Sie ist die neueste Vertreterin jener Generation von Musikern, die kein Blatt vor den Mund nehmen, auf Genrekonventionen pfeifen, ja fast schon subversiv die gängigen Klischees aushebeln und genau deshalb die Leute berühren: Die 19-jährige Alessia Cara aus Kanada hat mit ihrer ersten Single “Here” bewiesen, dass man auch mit einer klaren Party-Absage einen internationalen Hit landen kann – denn “Here” verzeichnete bereits in der Woche nach der Premiere bei The Fader eine halbe Million Streams…
Allerdings war das nur der Anfang: Seither hat Alessia mit “Here” die internationalen Spotify-Charts erobert (#1 in USA & Kanada, 2# in UK, #3 der Spotify Viral Charts in Deutschland und der Schweiz, um nur eine Auswahl zu nennen), die Hype-Machine-Charts dominiert und sie selbst wurde von der New York Times bereits als die Nachfolgerin von Taylor Swift und Lorde gefeiert. Nachdem der britische NME das von Pop & Oak und Sebastian Kole produzierte Stück als “einen der Songs des Jahres” und Alessia von MTV USA als “definition of cool” bezeichnet worden war, ist die Ironie an der Geschichte, dass ihre Anti-Party-Hymne tatsächlich ab sofort auf etlichen Partys laufen dürfte – und Alessia sich wohl schon mal mit der Idee anfreunden muss, wie Pitchfork schrieb, “demnächst sicher häufiger auf Partys gehen zu müssen…”
“Here” bringt dabei ganz klar Alessias Sichtweise zum Ausdruck: “Ja, das ist eine wahre Geschichte”, so die 18-Jährige. “Es ist ein Party-Song, wobei es genau genommen das exakte Gegenteil davon ist. Die Single bringt auf den Punkt, was der eine Partygast denkt, der sich in die Ecke zurückgezogen hat und das ganze Treiben misstrauisch beäugt. Es geht also eher um die Perspektive des Mauerblümchens.”
Genial ist “Here”, weil sie nie zu ernst den Zeigefinger hebt: Stattdessen erzählt sie einfach davon, wie es ist, wenn man die Minuten abzählt, bis man endlich dieses leidige Party-Treiben hinter sich lassen und wieder nach Hause gehen darf. Ihre Seitenhiebe auf die ganzen oberflächlichen Spielchen sind dabei dermaßen treffend und schneidend, dass es fast schon wehtut: “I’m sorry if I seem uninterested / Or I’m not listenin’, or I’m indifferent / Truly I ain’t got no business here”, lautet eine der Zeilen; eine andere, ebenfalls mit entschuldigenden Worten eingeläutet: “Excuse me if I seem a little unimpressed with this / An antisocial pessimist, but usually I don’t mess with this”. So verwundert es auch nicht, dass sie sich sogleich nach Hause wünscht: “Really I would rather be at home all by myself / Not in this room with people who don’t even care about my well-being”.
Klare Worte von einem Teenager, der diesen Zeilen, wie die New York Times feststellte, dermaßen “gewichtig auf jeder einzelnen Silbe” betont, “als ob sie ihr gesamtes Gewicht von einer Hüfte auf die andere verlagern würde”. Ihre Stimme klingt dabei dermaßen beweglich, dermaßen punktgenau und kontrolliert, aber auch verspielt, dass man jetzt schon auf ihr Debütalbum “Know-It-All” gespannt sein darf. Hinzu kommt noch ihre Nominierung für die BBC “Sound of 2016” Liste. Diese Newcomer-Liste gilt als eines der sichersten Trendbarometer für Neuentdeckungen in der Musikwelt und Alessia tritt mit ihrer Nominierung in die Fußstapfen von Größen wie Sam Smith, Jessie J, Ellie Goulding und Adele.
Selbst wenn sie allen Grund dazu hätte, mit viel Selbstbewusstsein in die Zukunft zu blicken, ist Alessia Caracciolo (so steht’s in ihrem Pass) immer noch eher das schüchterne Kleinstadt-Mädel – auch wenn sie inzwischen in der Metropole Toronto gelandet ist und Ende Mai auch ihre ersten Interviews gegeben hat (The Fader, Teen Vogue): “Ja, wenn man aus Kanada, genauer gesagt aus Brampton in Ontario kommt, dann rechnet man einfach nicht damit, dass man hier irgendwann landet”, so die Sängerin, die mit 10 Jahren Amy Winehouse für sich entdeckte und ihre erste Gitarre bekam, um mit 13 ihre ersten Akustik-Coverversionen bei YouTube hochzuladen, wo ihr Channel inzwischen über 2 Millionen Views verzeichnet. “Man denkt eher: Wer wird mich schon hören da draußen? Und ich kann immer noch nicht so ganz fassen, was alles passiert ist: Diese perfekte Chemie mit Sebastian, mit meinen Produzenten, mit dem Label. Die bei Def Jam haben wirklich verstanden, was mir vorschwebt: Meine Musik soll einfach cool sein und meine Einflüsse durchschimmern lassen – Drake, Amy Winehouse, Ed Sheeran –, aber sie soll eben auch vollkommen neu klingen. Sie haben mir die Chance gegeben, etwas Bedeutendes und Positives loszuwerden, ohne dabei moralisierend zu klingen. Ich hätte ehrlich gesagt niemals damit gerechnet, dass sich das alles so organisch entwickeln könnte. Und ich kann immer noch nicht fassen, wie schnell das alles passiert ist.”