Im Schatten Bob Marleys – der seiner Karriere eine Weiche stellte – ist Winston Rodney alias Burning Spear einer der einflussreichsten Reggae-Musiker der 1970er Jahre, parallel mit Toots & The Maytals und Jimmy Cliff. Über zwei Dutzend Alben hat er veröffentlicht, sein jüngstes erschien 2008. Zwölf Mal wurde Burning Spear für einen Grammy nominiert und er gewann den wichtigsten Musikpreis Amerikas 2000 und 2009. Die Reggae-Szene verehrt ihn als als Pionier, Prediger und Ur-Rastamann.
Beeinflusst von US-amerikanischen R&B-Stars wie James Brown und Curtis Mayfield, tauchte Rodney zum Ende der 1960er Jahre in der jamaikanischen Musikszene auf. Marley, den er aus seinem Heimatort Saint Ann´s Bay kannte, vermittelte ihn an den Produzenten und Soundsystem-Betreiber Coxsone Dodd – einer der beiden Begründer der jamaikanischen Musikindustrie, die ihren Ursprung in den Sound Systems hatte: mobilen Discos, die ab den 1950ern in den Armenvierteln von Kingston unter freiem Himmel stattfanden. Dodd veröffentlichte mit der Single “Door Peep” Rodneys ersten jamaikanischen Hit, gefolgt 1972 von seinem Durchbruch mit “Joe Frazier (He Prayed)”.
Rodney wurde Anhänger des jamaikanischen Politikers Marcus Garvey und brachte als einer der ersten Sänger die pan-afrikanischen Botschaften Garveys in seine Texte. Den Künstlernamen Burning Spear entlehnte er dem ersten kenianischen Präsidenten Jomo Kenyatta (der den Spitznamen flammender Speer hatte).
Genau wie Marley wechselte Burning Spear – an der Seite seines damaligen Produzenten Jack Ruby – dann zu Chris Blackwells Island-Label. Im Alleingang brachte Blackwell der westlichen Welt in den frühen 1970ern ein ganz neues Genre nahe: Reggae. Den LPs von Bob Marley und den Wailers gab er dabei einen rock-kompatiblen Sound. Zwei Jahre nach Marleys Debütalbum “Catch a Fire” erschien 1975 Burning Spears epochales drittes Album “Marcus Garvey” bei Island, aufgenommen mit der phänomenalen Backingband Black Disciples, ein Meisterwerk des Roots-Reggaes. Der Musikkritiker Robert Christgau nennt es, “das am meisten afrikanisch klingende und politischste Reggae-Album der Zeit”. Mit diesem und den folgenden vier Alben lieferte Burning Spear den “grundlegenden Kanon der Dread-Roots, die stärkste Strähne des Genres”, resümiert der AllMusic-Guide.
Die Stoßrichtung von “Marcus Garvey” behielt Rodney 1976 mit dem Nachfolger “Man in the Hills” bei, das den massiven Clubhit “The Lion” enthält. Auf seiner ersten England-Tournee begleiteten ihn die UK-Lokalmatadoren Aswad. Mit dem jazzigen, hymnischen “Civilized Reggae” vom 1978er-LP “Marcus Children” setzte er einen weiteren Meilenstein. In den 1980ern nahm Burning Spear auf eigenem Label in Marleys Tuff Gong Studios das Album “Hail H.I.M.” auf. Gegen Ende der Dekade kehrte er mit neuer Band zu Island zurück und steuerte 1991 einem Grateful-Dead-Tribute-Album die legendäre Roots-Version des Songs “Estimated Prophet” bei.
Seitdem bringt er alle paar Jahre ein neues Album heraus und versetzt Sommer um Sommer Fans auf den Reggae-Festivals dieser Welt, in Trance. Spears´ Songs bringen nicht nur die Beine in Bewegung, sondern auch die Köpfe, sie verbinden Roots, Rock und Reggae, Gefühl, Statement und Spiritualität.