“O Sister, Where Art Thou?” mögen sich die Fans von Alison Krauss in den letzten vier Jahren gefragt haben – in Anspielung auf einen ähnlich lautenden Filmtitel der Coen-Brüder, zu dessen fabelhaften Soundtrack sie vor siebzehn Jahren maßgeblich beigetragen hatte. 2007 sorgte die Zusammenarbeit der Sängerin, Songschreiberin und Fiddlespielerin mit dem Led-Zeppelin-Sänger Robert Plant in der Musikwelt für unglaubliche Furore. “Raising Sand”, das gemeinsame Album des ungleichen Paars, verkaufte sich weltweit über drei Millionen Mal, wurde mehrfach mit Platin ausgezeichnet und sahnte sechs Grammys ab (darunter den für das “Album des Jahres”). 2011 veröffentlichte Krauss mit ihrer Band Union Station dann noch das Album “Paper Airplane”, das ihr prompt den Grammy für das beste Bluegrass-Album einbrachte (ihren insgesamt 27.!!!) und die Spitze von Billboards Folk-, Country- und Bluegrass-Charts belegte. Danach wurde etwas stiller um Alison Krauss. Jetzt gibt sie mit ihrem neuen Album “Windy City” dafür ein um so beeindruckenderes Lebenszeichen von sich. Das Album, bei dem sie eng mit dem bekannten Nashville-Produzenten Buddy Cannon zusammenarbeitete, ist zudem ihr erstes Soloalbum seit “Forget About It” aus dem Jahr 1999.
“Normalerweise lege ich alle Songs gleich zu Anfang fest”, sagt sie. “Es war das erste Mal überhaupt, dass ich noch keine Songs ausgesucht hatte. Diesmal sollte sich alles um eine Person drehen.” Und diese Person war der altgediente Nashville-Produzent Buddy Cannon. Alison hatte hatte die gelegentlichen Sessions, die sie für ihn gemacht hatte, immer genossen. Doch als sie vor vier Jahren Hank Cochrans “Make The World Go Away” für Jamey Johnsons Album “Living For A Song” einsang, passierte etwas anderes. “Das war auf jeden Fall der Schlüsselmoment”, sagt sie. “Wow! Buddy bringt mich wirklich dazu, einen guten Job machen zu wollen.”
Seit den frühen 1970ern machte sich Buddy seine Fähigkeiten als Instrumentalist, Songwriter und Produzent zunutze, um das Beste aus einer Vielzahl von Künstlern herauszukitzeln. Er schrieb mit Preisen ausgezeichnete und die Chartsspitzen erobernde Songs für Künstler wie Vern Gosdin, Mel Tillis, George Strait, Glen Campbell, George Jones und Don Williams. Er gewann auch die Auszeichnung “Produzent des Jahres” von der Academy of Country Music und produzierte Alben für Willie Nelson, George Jones, Dolly Parton, Reba McEntire, Alabama, Loretta Lynn, Kenny Chesney und sogar Merle Haggards letztes Soloalbum.
Anfangs wollte Alison ausschließlich Songs auswählen, die älter als sie selber waren. “Ich wollte weiter zurückgehen als meine Erinnerung reicht”, erläutert die 1971 geborene Sängerin. Später beschloss sie mit Cannon, die Einschränkungen doch etwas zu lockern. Allerdings mit einer Auflage: die neueren Songs sollten irgendwie dieselbe Art von Feeling haben wie die anderen. Wie sich herausstellen sollte, handelten die Songs größtenteils von Herzschmerz, aber einem Herzschmerz von ganz besonderer Sorte.
Was sie und Buddy erschufen, ist eine ungewöhnliche und erfrischende Chimäre – ein mit Traurigkeit erfülltes Album, das aber irgendwie selten so klingt."Es ist fast so, dass man diese Traurigkeit nicht spürt, weil die Songs nicht schwach klingen", sagt Alison. “Anders als so viele andere traurige Songs wollen diese Lieder kein Mitleid erregen. Und gerade das liebe ich an ihnen. Ich liebe die unterschwellige Stärke, die man spürt. Was auch immer in diesen Geschichten geschieht, es hat die Protagonisten nicht zerstört. Sie überstehen es. Ich liebe das.”
Alison verkörpert – und befreit – die Essenz, die jeden dieser Songs absolut zeitlos macht. Obwohl sie aus verschiedenen Epochen und musikalischen Genres stammen, gibt es eine sie verbindende Empfindung. Einige der Songs sind einem bekannt – wie das mit Glen Campbell assozierte “Gentle On My Mind” oder “You Don’t Know Me”, mit dem Eddy Arnold und Ray Charles einen Hit hatten. Andere Stücke sind einem weniger geläufig, etwa Willie Nelsons “I Never Cared For You” oder “All Alone Am I”, das zuerst von Brenda Lee aufgenommen wurde. Manche der Lieder hatte Alison nie zuvor gehört; andere kannte sie fast ihr ganzes Leben lang, vor allem jene, die sie aus der Bluegrass-Welt ins Repertoire einbrachte. Als Alison Buddy vorschlug, den Song “Dream Of Me” aufzunehmen, den sie aus ihrer Kindheit kannte, hatte sie keine Ahnung, dass er selbst ihn geschrieben hatte. Es erforderte einiges gutes Zureden, um Buddy dazu zu bringen, zusammen mit seiner Tochter Melonie Cannon den Background-Gesang zu der Aufnahme beizusteuern. 01/17