Ein Star ist tot. Viel zu früh. Seit letztem Jahr erwartete die Popwelt die Rückkehr von Amy Winehouse, bis diese Hoffnung am 23. Juli 2011 zerstört wurde, als man die Sängerin tot in ihrer Wohnung im Londoner Stadtteil Camden Town fand.
Amy Winehouse war eines der größten musikalischen Talente des 21. Jahrhunderts. Ihre Songs brachten den Pop-Soul der 1960er zurück in unsere Zeit. Sie öffnete einer neuen Generation von Singer-Songwritern den Weg, unter ihnen Lily Allen, Adele und Lady Gaga, Florence Welch von Florence & The Machine, Duffy oder Estelle. All das erreichte Amy Winehouse mit nur zwei Studioalben: 2003 mit ihrem Debütalbum “Frank” und als sie 2006 mit ihrem zweiten Album “Back To Black” einen Meilenstein der Popgeschichte setzte.
Rückblick: Im Sommer 2004 saß eine Runde britischer Musikexperten zusammen. Konzentriert versuchte sie, eine Vorauswahl zu treffen. Es ging um heiße heimische Alben der letzten 12 Monate. Welche davon erfüllten die Kriterien für den prestigeträchtigen Mercury Music Prize? Eine ganz bestimmte CD ließ damals die weltweite Renaissance von britischem Soul irgendwie vorausahnen. Ihr unkonventioneller Anschlag war dabei fast schon verstörend. “Frank” – das Debütalbum von Amy Winehouse – nominierte die Expertenrunde für den Mercury Award. Zuvor hatten ihn Pulp oder PJ Harvey, Talvin Singh oder Roni Size gewonnen. 2004 bekamen die Trophäe aber Franz Ferdinand. Und danach, ab 2006, wurde Winehouse den Juroren zu berühmt.
Ein Foto im Booklet von “Frank”: zwei High Heels, die auf einem dreckigen Bordstein herumliegen, erzählt mehr über Winehouse und darüber, was da kommen sollte, als sämtliche Tabloidgeschichten, die man später über sie ertragen musste.
2007 ging dann als Jahr von “Rehab”, als Jahr der (abgebrochenen) Entziehungskur in die Pop-Geschichte ein. Britney Spears' Rasierattacke zwischen zwei Entzugsanstalten, Robbie Williams' Fehlen bei den Brit Awards, Miss USAs: Tara Conners Rückfall, und natürlich Rehab-Traumpaar Pete Doherty und Kate Moss – sie waren das große Fressen für die Regenbogenpresse. Manche sagen, dass es im Zeitalter der Super-Paparazzis (vier Jahre vor dem Abhörskandal bei der “News of the World”) nur noch einen sicheren Ort für Popstars gab – hinter den dicken Mauern der Klinik. Alles Quatsch? Erinnert sich vielleicht noch jemand an Charlie Parker, Billie Holiday, Johnny Cash, Eric Clapton, Keith Richards, Diana Ross, Whitney Houston…?
2007 wurde das Jahr von “Rehab”, weil die junge, ungemein talentierte Sängerin Amy Winehouse mit ihrer Single “Rehab” auf Platz 1 der englischen Charts schoss. “Sie haben versucht mich zur Entzugsanstalt zu schicken, und ich sagte No, No, No”, singt die Taxifahrertochter aus dem Norden Londons über einem stampfenden Gospelbeat. In England erreichte das dazu gehörende Album “Back To Black” sofort die Spitze der Charts, umgehend Doppelplatinstatus und zog in die Bestenlisten 2006 der britischen Musikpresse ein. Gar nicht so überraschend also, nahm Winehouse im Februar 2007 den Brit Award in der Kategorie “Best Female Solo Artist” entgegen. Mit “Back To Black” brach Winehouse – das ist bekannt – sämtliche Rekorde im britischen Showbusiness: acht Millionen verkaufte Exemplare, fünf Grammys und zahllose andere Preise sprechen eine deutliche Sprache.
Sie war eine Lichtgestalt mit starken inneren Dämonen: Über die Sensationsberichte der britischen Tabloids über sie sagte Winehouse damals noch lapidar: “Schön ist das nicht, aber es kommt halt mit dem Job”. Das klang “professionell”. Dabei waren Skandal, Randale, Alkohol- und Drogenexzesse die krude Hülle eines am Ende schüchternen Mädchens, das nicht gern über sich selbst sprach, das tragische Erfahrungen aus unguten Beziehungen in seine berühmten Songs einfließen ließ: “Back To Black”, “Love Is A Losing Game”, “You Know I´m No Good”. Jenseits der zunehmend tätowierten, später auch kosmetisch nachbearbeiteten Hülle, der Bienenkorbfrisur, dem dicken Kajal-Lidstrich beeindruckten die Ehrlichkeit und Furchtlosigkeit ihrer Songs. “Ich bin eine junge Frau, und ich schreibe über Dinge, die ich kenne”, kommentierte sie ihre Songtexte, die – kompromisslos wie sie selbst – nie auf Charterfolge abzielten. “Ich bin kein Mädchen, das irgendwo anklopft und bittet: Mach mich berühmt”, kommentierte die Sängerin mit jüdischen Wurzeln, deren früherer Manager immerhin Simon Fuller war, der Pygmalion der Spice Girls- und Erfinder von "Pop-Idol2 alias “DSDS”.
Produzent von “Rehab” wie auch des zweiten Albums ist Mark Ronson (Kanye West, Christina Aguilera, Robbie Williams, Radiohead). “Ich erzählte ihm, wie ich nach meinem ersten Album ganz unten war, als mein Freund Blake {dessen Namen sie sich auf die Brust tätowierte} mich verließ und mir zum Abschied sagte, ich solle mal eine Entziehungskur machen. Ronson lachte ungläubig auf und sagte immer wieder ‘No, no, no’”. Noch verblüffter wird Ronson darüber gewesen sein, was dieser Mädchenkörper für eine Stimme hergibt. Eine Stimme, die mit den Großen von Soul und Jazz verglichen wird: Dinah Washington, Ella Fitzgerald, Sarah Vaughan, Dusty Springfield und Nina Simone. Auf “Back To Black” hält Winehouse perfekte Balance zwischen musikalischer Retrospektive und riskanten modernen Alltagsbeschreibungen – ganz bewusst wählte sie den Sound der Soul-Girlgroups der späten 50er Jahre, den frühen Sound von Motown und Northern Soul dafür aus. Winehouse sagte damals, dass die “schamlose Emotionalität dieser Zeit” eine unglaubliche Faszination auf sie ausübt. Für diese Kühnheit feierte man sie selbst im Heimatland des Soul: den USA. ?uestlove von den Roots meinte, ""Back To Black" sei das Album gewesen, das Lauryn Hill machen wollte."
Mit Mark Ronson spielte Winehouse 2010 eine neue Version des Sixties-Hits “It’s My Party” ein, sie erschien auf dem Tribute Album “Q Soul Bossa Nova” von Quincy Jones. Mit Tony Bennett nahm sie ein Duett auf. Mit ?uestlove wollte sie eine Band gründen. Mit ihrem Stammproduzenten Salaam Remi spielte sie Material für den Albumnachfolger von “Back To Black” ein. Eine Brasilien-Tournee Anfang 2011 zeigte sie voller Elan. Winehouse trat zum letzten Mal öffentlich am 20. Juli 2011 in London auf, als sie auf einem Konzert ihrer Patentochter, der Soulsängerin Dionne Bromfield, auf die Bühne trat.
Ihr Tod mit 27 reiht Amy Winehouse neben Robert Johnson und Kurt Cobain, Jim Morrison und Jimi Hendrix, Brian Jones und Janis Joplin in die Liste popkultureller Ikonen ein, die zu früh, allesamt mit 27 diese Welt verließen. Wenige Tag nach ihrem Tod stellte ihre musikalische Freundin M.I.A. den Winehouse-Tributesong “27” ins Netz. Viele haben gehofft, dass es “im Club der 27er” keine Neuzugänge mehr geben möge.