Vor gut drei Jahren, im Januar 2007, am Martin Luther King Day, um genau zu sein, verwandelte sich Big Boi in eine sehr viel reifere Rap-Persönlichkeit: Er war ab sofort Sir Lucious Left Foot und begann die Arbeit an seinem Solo-Debüt Sir Lucious Left Foot: The Son Of Chico Dusty, das am 02.07.2010 erscheint. Da wieder einmal eine ganz besondere Energie in der Luft lag, markierte der Feiertag wie schon so oft in seinem Leben ein einschneidendes Ergebnis: Fünf Jahre zuvor hatte er am Martin Luther King Day die Arbeit an Speakerboxxx begonnen, das ihm gleich zwei Grammys bescheren und sich im OutKast-Doppelpack gemeinsam mit André 3000s The Love Below allein in den USA satte 11 Millionen Mal verkaufen sollte. Bedenkt man die Sache mit dem MLK-Gedenktag, verwundert es auch nicht, dass es sich bei der ersten offiziellen Singleauskopplung Something’s Gotta Give featuring Mary J. Blige um eine politische Kampfansage der Extraklasse handelt: „Definitiv ein Track, der ordentlich zum Nachdenken anregt“, so der 35-Jährige.
Was die Ausrichtung seiner Texte betrifft, hat Big Boi jedoch schon auf dem OutKast-Platindebüt Southernplayalisticadiallacmuzik aus dem Jahr 1994 gezeigt, dass es ihm nicht bloß um gelungene Wortspielereien, sondern auch um gewichtige Inhalte geht: Für ihn musste Rap schon immer auch eine tiefere Message haben. Nicht zuletzt, weil die beiden Herren aus Atlanta gleich zu Beginn ihrer musikalischen Reise, in deren Verlauf sie mit sechs Platinalben zur erfolgreichsten Rap-Gruppe aller Zeiten avancieren sollten, erkannten, wie gut sich ihre Fans mit Stücken wie Git Up, Git Out featuring Goodie Mob identifizieren konnten – einem Track nämlich, in dem junge Menschen nachdrücklich dazu aufgefordert werden, an sich selbst zu glauben und das Beste aus ihrem Leben zu machen. “Dieser Track hat uns gezeigt, wie sehr man die Menschen mit seinen Texten berühren kann,” so sein Kommentar. “Danach haben wir stets darauf geachtet, in unseren Texten etwas mehr Tiefgang zu präsentieren. Wir wollten den Leuten einfach mehr bieten.”
Sir Lucious Left Foot ist gewissermaßen die erwachsene Version von Big Boi: Ein gestandener Mann und zugleich unverkennbar der Sohn eines gewissen Chico Dusty. Big Boi verlor seinen Dad Tony Kearse, der während seiner Zeit bei der US-Luftwaffe und den Marines den Spitznamen Chico Dusty verpasst bekam, im Jahr 2004; doch der Geist seines Vaters ist auf der neuen LP überall präsent: „Er macht jeden platt“, sagt Big Boi. „Das war mal ein richtig krasser Draufgänger.“
Und genau wie Tony Kearse aka Chico Dusty ist auch Big Boi ein Mann mit vielen Spitz- und Künstlernamen: Daddy Fat Sacks zum Beispiel, was laut Big Boi für den härtesten Typen überhaupt steht. „Das ist meine Gossen-Persönlichkeit, schließlich komme ich auch aus einer verdammt harten Gegend.“ Der Name General Patton steht hingegen seine kämpferische Seite: „Man nennt mich halt den General. Die Leute beziehen sich damit auf das Herz eines Löwen, das in meiner Brust schlägt.“ Dann wären da noch Hot Tub Toney, der Verführer, Beach Boi, der nahe der Küste aufgewachsen ist, und schließlich jener weltmännische Herr namens Sir Lucious Left Foot, den er auf dem neuen Longplayer präsentiert: „Ich laufe nun mal gerne mit gekämmten Augenbrauen herum. Ich stehe auch auf Gesichtsbehandlungen, Kürbis-Peelings und Algenmasken," so Big Boi, der vor zwei Jahren sogar mit dem Atlanta Ballett gearbeitet hat. Darüber hinaus ist der Sir auch ein passionierter Sammler von schicken Schlitten: „Bei Chevrolet Impalas und Cadillacs muss ich einfach zuschlagen – das ist fast schon wie eine Sucht.“ Doch darf man natürlich auch Francis The Savannah Chitlin Pimp nicht vergessen, ein durchaus ungewöhnlicher Spitzname für einen der größten Rap-Stars überhaupt: „Er kommt aus einer ländlichen Gegend von Savannah, läuft mit Flip-Flops rum, und ihm geht wirklich alles am Arsch vorbei. Manchmal hat er sogar einen Weizenhalm im Mundwinkel und zeigt damit, wie stolz er auf die Südstaaten ist.“
Antwan André Patton kam am 01. Februar 1975 in Savannah, Georgia zur Welt. Während seiner Kindheit wurde er Woche für Woche von seiner Großmutter losgeschickt, um neue Singles zu kaufen, damit wenigstens die richtige Musik lief, wenn das Großreinemachen am Wochenende anstand. So dröhnten jedes Mal Songs von Bob Marley, Patti LaBelle, James Brown oder Parliament/Funkadelic aus den geöffneten Fenstern ihrer Sozialwohnung in den Frazier Homes Projects. „Viel hatten wir nicht, aber an Liebe hat es bei uns nie gemangelt,“ berichtet der stolze Vater von drei Kindern.
Als er in der zehnten Klasse war, zog Big Boi dann nach Atlanta, um dort bei seiner Tante zu leben. In der Cafeteria der Tri-Cities High School lernte er schließlich einen gewissen André Benjamin kennen, mit dem er sich sofort anfreundete und die Gruppe Two Shades Deep gründete: „Dre nannte sich Black Wolf und ich war Black Dog. Wir wollten einfach nur anders sein als alle anderen“, so Big Boi. „Wir hatten keine Ahnung, was wir da eigentlich verzapften, aber aus irgendeinem Grund machten wir trotzdem weiter.“ Ein Jahr später starb seine Tante, woraufhin Big Boi bei Dre einzog, obwohl nur auf dem Fußboden Platz für ihn war. Im Abschlussjahr, 1992, unterzeichneten die beiden schließlich einen Plattenvertrag mit LaFace Records: „Schon damals waren wir wie Brüder. Wenn man über einen dermaßen langen Zeitraum so eng mit jemandem zusammenarbeitet, will man natürlich irgendwann neue Wege gehen. Das bedeutet keineswegs, dass die Gruppe nicht mehr existiert; es bedeutet einfach, dass wir beide versuchen, uns mit neuen Dingen zu konfrontieren und uns selbst bei Laune zu halten. Es geht also darum, sich nicht zu langweilen.“
Über Langeweile konnte Big Boi in den vergangenen Jahren definitiv nicht klagen: „Oh ja, ich bin auf jeden Fall ein Hansdampf in allen Gassen“, sagt er. Nachdem er die Rolle des Rooster im OutKast-Film Idlewild übernommen hatte, spielte er den liebenswerten Halunken Marcus in ATL und war in Who’s Your Caddy als C-Note dabei, ein Rapper, der versucht, Mitglied eines weißen Country-Klubs zu werden. Und wenn er nicht gerade in Hollywood vor der Kamera steht, trifft man Big Boi vielleicht bei seinen Brüdern James und Marcus an, die unter dem Firmennamen Pitfall Kennels seit über 10 Jahren Pit Bull Terrier züchten (wobei unter anderem auch Serena Williams, Usher, 50 Cent, Young Buck, Lloyd Banks und Young Jeezy zu ihrer Kundschaft zählen). “Wir wollen einfach nur die schönsten Tiere züchten und damit gegen das Gerücht angehen, das besagt, dass sie so unglaublich aggressiv sind.” Und dann wäre da noch sein eigenes Label Purple Ribbon Entertainment, auf dem unter anderem die Mixtapes Got That Purp und Got Purp? Vol. 2 sowie erste Tracks von Janelle Monae erschienen sind, der Big Boi inzwischen zu einem Deal mit Bad Boy verholfen hat, nachdem er sie bei einer Open-Mic-Nacht persönlich entdeckt hatte.
Wie man sieht, hat Sir Lucious Left Foot auch so alle Hände voll zu tun, doch betont er abschließend, dass er keineswegs vorhat, seine Rap-Karriere in naher Zukunft aufzugeben und das Feld zu räumen: „Ich werde rappen, bis ich nicht mehr kann. Wer behauptet, die Kids hätten stets das Sagen im HipHop, dem kann ich nur erwidern: Für diesen erbärmlichen Satz solltest du dich schämen.“