Bloc Party | Biografie

Bloc Party – Biografie 2007 – Presse

“Gut,” dachte Kele Okereke, “wieder zu Hause zu sein.” Fast zwei Jahre waren Bloc Party fort gewesen, auf Tour. Eine lange Zeit, in der man weit gekommen war. Eine tolle Zeit: Eine Million Menschen hatten ihr Debütalbum “Silent Alarm” gekauft. Der britische NME kürte es zum Album des Jahres 2005, erstaunliche 69 Wochen hielt sich die Platte dort in der Hitparade. Und es war nicht nur das Heimatland des Londoner Quartetts, das ihrem zuckenden Agit-Pop verfallen war. Bloc Party – Kele Okereke, Russell Lissack, Gordon Moakes, Matt Tong – sammelten in Japan und Kontinentaleuropa das gleiche Kritikerlob. So auch in Deutschland: In allen Jahresbestlisten 2005 tauchten die Singles und das Album meist in den Top 5 auf. Zwei ausverkaufte Deutschlandtouren, als erste Band in einem Jahr gleich zwei mal auf dem Cover der Intro; der Headliner Auftritt beim Melt Festival, sowie Auftritte beim Eins Live Königstreffen und der MTV Campus Invasion. Acht Wochen in den Media-Control Charts, fünf Single Auskopplungen, welche in den Clubs und bei den Radiostationen rauf und runter liefen, sowie eine Deluxe Version des Albums mit Bonus DVD, zahllose offizielle und inoffizielle Remixe der Stücke (erstere fanden den Weg auf das im Sommer erschienene Remix Album), sowie einen krönenden Abschluss nach einem Jahr Welttournee am 30.November 2005 bei TV Total.

In 17 Ländern erreichten sie hohe Chartpositionen (in Deutschland: 22). Die Nominierung als BEST ALTERNATIVE ACT bei den MTV Europe Awards soll hier auch nicht unerwähnt bleiben. Als einzige Band der neuen britischen Schule schafften sie es auch in Amerika 8000er-Venues auszuverkaufen. Wer, der solche Erfolge feiert, könnte unzufrieden sein? Dennoch, Okereke hatte genug: Bloc Partys frenetisches Tempo – auf der Bühne, innerhalb der Songs – mit dem sie durch die ganze Welt düsten, bedeutete für ihren Frontmann mit der Zeit vor allem, dass “zu viele unserer Songs den gleichen emotionalen Level” hatten. Kreativ fühlte er ersten Frust: Warum konnte er, der begeisterte Musikfan, nicht so einfach Beats und Sounds neu erschaffen, wie Timbaland Beats und Sounds aus dem Hut zaubert?

Auch verkatert war Okereke: Zurück in East London hatte er erstmal kräftig auf den Putz gehauen. Wie sonst auch fertig werden mit all den Veränderungen? Den Veränderungen nicht nur in seinem Leben, sondern auch den Veränderungen, die der 25jährige um sich sah. Auf den Strassen, die er so viele Monate nicht mehr entlang gelaufen war. Und doch, und doch … als Anfang 2006 die Zeit kam, in der die Tournee abgeschlossen war und die Arbeit am neuen Album beginnen sollte, wurde der Frontmann von Bloc Party nicht erdrückt, sondern inspiriert von dem Emotionsbeben, das er in sich und um sich wahrnahm. Dieser Wirbel aus Ekstase, Leid, Freiheit, Chaos, Spannungen, Kokain, Spinnern, Rassismus und Ausschweifungen in den Clubs, Pubs und auf den Strassen seiner Heimat Bethnal Green! Kele griff sich all das Positive, all das Negative, all die Energie. Fing es ein, nahm es als Material für seine neuen Songs. Das Ergebnis: Ein Album, ein elektrisches, und entwaffnend direktes Abbild von Großbritannien im neuen Jahrtausend. Okerekes mutige, ehrliche Texte werden dabei in Szene gesetzt mit einer Musik, die herausfordert, die ausprobiert, neue Wege geht, und doch knallt – ein Fest für die Ohren! Gitarrenrock, aber nicht, wie wir ihn kennen. Bloc Party, aber nicht, wie wir sie kennen.

In Zusammenarbeit mit Produzent Jacknife Lee (U2, Snow Patrol – er war einst in Compulsion, jetzt geht’s ihm besser) haben Bloc Party ein Album geschaffen, das wie durch Reibung aufgeladen knistert. Voller umwerfender Gitarrenriffs, voller abgehackter Rhythmen, Disco-Techno und getoppt mit einem Gesang, der sich voll Selbstsicherheit weit herauswagt. So habt ihr Kele noch nie singen, klingen und tönen hören, Macht nichts. Er auch nicht.

Das also ist “A Weekend In The City”, Bloc Partys Kriegserklärung an den Terror der Strasse. “East London is a vampire that sucks the joy right out of me.” “Ein Konzeptalbum?” Kele Okereke windet sich. “Das Wort ‘Konzept’ ist mir ungeheuer, es ist schon so überfrachtet. Aber es gibt rote Fäden, die sich durch die Songs ziehen. Ich wollte diesmal sicherstellen, dass das Album einen Schwerpunkt hat. Das letzte hatte keinen – diesmal wußte ich genauer, was ich erreichen wollte.” Beispiel “SRXT”. Eine Hymne, ein prächtiger Song. Keinesfalls so trübsinnig, wie man es von einem Song, der nach einem Antidepressivum benannt ist und der Selbstmord zum Thema hat, erwarten sollte. Direkter Titel, direkte Frage: Ist er autobiographisch? “Immer, wenn du etwas schreibst, drückst du etwas aus, das in dir drin ist.” Mehrere Monate hatte der Denker Okereke über den Zeilen gegrübelt. Hier gibt’s keine Herz/Schmerz-Platitüden. Allerdings hat ihn seine schonungslose Offenheit dann doch selbst überrascht. Manche Zeile geht ihm heute noch zu nahe. Aber es ging nun mal darum, dieses Wochenende-Gefühl unverfälscht und brutal zu treffen. Zwischen Samstag abend und Montag morgen, so Okereke, liegt das ganze Leben. Die extremen emotionalen Höhe- und Tiefpunkte findet man nirgends so kulminiert.

Das spricht er direkt an auf “Sunday”. Die Drums hämmern wie dein Schädel nach “a heavy night, it was a heavy night”, doch dann wird aus dem Kater etwas Seliges: “I love you in the morning, when you’re still strung out”. Die Nächte vor einem solchen Morgen finden wir in “On”. Der Titel beginnt mit einer minimal-technoiden Bassline, sie pulsiert in deinem Hinterkopf. Dann bricht es los: “Silver slugs lined up like bullets, rolled up twenties they disappear, you make my tongue loose” – eine Ode an Loslösung und Befreiung durch Exzess? “Ja und nein. Nach ‘Silent Alarm’ wurde mir klar, dass ich weiter hätte gehen können – also nahm ich mir vor, bei dieser Platte alles offen zu legen. Auch all die häßlichen Gedanken. Die Dinge, die du deinem besten Freund nicht sagst. Das ist also ein Song über einen Freitagabend, an dem man sich voll die Kante gibt. Ich meine, in East London kannst du nirgends hingehen, ohne dass jemand Kokain dabei hat. Als wir von der Tour zurück kamen, war es plötzlich überall. Aber dies ist nicht der Song eines Moralapostels – sondern vielleicht eine Erklärung, warum Kokain die Leute so anzieht. Und eine Erklärung des Comedowns.”

Doch “A Weekend In The City” ist nicht nur Party Music für Party People. “Where Is Home” behandelt Rassismus und den Tod, konkret den von Christopher Alaneme, eines schwarzen Teenagers, der in einer Kleinstadt in der Grafschaft Kent erstochen wurde. Es war nicht nur der inselweite Medienwirbel um die Straftat, der Kele so betraf. Der 18-jährige Christopher war sein Cousin. “After the funeral breaking cola nuts/We sit and reminisce about the past,” so beginnt einer von Keles bisher aufwühlendsten Texten. “Es geht auch darum: Ich, als Schwarzer in der zweiten Generation in England, fühle mich doch immer noch nicht richtig wohl. Ich habe nicht das Gefühl, dass mir alle Türen offen stehen. Und die Mainstream-Medien verstärken mit ihrer Berichterstattung die Darstellung von uns als ‘den Anderen’”.

Auch die Paranoia und die Polarisierung der Gesellschaft nach 9/11 bzw. 7/7 (das Datum der Londoner Anschlagsserie) wird angesprochen. In “Hunting For Witches”, einem wagemutigen Song, mit Zeilen wie: “I’m sitting on the roof of the house with a shotgun…” und “There are enemies amongst us, we are told, and we must all be vigilant(ies)…” Bei den Aufnahmen zu “A Weekend In The City” ließen Bloc Party ihre Augen und Ohren wandern. Weit. “Waiting For The 7.18 ist neugestarteter Drum’n’Bass mit himmlisch läutenden Keyboards. “Wir haben auf einen richtigen Aphex Twin Sound gezielt.” Es klingt nicht im Geringsten nach Bloc Party. “Das war der Plan!” Gerockt wird natürlich dennoch weiterhin. “Uniform”, ein Angriff auf die global gleichgeschaltete Jugendkultur, wird sicherlich auf ihren Konzerten eine Moshpit auslösen. Ausgerechnet dieser Burner wurde beeinflußt von… Kate Bushs “Sat In Your Lap”?? Doch, echt. Kele: “Ich habe die Idee der gegeneinander wettstreitenden Gesangslinien übernommen!”

“Kreuzberg” dann hat tatsächlich Vergleiche mit U2 provoziert. Größer sogar als “Pioneers” vom ersten Album, hoch dramatisch, trotz der zärtlichen Lyrics. Kele grinst. “Für Anspielungen auf Stadionrock muß man sich nicht schämen. Man muß es halt GUT machen.” Und dann ist da natürlich “The Prayer”, die erste Single. Hier hören wir Keles Stimme, in mehreren Schichten übereinander gelagert, bis sie den Himmel erreicht. Inspiriert von der Lukas-Passion von Penderecki, an der der Sänger sich gar nicht satthören kann. “Ich habe meine Stimme neu definiert als Instrument. Habe die Spuren aufeinander getürmt, durch Verzerrer gejagt…”

Produzent Jacknife Lee war dabei eine wichtige Unterstützung. Er half der Band, neu zu definieren, was Gitarren erreichen können. Was Rock erreichen kann. Mit einem Wedeln des Pro-Tools-Zauberstabs beschwor er immer neue Klangmagie. Lees Ideen treten bei “The Prayer” besonders auffällig zutage. Der Text wiederum erstaunt, nach all den ernsten und entblößenden Zeilen, die wir sonst auf “A Weekend In The City” finden. Singt “Mr Serious” Kele hier tatsächlich darüber, dass Ruhm, Erfolg und Parties vor allem ein großer Spass sind? “Yeeeeaah…” zieht er seine Antwort, verlegen grinsend. Also doch, trotz all der dunklen Themen in den neuen Songs, Kele ist selbstsicherer, ausgeglichener, und bereit zum Pferde stehlen. “Heh heh. Schon komisch, bei all den anderen Texten quälte ich mich über Monate. Dieser funktioniert ganz anders. Gerrett (Lee) hat mich ermutigt, etwas nicht so durchdachtes auszuprobieren. Ich meine, einer der besten Texte der Popgeschichte ist doch ‘Milkshake’ von Kelis: ‘My milk shake brings all the boys to the yard/I’d teach you but I’d have to charge”. Das ist so düster. Es bedeutet nichts – oder es bedeutet alles. Arbeitet sie in einer Milchbar? Oder ist sie Prostituierte? Da schwingt so etwas Dunkles mit!” “Jedenfalls, mit diesem Song wollte ich mich davon abbringen, alles zu rational so sehen. Die ersten Worte kamen aus dem Nichts zu mir. Man muß halt nicht immer alles intellektuell aufbauschen. Bei ‘The Prayer’ habe ich das Hirn bewußt ausgeschaltet.”

“Das also” faßt Kele zusammen, “ist das, worauf es hinausläuft: Diese Vorstellung von Erfolg. Das hat was Mutiges. Das ist etwas, das so untypisch ist für uns. Wir gelten als höfliche und ernsthafte Band, das hat mich gereizt, das genaue Gegenteil zu machen.” Ein guter Start ins Wochenende in der Stadt mit Bloc Party. Komm mit, du wirst den Ort und die Band mit anderen Augen sehen.