Wohl kein anderer Pianist hat den modernen Jazz so sehr geprägt wie Bill Evans, den der Kritiker-Doyen Leonard Feather einst als “sanften Giganten” bezeichnete. Mit seiner differenzierten Anschlagtechnik, seiner außergewöhnlichen harmonischen Raffinesse und den Voicings seiner linken Hand übte er starken Einfluss auf die Jazzpianisten aller nachfolgenden Generationen aus. Bei einem Musiker solchen Kalibers sollte man meinen, dass 37 Jahre nach seinem Tod bereits sämtliche verwertbare Aufnahmen aus den hintersten Winkeln der Tonarchive zu Tage befördert worden sind. Umso überraschter war die ganze Jazzwelt, als Anfang 2017 bei Fantasy das Album “On A Monday Night” herauskam, das eine sensationelle, unbekannte Live-Aufnahme von Bill Evans mit Eddie Gomez und Eliot Zigmund aus dem Jahr 1976 enthielt. “Ein erstklassiges Bill Evans Trio im Zenit seines Könnens ist kaum zu schlagen”, meinte Dan McClenaghan auf All About Jazz über das Album “Und genau das findet man auf ‘On A Monday Night’.”
Der am 16. August 1929 in Plainfield/New Jersey geborene Bill Evans studierte mit einem Stipendium in der Tasche an der Southeastern Louisiana University Piano, Flöte und Musiktheorie. 1950 machte er seinen Abschluss im Hauptfach Piano und ging anschließend mit dem Saxophonisten Herbie Fields auf Tournee. Nach Ableistung seiner dreijährigen Militärdienstzeit, während der er u.a. seine zum Klassiker gewordene Komposition “Waltz For Debbie” schrieb, kam er 1954 nach New York. Dort setzte er seine Studien am Mannes College fort, wo er den Komponisten und Arrangeur George Russell und dessen Arbeiten über den modalen Jazz kennenlernte. Die bei Russell gewonnen Erfahrungen brachte Evans, der auch ein begeisterter Anhänger der klassischen Impressionisten Ravel und Debussy war, 1956 gleich auf seinem Solodebütalbum “New Jazz Conceptions” unter, das er mit Drummer Paul Motian und Bassist Teddy Kotick einspielte. Und dieses Album dürfte auch das Interesse von Miles Davis, der damals selber seine sogenannte “modale Phase” einläutete, an Bill Evans geweckt haben. Gleich die erste Aufnahmesession, die Evans in den nur acht Monaten als Mitglied des Miles Davis Sextet machte, brachte das vielleicht beste Jazzalbum aller Zeiten hervor: “Kind Of Blue” (lediglich Coltranes “A Love Supreme” könnte ihm den Rang streitig machen). “Ich habe sicher eine Menge von Bill Evans gelernt”, gestand Miles damals. “Er spielt das Klavier auf eine Art und Weise, wie es gespielt werden sollte; er beherrscht alle Arten von Skalen.”
Nach dem kurzen Gastspiel bei Miles, das Bill Evans in die Schlagzeilen der Jazzpresse katapultiert hatte, gründete der Pianist mit Paul Motian und dem Bassisten Scott LaFaro sein erstes festes Trio, das auf nahezu telepathische Weise miteinander zu kommunizieren verstand. 1962, nach dem frühen Ableben des jungen Bassisten, unterschrieb Evans einen Plattenvertrag bei Verve. Unter der Obhut von Creed Taylor nahm Evans, der bevorzugt im klassischen Jazztrio spielte, für Verve bis 1969 eine Reihe sehr unterschiedlicher Platten auf: Mal mit einer von Gary McFarland geleiteten Big-Band oder einem von Claus Ogermann arrangierten Streichorchester, mal mit Begleitern wie Tenorsaxophonist Stan Getz, Gitarrist Jim Hall… oder sich selbst. Die im Overdub-Verfahren aufgenommenen Alben “Conversations With Myself” und “Further Conversations With Myself” zählen mit zu Evans’ spannendsten Aufnahmen. 1970 verließ Evans das Verve-Label und konzentrierte sich in der Folge wieder mehr auf das Spiel im Trio. Das letzte Trio, das er von 1978 bis zu seinem Tod mit dem jungen Bassisten Marc Johnson und dem Schlagzeuger Joe LaBarbera unterhielt, galt als das beste Evans-Trio nach jenem mit LaFaro und Motian.
Bill Evans, der im Laufe seiner Karriere immer wieder mit Drogenproblemen zu kämpfen hatte, starb am 15. September 1980, nur einen Monat nach seinem 51. Geburtstag, in New York.
Stand: 09/2017