Das geheime Leben eines Superstars
Seinen Namen kennt jeder. Er ist allgegenwärtig; man stolpert andauernd darüber. Er ist ein fester Bestandteil der Geschichte der Popkultur, der kulturellen Landschaft der vergangenen Jahrzehnte. Fragt man die Leute auf der Straße, ob ihnen der Name etwas sagt, werden sie diese Frage definitiv bejahen. Fragt man sie daraufhin, was dieser Mann denn nun eigentlich genau tut, so werden sie alle ganz unterschiedliche Dinge zu berichten haben. Fragt man sie weiterhin, ob sie eine Meinung zu ihm haben, ganz gleich, ob gut oder schlecht, dann bejahen die meisten auch das. Nur wenn man dann nachhakt und wissen will, wie sie zu dieser oder jener Ansicht gelangt sind, dann wissen sie das gar nicht so genau. Pfeift man schließlich einen seiner Songs, dann erinnert sich ein Großteil der Leute an die Nummer – nur kann keiner so recht sagen, wer denjenigen Track wohl geschrieben haben könnte. Es besteht daher kein Zweifel: Bob Geldof ist und bleibt das berühmteste Mysterium der internationalen Musiklandschaft.
Allerdings hat er selbst überhaupt kein Problem damit, denn er betrachtet gerade diese Ausnahmestellung als seine eigentliche Berufung. Geldof sieht darin gewissermaßen seinen Job, und er ist kein bisschen frustriert oder verbittert darüber, dass er dieses “geheime Leben” führt – wenn überhaupt ist es eine Mischung aus Schmunzeln und Unverständnis: “Wenn du ein Plakat aufhängst, auf dem steht, ‘Heute Abend: Bob Geldof’, dann würden die meisten Passanten wohl sagen: ‘Ja, alles klar, aber was genau macht er denn nun heute Abend?’” Ein Jammer eigentlich, dass sie das nicht sagen könnten, denn wie die diversen Veröffentlichungen, Plattenkritiken, Auszeichnungen und Lobeshymnen der letzten Jahrzehnte aus aller Herren Länder belegen, ist er tatsächlich unglaublich gut in dem, was er da macht.
Vielleicht kann man Geldof einfach nicht so deutlich “raushören”, wie das eventuell bei anderen Künstlern der Fall ist. Vielleicht ist der Gesamteindruck, der sich hinter seinem Namen verbirgt, einfach zu überwältigend, um objektiv die Musik zu verfolgen. Hätte er sich für die Art von Lifestyle entschieden, die man gemeinhin von Pop- und Rockstars kennt und erwartet, ohne sich großartig um all die anderen Dinge um ihn herum zu scheren, dann wäre es sicherlich leichter zu akzeptieren, dass er sich nun mit einem neuen Album zurückmeldet. Und doch klingt er, immerhin eine der wenigen New-Wave-Legenden, die noch immer aktiv sind, auch heute noch genauso aktuell und ehrlich und eindringlich wie im Jahr 1975.
Sein Image als Musiker unterscheidet sich allenfalls minimal von dem Menschen, der sich dahinter verbirgt. Schließlich hat ihm das ganze Getue und Gehabe, das “echte Rockstars” an den Tag legen, noch nie etwas bedeutet. Allein der Gedanke daran war für ihn zuviel. Im Jahr 1976, vor 35 Jahren also, hat er gesagt, dass er seine Bekanntheit dafür nutzen wolle, um Menschen zu erreichen und Dinge zu bewegen; um Themen anzusprechen, die ihn bewegten. Kein Mensch wird behaupten wollen, dass er diesen Plan im Laufe der Zeit aus den Augen verloren hätte. In seinen Songs präsentiert er sich genauso schonungslos und direkt wie bei seinen Auftritten im Fernsehen oder wenn er mal wieder Politikern die Stirn bietet. Nur klingen seine Kompositionen irgendwie noch tiefgründiger, emotionaler und “von Herzen kommender”, und genau deshalb auch allgemeingültiger als jedes Statement, das er sonst in der Öffentlichkeit von sich geben könnte.
Geldof hat immer gesagt, dass ihn als Kind der Sechziger generell nur zwei Dinge interessieren: Musik und Politik. Was daran lag, dass “diese beiden Bereiche damals noch untrennbar” waren, wie er meint. Darum würde er die “Welt auch durch die Sprache des Rock begreifen” und seine Weltsicht anderen durch diese Ausdrucksform vermitteln. Scheinbar hilft es ihm, die eigenen Erfahrungen zu verarbeiten “und sie so für andere Menschen verständlich zu machen”.
Geldof ist inzwischen 59 Jahre alt; als er das Album fertig stellte, war er noch 58,5, genauer: “58 1/2” – und so nennt er die LP dann auch auf die für ihn so typische unverblümte Art (wobei der neue Longplayer offiziell unter dem nicht weniger unverblümten Titel “How To Compose Popular Songs That Will Sell” erscheinen wird; ein Titel, den sich Geldof von einer alten Musik-Fibel entliehen hat, die er in einem Secondhand-Buchladen gefunden hat…)
“Erinnerst du dich noch an die Zeile aus John Lennons ‘Julia’? Er fragt darin: ‘When I cannot sing my heart, I can only speak my mind?’ Das Gegenteil davon ist mein Problem”, so Geldof über seine Motivation. “Ich habe ganz viele Kanäle, um meine Meinung zu äußern – aber diese Kanäle taugen nichts, wenn ich meine Gefühle, also das, was mein Herz sagt, artikulieren und rauslassen will. Erstere kann ich jederzeit nutzen, wenn ich möchte; im letzteren Fall bleibt mir gar keine andere Wahl.” Nun würden viele Leute es sicherlich gerne sehen, wenn er über die Dinge singt, über die er sich auch sonst auslässt. Da verfinstert sich sein Blick, und nachdem er Lennon schon erwähnt hat, spuckt er als nächstes ein Dylan-Zitat aus: “They say sing what you say but I just get bored…” Man muss zugeben, dass Geldof wohl auch keinen Job auf “Maggie’s Farm” bekommen hätte.
Wenn Geldof in der Öffentlichkeit als eine Art Don Quijote der Musikwelt gilt, verstrickt im ewigen Kampf gegen imaginäre Windmühlen des Systems, dann muss man Pete Briquette, den einstigen Bassisten der Boomtown Rats und seit 35 Jahren Geldofs Kreativpartner, wohl oder übel als seinen Sancho Panza bezeichnen. Der technisch vollkommen unfähige Geldof “klopft immer dann bei Pete an”, wenn es ihn in den Fingern juckt und er erste Ideen, Melodiefetzen oder manchmal auch ganze Songs aufnehmen will. “Pete verfügt über ganz vernünftiges Equipment in seiner Bude, insofern können wir vieles gleich dort erledigen.” Zeitpläne, Termine und Deadlines gibt es hier keine. So nimmt ein Album nach und nach Form an, und die Jungs, mit denen sie schon seit Ewigkeiten Musik machen, schauen bei Bob zu Hause vorbei, bauen ihre Instrumente im Esszimmer auf, spielen die Stücke live und machen erste Aufnahmen, dann geht’s weiter zu einem anderen Buddy, der über ein “richtiges” Studio verfügt, “weil er ein extrem reicher Rockstar ist”, dann folgen weitere Aufnahmen, Abmischen – und fertig. Und so fühlt sich das Resultat auch an.
Ungezwungen, entspannt, aber nicht zu gemütlich. Fesselnd, ohne aggressiv zu klingen. Eindringlich, jedoch ohne die Nerven zu sehr zu strapazieren. Vertraulich, aber doch nicht zu tief im Privaten verankert. Etwas zerknirscht, aber nicht wehmütig. Ehrlich und aufrichtig – aber keine vertonte Beichte. Dahinter: ein Mann, den man zu kennen glaubt, im Grunde genommen aber nichts von ihm weiß. Allerdings geht er davon aus, dass er selbst wohl auch nicht viel schlauer ist als wir, was das angeht. “Nein, ich habe ehrlich gesagt keinerlei Interesse an meiner Person. Ich kann Selbstanalysen nicht ausstehen. Es handelt sich hier einfach nur um ein Album, auf dem ich festhalte, wie es sich anfühlt, ein Mensch bzw. exakt dieser Mensch zu sein, dieser Mensch von 58,5 Jahren, um genau zu sein; 31 Songs gab es dazu, die ich auf ein gutes Dutzend zusammengekürzt habe, um daraus ein rundes Album zu machen.”
Hört man sich “How To Compose Popular Songs That Will Sell” schließlich an, fühlt man sich automatisch wie einer von diesen Weinkennern, die genüsslich schmatzend dasitzen, das Bouquet und Aromen wie Tabak oder verrottende Erdbeeren im Herbst rausschmecken – nur handelt es sich hier immer noch um Popmusik, und man fühlt und hört so ziemlich alles von den Swingle Singers bis Captain Beefheart raus, um zwischendurch noch bei Nick Drake, Hot Chocolate und George Harrison zu landen! Der Sound, die Produktion der Platte treibt einen derweil an den Rande des Wahnsinns, weil die darin aufflackernden Referenzen einem zwar auf der Zunge liegen, aber doch nie so recht einfallen wollen. Dazu werden Gedichte aus Schultagen herausgekramt; Klarinetten und Clavinets tauchen auf, Maultrommeln ebenfalls, nicht zuletzt Sägen und Loops und Rock & Roll.
“Die Fünfziger waren die schönste und glücklichste Zeit meines Lebens”, berichtet Geldof – und das hört man auch auf dem Album. “Ich hätte das niemals für möglich gehalten, aber es stimmt. Die Gefühlsrangeleien klingen langsam ab. Der Kampf um gute Ideen ist entschieden – entweder man hat ihn gewonnen oder verloren. Die Kinder sind groß. Die Leute in deinem Alter haben es oftmals bis weit nach oben geschafft; sie haben verantwortungsvolle Positionen, was vieles vereinfacht. Man hat genug Geld. Oder auch nicht. Und man ist gerade noch jung genug, um sich für neue Dinge zu interessieren, und noch nicht ganz so alt, dass man mental schon dichtgemacht hätte. Es ist die letzte Gelegenheit, etwas zu kreieren, etwas beizusteuern. Nostalgie braucht kein Mensch, weil das Hier und Jetzt einfach zu spannend ist, und doch ist das Greisenalter auch gar nicht mehr so weit entfernt. Doch auch das hat irgendwie seinen Reiz, weil es einen vor neue Probleme stellt.”
“How To Compose Popular Songs That Will Sell” bzw. “58 1/2” wirkt nicht wie die Fortsetzung der unterkühlten Winter-Stimmung von “Sex, Age and Death”, dem Vorgänger aus dem Jahr 2001. Die Lebensfreude und der in diesen Songs mitschwingende Optimismus sprechen definitiv dagegen. Doch während sich Geldof auf seinem letzten Album mit dem Zerfall einer Liebesbeziehung befasste und Gefühlen wie Trauer, Schmerz und Wut freien Lauf ließ, feiert er dieses Mal die Rückkehr der Liebe: “To live in love is all there is/Life without love is meaningless”, heißt es da; und später dann, im selben Song: “Life without love – absurdity/Life without love – futility”. Sinn- und Zwecklos sei es, jedes Leben, in dem die Liebe fehlt. Dabei ist die Liebe kein leichtes Thema, und während er singt “blow hateful wind/cold on faithless skin” findet die Liebe trotz Gegenwind zurück: “Love will find a way to you again.” Geldof scheint hier fast schon benebelt zu sein, weil er mit diesen Emotionen wohl selbst nicht gerechnet hätte. Immerhin haben wir es hier mit demjenigen Künstler zu tun, der vor 35 Jahren “Looking After No. 1” geschrieben hat!
Doch es stimmt: Unser Mann hat wieder Augen für die schönen Dinge des Lebens, es gibt wieder Hoffnung für ihn: “The world is spinning full of kindly beings/The one you love will love you back/And no-one’s spoiling anything”. In dieser hier von ihm besungenen Welt, fast schon eine Fata Morgana, lässt selbst der Mond alle Hüllen fallen: “Got drunk and drops his clothes down on the empty streets”, und während Geldof also in der Liebe neue Energie und Inspiration gefunden hat, richtet er, erbarmungslos wie eh und je, den Spiegel auf sein zur Zeit der Aufnahmen ziemlich genau 58,5 Jahre altes Ich und zeichnet derweil ein strahlendes und doch ergreifendes Bild von diesem Lebensabschnitt, an dem man mit einem Bein schon fast ein richtig alter Knacker ist. Ganz am Schluss hört man einen langen Seufzer des Bedauerns: “O maaan!” Allerdings.
Das Resultat ist der Hammer. Fühlt sich echt an, ungekünstelt. Ungeschminkt und frei von Posen. Ehrlich, lustig, liebevoll – einfach menschlich, wenn man so will. Typisch Geldof also.
Es ist eine grandiose Platte geworden. Eingespielt von einer grandiosen Band mit einem Sänger, der grandiose Songs schreibt. Als Mensch und als Name war er nie wirklich weg, und die Songs der letzten 35 Jahre rotieren irgendwo ganz weit hinten im Hinterkopf auch noch vor sich hin, zumindest bei den meisten von uns. Nur wussten wir es gar nicht mehr.
Wisst ihr was: Tut euch selbst einen Gefallen und behaltet diese hier lieber gleich ganz weit vorn im Gedächtnis.