“Das hier ist etwas ganz anderes”, sagt Brian Fallon über sein kommendes Album, “denn es ist – einfach wirklich meins.”
Randvoll mit überdimensionalen Hooks und noch größeren Refrains, erscheint in diesem Jahr mit “Painkillers” das erste Soloalbum von Brian Fallon – dem Sänger und Gitarristen von The Gaslight Anthem, der in den letzten Jahren neben den massiven Erfolgen mit seiner Band auch mit Projekten wie The Horrible Crowes und Molly & The Zombies für Furore gesorgt hat. Aufgenommen mit dem Producer-Superstar Butch Walker (Taylor Swift, Frank Turner, Keith Urban), geben astreine Hymnen wie “Long Drives” oder auch der treibende, ansteckende Titelsong die Richtung vor: Fallon vereint auf seinem Solo-Debüt ganz unterschiedliche US-Traditionen, wenn er Country und Folk mit der Energie von Hardcore und Punk kombiniert und selbst vor klassischem Rock & Roll nicht Halt macht. Mit “Painkillers” unterstreicht Fallon abermals, über was für ein unvergleichliches Gespür er als Songwriter und Geschichtenerzähler verfügt: In seinen Songs verbindet der 35-Jährige eindringliche Metaphern und präzises, packendes Storytelling mit eingängigen Melodien und einem emotionalen Tiefgang, der sein Werk schon seit den Anfangstagen von The Gaslight Anthem auszeichnet.
“Mir schwebte dieser Sound schon seit langer, langer Zeit vor”, berichtet Brian Fallon über die Entstehung seines Solo-Erstlings, “aber eine gewisse Reife war wohl die Voraussetzung, um meine Ideen dann auch umsetzen zu können.”
Den Entschluss, an “Painkillers” zu arbeiten, fasste er sobald The Gaslight Anthem offiziell bekanntgegeben hatten, dass sie eine Bandpause auf unbestimmte Zeit einlegen würden. Nebenprojekte sind bekanntermaßen kein Neuland für Fallon, doch dieses Mal legte eine Freundin ihm nahe, doch mal ausnahmsweise nicht unter einem anderen Projekt- bzw. Bandnamen zu arbeiten…
“Sie meinte, dass ich mich dadurch viel zu sehr limitieren würde. So à la ‘Wenn du ein Album mit den Horrible Crowes machst, dann musst du schließlich auch Musik wie die Horrible Crowes schreiben. Du musst dich dann automatisch an irgendwelche Vorgaben und Erwartungen halten. Aber wenn du einfach deinen wirklichen Namen benutzt, dann kannst du irgendein Album aufnehmen – ganz egal! Du kannst dich verändern, mit unterschiedlichen Musikern zusammenarbeiten: Du kannst genau der sein und das machen, was dir vorschwebt und das Ganze dann zu einem Paket verschnüren.’ Ganz ehrlich: Das war einer der besten Ratschläge, den ich jemals bekommen habe.”
Unabhängig davon, ob er nun seinen Namen oder den einer Band benutzen würde, wusste Fallon genau, dass er dieses Album nicht im Alleingang aufnehmen konnte. Also ging er eine Reihe von möglichen Mitstreitern durch, wobei er jedoch immer wieder bei einem Namen landete, was die Produzentenauswahl angeht: Butch Walker. Ein Treffen wurde arrangiert – und die Chemie zwischen den beiden Musikern stimmte auf Anhieb: Nach nur drei Tagen waren die ersten vier Demosongs bereits im Kasten, unter anderem nahezu fertige Versionen von “Painkillers” und “Nobody Wins”.
“Wir waren wirklich sofort so richtig dicke”, berichtet Fallon. “Und die Songs ergaben sich wie von selbst: Wir mussten nie lange in uns gehen und nach Ideen suchen – alles war einfach da. Das Fundament dafür waren die ganzen Alben, mit denen wir beide aufgewachsen sind.”
Im September 2015 begann Brian Fallon schließlich die eigentlichen Aufnahmen: Für drei Wochen ging er nach Nashville, wo er in den Taxidermy Studios von der befreundeten Bassistin Catherine Popper (Jack White, Ryan Adams & The Cardinals, Willie Nelson), die auch bei Molly & The Zombies mitspielt, und dem Schlagzeuger Mark Stepro (Hayes Carll, Ben Kweller, Jackson Browne) unterstützt wurde, wobei auch sein Produzent Butch Walker einige Instrumente einspielte.
Frei von Auflagen und Erwartungen, habe er sich selbstbewusster denn je gefühlt, so Fallon, weil er seine Vision wirklich Stück für Stück im Studio umsetzen konnte. “Ich hatte das Gefühl, wirklich genau das Richtige zu tun: Es war die richtige Sache, der richtige Moment, der richtige Sound. Alles stimmte daran. Ein echt gutes Gefühl war das, so als ob ich meine ganze Karriere schon auf dieses eine Album hingearbeitet hätte – und nun war endlich der Moment gekommen, das alles raus zu lassen.”
Einen Großteil des letzten Jahrzehnts hat Fallon damit verbracht, als Songwriter in immer neue Richtungen aufzubrechen, sich selbst immer wieder mit neuen Techniken, neuen Ansätzen und nicht zuletzt mit neuen Seitenprojekten herauszufordern. Da es sich dieses Mal um sein offizielles Solodebüt handelte, fasste er den Entschluss, zu seinen Wurzeln zurückzukehren – will heißen: “Couch Songs” zu schreiben, wie er sagt, allein auf dem Sofa, nur mit seiner guten alten Akustikklampfe.
“Ich habe viel herumexperimentiert in den letzten Jahren, verschiedene Ansätze ausprobiert”, erzählt der 35-Jährige, “aber schließlich gab es da diesen Weg, auf dem ich einmal angefangen hatte. Ich dachte mir also: Ich gehe jetzt einfach zurück zum Ausgangspunkt, dorthin, wo meine ersten Songs entstanden sind, und dann schauen wir mal, ob ich als Songwriter besser geworden bin. Ich weiß, dass ich diese Kunst noch immer nicht zu 100% beherrsche, aber etwas gelernt habe ich schon: Schauen wir mal, was ich heute auf die Beine stellen kann.”
Die Inspiration kam, wie so häufig, von jenen Alben, die Fallon nun schon sein ganzes Leben lang begleiten: Besonders “Born In The USA” und “Full Moon Fever” erwiesen sich als wichtig, zwei Rock-Meilensteine, die zugleich auch als Pop-Alben ein Millionenpublikum begeistern konnten. Überhaupt mangelt es auf “Painkillers” nicht an klassischen Sounds: Angefangen bei den Rickenbacker-Gitarren, die “Among Other Foolish Things” voranpeitschen, bis hin zu den Background-Gesängen, die jeden der 12 Songs durchziehen. “A Wonderful Life” ist womöglich die größte Hymne, die Fallon je komponiert hat: astreiner Party-Rock & Roll-Sound, mit dem Fallon die Sechziger ein für alle Mal in unser Jahrtausend katapultiert.
“Der Song hat einfach alles: Das Riff, die Whoa-whoa-whoa-Gesänge, der Refrain, einfach alles daran sitzt. Eigentlich ist es ja ein ganz simpler Song, aber wir wussten sofort, dass dieses Stück in einer ganz anderen Liga spielt.”
Weitere Highlights von “Painkillers” sind z.B. “Red Lights” und das grandios orchestrierte “Long Drives”, übrigens beides ursprünglich Demosongs von Fallons Folk/Country-Rock-Band Molly & The Zombies, die jedoch nie richtig aufgenommen wurden. Walker half dem Sänger dabei, diese zwei Molly-Stücke umzubauen, indem sie “den Beat auf Vordermann” brachten und die Songs dorthin transportierten, wo sie hingehören: Weg von der Veranda und stattdessen ins pralle Licht auf die Strandpromenade. “Ich wollte schließlich kein Country-Album machen”, so Fallons Kommentar. “Ich bin aus New Jersey, nicht aus Nashville. Nur fand ich halt, dass diese Songs einfach zu gut waren, um sie gänzlich in die Tonne zu treten.”
Seine eindringlichen, aufrichtigen Songtexte – in denen, wie immer, Schauplätze genau umrissen werden, Charaktere genau beschrieben, und die gespickt sind mit Referenzen von “Famous Blue Raincoat” (Cohen) bis hin zu DC-Post-Hardcore-Bands wie Rites of Spring – untermauert Fallon perfekt mit seinen Kompositionen, wenn er zum ersten Mal wirklich das gesamte Spektrum seiner eklektischen Einflüsse zu einem schlüssigen Ganzen zusammenschnürt. Erwähnenswert ist dabei, dass für “Painkillers” nur ein einziger Gitarrenverstärker bei den Aufnahmen zum Einsatz kam: Und zwar derjenige Imperial “20th Anniversary Edition” von Tone King, auf dem Fallon schon seine ersten Demos aufgenommen hatte.
“Das Teil kann einfach alles! Wenn du die 12-Saiter einstöpselst, klingt das wie The Byrds, mit einer Les Paul klingt’s nach astreinem Rock, auch Country funktioniert damit, einfach alles! Ich zeigte Butch meinen Verstärker, und er meinte nur: ‘Okay, cool, dann nehmen wir eben deinen.’ Also legten wir los, wir nahmen alle Gitarren für einen Song damit auf, und am Schluss sagte er: ‘Wow, der Verstärker ist ziemlich gut! Lass ihn uns morgen gleich noch mal einsetzen.’ Und das haben wir dann auch gemacht. Am Ende der Aufnahmen sagte Butch irgendwann: ‘Ich glaube nicht einmal, dass ich irgendeinen anderen Verstärker während der Aufnahmen eingeschaltet habe.’ Das war echt der Hammer!”
Fallon plant nun, weite Teile des Jahres 2016 auf Tour zu verbringen: Natürlich mit seinem Tone King “Imperial” im Gepäck und unterstützt von einer grandiosen Live-Band, die aus Alex Rosamilia (The Gaslight Anthem), Ian Perkins (The Horrible Crowes) und der bereits erwähnten Catherine Popper (Molly & The Zombies) besteht. Da “Painkillers” größtenteils im Studio entstanden ist, freut sich Fallon schon jetzt auf die Herausforderung, die neuen Stücke umzustrukturieren, bis sie auch bühnenreif sind, wie er sagt: “Wenn man ein Album aufnimmt, dann macht man einfach, was einem in den Sinn kommt. Aber wenn man die Resultate dann live spielen will, dann muss man alles erst mal auseinanderbauen und es wieder neu zusammensetzen. Die Songs verwandeln sich dadurch – was es für die Fans noch spannender macht, die Songs hinterher live im Konzert zu hören.”
Schließlich bestätigt Fallon, dass The Gaslight Anthem irgendwann zurückkehren werden. Momentan jedoch konzentriere er sich voll und ganz auf das Hier und Jetzt, auf “Painkillers”: Ein Album, das für ihn weder einen Schlusspunkt noch einen kompletten Neuanfang darstellt, wie er meint. Es gehe ihm einfach nur um eine Bestandsaufnahme, darum, wo er heute steht.
“Pseudophilosophisch könnte man schließlich sagen, dass wir so oder so immer nur das haben, was uns im jeweiligen Moment umgibt”, gibt Fallon abschließend zu bedenken. “Das ist genau der Ansatz, auf dem dieses Album basiert. Ich mache das jetzt einfach, schließlich wollte ich das schon immer machen. Schauen wir mal, was damit passiert. Mehr gibt’s dazu eigentlich auch nicht zu sagen.”