Memory
Mann, war ich stolz. Es muss Anfang der Neunziger gewesen sein, und ich hatte mir gerade von meinem spärlichen Taschengeld die �Voices & Images�-CD von CAMOUFLAGE in einer schick gestalteten Pappbox gekauft. Ein paar Jahre zuvor � im �Osten� � musste ich mich noch mit einer x-mal überspielten Kassette begnügen. Ich erinnere mich noch genau an meine Gänsehaut beim Opener �That Smiling Face�…
Die Geschichte der Band begann jedoch schon viel früher: Marcus Meyn, Heiko Maile und Oliver Kreyssig, beeinflusst durch Elektronik-Bands wie Kraftwerk und Depeche Mode, bereits Anfang der Achtziger die Schülerband �Licensed Technology� im schwäbischen Bietigheim-Bissingen bei Stuttgart gegründet. Wenig später benannte sich die Band nach einem Song der japanischen Kultband �Yellow Magic Orchestra� in CAMOUFLAGE um. 1986 gewannen sie einen Talentwettbewerb des Hessischen Rundfunks. Mit ihren eingängigen und doch vielschichtigen Songs konnten sie auch bald Charterfolge verzeichnen: Hits wie �The Great Commandment� (1987), �Stranger’s Thoughts� (1988) und �Love Is A Shield� (1989) haben für immer einen Platz im Popolymp eingenommen. In den USA, wo CAMOUFLAGE neben Depeche Mode als eine der einflussreichsten Synthie-Pop-Bands der Welt gelten und ihnen Ende der Neunziger ein Tributealbum gewidmet wurde, stellte die Band gar einen Rekord auf: eine Remix-Version von �The Great Commandment� erreichte gleich zweimal Platz 1 der Dancefloor-Charts.
Me & You
Mittlerweile sind etliche Jahre ins Land gezogen. CAMOUFLAGE haben alle Höhen und Tiefen des Musikbusiness mitgemacht. Nach mehreren erfolgreichen Alben und etlichen großen Hits folgten harte Zeiten: private Krisen und Missmanagement führten dazu, dass es Mitte der Neunziger ruhiger um die Band wurde.
Doch die Fans der Band können aufatmen: Pünktlich zum 20jährigen Bandjubiläum steht nun endlich wieder eine neues CAMOUFLAGE-Album in den Startlöchern: Sensor soll ihr bislang reifstes und tiefgründigstes Werk werden und nach dem eher ambient-orientierten Sound des letzten Albums Spice Crackers wieder auf den Tugenden der ersten Alben aufbauen: �Wir wollten zurück zu unseren pop-elektronischen Wurzeln�, erklärt Heiko. Und dieser Ansatz hat sich ausgezahlt: Me & You, die erste Singleauskopplung aus dem Album, stieg in der ersten Woche als höchster Neueinsteiger gleich auf Platz 6 (2. Woche #3) der deutschen Alternative Single Charts (DAC) ein.
Zu Beginn der Produktion von Sensor hielt sich Heiko Maile öfter in London auf, um mit verschiedenen Produzenten an den aktuellen Stücken zu arbeiten, so mit Rob Kirwan, Assistent der Produzentenlegende Flood (U2, Smashing Pumpkins), und dem Produzententeam TOY, die u. a. an der Produktion von Depeche Modes �Ultra�-CD beteiligt waren. Zwar blieb es bei der Kooperation mit den Engländern nur bei einer Vorproduktion. Für die Findung des endgültigen Sounds von Sensor allerdings waren die Wochen dort sehr wichtig.
Letztendlich wurde Sensor größtenteils von Gerret Frerichs alias �Humate� in dessen Hamburger �Privatlab�-Studio produziert, bei den restlichen Songs legte Heiko als Produzent im Stuttgarter �Saal 3� Studio selbst Hand an. Als Gastmusiker konnten die Gitarristen Jörn Heilbutt (Ex Jeremy Days) und Volker Hinkel (Fool�s Garden) gewonnen werden. Interessant am Entstehen von Sensor war auch die Herangehensweise: Durch die räumliche Trennung � Heiko wohnt in Stuttgart, Oliver und Marcus in Berlin � ging CAMOUFLAGE zu einer MP3/Internet-Kommunikation während des Produktionsprozesses über. Eine gemeinsame Web-Site wurde eingerichtet, unter der alle an Sensor beteiligten Personen sich über den jeweils neuesten Stand der Produktion per MP3-Downloads informieren konnten.
Together
Als vor einigen Jahren die Idee reifte, ein neues Album zu produzieren, hatte Marcus die Idee, dass �auch Oliver, unser Gründungsmitglied, unbedingt wieder bei der Band mitmischen müsse, nachdem wir drei Alben ohne ihn aufgenommen hatten�, erzählt Heiko. Und Oli hatte spontan Lust, bei neuen Sachen mitzuwirken: �Wir hatten schließlich nie wirklich den Kontakt zueinander verloren�, bestätigt er. �Es mag schwierige Zeiten zwischen uns gegeben haben, doch eigentlich waren wir stets Freunde und Kreativpartner. Deshalb war für mich ziemlich schnell klar, dass wir wieder etwas zusammen machen würden. Schließlich sind wir drei ein ganz spezielles Team, das sich sehr gut kennt und das eine ganz besondere gemeinsame musikalische Ausrichtung hat. So etwas verbindet auf Lebenszeit.�
Dabei ging ihnen nicht darum, alte Ideen aufzuwärmen oder den Achtziger-Boom der letzten Jahre auszuschlachten. Immerhin hat die Band ihr Geschäft von der Pike auf gelernt und kann im Gegensatz zu den Teenie-Sternchen von heute mit einem echten Trumpf aufwarten: CAMOUFLAGE sind eine klassische Band, die ihre Musik und Texte selbst schreibt und umsetzt. Heiko: �Mag schon sein, dass unsere aktuellen Stücke an den Geist der 80er und damit an unsere Anfangstage erinnern. Das stört mich aber nicht, denn es beweist lediglich, dass wir eine Historie haben, auf die wir uns berufen. Künstler ohne Identität sind mir nämlich suspekt. Gleichzeitig leben wir in keinem Vakuum, wir werden garantiert beeinflusst von Vielem, was um uns herum geschieht. Aus diesen beiden Aspekten ergibt sich eine äußerst reizvolle Kombination.�
Auch das permanente Interesse an der Web-Site von CAMOUFLAGE über all die Jahre hinweg war für sie entscheidend, die Band wieder zu aktivieren. �Es war toll zu spüren, dass es weltweit noch eine Menge Menschen gibt, die Interesse an unserer Arbeit haben�, freut sich Heiko Maile. �All denen wollten wir die Chance geben, neues Material von uns zu hören�. Das nach wie vor große Interesse an der Band zeigte sich auch bei einigen Konzerten in den letzten zwei Jahren, bei denen das neue Material begeistert von den Fans aufgenommen wurde.
Ganz besonders wichtig bei CAMOUFLAGE sind nach wie vor die Texte, für die Oliver Kreyssig und Marcus Meyn verantwortlich zeichnen. So radikal persönlich und beinahe schon schmerzhaft intim wie dieses Mal sind zumindest einige der Texte allerdings noch nie ausgefallen. �Musik ist für mich ein Lebenselixier, das hat fast schon etwas therapeutisches�, meint Marcus. Und ergänzt: �Ich habe unglaubliche Dinge speziell in den letzten fünf Jahren mitgemacht, vor allem was meine Beziehungen angeht. Daher galt es, sich beim Schreiben dem Chaos zu stellen und es aufzuarbeiten. Es war richtiggehend kathartisch. Bei einigen Songs war die Produktion von Sensor zwar ziemlich dramatisch, doch das hat dem Album, denke ich, nur gut getan.�
Perfect
Und Heiko Maile unterstreicht zu Recht: �Wir wissen immer noch, wie man Songs schreibt! Diese Fähigkeit haben wir auch in all den Jahren nicht verlernt. Wenn die Hörer zu unseren Liedern pfeifen können, dann ist das garantiert nichts Schlechtes. Nur legen wir es nicht darauf an, die Leute mit billigen Tricks zu überzeugen. Wir wissen, dass wir mit Sensor etwas Tiefgründiges, Aussagekräftiges abgeliefert haben, das dennoch zum Teil tanzbar ist.�
Marcus erklärt das Erfolgsrezept der Band wie folgt: �Unsere Stärke sind einfache Melodien mit Ohrwurmcharakter, die sich dem Hörer nach und nach immer weiter erschließen und die zudem häufig einen düster-melancholischen Hintergrund haben.� Heiko ergänzt: �Bei unseren aktuellen Liedern geht es um das Süßlich-Schöne von Hits wie �Love Is A Shield�, das gepaart wird mit einer Melancholie, die vielen unserer Songs eine besondere Stärke verleiht. Das Finstere macht unsere Stücke erst einzigartig, wobei wir es beim Komponieren nicht bewusst darauf anlegen, das schleicht sich einfach ein. Wir haben seit Gründung der Band nie über irgendwelche Trends und Moden nachgedacht, wir haben einfach nur das aufgenommen, was unserem Naturell entspricht. Ich denke, so soll es sein bei einer kreativen Pop-Band, wenn sie etwas Besonderes sein will.�
CAMOUFLAGE sind sich immer treu geblieben, und das haben die Fans der Band honoriert. Mit Sensor wagt CAMOUFLAGE nun einen Neuanfang, der auf den alten Stärken der Band aufbaut und ihnen gleichzeitig viele neue Fans einbringen wird: �You make it real, the way I feel… so perfect�.
Autor: Michael Krenz