eine deutlich formulierte: Haltung. Ahzumjot hat erkannt, dass die Fragestellungen unserer Zeit andere Antworten verlangen als Zynismus, Ironie und “lustige Diskussionen” in Filterblasen- und Hashtag-Grenzen. Und so speist sich “Nix mehr egal” nicht zuletzt aus der Wut des Interpreten über die lähmende Apathie, den ganzen Egoismus und Hedonismus da draußen.
Bereits vor “Nix mehr egal” war Ahzumjot eine Ausnahmeerscheinung im deutschen Rap. Während andere Party feiern und sich selbst beweihräuchern, stellte dieser Mann Fragen: Woran liegt es eigentlich, dass uns alles so egal geworden ist? Dass es keine klaren Feindbilder mehr gibt und scheinbar auch nichts, wofür es sich zu kämpfen lohnt? Es sind Gedanken, die wohl jeder kennt: Wir wissen und haben alles – und machen oft viel zu wenig. Mit “Nix mehr egal” hat der Rapper nun zu einer unerreichten Präzision im Umgang mit diesen Themen gefunden. Insofern ergibt sich die Antwort auf eingangs erwähnte Frage ganz von selbst. Die Zeit des Ahjumjot ist natürlich: genau jetzt.
Da ist zum Beispiel der Song “Für immer”, der sich mit einigem Spott dem zwanghaften Berufsjugendlichentum urbaner Hipster widmet: “Wir bleiben jung für immer / Noch dieses Jahr, für immer / Nur diese Nacht, für immer / Für immer jung”. Allerdings verhandelt Ahzumjot hier auch die Perspektiv- und Chancenlosigkeit heutiger Generationen im Vergleich zu den Eltern. Peter Fox, so resümiert der Rapper, hatte eben doch nicht Recht mit dem Haus am See, das den meisten von uns auf ewig verwehrt bleiben wird.
Woher aber kommt die Ernsthaftigkeit in den Texten dieses Mannes? Die schonungslose Ehrlichkeit auch im Umgang mit sich selbst? Warum macht ausgerechnet Ahzumjot sich mehr Gedanken als viele andere? Um diese Fragen beantworten zu können und also bis zum Kern seiner Musik vorzudringen, muss man sich ein bisschen genauer mit Ahzumjot beschäftigen. Ergibt sich doch beinahe jedes inhaltliche Detail in diesen mal fordernden, mal nachdenklichen, immer aber sehr klugen Texten beinahe automatisch aus der wechselhaften Biografie des 25-Jährigen.
Geboren in Hamburg, blickt Alan Julian Asare (der Nickname Ahzumjot führt seine beiden Vornamen zusammen) auf eine wechselhafte Kindheit zurück. Jahrelang hatte die Familie unter der Trunksucht des Vaters gelitten, der in betrunkenen Phasen unausstehlich– und immer wenn er nicht trank, der liebenswürdigste Mensch der Welt war.
Eine Phase, die Ahzumjot auf “Nix mehr egal” immer wieder thematisiert. So besingt er in “Besser jetzt als spät” die damalige Hoffnung, der Vater möge aufhören zu trinken, was dieser inzwischen tatsächlich getan hat. Und “Vier Minuten” erzählt mit viel Liebe und Einfühlungsvermögen die Biografie seiner Einwanderer-Eltern, die einst mit vielen Träumen im Gepäck zuerst nach Berlin und dann nach Hamburg gekommen waren. So wurde das Gefühl, nirgendwo so richtig hinzugehören zu einem zentralen Element im Charakter dieses Mannes.
Produktiv zu nutzen weiß er die Orientierungslosigkeit erst seit die Musik in sein Leben getreten ist. Den Beginn seiner Teenagerjahre erlebte Ahjumjot als schwierige Phase. Ihm fehlte eine klare Richtung, der berühmte Sinn des Lebens – und diese Gedanken hielt er in privaten Texten fest. Den Mut, diese Texte mit anderen zu teilen, fand er erst viel später. Nicht zuletzt durch den Zuspruch der Mutter, die ihn stets bestärkt hat. “Als ich ungefähr 15 war, fand meine Mutter durch Zufall einen meiner Texte”, sagt er. Und lacht: “Mein Bruder las diesen Text und dachte daraufhin, ich sei selbstmordgefährdet.”
Inspiriert von
Eminem, hatte er neben diesen privaten Texten bereits mit elf oder zwölf Rap-Lyrik geschrieben, damals noch auf Englisch. Nun jedoch ging es los mit den deutschen Texten. Weil ihm war klar geworden, dass er Inhalte transportieren und über sein Leben schreiben wollte – und dafür reichte sein englischer Wortschatz nicht. Nachdem er anfangs Battle-Rap gemacht hatte, fand er also schnell zu anderen Inhalten. Einer seiner ersten Texte hieß “
Roboter”. Damals dachte
Ahzumjot, wir alle lebten in einer Art Matrix und die Leute auf der Straße seien Maschinen. Das klassische Work-Life-Death-Schema, so viel stand schnell fest, war nichts, was ihm erstrebenswert schien. Auch wenn er später seiner Mutter zuliebe Abitur gemacht hat.
Schon in seiner Kindheit spendete die Musik seltene Momente des Glücks. Bob Marley einte die Familie für Minuten, der Vater spielte Michael Jackson und Police. Und nun legte Ahzumjot selbst los: Er begann mit Freunden übers Netz erste Ideen hin und herzuschieben, traf im Jugendzentrum Gleichgesinnte. Bisweilen bekam er damals bereits kleinere Support-Slots über Freunde. Einmal ist er etwa vor drei Leuten aufgetreten: seine Freundin, der Veranstalter – und ein regulärer Besucher. Auf der Bühne: ebenfalls drei Leute.
Ahzumjot machte zig verschiedene Jobs, die er immer dann wieder kündigte, wenn ein Videodreh oder irgendein Konzert anstand. Gemeinsam mit dem DJ Levon Supreme, mit dem er bis heute zusammenarbeitet, stellte er seine Musik auf immer professionellere Füße, der Erfolg blieb zunächst noch aus. Es ist der ganz besonderen Unbeirrbarkeit dieses Mannes zu verdanken, dass er damals nicht aufgegeben hat. “Ich war aus irgendeinem Grund immer extrem überzeugt von mir, weil ich hundert Prozent hinter meinem Kram stand”, sagt er lachend. “Ich dachte immer: Wenn es funktioniert, ist das super – und wenn nicht, haben die Leute halt alle keine Ahnung.”
Diesem Selbstverständnis verdankt er wohl auch den Plan für seine erste Platte. Statt sich auf die Suche nach einer Plattenfirma zu begeben, produzierte und verschickte Ahzumjot “Monty” kurzerhand selbst. “Ich hab gedacht, wenn das 20 Leute bestellen, sollte es kein Problem sein”, sagt er. Als das Album erschien, kursierte sein Name jedoch bereits in der Szene und so verschickte er am Ende alleine in der ersten Woche 400 Alben. Ununterbrochen saß er Tag und Nacht daheim, brannte CDs, bastelte Booklets, verpackte alles in Geschenkpapier, ging zwischendurch arbeiten, zur Post – und wieder von vorne. Am Ende verkaufte er von dieser ersten Platte 4000 Exemplare, in heutigen Zeiten und ohne entsprechenden Background eine gigantische Zahl.
Von nun an ging’s bergauf: Ahzumjot spielte im Vorprogramm einer Casper-Tour, immer mehr Leute wurden auf ihn aufmerksam. “Casper hat mich drei Tage vorher gefragt, ob ich mitkommen möchte”, erinnert er sich. Damals arbeitete er in einem Sneakerladen, für die Tour durfte er drei Wochen Urlaub machen. Danach dann – ebenso spontan – eine nächste Tour, diesmal mit Cro und Rockstah. Seine Chefs gaben ihm wieder frei. Dann kam sein heutiger Manager auf ihn zu und machte ihm ein Angebot. Also ging er wieder zu seinem Chef: “Du, ich hab da so ein Angebot …” Das Management war in Berlin, das Angebot war, dorthin zu kommen und an einer “richtigen” Platte zu arbeiten. Da war er endlich zum Greifen nah: der alte Traum! Also ging er ein drittes Mal zu seinem Chef: “Du, äh, im Übrigen kann ich leider nur noch eine Woche hier arbeiten, weil jetzt ziehe ich nach Berlin.”
An der Spree traf er sich mit verschiedenen Produzenten, alles nicht schlecht – aber so richtig geknallt hat es erst, als er
Nikolai Potthoff kennenlernte. Der hatte unter anderem bei
Thees Uhlmann und
Tomte in der Band gespielt und
Leslie Clio produziert, ein musikalischer Allrounder. Potthoff erwies sich als perfektes Korrektiv. Gemeinsam mit ihm verkroch sich
Ahzumjot viele lange Monate im Studio. Beats und Songs hatte er vorher schon, nun aber schmissen die beiden alles wieder um und fingen komplett bei Null an.
Es begann eine Phase, in der er sich immer wieder mit anderen Leuten beriet, sich kontinuierlich antrieb, um das Optimum herauszuholen. Unter anderem ging es darum, Klarheit in seine früher bisweilen kryptische Sprache zu bringen. Ahzumjot hat ein Anliegen – und das sollte auch verstanden werden, das war ihm wichtig. Musikalisch ließ er sich von den Streets und Portishead und vielen anderen inspirieren, aber eigentlich ergibt es keinen Sinn, über Einflüsse zu sprechen, weil man sie “Nix mehr egal” ohnehin nicht anhört. “Immer wenn irgendwas zu sehr nach etwas Anderem klang, haben wir es verworfen”, sagt er.
Während der Arbeit an den Beats machte Ahzumjot sich bereits an die Rhymes. Melodien, Flows, erste Zeilen – all dies entstand parallel zur Musik. Und wurde schließlich in einsamen Klausurtagen in Binz an der Ostsee ausgearbeitet. So kristallisierte sich das inhaltliche Anliegen für “Nix mehr egal” immer mehr heraus:
Wo komm ich her, wo will ich hin? Was ist dazwischen passiert – und warum zur Hölle sind wir überhaupt hier? Darum sollte es gehen. Ahzumjot arbeitet assoziativ, lässt sich von Gefühlen, Gedanken und musikalischen Stimmungen leiten. So erklären sich Texte wie der der ersten Single “Der coolste Motherfxcker”: Ahzumjot kam genervt vom eskapistischen Berliner Hipster-Coolness-Gebot von einer dieser typischen Partys nach Hause und brachte seine Gedanken spontan zu Papier. Solche Zufälle gab es immer wieder. Der Text zum eingangs erwähnten “Vier Minuten” etwa verdankt sich der absurden Tatsache, dass seine erste Berliner Wohnung in Schöneberg genau gegenüber jenes Hauses war, in dem seine Eltern viele Jahre zuvor gelebt hatten – wovon Ahzumjot nicht die geringste Ahnung hatte.
So entstand eine ernsthafte, den Zeitgeist erfassende Platte mit reichlich Wumms, die die Nöte und Gedanken einer Generation auf den Punkt bringt. Ohne Kindergarten-Getue, ohne die im Rap oft üblichen Schwanzvergleiche, sondern reflektiert und aufrichtig. “Ich bin extrem glücklich mit diesem Album”, sagt Ahzumjot. “Durch die Arbeit daran habe ich als Musiker und Texter extrem viel gelernt und nun ist alles genau so wie ich es mir vorgestellt hatte.”
“Monty” war ein schönes DYI-Projekt. Ahzumjot in seiner ganzen Größe tritt erst jetzt, mit “Nix mehr egal” ins Licht. Das Werk vereint Ahzumjots vermeintliche Gegensätze und vielfältige Erfahrungen. Es ist ein herausragendes, ein anderes Rap-Album geworden, das die richtigen Fragen zur richtigen Zeit stellt und die besondere Klasse seines Interpreten in jeder Sekunde eindrucksvoll unter Beweis stellt.