Vor sieben Jahren taten sich eine aufgeschlossene Schweizer Musikerin und ihre Freundin, eine tibetische Sängerin, zusammen, um gemeinsam christliche Gebete und buddhistische Gesänge zu singen. Regula Curti und Dechen Shak-Dagsay durchlebten ein sehr berührendes musikalisches Experiment – keineswegs aber rechneten sie damit, dass ein Hit-Album daraus werden könnte.
Doch dank der einzigartigen Schönheit und spirituellen Intensität der Aufnahme – und der zusätzlichen Mitwirkung eines musikalischen Superstars – wurde ihr Album BEYOND zu einem Überraschungserfolg und eroberte die europäischen Charts im Sturm.
Es führte zu einem populären Nachfolger, Children BEYOND, mit Kinderchören aus allen sechs Weltreligionen – Christentum und Buddhismus, Judentum und Islam, Hinduismus und Sikhreligion –, von dem über 200 000 Exemplare verkauft wurden.
Nun liegt ihre bislang ehrgeizigste Aufnahme vor. BEYOND Love Within wird als erstes ihrer Alben weltweit veröffentlicht (über »Panorama«, das neue Label von Deutsche Grammophon) und erweitert das Projekt weit über seine ursprünglichen Grenzen hinaus.
Dieses jüngste Kapitel von BEYOND fügt dank der Mitwirkung von Sawani Shende-Sathaye hinduistische Gebete und klassische indische Musik zur kulturübergreifenden Verbindung von Musik und Mantras hinzu, die von drei Frauen geschaffen wurde: Regula Curti, einer Christin aus der Schweiz; Dechen Shak-Dagsay, einer Buddhistin aus Tibet; und Tina Turner, einer »Buddhistin-Baptistin«, wie sie sich selbst nennt, aus Nutbush, Tennessee.
Die Feststellung, dass es seine Vorgänger vermutlich an Popularität übertreffen wird, wäre eine Untertreibung angesichts eines jetzt schon phänomenalen Erfolgs: Monate vor der Veröffentlichung des Albums wurde der Youtube-Clip eines Friedens-Mantras, gesungen von TINA, Regula, Dechen und 30 Kindern verschiedener Religionen, schon eine Million Mal abgerufen!
»Persönlich bin ich sehr stolz darauf, daran mitzuwirken«, sagt Tina Turner, die auf dem neuen Album Amazing Grace, das Vaterunser und das Spiritual Motherless Child singt. »Hoffentlich wird dieses Projekt die Menschen lehren, das, womit sie geboren sind, richtig zu nutzen, um sich selbst und der Welt zu helfen – sodass es mehr Frieden auf der Erde gibt.«
Natürlich kam der Überraschungserfolg von BEYOND – benannt nach der BEYOND Foundation, die Regula und ihr Ehemann Beat 2007 ins Leben riefen – nicht ganz so problemlos oder schnell, wie es klingt. Man könnte sogar behaupten, dass göttliche Inspiration am Werk war. Denn das ganze Projekt verdankte sich nicht nur harter Arbeit und klarer Zielsetzung, sondern auch Glück und Zufall.
Und vielleicht wäre es gar nicht zustande gekommen, hätte Regula nicht herausgefunden, dass Dechen Shak-Dagsay, deren Mantra-Aufnahmen sie seit Jahren in ihren Yoga-Klassen spielt, nicht 8000 Kilometer entfernt im Himalaya lebt, sondern nur auf der anderen Seite des Sees in ihrer Heimatstadt Zürich.
Sie trafen sich und begannen gemeinsam zu singen. Dabei experimentierten sie mit den Möglichkeiten der Verbindung von Dechens buddhistischem Gesang und Regulas eher formeller Sopranstimme und den Gebeten, mit denen sie als Protestantin aufgewachsen war. »Wir improvisierten stundenlang. Dann sangen wir sie als Mantras in einem Raum mit 20 oder 30 Leuten, die Yoga-Übungen machten. Wir waren gleich überrascht, wie sehr die christlichen Gesänge sie berührten, denn Mantras gehören ja eigentlich in die buddhistische Tradition.«
Diese erste Reaktion war inspirierend, und das Projekt nahm Gestalt an, als Dechen vom Abt eines nahe gelegenen Benediktinerklosters eingeladen wurde, die Mönche einige ihrer Mantras zu lehren. Sie bat Regula, mitzukommen und ein paar Musikinstrumente aus der großen Sammlung mitzubringen, die sie in ihrer parallelen Arbeit als Musiktherapeutin zusammengetragen hatte.
2005 arrangierten Regula und Dechen ein wegweisendes Treffen zwischen dem Abt und dem Dalai Lama selbst. Ihr Traum war es, christliche und buddhistische Gebete – und schließlich die Gebete aller Religionen – zu einer einzigen spirituellen Botschaft zu vereinen.
Ein Album hatten Regula und Dechen nicht im Sinn, bis sie eingeladen wurden, 2008 bei einem Symposium israelischer und palästinensischer Politiker und Geschäftsleute in Zürich zu singen. »Da waren Araber und Juden, jeden Tag in heftige Diskusssionen verwickelt, Islam und Judentum im Konflikt. Und da waren wir, die am Ende der Sitzungen christliche und buddhistische Gebete sangen. Wir warteten ziemlich nervös auf die Reaktionen. Aber die Leute waren beeindruckt und fragten dauernd, wo sie die CD bekommen könnten. Da kam uns erstmals der Gedanke, tatsächlich eine Aufnahme zu machen. Über eine Bedingung waren wir uns einig – es war wichtig, dass wir es nicht für uns selbst taten, sondern für andere.«
Die beiden beschlossen, alle Erträge an wohltätige Organisationen ihrer Wahl zu spenden. Aber etwas fehlte noch. Etwas, das ihrer Musik – und deren Botschaft – größere Aufmerksamkeit verschaffen würde. Wieder kam ihnen der Zufall zur Hilfe. »Ich saß zu Hause und träumte ein wenig vor mich hin, als ich hörte, wie Tina Turner eine spirituelle Botschaft in unsere Musik sprach. Anders als sonst sang sie diesmal nicht, sondern sie sprach. Und ich wusste sofort, dass ihre Stimme das fehlende Bindeglied war.«
Regula wusste auch, dass TINA in der Schweiz lebte, und zwar nicht nur im Nachbardorf, sondern, wie es ein weiterer unglaublicher Zufall wollte, in dem Haus, in dem Regulas Ehemann Beat gewohnt hatte. Und sie war vertraut mit der buddhistischen Religion, denn sie hatte diesen Glauben in den 1970er-Jahren angenommen und bezeichnete sich später als »Buddhistin-Baptistin«.
Sie war die ideale Person, um das Projekt zu komplettieren.
Regula rief TINA an, die gerade im Begriff war, für eine große Tournee anlässlich ihres 50-jährigen Bühnenjubiläums nach Amerika zu fliegen. »Sie bat mich, noch am selben Abend zu ihr zu kommen. Sie sagte, dass ihr Leben als Rocksängerin zu Ende gehe, und erklärte sich sofort bereit, bei unserem Projekt mitzumachen.«
TINA fügt hinzu: »Ich war so begeistert, wieder spirituelle Songs singen zu dürfen, ohne diese kurzen Röcke und rot geschminkten Lippen. Ich bin jetzt Teil von etwas Größerem – etwas, das größer ist als alles, was ich je gemacht habe.«
Sie formulierten auf der Stelle die spirituelle Botschaft, mit der TINA das Album eröffnet. Und als sie von ihrer Abschiedstournee zurückkehrte, ging sie ins Studio und nahm weitere Beiträge auf, darunter das Lotos-Sutra in Sanskrit.
Das Album, das Mantras und Gebete auf Tibetisch, in Sanskrit und auf Lateinisch sowie von Dechen und Regula komponierte Musik enthält, fand sofort sein Publikum. »Wir waren überwältigt von der Reaktion«, erinnert sich Regula. »Das Album berührte so viele verschiedene Menschen, vor allem Menschen in Schwierigkeiten. Es wurde viel in Krankenhäusern gehört, von Krebspatienten, Menschen, die sich dem Tod gegenüber sahen und die Angst vor dem Sterben verlieren wollten. Und wir erfuhren, dass es viel in der Sterbehilfe verwendet wurde. Insgesamt zeigte die Reaktion, dass es Menschen in schwierigen Situationen half, Mut zu schöpfen und eine gewisse Heilung zu finden.«
Am anderen Ende des Spektrums erhielt sie viele Briefe von Geschäftsleuten, die berichteten, dass es ihnen half, sich zu entspannen, wenn sie nach ihrem Arbeitstag nach Hause kamen.
In dem jüngsten Kapitel von BEYOND bildet TINA wiederum ein Team mit Regula und der tibetischen Sängerin Dechen Shak-Dagsay. Hinzu kommt nun die indische Sängerin Sawani Shende-Sathaye, die erstmals hinduistische Elemente beisteuert.
Auch sie stieß durch eine Mischung von Glück und Zufall zu dem Projekt. »Bei Children BEYOND arbeiteten wir mit einem indischen Tabla-Spieler, der ebenfalls in der Nähe von Zürich wohnte und Sawani in Indien kennengelernt hatte. Also flog ich zu ihr nach Pune. Sie kommt aus einer musikalischen Familie, wo die Frauen das Singen von Generation zu Generation weitergegeben haben. Das machte sie ideal für unser Projekt, das schon immer auf Frauen konzentriert ist.«
Bei dieser dritten CD der Serie wurde die musikalische Palette erweitert, wobei Musiker in Mumbai den Beiträgen von Sawani ihren speziellen Touch geben. Ein breites Spektrum an Instrumenten kommt zum Einsatz: von tibetischen Glocken und Klangschalen bis zu indischen Trommeln und Sitars, eine armenische Duduk, sogar ein schweizerisches Alphorn und viele andere.
Für Regula und ihre Mitstreiter ist es das jüngste Kapitel einer Mission, durch Musik Unterschiede zu überwinden und damit den Weg zur Spiritualität zu öffnen – zu jenem so schwer erreichbaren »inneren Frieden«. Sie plant schon neue Projekte mit Sängerinnen aus den übrigen Weltreligionen – Jüdinnen, Musliminnen und Sikhs.
Und vor allem hofft sie, dass ihre Musik eine eigene Botschaft vermittelt. »Es genügt nicht, der Musik zu lauschen und berührt zu sein«, warnt sie. »Man muss diese Liebe in den Alltag tragen.«